Ungeachtet aller Fortschritte der Medizin gehören die Sepsis und das Multiorgandysfunktionssyndrom weiter zu den häufigsten Todesursachen. Tausende Patienten sterben unnötig. Pflegefachpersonen spielen bei der frühen Erkennung und Behandlung der Sepsis eine Schlüsselrolle.
Wie kommt es, dass in den vergangenen Jahren eine Häufung des Auftretens von Sepsis und Multiorgandysfunktionssyndrom (MODS) zu verzeichnen ist? Sicher spielt die spürbare Verschiebung des Altersdurchschnitts der Bevölkerung in Richtung zu mehr Patientinnen und Patienten (im Folgenden: Patienten) in höherem Lebensalter eine Rolle. Auch die Zunahme diagnostischer und therapeutischer Interventionen bei Risikopatienten sowie die wachsende Zahl immunsupprimierter Patienten sowie nicht zuletzt die breite, unkritische Anwendung von Antibiotika mit der Folge der Entwicklung resistenter Mikroorganismen tragen zu der Entwicklung bei.
Steht der scheinbare Vormarsch der Sepsis im Widerspruch zum medizinischen Fortschritt – ist die Ausbreitung der Sepsis dessen unerwünschte „Nebenwirkung“? Beschäftigten im Gesundheitswesen, besonders Pflegenden und Ärzten, muss bewusst sein, dass es aller Voraussicht nach angesichts der demografischen Entwicklung der Bevölkerung zu einem weiteren merklichen Anstieg von Sepsisfällen kommen wird, was die Erfolge des medizinischen Fortschritts fraglos einschränkt. Betroffen sind in erster Linie hochbetagte und schwerkranke Menschen. Die Prävention der Sepsis bekommt dabei einen noch höheren Stellenwert.
Problemstellung und Epidemiologie
Die Sepsis und das MODS sind weltweit die Letalitätsfaktoren Nummer eins und gehören zu den ungelösten Problemen der Intensivmedizin. Das MODS ist oft als die endgültige Komplikation einer schweren Erkrankung anzusehen, wobei die Sepsis gegenwärtig den dominierenden Risikofaktor für die Entwicklung eines MODS darstellt.
Im Rahmen der INSEP-Studie (Incidence of severe sepsis and septic shock in German intensive care units) wurde das Auftreten von schwerer Sepsis und septischem Schock auf 129 Intensivstationen unterschiedlicher Fachdisziplinen in 95 Kliniken in Deutschland untersucht [1]. Bei den betrachteten 11.883 Patienten konnte eine schwere Sepsis oder ein septischer Schock bei 1.503 Patienten (12,6 %) nachgewiesen werden. 860 Sepsisfälle (57,2 %) waren nosokomial und 643 (42,7 %) ambulant assoziiert. Die häufigsten Infektionen betrafen den Respirationstrakt (46,6 %), das Abdomen inklusive Gastrointestinaltrakt (28,7 %) und das harnableitende System (12,6 %). Die Inzidenz der Sepsis betrug 11,76 pro 1.000 Intensivbehandlungstage. Die Letalität, die mit schwerer Sepsis und septischem Schock einherging, betrug 34,4 %. Ein MODS trat häufig bei Patienten mit schwerer Sepsis und septischem Schock auf.
