• 25.08.2023
  • Bildung
Durchlässigkeit und Bildungspfade in der Pflege

Mehr Transparenz im Karrieredschungel

Die Vorgaben, Strukturen und Möglichkeiten in der Pflege­bildung sind heterogen und unübersichtlich. Das Projekt „career@care“ will das ändern.

Die Schwester Der Pfleger

Ausgabe 9/2023

Seite 66

Die Vorgaben, Strukturen und Möglichkeiten in der Pflege­bildung sind heterogen und unübersichtlich. Das Projekt „career@care“ untersucht die Durchlässigkeit zwischen Bildungswegen in der Pflege und zeigt Verbesserungspotenziale auf.

Viele Betriebe werben damit, Karrieren in der Pflege zu fördern. Doch die Vorgaben, Struk­turen und Möglichkeiten sind unübersichtlich. Nur die berufliche und hochschulische Pflegeausbildungen sind durch das Pflegeberufegesetz bundeseinheitlich geregelt. Alle anderen Qualifikationsstufen von der Pflegeassistenzausbildung bis hin zu Weiterbildungen und die Zugangsvoraussetzungen für ein Studium liegen in der Hand der Bundesländer. Daraus ergibt sich eine Vielzahl an Gesetzen mit unterschied­lichen Vorgaben. Ein Forschungsteam der Hochschule Esslingen und des Instituts für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW) an der Universität Tübingen widmet sich im Projekt „career@care – Durchlässigkeit und Bildungspfade in der Pflege“ im Auftrag des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) diesem Karrieredschungel. Im Fokus stehen die Fragen, welche Vorgaben es für die unterschied­lichen Qualifikationsstufen gibt, wie Berufslaufbahnen tatsächlich verlaufen und wie Entwicklungswege in der Pflege gefördert werden können. Das Projekt läuft seit November 2022 und wird Ende November dieses Jahres abgeschlossen.

26 verschiedene Pflegeassistenzausbildungen

In Deutschland gibt es aktuell 26 Pflegeassistenzausbildungen, die 12 bis 24 Monate dauern, meistens nicht generalistisch ausgerichtet sind und somit nicht ausreichend auf einen etwaigen Übergang in die Ausbildung zur Pflegefachperson vorbereiten. Für die Zulassung zu einer Pflegeassistenzausbildung wird am häufigsten ein Hauptschulabschluss oder eine abgeschlossene Berufsausbildung gefordert; es gibt aber auch Ausnahmen. Ein Durcheinander besteht auch im Hinblick auf die Anrechnungsmöglichkeiten auf die Pflegeassistenzausbildung: Verkürzungen der Ausbildung sind aufgrund vorausgegangenem Besuch spezieller Berufsschulen, Berufsfachschulen, anderer Ausbildungen oder auch Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen möglich.

Die Pflegeassistenzausbildungen unterscheiden sich in beträchtlichem Umfang sowohl hinsichtlich der Unterrichtsstunden (600 bis 2.720 Stunden) als auch der Praxisphasen (850 bis 2.240 Stunden). Die Diversität bezieht sich auch auf die Kompetenzen, die vermittelt werden. Einheitlich festgelegt ist wiederum die Anrechnung auf die dreijährige Pflegeausbildung: Die Pflegeassistenzausbildung ist auf Antrag auf ein Drittel der Ausbildung anzurechnen (§ 12 Abs. 2 PflBG). Dies ist insofern problematisch, als dass keine Übereinstimmung über die in der Assistenzausbildung zu erwerbenden Kompetenzen besteht und die Anrechnung von den Schulen unterschiedlich gehandhabt wird. Die Voraussetzungen der Assistenzpersonen, die in eine Ausbildung zur Pflegefachperson eintreten, können somit sehr unterschiedlich sein.

