Die neue Schwerarbeitsregelung in Österreich ermöglicht beruflich Pflegenden, unter bestimmten Bedingungen bereits mit 60 Jahren in Pension zu gehen. Voraussetzung sind mindestens 45 Versicherungsjahre, davon mindestens zehn Jahre Schwerarbeit in den letzten 20 Jahren. Trotz der grundsätzlichen Anerkennung der Pflege als Schwerarbeit stößt die neue Regelung in der Pflegepraxis auf erhebliche Kritik. Die Präsidentin des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbandes (ÖGKV), Elisabeth Potzmann, kritisiert, dass die Vorgaben faktisch kaum erfüllbar sind.
Potzmann: Kaum erfüllbare Bedingungen
Da die Pflegeausbildung erst ab 17 Jahren möglich sei, könnten beruflich Pflegende die geforderten 45 Versicherungsjahre bis zum 60. Lebensjahr nicht erreichen, so Potzmann. "Beim Versprechen nach 45 Jahren, davon 10 aus den letzten 20 in Schwerarbeit, in Pension gehen zu können, kann beim besten Willen nicht von einem Systemwechsel gesprochen werden", sagte Potzmann im Interview mit dem Magazin Pflegenetz.
Noch deutlicher wurde sie im sozialen Netzwerk LinkedIn: "Kann mir jemand vorrechnen, wie sich das ausgehen soll? Nicht eine Person, die mit Stand heute eine Ausbildung in der professionellen Pflege in Österreich absolviert hat, hat diese mit 15 begonnen."
Grüne: Mogelpackung
Die Grünen sprachen in einer Pressemitteilung von einer "Mogelpackung", da viele beruflich Pflegende die Kriterien gar nicht erreichen könnten. Sie verließen oftmals den Beruf vorzeitig, weil sie ihn körperlich nicht mehr bewältigen könnten oder ausgebrannt seien.
Forderung nach umfassenderen Reformen
Gewerkschaften und Pflegeorganisationen fordern neben der Schwerarbeitsregelung auch bessere Arbeitsbedingungen, höhere Löhne und mehr Personal, um den Pflegeberuf attraktiver zu machen und die Belastungen tatsächlich zu reduzieren.
Die österreichischen Medien berichten im Zuge der Diskussion um die Schwerarbeitsregelung zudem von aufkommenden Begehrlichkeiten anderer Berufsgruppen wie Sanitäterinnen und Sanitäter, Spitalsärztinnen und -ärzten, mobilen Diensten und Behindertenhilfe. Die aktuelle Fokussierung auf Pflegekräfte werde als unvollständig wahrgenommen.
DBfK Nordwest für weitergehendes Konzept in Deutschland
Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) Nordwest wirbt für ein Konzept in Deutschland, das "weit über die eher symbolische Regelung in Österreich hinausgeht", so der DBfK in einer Pressemitteilung aus der Vorwoche.
So wirbt der Vorsitzende des DBfK Nordwest, Martin Dichter "für einen Ansatz, der die Berufsattraktivität und den Gesundheitsschutz konsequent mitdenkt". Beruflich Pflegende in Deutschland sollten nach zehn Berufsjahren (Vollzeitäquivalent) einen "Pflegeberufegratifikationsschein" erhalten, der ihnen unter anderem garantiere:
- zusätzliche Rentenpunkte – um zwischen einem früheren Renteneintritt und höheren Rentenansprüchen wählen zu können,
- Anspruch auf eine 35-Stunden-Woche bei Vollzeit sowie fünf zusätzliche Urlaubstage jeweils ab dem 50. Lebensjahr,
- leichteren Zugang zu Rehabilitationsmaßnahmen und spezielle Sicherung im Fall von Erwerbsminderung.
Dieses Konzept nehme die hohe Arbeitsbelastung des Berufs ernst und erkenne zugleich die Leistung der professionell Pflegenden an. "Dass viele Pflegefachpersonen mit fortschreitendem Alter die Stunden reduzieren, den Beruf verlassen oder arbeitsunfähig werden, zeigt, wie groß der Handlungsbedarf ist", so Dichter.