Mehr als 50 % aller Sepsisfälle gehen auf nosokomiale Infektionen zurück. In einer einjährigen prospektiven Studie zur Erfassung von nosokomialen Bakteriämien in einem deutschen Universitätsklinikum fand man von 315 im Krankenhaus beobachteten Bakteriämien in 77,8 % der Fälle nosokomiale Infektionen als Ursache. Die Erhebung zeigte, dass die meisten Fälle von nosokomialer Sepsis auf der Intensivstation auftraten. Als Gründe für die zunehmende Sepsisinzidenz, besonders bei Patienten über 65 Jahren, gelten [2]:
- eine höhere Lebenserwartung prädisponierter Patienten etwa mit Diabetes mellitus oder Niereninsuffizienz
- immunsuppressive Therapie bei Tumorkranken und Transplantierten
- aggressive invasive therapeutische Maßnahmen
- der Anstieg der Häufigkeit nosokomialer Infektionen mit multiresistenten Erregern
In einer Untersuchung von Farinas-Alvarez und Mitarbeitern [3], die die Risikofaktoren für die Entstehung einer Sepsis nach chirurgischen Eingriffen untersucht haben, zeigte sich, dass die Hauptrisikofaktoren für die Entwicklung einer postoperativen nosokomialen Sepsis vom Patienten mitgebracht werden und sie somit einen endogenen Ursprung hat. Ein Serum- Albumin-Spiegel von weniger als 35 mg/dl, eine vorbestehende Bewusstseinstrübung und der Schweregrad der Vorerkrankungen erwiesen sich als signifikante risikoerhöhende Gegebenheiten. Auch invasive Maßnahmen wie parenterale Ernährung und Magensonden erhöhten das Infektionsrisiko – und zwar umso mehr, je mehr derartige Maßnahmen beim gleichen Patienten vorgenommen wurden. Ähnlich ungünstig wirkte sich die postoperative Betreuung auf der Intensivstation aus. Bei der Auswertung der Daten erwiesen sich Notfall- und abdominelle Eingriffe als besonders „sepsisgefährdend“.
Der postoperative Verlauf von 5.693 Patienten nach großen (elektiven) viszeralchirurgischen Eingriffen wurde in einer deutschen Universitätsklinik prospektiv analysiert. Bei 553 Patienten (9,7 %) traten postoperativ Komplikationen auf. Bei den chirurgischen Komplikationen war die abdominelle Sepsis mit 72,1 % zahlenmäßig führend vor Nachblutung (17,1 %) und anderen (10,7 %). Die häufigste Ursache für septische Komplikationen war mit 70,2 % die Anastomoseninsuffizienz [4].
Pathophysiologie und Klinik der Sepsis und des MODS
Die Sepsis und der septische Schock werden entsprechend der Dritten Internationalen Konsensuskonferenz als lebensbedrohliche Organdysfunktionen definiert, die durch eine fehlregulierte Wirtsantwort auf eine Infektion hervorgerufen werden [5].
Es handelt sich um lebensbedrohliche Erkrankungen, bei der die Reaktion des Körpers auf eine Infektion zu einer Schädigung der eigenen Gewebe und Organe führt. Verursacher sind pathogene Keime und ihre Produkte, die aus einem Infektionsherd in die Blutstrombahn eindringen und zu einer nicht mehr kontrolliert ablaufenden systemischen Entzündungsreaktion führen.
Die Entstehung und der Verlauf der Sepsis werden durch exzessive Entzündungsreaktionen des Wirtsorganismus auf die auslösende Noxe und weniger von der Art, Quantität, Pathogenität und Virulenz des infektiösen Agens geprägt. Unabhängig von der Eintrittspforte vermehren sich die Erreger im Gewebe oder im Gefäßsystem.
Nach heutiger Auffassung ist bei der Ätiologie der Sepsis die systemische Einschwemmung von Endotoxinen von überwiegend gramnegativen Bakterien und/oder Exotoxinen von überwiegend grampositiven Bakterien in den Blutkreislauf ursächlich beteiligt. Man vermutet, dass bei vielen Patienten mit einer Sepsis oder einem MODS eine endogene Infektion aus dem Gastrointestinaltrakt vorausgegangen ist. Bei dieser Hypothese wird eine Funktionsstörung der Darmwand ursächlich für die Entwicklung einer systemischen Entzündungsreaktion angesehen. Der Darm ist durch die initiale Schock- und konsekutive Reperfusionsphase der Hauptmotor des intestinalen und Multiorganversagens, da es durch den Zusammenbruch der Membranbarriere zu einer Translokalisation von Bakterien, zur Freisetzung einer Kaskade von Mediatoren und zur Entstehung freier Sauerstoffradikale kommt. Endotoxine als Bestandteile der Zellwand gramnegativer Erreger induzieren die Produktion und Freisetzung von Mediatoren durch aktivierte Makrophagen sowie von Gamma-Interferon und Prostaglandin E2.
