Im April 2019 hat die Mitgliederversammlung der Vereinigung der Pflegenden in Bayern (VdPB) ihr Präsidium und ihren Vorstand gewählt. Damit hat sie in Bayern als Alternative zur Kammer offiziell ihre Arbeit aufgenommen. Wir fragten den Präsidenten der VdPB, Georg Sigl-Lehner, wie es zur Gründung der VdPB kam, warum er den bayerischen Weg für den besseren hält und wie er mit Kritik umgeht.
Herr Sigl-Lehner, in einer repräsentativen Befragung im Jahr 2013 unter beruflich Pflegenden sprachen sich 50 Prozent der Befragten für und 34 Prozent gegen eine Kammer aus, 16 Prozent enthielten sich. Wieso kam es zur Gründung der Vereinigung der Pflegenden Bayerns (VdPB) statt einer Kammer?
Das ist eine sehr verkürzte Darstellung des Ergebnisses, denn es wurde auch nach Mitgliedsbeiträgen gefragt. Und gegen die sprachen sich die Befragten mehrheitlich aus. Diesem Sachverhalt wurde mit der Gründung der VdPB Rechnung getragen. Denn die Mitglieder zahlen keinen Mitgliedsbeitrag. Die Finanzierung der Vereinigung erfolgt allein aus dem Staatshaushalt. Außerdem darf man nicht vergessen: Das Pflegendenvereinigungsgesetz basiert auf einer Kammergesetzgebung. Wir unterscheiden uns mit unserem Regelwerk kaum von der Kammergesetzgebung. Das heißt, wir haben ähnliche Aufgaben wie die Kammern, aber ohne Pflichtbeiträge und Pflichtmitgliedschaft.
Diese staatliche Finanzierung – im Gegensatz zum Kammermodell – wird oft kritisiert. Der VdPB wird damit oft fehlende Unabhängigkeit attestiert. Wie sehen Sie das?
Inhaltlich sind wir überhaupt nicht abhängig von der Staatsregierung. Und wenn Sie sich das Gesetz anschauen, ergibt sich daraus nichts, woraus sich eine inhaltliche Abhängigkeit ableiten ließe. Auch finanziell haben wir bis dato kein Problem. Mit dem Geld, das wir im Haushalt eingestellt haben, kommen wir zurecht. Außerdem gehen wir im übernächsten Jahr in die institutionelle Förderung. Das heißt, dass wir das Geld nicht immer wieder neu beantragen müssen. In der Gründungsphase 2018/2019 war das noch anders. Jetzt bereiten wir die Vorlage zur institutionellen Förderung vor, das heißt, dass wir den Antrag ab dem Haushalt 2021 nicht mehr wiederholen müssen.
Ist es denn denkbar, dass Ihnen die Gelder irgendwann wieder gestrichen werden?
Die bayerische Staatsregierung wird sich nicht daran machen, uns den Geldhahn zuzudrehen. Das wäre ja auch geradezu paradox: Erst ein Gesetz zu erlassen und dann zu sagen: „Ihr kriegt aber kein Geld dafür.“ Das Thema der finanziellen Ausstattung stellt sich für uns also nicht.
Aktuell zählt die VdPB knapp 1.000 Mitglieder. Bei geschätzt 150.000 Pflegenden in Bayern sind das noch recht wenige.
Das stimmt. Es könnten natürlich mehr sein. Dagegen hätten wir nichts. Aber bei einer freiwilligen Mitgliedschaft muss man fast mit jedem Einzelnen sprechen. Da tun wir uns natürlich schwerer als die Kammern, die ihre Mitglieder über eine Pflichtmitgliedschaft bekommen.
Wer kann in der VdPB Mitglied werden?
Im Gegensatz zur Kammer können bei der Vereinigung nicht nur Pflegefachkräfte mit 3-jähriger Ausbildung, sondern auch einjährig qualifizierte, staatlich anerkannte Pflegefachhelferinnen und -helfer und Absolventinnen und Absolventen pflegewissenschaftlicher Studiengänge ordentliche Mitglieder werden – egal, ob aus der Altenpflege, der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege oder der Gesundheits- und Krankenpflege.
Kritisiert wird oft, dass auch Arbeitgeberverbände Mitglied werden können. Ist das richtig?
