• 21.05.2020
  • Bildung
Handlungsempfehlung

"Digitale Grundkompetenz schon in der Ausbildung vermitteln"

Thomas Möller ist seit 2019 Referent für Politik im Bundesverband Gesundheits-IT (bvitg). Der 31-Jährige absolvierte eine Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger und ein Masterstudium in Politikwissenschaft.

Die Schwester Der Pfleger

Ausgabe 6/2020

Seite 66

In einem aktuellen Papier formuliert der Bundesverband Gesundheits-IT (bvitg) Handlungsempfehlungen, die für eine erfolgreiche Digitalisierung in der Pflege entscheidend sind. Wichtig sei, Pflegende möglichst früh an solche Themen heranzuführen, sagt bvitg-Referent Thomas Möller im Interview.

Herr Möller, Ende 2019 veröffentlichte Ihr Verband „Handlungsempfehlungen zur Digitalisierung in der Pflegeversorgung“. Eine der Forderungen lautet, digitale Prozesse in der Pflege voranzutreiben. Warum ist das wichtiger denn je?

Digitalisierung wird oft gleichgesetzt mit einer rein technischen Ausstattung, dass man also an Papier gebundene Prozesse einfach durch elektronische ersetzt. Das ist meiner Meinung nach zu kurz gesprungen, vielmehr müssen manche Prozesse ganz neu gedacht werden, und zwar immer mit einem Auge auf die Praxis. Deshalb haben wir den Fokus auf die Prozesse gelegt. Denn Digitalisierung ergibt nur dann einen Sinn, wenn sie die Versorgungs- und Verwaltungsprozesse im Arbeitsalltag sinnvoll unterstützt. Der Mehrwert muss beim Personal und beim Pflegebedürftigen ankommen.

Können Sie einen Prozess benennen, bei dem Digitalisierung Ihrer Meinung nach sinnvoll ist?

Ein Beispiel ist die elektronische Dokumentation. Das ist ein Prozess, bei dem sich durch relativ geringen Aufwand ein sehr großer Vorteil erreichen lässt. Aber auch hier ist es nicht damit getan, die Papierdokumentation eins zu eins in eine elektronische Form zu überführen – wenn man etwa noch doppelte Strukturen hat. Spannend wird es erst dann, wenn die Dokumentation so abläuft, dass Pflegende strukturierte und standar­disierte Daten erheben, aus denen automatisch Maßnahmen abgeleitet werden, zum Beispiel Pflegediagnosen oder Abrechnungskennzahlen. Ein weiteres Beispiel ist die Erkennung von Mustern, wie etwa bei einer intelligenten Matratze, die Feuchtigkeit messen kann. Das System erkennt in den Daten ein Schema und weist die Pflegenden dann darauf hin, dass in einem bestimmten Zeitraum mit Inkontinenz zu rechnen ist. Das ist eine enorme Arbeitsentlastung.

In den Handlungsempfehlungen sprechen Sie zudem die Telematik an. Sie fordern, dass auch die Pflege Daten in die Infrastruktur einspeist.

Das ist richtig. Wir wollen, dass die Pflege Informationen nicht nur lesen, sondern auch einpflegen kann. Hauptziele sind dabei eine interdisziplinäre Vernetzung und ein reibungsloser und sicherer Datenaustausch. Was damit einhergeht, ist eine effiziente Kommunikation. Es dürfen keine Informationen mehr an Sektorengrenzen oder bei einem Einrichtungswechsel verloren gehen und jeder Akteur sollte stets alle relevanten und aktuellen Informationen zur Verfügung haben. Wenn jemand von zu Hause oder aus einer Pflegeeinrichtung in einem Krankenhaus aufgenommen wird, dann bringt er meist einen Berg an Akten und Dokumenten mit, der zunächst mühsam geordnet werden muss. Das ist äußerst zeitaufwendig und führt häufig zu Ungenauigkeiten: In­formationen werden übersehen oder sie sind handschriftlich und deshalb unleserlich. Das alles kann durch die Anbindung an die Telematik-Infrastruktur verbessert werden.

 

Wie schaut es mit der Telemedizin und Telepflege aus? Auch dort sehen Sie für die Pflege Chancen.

Aktuell ist unser Gesundheitswesen noch sehr auf den Arzt oder die Ärztin ausgerichtet. Doch gerade im ländlichen Raum kann Telemedizin oder Telepflege die Versorgung enorm verbessern und in Zukunft eine deutlich größere Rolle spielen. Pflegende können Menschen selbst über große räumliche Entfernungen betreuen, Wunden beurteilen oder Angehörige beraten.

Sie fordern, dass digitale Kompetenzen schon in der Pflegeausbildung vermittelt werden müssen.

Es ist wichtig, dass Pflegende frühzeitig ein Grundverständnis für Digitalisierung entwickeln und an solche Themen herangeführt werden. Denn dass die Pflege digitaler wird, ist nicht aufzuhalten. Fehlende Kompetenzen führen jedoch oft zu Verunsicherung und Angst. Im Prinzip müsste eine digitale Grundkompetenz schon zu Schul- bzw. Ausbildungszeiten vermittelt werden.

Was verstehen Sie unter „digitaler Kompetenz“?

Pflegende müssen die Chancen, aber auch die Grenzen von Digitalisierung realistisch einschätzen können. Wenn man etwa an künstliche Intelligenz denkt, lässt sich da oft eine übersteigerte Erwartungshaltung beobachten. Technik kann nicht alles und das soll sie auch nicht. Der persönliche Kontakt zwischen Pflegeperson und Pflegebedürftigen bleibt absolut zentral.

Wie lautet Ihr Schlussplädoyer?

Digitalisierung kann viel dazu beitragen, vom Schubladendenken der verschiedenen Berufsgruppen wegzukommen. Aktuell wird der Mensch jedes Mal völlig anders betrachtet, sobald er die Einrichtung wechselt. Ich fände es sehr wichtig, wenn wir hierzulande deutlich interdisziplinärer arbeiteten und die Versorgungsstrukturen intersektoral ausgerichtet würden. Natürlich geschieht das nicht von heute auf morgen, aber wir sollten es angehen.

*

Autor

Weitere Artikel dieser Ausgabe

WEITERE FACHARTIKEL AUS DEN KATEGORIEN