Diese Immunantwort kann zu Mikrozirkulationsstörungen, generalisierter Ödembildung, Vasodilation und Blutdruckabfall führen. Die verstärkte systemische Entzündungsreaktion induziert ihrerseits eine Gegenregulation mit Produktion von antiinflammatorischen Zytokinen. In diesem Zustand der Immunparalyse reagiert das Immunsystem nicht mehr ausreichend auf einen bakteriellen Infekt. Es hat die Balance verloren und mit ihm auch andere Systeme wie das Komplement-, Gerinnungs- und Kallikrein-Kinin-System. Die resultierende Dysregulation von physiologischen Prozessen kann zu schweren multiplen Organfunktionsstörungen führen.
Nach Christmann basiert die Sepsis auf fünf grundlegenden Mechanismen:
- der Infektionsherd als septischer Fokus
- die Invasion pathogener Keime und toxischer Keimprodukte
- die überschießende Aktivierung von Mediatoren (Mediatorenexplosion)
- die morphologische Zellschädigung als Grundlage der Organschädigung
- die Multiorganinsuffizienz und das Multiorganversagen als Endpunkt des septischen Prozesses, verbunden mit einer hohen Letalität
Multiorgandysfunktionssyndrom
Als Multiorgandysfunktionssyndrom (MODS) oder auch als Multiorganversagen (MOV) wird das gleichzeitig oder in rascher zeitlicher Abfolge auftretende akute Versagen von zwei oder mehreren Organsystemen definiert, wobei ein chronisch persistierendes Organversagen auszuschließen ist.
Häufige Ursachen sind in über 50 % der Fälle Sepsis, diffuse Peritonitis, intraperitoneale Abszesse oder auch Katheterinduzierte Infektionen. Weitere Auslöser eines MODS sind Polytrauma, ausgeprägte Zirkulationsstörungen, Reanimation und disseminierte intravasale Gerinnung (DIC). Das MODS läuft nach Schlag et al. [7] klinisch in drei Phasen ab:
Phase 1 – Organ im Schock. Der auslösende pathophysiologische Mechanismus ist ein Perfusionsdefizit unterschiedlicher Genese. Dieses Geschehen spielt sich innerhalb von Stunden ab und hinterlässt noch keine bleibenden Schäden.
Phase 2 – Organdysfunktion. Ein Fortbestehen des Perfusionsdefizites innerhalb der nächsten Tage führt zur Entstehung eines systemischen inflammatorischen Response-Syndroms (SIRS) mit lokalen Ödemen und Zellschädigungen. Diese Phase wird bei Beteiligung mehrerer Organe als MODS bezeichnet.
Phase 3 – Organversagen. Hält das Perfusionsdefizit an, entsteht eine Stase im Splanchnikusgebiet (= Eingeweide), wodurch es zur Superinfektion und Translokation von Endotoxinen aus dem Darm kommt. Das führt zu einer Potenzierung der klinischen Symptome und zum Vollbild der Sepsis; aus der Organdysfunktion wird ein Organversagen.
Die Voraussetzung für das Auftreten eines septischen MODS basiert auf einer Dysregulation essenzieller Mediator- und Zellsysteme des körpereigenen Abwehrsystems. Neben dem primären Organschaden, dem Perfusionsdefizit, kommt die Endotoxinämie hinzu, die zur sekundären Organschädigung führt. Dieses „Multiple-hit-Phänomen” spielt eine wichtige pathogenetische Rolle und ist wahrscheinlich der entscheidende Faktor für den sogenannten Point of no Return: Eine Rückbildung der gestörten Organfunktion ist nicht mehr möglich [7].
Klinik der Sepsis
Die Klinik der Sepsis wird von der Dynamik des Krankheitsverlaufs wesentlich bestimmt. Frühe klinische Zeichen der Sepsis sind:
- die sepsisbedingte Hypotension,
- die warme Rötung der Haut (zunächst bis in die Akren) und
- die psychomotorische Unruhe des Patienten.