Das kann ich mit einem klaren „Nein“ beantworten. Es war niemals das Ziel, und es steht auch nicht im Gesetz, dass Arbeitgeberverbände bei uns ordentliches Mitglied werden können. Sie sind sogar explizit ausgeschlossen. Das ist schlicht und ergreifend im Gesetz so nicht vorgesehen. Es können jedoch Gewerkschaften, Berufsfachverbände und Schwesternschaften mit Sitz in Bayern bei uns Mitglied werden.
Anfang April 2019 wurden in der ersten Mitgliederversammlung das Präsidium und der Vorstand der VdPB gewählt. Damit sind Sie nun seit einigen Monaten offiziell handlungsfähig. Was ist seit der Gründung passiert?
Im ersten Schritt musste sich der neue Vorstand erst einmal kennenlernen. Deshalb haben wir uns zunächst in einer ersten Klausurtagung inhaltlich abgestimmt. Als Zweites lag der Fokus auf der Mitgliederwerbung. Ein großes Thema, das uns schnell eingeholt hat, war die Weiterbildungsordnung, insbesondere vor dem Hintergrund der anstehenden Generalistik. Dazu haben wir eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die sich mit dem bayerischen Curriculum zur Praxisanleitung beschäftigt. Dieses Curriculum haben wir als Vorlage ins Ministerium gegeben, damit es als erster Baustein in eine neue bayerische Weiterbildungsordnung einfließt.
Auf Ihrer Agenda steht auch die Registrierung der Pflegenden – unabhängig von einer Mitgliedschaft.
Ja. Die Registrierung der beruflich Pflegenden ist im Interesse aller Beteiligten. Wir wissen bis heute nicht, wie viele anerkannte Pflegefachkräfte in Bayern arbeiten. Aber wir brauchen diese Zahlen, um zu wissen, wo die Planung hingehen muss, gerade vor dem Hintergrund der generalistischen Ausbildung, die wir im Übrigen sehr begrüßen. Man muss wissen, wo die potenziellen Pflegekräfte leben, wie wir sie einsetzen können und welche Bedarfe sich daraus ergeben. Dazu brauchen wir eine Basis und damit die Registrierung.
Könnten Sie denn schon heute mit der Registrierung starten?
Nein, das ist ein größeres Thema, denn es braucht eine gesetzliche Grundlage. Über das Pflegendenvereinigungsgesetz ist das nicht abgedeckt. Das muss zuerst durch die Staatsregierung und über einen Nachtrag beschlossen werden. Voraussetzung für eine Registrierung ist aber nicht, dass man Mitglied bei uns ist. Die Mitgliedschaft ist also nicht gleichzusetzen mit der Registrierung. Auch wenn es natürlich schön wäre, wenn alle Vertreter des Berufs bei uns freiwillig Mitglied werden.
Wenn Sie 5 Jahre in die Zukunft schauen. Was ist Ihre Vision?
Wenn wir über einen Zeitraum von 5 Jahren sprechen, dann müssen bis dahin bessere Arbeitsbedingungen geschaffen sein. Die Profession muss sich tatsächlich durch die Vereinigung vertreten fühlen. Das heißt, innerhalb der Gesundheitsberufe muss die Anerkennung als eigenständiger Heilberuf da sein. Das ist unser Ziel, das wir nach 5 Jahren erreicht haben wollen. Und natürlich wünschen wir uns, dass sich möglichst alle Pflegekräfte der Vereinigung anschließen. Die Frage ist: Schaffen wir es, eine nicht sehr stark berufspolitisch agierende Berufsgruppe zu aktivieren?
Denken Sie, dass Ihnen das mit einer Vereinigung eher gelingt als mit einer Kammer?
Wenn es uns gelingt, den beruflich Pflegenden in Bayern klarzumachen, dass wir letztendlich mit den gleichen Rechten ausgestattet sind wie eine Kammer, die Pflichtbeiträge und Pflichtmitgliedschaft fordert, dann könnte ich mir gut vorstellen, dass sich viele für den bayerischen Weg entscheiden. Ich bin schon deutlich über 30 Jahre im Pflegeberuf tätig. Ich glaube, es ist allerhöchste Zeit, dass sich beruflich Pflegende, egal in welchem Bundesland, berufspolitisch engagieren und für ihre berechtigten Anliegen laut werden. Aber ich halte den bayerischen Weg für den besseren: ohne Verpflichtung. Es gibt einige wesentliche Merkmale, die gegen die Verpflichtung sprechen, wie es bei anderen Kammerberufen ist.