Von der Aus- in die Weiterbildung

Nach erfolgreichem Abschluss als Pflegefachperson geht das Durcheinander weiter: Auch bei den beruflichen Weiterbildungsmöglichkeiten herrscht eine unübersichtliche Vielfalt, da die Rahmenvorgaben, Curricula und Überwachung der regelrechten Durchführung eigenständig von Bundesländern, Fachgesellschaften und Fachverbänden geregelt werden. Die Zugangsvoraussetzungen zu Weiterbildungen reichen vom alleinigen Abschluss der Pflegeausbildung bis zu 24 Monaten einschlägiger Berufserfahrung. Theorie- und Praxisanteile variieren stark. Bei der Weiterbildung zur Hygienefachperson beispielsweise liegen die theoretischen Anteile bei 660 bis 930 Stunden, die Praxisanteile zwischen 240 und 1.840 Stunden – für denselben Abschluss. Darüber hinaus beziehen sich die meisten Gesetzes­vorgaben und Empfehlungen für Weiterbildungen noch auf die alten pflegerischen Ausbildungen; die Kompetenzen und Inhalte der generalistischen Ausbildung sind noch nicht vollumfänglich berücksichtigt.

Nach Aussagen vieler Pflegefachpersonen lohnen sich Weiterbildungen finanziell nicht ausreichend, etwa weil aufgrund einer neuen Funktion Zulagen wegfallen; meist geht mit einer Weiterbildung nur eine erhöhte Verantwortung einher. Ob eine Pflegefachperson eine Weiterbildung absolvieren kann, ist zudem stark abhängig von der aktuellen Situation in der Einrichtung. Meist fehlt es an einer langfristig ausgerichteten, systematischen Personalentwicklung – nicht nur, aber auch weil trotz knappen Personals die Versorgung der zu pflegenden Menschen weiter gewährleistet sein muss. Aus individueller Sicht kann das demotivierend sein.

Von der Schule oder Ausbildung ins Studium

Neben den aktuell 29 primärqualifizierenden Studiengängen mit Berufsanerkennung als Pflegefachfrau oder Pflegefachmann inklusive Bachelorabschluss gibt es aktuell 20 Studiengänge, die begleitend zu einer Pflegeausbildung, und weitere Studiengänge, die nach absolvierter Pflegeausbildung belegt werden können. Um ein solches Studium zu beginnen, ist nicht zwangsläufig Abitur notwendig. Je nach Bundesland kann eine Fachweiterbildung das Abitur ersetzen; Personen mit Berufsausbildung und -erfahrung können direkt in ein Studium mit fachlicher Nähe einsteigen oder die Hochschulzugangsberechtigung kann über eine Eignungsprüfung erlangt werden. Diese Möglichkeiten sind jedoch oftmals nicht bekannt.

Gleichzeitig ist die Aufnahme eines primärqualifizierenden Pflegestudiums derzeit noch nicht attraktiv genug. Ein wichtiger Grund ist die fehlende Vergütung von Praxisphasen während des Studiums im Vergleich zur Ausbildung. Dieser Mangel wird aktuell durch das neue Pflegestudiumsstärkungsgesetz aufgegriffen. Allerdings sind die Einrichtungen noch nicht ausreichend auf hochschulisch ausgebildete Pflegefachpersonen vorbereitet. Für diese neue Beschäftigtengruppe mangelt es oft an definierten, adäquaten Tätigkeitsprofilen, die sich in den bestehenden Personalmix gut einfügen. Vor allem kleine Einrichtungen werden hierbei Hilfestellung benötigen. Zuletzt erhalten hochschulisch ausgebildete Pflegefachpersonen zumeist denselben Lohn wie schulisch ausgebildete, was das Studium zusätzlich unattraktiv macht.

Was ist zu tun?

Die existierenden Statistiken weisen keine Angaben aus, wie viele Personen von einer Bildungsstufe in eine andere übertreten; ein regelmäßiges und aktuelles Monitoring gibt es nicht. Bekannt sind meist lediglich Angaben zum Status quo, etwa zur Anzahl von Auszubildenden an Pflegeschulen; aber nicht zu deren bisherigem Bildungsweg und den Umständen, die diesen geprägt haben könnten. An dieser Stelle besteht weiterer Forschungs­bedarf.