Typische Symptome für eine Generalisierung der Infektion im Sinne einer Sepsis wie Fieber, Tachypnoe, Hypo- und Hyperthermie, Schüttelfrost, Hyperventilation, Vigilanzstörungen, Leukozytose, Leukopenie oder Hautveränderungen können auch bei systemischen, nichtinfektiösen Entzündungsreaktionen auftreten.
Die in der Klinik auftretende nosokomiale Sepsis kann zu einer raschen klinischen Verschlechterung des Patienten führen. Spätestens seit der aufsehenerregenden Studie von Kumar und Mitarbeitern [8] weiß man, dass jede Verzögerung der Sepsisdiagnose und damit einer wirksamen antimikrobiellen Therapie die Mortalität bereits innerhalb von wenigen Stunden auf bis zu 30 % ansteigen lässt. Aktuell gehen Autoren von einem Anstieg der Letalität von 26–91 % aus, falls die initiale Therapie nicht schnell und adäquat erfolgt.
Die Letalität von Patienten mit septischem Schock steigt bei inadäquater antimikrobieller Therapie bis um das Fünffache an. Dagegen reduziert eine frühzeitige, gezielte, adäquate und kausale Antibiotikatherapie die Letalität bei Bakteriämie mit grampositiven und gramnegativen Bakterien deutlich. Die Therapie ist umso effektiver, je schneller sie begonnen wird. Die Behandlung sollte innerhalb von einer Stunde nach Auftreten der schweren Sepsis oder des septischen Schocks beginnen („Golden Hour of Shock“) [14–19].
Die Rolle der Pflege bei der Früherkennung einer Sepsis aufgrund ihrer Nähe zum Patienten ist von immenser Bedeutung: Die professionelle Pflege ist am besten in der Lage, diskrete klinische Veränderungen frühzeitig wahrzunehmen. Sie können fühlen, wenn ein Patient Fieber entwickelt und dies durch eine rektale Temperaturmessung objektivieren. Auch eine erhöhte Puls- und Atemfrequenz fällt ihnen oft zuerst auf. Damit sind bereits zwei der klassischen Sepsiskriterien, die der Intensivmediziner Bone [9] definiert hat, erfüllt.
Ein sehr wichtiges Warnsymptom, gerade bei älteren Patienten, ist auch eine neu auftretende Verwirrtheit oder Verschlechterung einer Demenz. Treten diese Symptome auf, kann die Pflegekraft mit dem zuständigen Arzt Rücksprache halten, der durch eine Blutabnahme auch weitere Laborparameter, wie Leukozytenzahl und das Laktat, ermitteln kann. Eine verstärkte Einbeziehung der Pflegenden in die frühe Sepsisdiagnose kann den weiteren Verlauf der Patienten signifikant verbessern [9, 10].
Auch bei der Suche nach einer möglichen Infektionsquelle kann das Pflegepersonal wichtige, unter Umständen entscheidende Hinweise geben. Kleinere Hautabszesse, Vereiterungen einer chirurgischen Wunde oder eine entzündete Katheteraustrittsstelle können dem Arzt entgehen, wenn die Haut an dieser Stelle bereits wieder verbunden ist. Nur die Pflege sieht bei der morgendlichen Ganzkörperwäsche oder beim Verbandwechsel, ob Auffälligkeiten an der Haut, an Wunden oder Kathetereintrittsstellen vorliegen. Weitere Hinweise auf einen Infektionsherd können sein:
- eitriges Sputum oder Trachealsekret (Pneumonie)
- Nackensteife des Patienten (Meningitis)
- unangenehm riechender oder ausflockender Urin (Harnwegsinfekt)
- Schleimhautdefekte in der Mundhöhle oder im Rachen (mögliche Eintrittspforte von Erregern)
- umschriebene Druckdolenz am Bauch (intraabdomineller Abszess)
In einem kleinen Krankenhaus in Norwegen wurden Pflegekräfte hinsichtlich der Früherkennung bzw. auf diskrete Frühsymptome einer Sepsis zu achten, intensiv trainiert. Dieses Haus verfügt über 124 Betten und 12 Intensivbetten.
