• 26.09.2022
  • Management
Interventionsstudie Magnet 4 Europe

Sich dem Vergleich stellen

Die Schwester Der Pfleger

Ausgabe 10/2022

Seite 64

Auf dem Weg zum Magnet-Krankenhaus haben deutsche Kliniken ein Problem: Die Anerkennung setzt eine Vergleichbarkeit der Krankenhäuser voraus, doch ein deutschlandweites Benchmarking mit pflegerelevanten Kennzahlen gibt es bislang nicht. Fünf Kliniken haben das Thema nun selbst in die Hand genommen und damit international für viel Beachtung gesorgt.

Im Rahmen der europaweiten Interventionsstudie Magnet 4 Europe suchen 20 deutsche Krankenhäuser derzeit ihren ganz eigenen Weg zu exzellenter Pflege, berufsgruppenübergreifender Zusammenarbeit auf Augenhöhe und einer gesundheitsfördernden Arbeitsatmosphäre.

Für die beteiligten Kliniken war schnell klar: Das aus den USA stammende Magnet-Konzept ist toll, aber aufgrund der unterschiedlichen Gesundheitssysteme lassen sich einige Vorgaben nicht eins zu eins umsetzen. In den USA selbstverständliche Voraussetzungen wie die weit fortgeschrittene Akademisierung der Pflege oder bestimmte Hierarchien sind in Deutschland nicht oder nur in anderer Form vorhanden. Doch die Vorgaben sind für die Häuser überall auf der Welt gleich. Sie kommen vom American Nurses Credentialing Center (ANCC), das international für die Zertifizierung als Magnet-Krankenhaus zuständig ist.

Pflegespezifisches Benchmarking fehlte bislang

Eine dieser Herausforderungen für die deutschen Kliniken: Es gibt keine nationale Datenbank für Pflegedaten, die die Grundlage für einen Vergleich der Krankenhäuser bieten würde und den Anforderungen des ANCC entspricht.

Für die teilnehmenden Kliniken von Magnet 4 Europe ist das ein Problem, denn ohne Benchmarking keine Magnet-Anerkennung. Wie sonst will man beweisen, dass man überdurchschnittlich gute Ergebnisse in der Pflege von Patientinnen und Patienten erzielt, wenn dies nicht durch den Vergleich von Zahlen und Fakten belegbar ist?

Benchmarking in deutschen Kliniken beschränkte sich bisher meist auf Befragungsergebnisse von Patientinnen und Patienten oder Mitarbeitenden. Die verschiedenen Anbieter, die diese Daten erheben, können so vielleicht die Krankenhäuser miteinander vergleichen, die bei ihnen unter Vertrag stehen. Eine deutschlandweite Möglichkeit des Benchmarking ergibt sich dadurch nicht – und erst recht nicht mit pflegerelevanten Kennzahlen.

Das BG Klinikum Bergmannstrost Halle, das Deutsche Herzzentrum Berlin, das Klinikum Bremerhaven-Reinkenheide, die Kreiskliniken Reutlingen und die Universitäts- und Rehabilitationskliniken Ulm haben sich daher zusammengetan, um gemeinsam eine Lösung zu erarbeiten. Mit dem BQS Institut für Qualität & Patientensicherheit, das mittlerweile vom ANCC als Auswertungsstelle anerkannt ist, wurde zudem der richtige Partner für dieses Projekt gefunden.

Die Gruppe gab sich den Namen „B·IN Pflege“, kurz für Benchmark-Initiative Pflege, und einigte sich darauf, im ersten Quartal 2022 in den Häusern mit der Erfassung der Daten zu Dekubitus und Sturz zu starten. Schnell kamen zehn weitere Kliniken hinzu, die an dem Projekt mitwirken wollten.

Mittlerweile arbeiten aktuell Pflegeexpertinnen und -experten aus rund 20 deutschen Kliniken – auch Häuser, die nicht an der Studie Magnet 4 Europe teilnehmen – an einem standardisierten Verfahren, um die erhobenen Daten schnellstmöglich zusammenführen zu können. Aus den Magnet-Vorgaben und auf Grundlage der Expertenstandards ermitteln sie außerdem weitere Daten zur Erfassung. Dazu gehören beispielsweise katheterassoziierte Sepsen und Harnwegsinfekte sowie die Verhinderung der Verbreitung multiresistenter Keime.