Pflege bietet viele Entwicklungsmöglichkeiten und Karriereperspektiven wie kaum ein an­derer Beruf. Die Unübersichtlichkeit führt jedoch zu einer großen Intransparenz, die Laufbahnen in der Pflege oft als Zufallsprodukt erscheinen lassen, da die Alternativen und Unterschiede zwischen den Angeboten oftmals nicht bekannt sind. Eine Vereinheit­lichung und Transparenz könnten die Vergleichbarkeit erhöhen. Gleichzeitig ist eine Anpassung der Inhalte an die generalistische Pflegeausbildung erforderlich. Zumindest die Pflegeassistenzausbildung soll – so steht es auch im aktuellen Koalitionsvertrag der Ampelparteien – bundesweit vereinheitlicht werden. Dies wäre auch im Sinne einer generalistischen Ausrichtung sinnvoll. Ob und wann dies geschieht, ist aktuell noch offen.

Im Hinblick auf Weiterbildungen sind Pflegekammern zentrale Akteure. Sie können auf Länderebene verpflichtende Weiterbildungsordnungen erstellen, die über eine Bundespflegekammer konsentiert werden könnten.

Da sich in der Pflege anders als in anderen Branchen, in denen berufliche und hochschulische Laufbahnen bereits schon lange koexistieren, noch keine hinreichende Differenzierung der Tätigkeitsprofile von Pflegenden mit beruflichem und hochschulischem Abschluss herausgebildet hat, dürfte sich die Unübersichtlichkeit weiter erhöhen. Hier ist die eigene Profession gefragt, Tätigkeitsprofile und erforderliche Kompetenzen zu definieren und den Qualifikationsstufen und -wegen zuzuordnen.

Die Bereitschaft der Pflegefachpersonen, sich beruflich weiterzubilden, ist hoch [1]. Eine zentrale Rolle nehmen die Arbeitgeber ein. Eine strategische Personalentwicklung wird im Zuge der Fachkräftesicherung immer wichtiger. Dazu gehört, Tätigkeitspro­file – auch für hochschulisch ausgebildete Pflegefachpersonen – zu definieren und eine Bedarfsplanung zu erstellen, um eine „Rausbildung“ aus dem Betrieb zu vermeiden. Anhaltspunkte, wie Teams aus Personen unterschiedlicher Qualifikation und Kompetenzen zusammenarbeiten können, bietet das Projekt „360° Pflege“ der Robert Bosch Stiftung mit Aufgabenbeschreibungen inklusive Fallbeispielen für die unterschied­lichen Sektoren [2].

Gleichzeitig sind die Angebote und Auswahlkriterien für die Belegschaft transparent darzustellen und die Unterstützung anderer Karrierewünsche zu prüfen. Die Tarifpartner sind gefordert, die Bildungsrenditen für Fach- und Funktionskarrieren zu erhöhen. Weiterbildung muss sich auch finanziell lohnen, selbst wenn Zulagen wegfallen. Die Entscheidung für die Berufslaufbahn ist eine persönliche. Um Entwicklungsmöglichkeiten in der Pflege zu fördern, sind alle Beteiligten – Politik, Bildungseinrichtungen und Einrichtungen – gefordert, aktiv zu werden. Bis dahin gilt für Pflegepersonen, den Markt auszuloten und sich den Arbeitgeber zu suchen, der die eigenen Karrierewünsche unterstützt.

[1] Köstler C, Kuhlmey A, Scupin O. Aus-, Fort- und Weiter­bildung beeinflussen den Verbleib im Gesundheits- und Krankenpflegeberuf. Eine Querschnittsstudie. Pflege 2022; 0. doi.org/10.1024/1012-5302/a000905

[2] Robert Bosch Stiftung. 360° Pflege. Qualifikationsmix für Patient:innen – in der Praxis. Im Internet: qualifikationsmix-pflege.de; Zugriff: 06.07.2023

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