Hierzu wurde eine Checkliste entwickelt (Tab. 1). Zunächst sollte die linke Spalte der Checkliste abgearbeitet werden, die im Wesentlichen wieder den Bone-Kriterien eines septischen Syndroms entsprach [9]. Bei Hinweisen auf eine Sepsis sollten die Messungen nach 4 Stunden wiederholt werden. Das weitere Vorgehen wurde entsprechend der Checkliste eintrainiert. Bei einer Überschreitung der aufgeführten Grenzwerte war eine erneute Blutentnahme mit Bestimmung des Serum-Laktat-Werts (auffällig ab 3 mmol/l) und der Thrombozytenzahl durchzuführen.
Dokumentiert werden sollten auch der Bewusstseinszustand des Patienten, die Sauerstoffsättigung (mittels Finger-Clip), die Urinausscheidung und die Kapillarfüllungszeit. Wurden die gelben Werte gemessen, musste eine Arztinformation innerhalb von 20 Minuten erfolgen. Die Messungen mussten stündlich wiederholt werden. Wurden die roten Werte gemessen, musste umgehend der Arzt konsultiert und nach Rücksprache mit ihm sofort eine Verlegung des Patienten auf die Intensivstation organisiert werden. Im Ergebnis konnte auch durch dieses Programm eine Senkung der 30-Tage-Mortalität von zuvor 12,5 auf 7,1 % erreicht werden [10].
Die neue internationale Sepsisdefinition 2016
Der seit Jahrzehnten gebräuchliche Begriff der Septikämie beschränkte das Krankheitsbild auf fieberhafte klinische Zustände, bei denen eine positive Blutkultur vorlag. Im Jahr 1992 wurde der Bezug auf die Blutkultur als Diagnosekriterium verlassen. Stattdessen wurde durch den Intensivmediziner Roger Bone der Begriff des Systemic Inflammatory Response Syndrome (systemische inflammatorische Reaktion, SIRS) geprägt [9]. Ein SIRS lag vor, wenn zwei oder mehr der folgenden Entzündungszeichen nachgewiesen wurden:
- Fieber oder Hypothermie (Körpertemperatur über 38 °C oder unter 36 °C)
- Tachykardie (Herzfrequenz über 90/min)
- Tachypnoe (Atemfrequenz über 20/min) oder PaCO2 unter 4,3 kPa (unter 32 mmHg)
- Leukozyten > 12 × 109/l (Leukozytose) oder < 4 × 109/l (Leukopenie) oder > 10 % stabkernige Granulozyten
Eine Sepsis wurde nach Bone angenommen, wenn mindestens zwei SIRS-Kriterien erfüllt waren und zusätzlich der Nachweis einer Infektion erfolgt war bzw. der hochgradige Verdacht bestand. Eine schwere Sepsis war definiert als Sepsis plus Organversagen, wie z. B. eine septische Enzephalopathie mit Vigilanzminderung und akuter Verwirrtheit, Dysfunktion von Nieren oder Lunge, arterielle Hypotension oder dergleichen. Ein septischer Schock erforderte die Kriterien der arteriellen Hypotension trotz adäquater Flüssigkeitszufuhr und die Notwendigkeit des Einsatzes eines Vasopressors zur Stabilisierung des Blutdrucks.
Die diagnostischen Kriterien der Definition von Bone erfassen nur einen Teil des septischen Krankheitsbildes. Die SIRS-Kriterien, wie Tachykardie und Tachypnoe, sind unspezifisch und zum Teil sehr schnell erfüllt. Des Weiteren gibt es Patienten ohne SIRS-Kriterien, die trotzdem eine schwere Sepsis haben, weil ein Infektionsfokus vorliegt und eine Organdysfunktion besteht. Die neue Sepsisdefinition wurde auf Initiative der Fachgesellschaften durch eine Arbeitsgruppe von 19 Klinikern und Grundlagenwissenschaftlern vorbereitet. An der Endfassung des Dokumentes arbeiteten Wissenschaftler von 31 weiteren Fachgesellschaften mit, die sich auch für die erschienene Publikation mitverantwortlich zeichneten [5]. In der Publikation begründen die Autoren die Notwendigkeit einer Neufassung der Sepsisdefinition. In der Internationalen Literatur und in der Liste der ICD-Codes (international code of diagnoses) finden sich zahlreiche verschiedene Begriffe und Codes zum Thema Sepsis. So wird unter anderem von septischem Syndrom, Systemic inflammatory Response Syndrome (SIRS), Septic Response oder Septikämie gesprochen.
