Duzen in der Arbeitswelt ist eine Entwicklung, die nun auch in den hierarchisch organisierten Krankenhäusern ankommt. Der CEO des Klinikbetreibers Asklepios, Kai Hankeln, beispielsweise hat kürzlich allen Beschäftigten das Du angeboten, um damit einen „neuen kommunikativen Standard bei Asklepios einzuführen“.
Ziel der Duz-Kultur ist die Stärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls, die Förderung des Teamgeistes und die Erleichterung der Kommunikation. Auch die Schaffung einer informelleren Atmosphäre gehört zu den erhofften Effekten. Aber hält das Duzen wirklich, was es verspricht?
Gemischte Gefühle
In der Tat signalisiert das Du Nähe und Vertrautheit, was die Zusammenarbeit und das Arbeitsklima positiv beeinflussen kann. Viele Wirtschaftsorganisationen, die diesen Schritt unternehmensweit gegangen sind, bestätigen dies.
Insgesamt ergibt sich jedoch ein sehr heterogenes Bild über Berufsgruppen und Hierarchieebenen hinweg. Interessanterweise ist die größte Sorge der Verlust einer Distanz, die als Voraussetzung für objektive Kritik gesehen wird: das Du als Hemmung, klare Worte zu sprechen, obwohl es doch Nähe und Vertrauen fördern soll. Und nicht wenige Befragte betrachten das Sie als wichtigen Ausdruck von Respekt und angenehmer Distanz, während das Du als zu locker und sogar unprofessionell empfunden wird.
Und was sagt die Wissenschaft zum Duzen? Die Studie „Auswirkungen der Anrede auf die Unternehmenskultur: Triangulation von Methoden und Daten“ der Martin- Luther-Universität Halle-Wittenberg kommt unter anderem zu folgenden Ergebnissen: Die Anredeform kann signifikante Auswirkungen auf verschiedene Dimensionen der Unternehmenskultur wie Identifikation, Führung, Kommunikation, Innovation und Teamorientierung haben. Das Sie wird häufiger mit Beständigkeit, aber auch mit Distanz, Konservatismus und weniger Entscheidungsmöglichkeiten der Mitarbeiter assoziiert, während das Du beziehungsweise die Mischform mit Teamwork verbunden wird. Grundsätzlich wird aber auch in dieser Untersuchung ein heterogenes Meinungsbild verdeutlicht. Es gibt mit anderen Worten keine eindeutige wissenschaftliche Empfehlung.
Auch im Krankenhaussektor kommt der Diskurs rund um das Duzen oder Siezen in Schwung. Zurzeit sind hier unterschiedliche Ausprägungen zu beobachten: von der Kultur des Sie, in der man sich nur innerhalb der Berufsgruppen und gleichen Hierarchiestufe duzt, bis hin zu Kliniken, in denen grundsätzlich geduzt wird – sogar die Patientinnen und Patienten, um Vertrauen zu fördern. Somit gibt es im Krankenhausbereich, wenn man es zuspitzen will, zwei Lager im Hinblick auf die Einführung des Duzens.
Neben Asklepios beschäftigt sich auch der Krankenhauskonzern Sana mit dem Für und Wider der Duz-Kultur. Das Interview auf Seite 20 mit Gundolf Thurm, Geschäftsführer der zu Sana gehörenden Regio Kliniken, die kürzlich klinikweit das Du eingeführt haben, illustriert den Weg von der Idee zur Umsetzung.
Gleichberechtigtes Miteinander ist auch ohne Du möglich
Die Verwendung des Du oder Sie ist eine komplexe Frage. Man muss sich bewusst machen, dass Menschen unterschiedliche Präferenzen haben und das Du nicht immer angemessen finden. Ein gleichberechtigtes Miteinander ist auch ohne Duzen möglich, solange es einen offenen und respektvollen Dialog gibt. Die Anredekultur sollte in jedem Fall zur aktuellen oder angestrebten Unternehmenskultur passen und nicht lediglich Sprachvorgabe für Mitarbeiter und Führungskräfte sein. Das Du darf keine symbolische Maßnahme sein, wenn es keine Bereitschaft gibt, das hierarchische, monoprofessionelle, abgrenzende Verhalten zu verändern.
Praxistipps zur Einführung des Duzens
- Führen Sie das klinikweite Du nur ein, wenn Sie ernsthaft an crosshierarchischer Kommunikation auf Augenhöhe interessiert und auch bereit sind, alte hierarchische Verhaltensweisen abzubauen. Sonst passen Du und erlebtes Verhalten nicht zusammen und die Initiative wird eine demotivierende Wirkung entfalten.
- Klären Sie die mit der Einführung des Du verbundene Zielstellung und die unterschiedlichen Erwartungen, um Enttäuschungen zu vermeiden.
- Integrieren Sie die Frage, ob das Du oder das Sie gewünscht ist, in bestehende Mitarbeiterbefragungen. Das ermöglicht Ihnen ein gutes Stimmungsbild.
- Akzeptieren Sie, wenn Kolleginnen oder Kollegen nicht an der Initiative teilnehmen wollen.
- Reflektieren Sie, ob begleitend weitere Verhaltensweisen verändert werden können, die zu einem eher traditionell geprägten und monoprofessionellen Verständnis gehören.
- Beobachten und reflektieren Sie die Entwicklung. Führung heißt Wirkung erzielen und Auswirkungen prüfen, um korrigierend eingreifen zu können.
Respektvoll miteinander umgehen
Im Hinblick auf crosshierarchische und multiprofessionelle Zusammenarbeit können die Vorteile der Duz-Kultur genutzt werden, wenn es begleitend zur multiprofessionellen Teamentwicklung eingesetzt wird. Allerdings sollten wir nicht vergessen, dass die Anredeform nur ein kleiner Teil zwischenmenschlicher Beziehungen ist. Der wahre Wert liegt darin, respektvoll miteinander umzugehen – unabhängig von der gewählten Anrede.