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Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen

Die Gefahr von Rechts nicht unterschätzen

Kurz vor den Landtagswahlen beunruhigen fragwürdige Äußerungen und Vorwürfe die Profession Pflege.

Gleich zwei Vorfälle sorgen im Vorfeld der nahenden Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen am Wochenende für Unverständnis und Entsetzen innerhalb der Profession Pflege:

  • die "Eugenik"-Aussage des Chefs der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen
  • der Vorwurf der Briefwahlmanipulation durch Pflegende von AfD-Spitzenkandidat Björn Höcke.

Mit einem Editorial zum Thema Humangenetik hat der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen (KVS), Klaus Heckemann, eine Welle der Kritik ausgelöst. Er schreibt darin unter anderem von genetischer Diagnostik und "Eugenik in ihrem besten und humansten Sinn". Der KVS-Hauptausschuss distanzierte sich in einer Mitteilung von Mittwoch nachdrücklich von diesen Aussagen "hinsichtlich Stil, Wortwahl als auch inhaltlicher Positionierung".

Der KVS-Hauptausschuss schrieb, Heckemanns Äußerungen rückten ein gesellschaftlich wie medizinisch relevantes und sehr bedeutendes Thema in ein falsches Licht. Er habe damit eine Grenze überschritten. Der Hauptausschuss werde mit der Vertreterversammlung notwendige Konsequenzen diskutieren. Heckemann äußerte sich nach Angaben der Deutschen Presse-Agentur (dpa) zunächst nicht zu den Vorwürfen.

Auch das sächsische Sozialministerium distanzierte sich von den Aussagen Heckemanns. "Das Sozialministerium und ich schließen uns ausdrücklich der Kritik der Verbände und Fachgesellschaften an", zitierte die dpa Sozialministerin Petra Köpping (SPD). Die Vielzahl entsetzter Reaktionen zeigten, dass diese Aussagen der KVS und den dort organisierten Ärztinnen und Ärzten schaden. "Wir haben heute das persönliche Gespräch mit Dr. Klaus Heckemann gesucht und unsere Position zum Ausdruck gebracht."

Offener Brief von Vertretern der Dresdner Hochschulmedizin

Zuvor hatten Vertreter der Dresdner Hochschulmedizin Heckemann in einem offenen Brief an Köpping als "nicht mehr tragbar" bezeichnet. "Mit großer Bestürzung und Sorge, Irritation und Unverständnis haben wir das Editorial zur Kenntnis genommen", heißt es in dem Brief von Dienstag.

In der Zeit des Nationalsozialismus sei der Begriff "Eugenik" für Maßnahmen zur Rassenhygiene verwendet worden, um "lebensunwertes Leben" zu reduzieren oder zu eliminieren. Es sei "schockierend und unverständlich, dass ein prominenter Vertreter der sächsischen Ärzteschaft und Therapeuten ein solches Gedankengut" öffentlich verbreiten dürfe.

Grundprinzipien der Gesundheitsversorgung bedroht

Auch der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) äußerte sich erschrocken über die Aussagen des KVS-Chefs. DBfK-Bundesgeschäftsführerin Bernadette Klapper sagte am Mittwoch:

"Unter dem Deckmantel der Kostensenkung im Gesundheitssystem pickt er sich Menschen mit seltenen chronischen Erkrankungen heraus, stellt infrage, ob genetische Diagnostik für diese Menschen gerechtfertigt sei und träumt im nächsten Schritt von genetischer Selektion, damit diese Menschen in Zukunft erst gar nicht mehr geboren werden. Wen erinnert dies nicht an die dunkelste deutsche Vergangenheit?"

Heckemann benutze sogar das Vokabular der Nationalsozialisten. Statt auf Respekt vor der individuellen Entscheidung und gute Beratung von Frauen und Familien mit Kinderwunsch setzte er auf Selektion und beschreibe "diesen gefährlichen Zugriff des Systems skrupellos als humanen Fortschritt". "Ich setze darauf, dass die zuständige Ärztekammer die Aussagen Heckemanns auf Vereinbarkeit mit der ärztlichen Berufsordnung prüft", forderte Klapper.

