Nach jahrelanger Diskussion gelang in Deutschland im Juni 2017 die Verabschiedung des Pflegeberufegesetzes. Mit der Einführung der generalistischen Pflegeausbildung sollte allen Menschen, die sich für den Pflegeberuf interessieren, eine hochwertige und zeitgemäße Qualifizierung angeboten werden. Die Diskussion, ob die in diese Vereinheitlichung gesetzten Erwartungen auch erfüllt werden, ist nach wie vor aktuell.
Die Träger- und Betreiberorganisationen in Mitgliedschaft des Caritasverbands für die Diözese Münster e.V. bieten für mehr als 6.000 Personen (zuzüglich Auszubildende von Kooperationspartner:innen) diese reformierten Ausbildungsabschnitte in 57 katholischen Krankenhäusern, 205 stationären Pflegeeinrichtungen und 105 ambulanten Pflegediensten bzw. in zahlreichen anderen mit der Ausbildung verbundenen Einrichtungen an. Nach Abschluss der dreijährigen Ausbildung kommen nun die ersten Absolvent:innen in der Pflegepraxis an.
Arbeitgeber als Marke stärken
Die berufliche Ausbildung und ihre Organisation sind für viele junge Erwachsene der erste Kontakt zur Arbeitswelt. Es empfiehlt sich also, neben den vom Pflegeberufegesetz geforderten Rahmenbedingungen, auch das Umfeld zu beachten und dieses so zu gestalten, dass es im Sinne der Markenbildung als – vielleicht sogar Arbeitgebermarke hinsichtlich eines Employer Branding – einzigartig wahrgenommen wird.
Der Caritasverband für die Diözese Münster schaute in Kooperation mit der Hochschule RheinMain auf diese Praxis und identifizierte potenzielle Handlungsbedarfe. Die Studienmethode bestand in einem quantitativen Teil aus einer anonymisierten, standardisierten Onlinebefragung (678 verwertbare Datensätze). Im qualitativen Teil wurden Interviews geführt und ausgewertet (17 leitfadengestützte Interviews mit 29 pflegefachlichen Funktionsträger:innen und 5 generalistisch ausgebildeten Pflegefachpersonen). Damit wurde den vielfältigen Blickwinkeln auf die generalistische Ausbildung Rechnung getragen. Einige prägnante Aspekte sollen erläutert werden.
Praxiseinrichtungen und Pflegeschulen nähern sich an
Die neue Generation von Pflegeauszubildenden bringt andere Bedürfnisse mit, als dies in früheren Generationen zu beobachten war (zum Beispiel flache hierarchische Strukturen oder Flexibilität in den Arbeitszeiten und Arbeitsinhalten). Ausbildungsbetriebe und Pflegeschulen stehen damit vor stetigen Anpassungsprozessen, um diesen neuen oder veränderten Bedarfen gerecht zu werden.
Auch wenn viele Pflegeschulen bereits im Jahr 2018 mit den notwendigen curricularen Vorarbeiten starteten, um den systembedingten Ausbildungswechsel zu vollziehen, so setzten diese Vorarbeiten in den Praxiseinrichtungen erst zeitversetzt ein. Die geführten Interviews zeigten klar auf, dass die strukturellen Entwicklungen in der Praxis nachliefen und die Pflegeschulen wesentlich vorangeschritten waren. Die Träger der praktischen Ausbildung sowie auch die ehemaligen Krankenpflegeschulen und ehemaligen Fachseminare standen mit der Einführung der generalistischen Ausbildung vor einer Neuorientierung. Besonders ehemalige Fachseminare mussten fortan einer Vielzahl von Kooperationspartner:innen (teilweise über 100) gerecht werden. Jenen Aufgaben standen teils redundante, oftmals aber auch als bürokratisch wahrgenommene Anforderungen der jeweiligen Aufsichtsbehörden gegenüber. Viele dieser administrativen Hürden gilt es nach wie vor zu nehmen (etwa erforderliche Nachweise und Mehrfachlisten).