Diese Begriffe werden oft für im Detail unterschiedliche Krankheitsbilder verwendet. Da ein singulärer diagnostischer Marker zum Nachweis der Sepsis fehlt, wird ein klinischer Kriterienkatalog benötigt, auf den sich die internationale wissenschaftliche Gemeinschaft einigen kann.
Nach neueren pathophysiologischen Erkenntnissen liegt bei einer Sepsis immer eine Organdysfunktion vor. Dysfunktionen eines oder mehrerer Organe können zu Beginn des septischen Geschehens noch maskiert sein, bestimmen jedoch entscheidend die weitere Prognose. Die Aufnahme des Kriteriums „Organdysfunktion“ schien der Arbeitsgruppe daher für eine zukünftige Sepsisdefinition unabdingbar.
Der SOFA-Score zur Bewertung von Organdysfunktionen
Die Arbeitsgruppe evaluierte verschiedene Möglichkeiten, um das Vorliegen von Organdysfunktionen objektiv zu erfassen. Sie kam zu der Auffassung, dass sich der seit den 1990er- Jahren etablierte SOFA-Score am besten dafür eignet. Das Akronym bedeutet „Sepsis-related Organ Failure Assessment“. Es handelt sich um einen intensivmedizinischen Punktescore, der die in Tab. 2 aufgeführten Parameter umfasst. Ab einem Punktwert von 2 im SOFA-Score steigt die Mortalität von Intensivpatienten nach Literaturerfahrungen auf circa 10 % an. Dieser Wert ist höher als die Letalität eines akuten erstmaligen Herzinfarktes (ca. 8 %). Damit ist ein SOFA-Punktwert von 2 und höher in Verbindung mit den Zeichen einer akuten Infektion nach Auffassung des Autors geeignet, eine schwere Sepsis zu identifizieren.
Sepsisbehandlung
Die Behandlung der Sepsis beinhaltet eine frühzeitige hoch dosierte Antibiotikatherapie sowie eine Intensivtherapie mit einer zügigen Stabilisierung der Hämodynamik und eine supportive Therapie zum Erhalt der Organfunktionen. Adjunktive Therapiemaßnahmen ergänzen die initiale Therapie auf verschiedenen pathophysiologischen Ebenen (z. B. Gerinnung oder Inflammation). Die kalkulierte Antibiotikatherapie bei unbekannter Erregerursache muss ein breites gramnegatives und grampositives Spektrum einschließlich der anaeroben Erreger, atypischer und möglicherweise seltener Pathogene berücksichtigen.
Wichtig dabei: Für die mikrobiologische Diagnostik kommt der häufigen Entnahme von Blutkulturen eine entscheidende Bedeutung zu. Die Wahrscheinlichkeit des Keimnachweises steigt dabei mit der Zahl der entnommenen Kulturen.
Daneben ist ggf. eine chirurgische Herdsanierung (z. B. Pleuraempyem, Abszesse, intestinale Perforationen, Peritonitis) unabdingbar. Nur dann besteht die Chance, den weiteren Krankheitsverlauf vorteilhaft zu beeinflussen. Eine Sepsis kann ohne Beseitigung des Sepsisherdes nicht geheilt werden [2–4, 8, 9, 14–19, 20, 21].
Infektionsprävention = Sepsisprävention
Um die exogenen Infektionsgefahren auf einem Nullwert anzustreben und zu halten, ist eine präventive und optimierte Krankenhaushygiene essenziell. Dazu zählen die krankenhaushygienischen Maßnahmen, die in ihrer Wirkung als gesichert bestätigt sind, um Kolonisation und Übertragung von Mikroorganismen zu unterbinden.