Heckemanns Einlassungen seien ein erschreckendes Beispiel dafür, wie sich der gesellschaftliche Diskurs auch in Fragen der Gesundheitsversorgung verschiebe. Diese Entwicklung bereite dem DBfK "große Sorge". Die Prognosen zu den bevorstehenden Landtagswahlen ließen befürchten, dass sich Haltungen wie die von Heckemann weiterverbreiteten. Solche Haltungen vergifteten nicht nur das gesellschaftliche Klima, sondern bedrohten auch die Grundprinzipien der Gesundheitsversorgung, die auf Respekt, Gleichbehandlung und dem Schutz der Würde jedes einzelnen Menschen beruhten.

Klapper verwies auf den Ethikkodex des International Council of Nurses, dem Weltbund der Pflegefachpersonen, der beruflich Pflegende auffordere, Menschen unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem Gesundheitszustand oder ihren genetischen Voraussetzungen respektvoll und ohne Vorurteile zu behandeln. Ein System, das auf Selektion und Ausgrenzung setzt, stehe im klaren Widerspruch zu diesen Grundsätzen.

Angesichts der drohenden gesellschaftlichen Verschiebungen sei es wichtiger denn je, für eine inklusive und menschliche Gesundheitsversorgung einzutreten und sich klar gegen jegliche Formen von "Eugenik" und Ausgrenzung zu positionieren. Das gelte für die im Gesundheitssystem Tätigen ebenso wie für alle, die in den bevorstehenden Wahlen entschieden, welches Menschenbild in ihrem Bundesland vorherrschen solle. "Wer heute bereit ist, Diskriminierung und die Verletzung der Menschenwürde zu tolerieren, sollte sich bewusst sein, wie schnell er selbst zum Ziel solcher Haltungen werden kann", mahnte Klapper.

Klare Haltung beziehen

In Nordrhein-Westfalen (NRW) sorgen Vorwürfe von AfD-Spitzenkandidat Björn Höcke für Unmut. Die Pflegekammer NRW wehrt sich "massiv" gegen seine Äußerungen, Pflegefachpersonen würden die Briefwahl manipulieren. In einem Social-Media-Video von einer Wahlkampfveranstaltung in Thüringen hatte Höcke Pflegefachpersonen Betrug vorgeworfen. Konkret sehe er Pflegeheime als besonders manipulationsanfällig, da hier ältere Menschen, die politisch nicht mehr so interessiert seien und "die betreut werden über viele Jahre durch einen Pfleger", letztlich "dahin gebracht werden, die SPD zu wählen". Höcke hatte die Zuschauenden der Wahlkampfveranstaltung dazu aufgerufen, die Briefwahlunterlagen einzufordern, wenn sie zu pflegende Angehörige in Pflegeheimen haben.

Kammerpräsidentin Sandra Postel äußerte sich am Donnerstag "fassungslos, wie sehr unser Berufsstand in Verruf gebracht wird" und sagte:

"Höcke weiß offensichtlich nichts von den ethischen Ansprüchen an die Pflege und übersieht willentlich, dass er uns Berufspflichtverletzung vorwirft."

Der Fall in Thüringen sei deshalb ein Fall, der Pflegende bundesweit angehe. Die Anschuldigung sei ein "Schlag ins Gesicht" all jener Pflegefachpersonen, die hochprofessionell gerade in Pflegeheimen dafür sorgten, den Menschen dort ein würdiges Leben zu ermöglichen. Dazu gehöre es selbstverständlich, dass Pflegefachpersonen als Wahlunterstützende agieren und somit das selbstständige Wählen ermöglichen.

Bereits vor der Europawahl im Juni hatte sich die Pflegekammer NRW in einem Positionspapier für eine würdevolle Pflege aller Menschen eingesetzt und klare Haltung gegen jedwede Form von Ausgrenzung und für eine demokratische Grundordnung gezeigt. Auf LinkedIn postete Postel in dieser Woche:

"Um diesem Ethos zu folgen, müssen wir für das freiheitliche Ausüben unseres Berufes einstehen und uns gegen politische Strömungen stellen, die uns in Situationen bringen wollen, in denen wir nicht mehr Jeden nach seinen Bedarfen pflegen können. Wer sich mit der Pflege im dritten Reich beschäftigt hat, weiß, wo das enden kann. Es fängt genau bei solchen Fällen an, wo man uns fehlendes ethisches Bewusstsein unterstellt."

Quelle: Bibliomed | dpa

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