Mit den neuen gesetzlichen Anforderungen an Personal- und Ressourcenvorgaben mussten sich viele Einrichtungen sowie Pflegeschulen anders aufstellen. So berichteten einige Interviewpartner:innen, dass sich das Bewusstsein für die neue Ausbildung erst einmal ändern musste. Das traf auf alle hierarchischen Ebenen zu. Es wurde in den Interviews deutlich, dass insbesondere die hohen "Durchlaufquoten" der Auszubildenden durch die Einrichtungen für die ohnehin schon dynamischen Systeme mit sinkenden Verweildauern der Patient:innen, einer Zunahme an Multimorbidität sowie Personal- sowie Fachkräftemangel herausfordernd sind. Solche Anforderungen sind umso anspruchsvoller, wenn durch die gesetzlichen Vorgaben (zum Beispiel die häufigen und starren Wechsel der Einsatzorte) kaum noch Möglichkeiten bestehen, die Auszubildenden in den Betrieben zu sozialisieren, und die Wünsche und Vorlieben für bestimmte Bereiche individuell kaum noch zu berücksichtigen sind.
Praxisanleitung als Schlüssel, um Pflegepersonal zu gewinnen und zu binden
Die Studie förderte zudem zu Tage, dass die Praxisanleitung als wesentliches Herzstück der Ausbildung zu verstehen und teils bereits tief in den betrieblichen Strukturen verankert ist. Dabei hat sich eine Vielzahl unterschiedlicher Terminologien und Funktionen in der Pflegepraxis (unter anderem Praxisanleitung, freigestellte Praxisanleitung, hauptamtliche Praxisanleitung, de/zentrale Praxisanleitung, Praxismanager:in, Praxiskoordinator:in) etabliert. Die Interviewten waren sich dabei einig, dass die Praxisanleitenden ein zentraler Schlüssel für die Gewinnung und die spätere Bindung von (potenziellen) Pflegefachpersonen sind.
Aus der Studie heraus zeichneten sich auch systembedingte Risiken ab, die als strukturell (weil dem Ausbildungssystem innewohnend) zu bezeichnen sind. Eine Mehrzahl der Befragten thematisierte die aktuell als nicht ausreichend empfundene Wissens- und Kompetenzvermittlung gerade mit Blick auf die Anforderungen im pädiatrischen Bereich. Hier stellten die Interviewten besonders auf die zu kurzen Einsätze in sogenannten pädiatrischen "Ausweichorten" ab.
Oftmals werden die zu organisierenden Zeitblöcke oder die Taktung der Einsatzorte, die in der Ausbildung zu durchlaufen sind, zu einer enormen Herausforderung für die ausbildenden Systeme und die Auszubildenden. Werden die Auszubildenden in einem als eher schwierig empfundenen Setting nicht gut begleitet und betreut, bleiben sie eventuell abgeschreckt zurück. So kann eine ursprüngliche Entscheidung zugunsten der Ausbildung dann aufgrund der strukturellen Anforderungen auch wieder infrage gestellt werden und zu einem Ausbildungsabbruch führen, berichteten einige der generalistisch ausgebildeten Pflegefachpersonen.
Wesentlicher Begleitfaktor der Einführung der generalistischen Ausbildung war die Corona-Pandemie. Hinzu kommt, dass beim Aufsetzen der Pflegeausbildung bestimmte Entwicklungen in den Einstellungen und Wertesystemen nur begrenzt absehbar waren. Für den Caritasverband für die Diözese Münster war das Grund genug, sich ein eigenes Bild vom Status quo zu machen. Die durchlaufenen Settings werden von den Auszubildenden sehr individuell er- und durchlebt und damit in den gegebenen Rückmeldungen durchaus kontrovers umschrieben. In Zeiten des Fachkräftemangels lohnt es sich jedoch für umsichtige Träger und Arbeitgeber, in entsprechende Analysen zu investieren und in solchen Punkten für markenbildende Alleinstellungsmerkmale zu sorgen. Die Schaffung ausbildungsbegleitender Strukturen sowie ein die gesamte Ausbildungsdauer umfassendes Praxisanleitungskonzept sind dabei fördernd. Denn es gilt, nicht nur das neugewonnene, sondern auch das Bestandspersonal möglichst gut und lange zu binden und in die eigene Arbeitgebermarke mit einzubeziehen. Die besonderen Teamstrukturen in Einrichtungen und Diensten der Caritas scheinen dabei eine ganz eigene Magnetwirkung auf die ehemaligen Auszubildenden zu haben.
Autorenteam:
Jonas Vorderwülbecke, Jan-Hendrik Kappelhoff, Julia Hayck, Hans-R. Hartweg
Caritasverband für die Diözese Münster e.V. und Hochschule RheinMain