Den fachlichen Austausch fördern

„B·IN Pflege“ will aber mehr sein als nur Mittel zum Zweck bei der Erfüllung der Magnet-Vorgaben. Denn Pflege im Krankenhaus steht aktuell vor vielen Herausforderungen. Der Fachkräftemangel, die Professionalisierung und Akademisierung der Pflege, der Wunsch vor allem jüngerer Mitarbeitender nach einer zufriedenstellenden Work-Life-Balance – all das betrifft alle Häuser gleichermaßen.

Deshalb soll das „B·IN Pflege“-Netzwerk auch den Austausch fördern, z. B. von Best-Practice-Beispielen. Letzten Endes geht es – und da agieren die Kliniken ganz im Sinne von Magnet – um die bestmögliche Versorgungsqualität für die Patientinnen und Patienten sowie für ein gesundheitsförderndes Arbeitsumfeld für die Mitarbeitenden. Die Pflege übernimmt Verantwortung für den eigenen Handlungsbereich, indem sie sich mit der geleisteten Versorgungsqualität auseinandersetzt und sich dem Vergleich mit anderen Krankenhäusern stellt.

International positive Resonanz

Ursprünglich hatten die Initiatoren von „B·IN Pflege“ die Idee zu einer Datenbank, um ausgewählte Daten einiger Häuser vergleichbar machen zu können. Aber mittlerweile geht es hier gar nicht mehr nur um Magnet – die Initiative bietet letztlich die Chance, Pflege in Deutschland auch in Zahlen sichtbar zu machen und eine deutschlandweite Datenbank zu etablieren. Der große Anteil die Pflege an der Genesung eines Patienten kann damit nicht mehr wegdiskutiert werden.

Die Initiatoren wurden eingeladen, das Projekt beim Treffen aller europäischen Magnet 4 Europe-Teilnehmer im irischen Cork vorzustellen. Bei dieser sogenannten Learning Collaborative im Mai dieses Jahres sorgte „B·IN Pflege“ für viel Aufmerksamkeit. Die US-amerikanische Pflegewissenschaftlerin Linda Aiken, Studienleiterin von Magnet 4 Europe, erklärte den Beitrag der deutschen Häuser auf ihrem Twitter-Profil zum „Best Abstract“ (Bester Beitrag) der Konferenz. Sie hatte bereits im März 2021 bei einer Videokonferenz der europäischen Magnet-Häuser bemängelt, dass es in Deutschland keine Datenbank gebe, die Daten zur Zufriedenheit von Mitarbeitenden und Patienten sowie pflegerelevante Daten auf eine Art sammelt und evaluiert, die mit ANCC-Kriterien vereinbar ist.

Damit nicht genug: Linda Aiken lud die Arbeitsgruppe ein, den weiteren Weg zur nationalen Datenbank auch auf dem weltweiten Magnet-Kongress im Oktober in Philadelphia vorzustellen. Diese Einladung empfinden die Initiatoren und Mitstreiter als große Ehre und das Gespräch mit Linda Aiken als immense Motivation für den weiteren Weg – und es wird noch ein langer Weg bis zur Magnet-Zertifizierung sein. Denn Benchmarking ist nur eines der Themen für die Krankenhäuser, die sich dieser Herausforderung stellen.

Was sie in ihrem Haus verändern müssen, um zu den besten zu gehören, das können nur sie allein herausfinden und für sich umsetzen. Initiativen wie „B·IN Pflege“ können beim Erfahrungsaustausch jedoch wertvolle Unterstützung geben. Wie häufig wird darüber philosophiert, dass u. a. Vertrauen, Transparenz und eine gemeinsame Vision die Grundlage für eine erfolgreiche Kooperation sind. All das verkörpert dieses Netzwerk – und stellt damit unter Beweis, was auf diese Art alles möglich ist.

Weitere Mitstreiter gesucht

Deutsche Krankenhäuser sind eingeladen, sich „B·IN Pflege“ anzuschließen – auch wenn sie keine Anerkennung als Magnet-Krankenhaus anstreben. Wichtig ist der Wille, sich mit anderen Häusern zur Verbesserung der eigenen Qualität zu vergleichen – und damit auch die Bereitschaft zu mehr Transparenz. Die Häuser haben hier die Möglichkeit, ihre eigene Versorgungsqualität sichtbar zu machen und sich mit anderen Expertinnen und Experten auf diesem Gebiet zu vernetzen. Das ist eine große Chance für die Pflege und Kliniken in Deutschland.

Interessentinnen und Interessenten, die sich in „B·IN Pflege“ einbringen wollen, wenden sich bitte an das Autorenteam.

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