Arne Trumann überlebte 2012 eine Sepsis im Alter von 44 Jahren. Seine Erfahrungen aus dieser Ausnahmezeit erzählt er in einem neuen Buch, das wir hier in Auszügen vorstellen.
Ich bin Arne Trumann, verheiratet und Vater von drei Kindern. Wir wohnen ländlich, in einer kleinen Gemeinde zwischen Hamburg und Bremen.
Ich wurde am Montag der ersten Februarwoche 2012 wegen eines grippalen Infekts von meinem Hausarzt krankgeschrieben und blieb zu Hause. Am Mittwoch traute ich mir die Arbeit wieder zu. Ein kurzer Arbeitsweg und eine sitzende Tätigkeit im Büro – das sollte kein Problem sein. Ich fühlte mich zwar noch nicht richtig gesund, aber es gab viel zu tun.
Im Tagesverlauf fühlte ich mich immer unwohler und ich sehnte das Wochenende herbei. Um 16.30 Uhr machte ich Feierabend. Da niemand zu Hause war, legte ich mich erst mal auf die Couch. Schlafen konnte ich nicht. Ich hatte irgendwie mit mir zu kämpfen. Mir war nicht übel, aber ich fühlte mich unendlich kraftlos. Selbst das Denken wurde schwierig. Als meine Frau nach Hause kam, fragte sie mich, was denn los sei.
Da ich keinen Hunger hatte und mich sehr schlecht fühlte, riefen wir über den hausärztlichen Wochenendnotdienst einen Arzt. Dieser untersuchte mich im Wohnzimmer. Er konnte keine klare Diagnose stellen und empfahl mir Bettruhe.
Im Laufe des Abends fühlte ich mich immer elender. Ich hatte noch nicht einmal die Kraft ins Bett zu gehen. Wir riefen über den Notruf 112 einen Krankenwagen. Der Notarzt – eigentlich Intensivmediziner, wie ich später erfuhr – untersuchte mich gründlich und befragte auch meine Frau. Seine Fragen konnte ich nur mühsam beantworten, ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. So krank habe ich mich noch nie in meinem Leben gefühlt. Durch seine Erfahrung lag der Notarzt mit seinem Verdacht auf einen septischen Schock richtig. Ich müsse jetzt schnellstmöglich auf eine Intensivstation gebracht werden. Wir dürften keine Zeit mehr verlieren.
Auf dem Weg in das nächstgelegene Krankenhaus zog der Notarzt in Erwägung, mich zu intubieren und zu beatmen, da die Sauerstoffwerte meines Blutes sehr schlecht waren. Glücklicherweise konnte jedoch darauf verzichtet werden. Im Klinikum Bremen-Mitte angekommen wurde ich aus dem Rettungswagen ausgeladen. Ich erinnere mich noch an die vielen Hinweisschilder in den Gängen, die auf dem Weg zur Intensivstation an mir vorbeizogen. Alles um mich herum war in Eile. Ich lag nur da und musste alles mit mir geschehen lassen. Dinge, die auf der Intensivstation tatsächlich passierten, und das, was mein Gehirn aus diesen Eindrücken machte, vermischten sich, sodass sich die im Folgenden beschriebene Szene mit der Schwester in meinem Kopf völlig anders abgespielt hat als in der Realität. Nämlich so: Die Schwester soll mir eine neue Nadel für die Infusion legen. Ein Kollege geht vorbei und ignoriert ihre Bitte, ihr zur Hand zu gehen. Die Schwester ist sauer, dass der Pfleger ihr nicht hilft, sondern einfach hinter einer Toilettentür verschwindet. In meiner Wahrnehmung holt die Schwester in ihrer Wut einen Einlauf und reicht ihn dem Pfleger mit der deutlichen Anweisung, sich diesen einzuführen. Auf diese Weise hat sie sich, meiner Wahrnehmung nach, den nötigen Respekt verschafft.
Einer meiner letzten Gedanken, bevor ich ins künstliche Koma versetzt wurde, war, dass ich hier in diesem Bett auf keinen Fall sterben würde. Ich würde unbedingt durchhalten. Ich würde aus diesem Krankenhaus wieder herauskommen. Aufgeben kam für mich nicht infrage. Nun begann die Zeit im künstlichen Koma. Zu diesem Zeitpunkt konnte niemand voraussagen, wie lange das künstliche Koma dauern würde – und ob ich überhaupt jemals wieder daraus erwachen würde. Zu viele Unwägbarkeiten konnten im Verlauf der Sepsis eintreten. Alle Hoffnung lag darin, dass die therapeutischen Maßnahmen schnell greifen würden.
Meine Familie war in dieser Zeit unglaublichen seelischen Belastungen ausgesetzt, da der Ehemann und Familienvater möglicherweise sterben würde. Unbestimmt lange darauf warten zu müssen, dass meine Werte einen Hoffnungsschimmer zulassen – dies wird von meinen Angehörigen als die schlimmste Zeit beschrieben.
Während der Zeit im Koma habe ich viele verwirrende Träume durchlebt. Alle waren von einem starken Gefühl der Bedrohung und des Ausgeliefertseins gekennzeichnet – einem kaum definierbaren Gefühl, dass etwas Schwerwiegendes passieren würde. Ich spürte, dass der Tod ganz in der Nähe war. Meist träumte ich die Szenen so, dass ich in meinem Krankenbett lag. Ich war hilflos und gezwungen, das alles zu erleben. Ich empfand eine nie zuvor gespürte Schwäche, die mich niederdrückte. Alles schien in den Träumen unendlich lange anzudauern. Es war eine unerträgliche Qual.
Glücklicherweise haben alle therapeutischen Maßnahmen geholfen, sodass ich aus dem Koma wieder erwachte. Auch wenn die Spuren des septischen Schocks mich für den Rest meines Lebens begleiten werden – die amputierten Fingerkuppen wachsen eben nicht nach. Aber sie sind für mich auch der Anreiz, um anderen Betroffenen Mut zu machen, niemals aufzugeben.