Eine strenge Oberin, Schwestern mit Haube, Teildienste: Was heute als Relikt längst vergangener Zeiten erscheint, war in den 1970er-Jahren im Klinikalltag gang und gäbe – eindrucksvoll nachzulesen in den allmonatlichen Krankenhausreportagen von Elfriede Horn, der damaligen Chefredakteurin der Zeitschrift "Die Schwester", die im Jahr 1975 um das männliche Pendant, den "Pfleger", im Titel ergänzt wurde.
Anfang 1974 besuchte die Journalistin das Rotes-Kreuz-Krankenhaus in Kassel. Kliniken in dieser Stadt wurden in der Zeitschrift überdurchschnittlich häufig porträtiert – aus praktischen Gründen: "Kassel liegt nahe bei Melsungen und ist uns deshalb besonders verbunden", schrieb Horn.
Am Anfang ihres Elf-Seiten-Artikels ging sie auf den Umstand ein, dass Kassel im Zweiten Weltkrieg verheerend in Mitleidenschaft gezogen und keines der fünf Krankenhäuser der Stadt verschont worden war. Es seien nicht zuletzt "Schwestern" gewesen, die selbst Hand angelegt und den Schutt weggeräumt hatten. "Baumeister" seien seit Jahrzehnten am Werk und würden es auch künftig sein, um aus den zerstörten Häusern moderne Kliniken zu machen.
"Hausintern nehmen sich die Ärzte der Schwestern an"
Zum Zeitpunkt der Reportage hatte das Rotes-Kreuz-Krankenhaus gerade ein neues Bettenhaus in Betrieb genommen. Für alle Beteiligten werde die Arbeit jetzt übersichtlicher sein, "weil wir mehr Raum, mehr Arbeitsplätze und Apparate zur Verfügung haben, die den Anforderungen der modernen Medizin entsprechen", sagte "Frau Oberin" Irmgard Meyer. Auf die "Funktionsschwestern" warteten jetzt "große, neue Aufgaben". Um wie viel werde die Arbeitsfreudigkeit in dieser ansprechenden neuen Arbeitsumgebung wachsen, schwärmte Meyer im Gespräch mit der Redakteurin.
Trotz aller Fortschrittlichkeit werde man an Altbewährtem festhalten, wie dem geteilten Dienst mit Freistunden. Dieser habe den Vorteil, dass der Patient während des ganzen Tages von den gleichen Schwestern betreut werde.
Großer Wert werde zudem auf Fortbildung gelegt: "Hausintern nehmen sich die Ärzte der Schwestern an", so die Oberin. Die Schwestern dürften aber auch an ärztlichen Fortbildungsveranstaltungen teilnehmen.
"Durch jede Berufsentscheidung geht man eine Bindung ein"
Offensichtliche Irritation löste Redakteurin Horn mit ihrer Feststellung aus, dass Schwestern sich nicht mehr so eng an die Schwesternschaft binden wollten, "wie das früher einmal war". Durch jede Berufsentscheidung gehe man eine Bindung ein, entgegnete Meyer. Doch in der Tat sei auch für die Rotkreuzschwesternschaften die Zeit nicht stehen geblieben. "So kann zum Beispiel die Schwester nach ihrer Heirat Mitglied der Schwesternschaft bleiben und ist uns durch ihre Mitarbeit eine wertvolle Hilfe auf der Krankenstation."