Die alkoholische Händedesinfektion wird als wirksamste Maßnahme zur Vermeidung einer Übertragung nosokomialer Infektionserreger angesehen. Transkutane oder transurethrale Katheter bilden eine Art Gleitschiene für eindringende Haut- und Hospitalkeime. Gerade bei längerer Liegedauer von Kathetern wandern die Keime in die Blutbahn und/oder in die Harnblase ein und lösen dort Infektionen aus (sogenannte Katheter-assoziierte bzw. Device-assoziierte Infektionen). Zugleich bilden sie auf der Kunststoffoberfläche der Katheter einen Biofilm, der auch bei erfolgreicher Therapie der Infektion dauerhaft bestehen bleibt und eine erneute Infektion auslösen kann. In der Regel ist eine Katheter-assoziierte Infektion daher nur mit einem gleichzeitig stattfindenden Katheterwechsel dauerhaft sanierbar.
Invasive diagnostische und therapeutische Eingriffe sind daher auf das unbedingt Nötige zu beschränken. Eine strenge und zurückhaltende Indikation für den Einsatz von Biomaterialien und eine möglichst kurze Verweildauer kann die Infektionsgefahren signifikant reduzieren und dadurch eine nosokomiale Sepsis verhindern [11, 16, 19].
Fazit
Die Sepsis zählt zu den ältesten und häufig schwer zu erkennenden Krankheitsbildern in der Medizin.
Eine neue Studie mit den bislang umfassendsten Daten zur Häufigkeit von Sepsis und Sepsistodesfällen wurde aktuell in der Fachzeitschrift „The Lancet“ veröffentlicht: Demzufolge waren im Jahr 2017 weltweit 48,9 Millionen Menschen an Sepsis erkrankt. Dies entspricht 677 Krankheitsfälle per 100.000 Erdbewohnern. Für 11 Millionen Menschen endete die Erkrankung tödlich [25].
Dass die Letalität so unverändert hoch beschrieben wird – in verschiedenen Studien von 30 % für die Sepsis und bis 80 % für den septischen Schock –, liegt zu einem großen Teil an dem Problem der zu späten Diagnosestellung, sodass der Übergang von einer lokal begrenzten Infektion zu einer schweren Sepsis nicht rechtzeitig erkannt und behandelt werden kann.
Eine Herausforderung zur Reduktion der Sepsisinzidenz liegt nach dem heutigen Wissensstand in der frühestmöglichen Unterbrechung der inflammatorischen Kaskade. Es ist schwierig, die Diagnose Sepsis zu stellen, da kein singulärer klinischer und Laborparameter zur Verfügung steht, der eine Sepsis im Frühstadium voraussagen könnte. Bei kritisch Kranken können die Primärsymptome der Sepsis wie Fieber, Hypothermie, Schüttelfrost, Hyperventilation, Bewusstseinsstörungen und Hautveränderungen fehlen.
Die Pflegekraft kann die Beeinträchtigung und den Ausfall einzelner Organsysteme an bestimmten klinischen Markern erkennen: Verwirrtheit, Somnolenz oder auch psychose-artige Zustände können beispielsweise ein Hinweis auf eine septische Minderperfusion des Gehirns sein.
Die Vorbeugung nosokomialer Infektionen ist für viele Patienten entscheidend, da die meisten Fälle von Sepsis bis zum septischen Schock auf solche Infektionen zurückzuführen sind. Eines der vorrangigen Ziele ist die Senkung der Rate nosokomialer Infektionen durch Intensivierung von Hygienemaßnahmen; die primäre Vermeidung von Infektionen ist die Basis für eine Reduktion des Antibio-tikaeinsatzes und damit ein fundamentaler Beitrag zur Verminderung des Antibiotikaresistenzproblems. Vor allem für Intensivpflege-patienten sollten daher alle effektiven Prophylaxe- und Therapiestrategien ausgeschöpft werden. In diesem Kontext sollte dem Wunsch nach einem fokussierten Fortbildungscurriculum auch für Pflegeberufe zum Infektionsmanagement zukünftig mehr Beachtung beigemessen werden.
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