Welche Merkmale sind das Ihrer Ansicht nach?
Die Selbstständigkeit. Die meisten Pflegekräfte arbeiten in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis. Das ist anders als bei der Architektenkammer, die das Merkmal der Selbstständigkeit hat. Hier hat man sich in einer Kammer zusammengeschlossen, um stärker nach außen aufzutreten. Dieses Merkmal haben wir in der Pflege nicht. Das ist etwas ganz Wesentliches. Das passt nicht zusammen. Nach meiner langjährigen Erfahrung bin ich überzeugt: Bei beruflich Pflegenden ist der Wunsch nach Selbstverwaltung groß, aber auf freiwilliger Basis.
Nun wird ja die VdPB von vielen Seiten kritisiert. Wie gehen Sie damit um?
Ich glaube, dass die Diskussionen um den richtigen Weg in den sozialen Medien sehr ungute Züge annehmen. Das hilft der Berufsgruppe nicht. Es schadet ihr. Deshalb halten wir uns auch mit Äußerungen gegenüber den etablierten Kammern sehr zurück und kritisieren sie ganz bewusst nicht in der Öffentlichkeit. Ich bin der Meinung, dass das den beruflich Pflegenden nicht hilft. Die Pflege darf sich nicht weiter aufspalten. Es bedarf der Akzeptanz, dass es auch einen anderen Weg gibt. Aber mit den gleichen Zielen.
Vor einigen Monaten hat sich die Pflegekammer- konferenz zusammengeschlossen, bestehend aus den drei gegründeten Pflegekammern und dem Deutschen Pflegerat. Die VdPB ist nicht dabei. Was sagen Sie dazu?
Ich finde das sehr schade. Indem sie uns als gesetzlich legitimiertes Selbstverwaltungsorgan in Bayern außen vor lassen, schwächen die Kammervertreter die Selbstverwaltung der Pflege auf Bundesebene und leisten so einer Spaltung weiter Vorschub. Inhaltlich haben wir mit unseren Forderungen eine große Übereinstimmung und auch eine fast identische Aufgabenzuordnung.
Haben Sie denn damit gerechnet, dass Sie außen vor gelassen werden?
Wir waren schon darauf vorbereitet, dass man uns nicht vorsieht. Auf der anderen Seite: Wir haben hier in Bayern so viel zu tun und wollen uns inhaltlich weiter für die beruflich Pflegenden einsetzen. Natürlich bringen wir uns gern und jederzeit auf Bundesebene ein. Aber ich denke, es ergibt im Augenblick mehr Sinn, dass wir unsere Energie in die Dinge stecken, die wir vor Ort bewegen können. Ich denke, die Gründung der Konferenz war vor allem ein symbolischer Akt. Vor dem Hintergrund der enormen Probleme in der Pflege hoffe ich allerdings, dass wir trotzdem bald gemeinsam an einem Tisch sitzen und an einem Strang für die beruflich Pflegenden ziehen. Unsere Bereitschaft hierfür besteht – wir wollen keine Gräben innerhalb unseres Berufsstandes.
Wird es in Bayern irgendwann auch eine Kammer geben, die die Vereinigung ablöst?
Das ist die alte grundsätzliche Frage des richtigen Wegs. Wir erleben ja gerade in einem anderen Bundesland, wie das danebengehen kann. Ich glaube, die Inhalte sind wichtig. Die meisten beruflich Pflegenden interessiert diese Diskussion, ob Kammer oder Vereinigung, gar nicht. Die beruflich Pflegenden, die in den Kliniken oder in der Langzeitpflege arbeiten, haben ganz andere Probleme, mit denen sie sich beschäftigen müssen. Wir haben eine gesetzliche Legitimation, die demokratisch im bayerischen Land zustande kam. Das darf man in der ganzen Diskussion nicht außer Acht lassen. Es ist ja nicht so, dass wir Verantwortlichen dieses Gesetz beschlossen hätten, sondern es hat der bayerische Landtag beschlossen – mit einer breiten Mehrheit. Und es wird uns als Vereinigung der Pflegenden auch gelingen, die Pflegekräfte in Bayern zu aktivieren und sie zur freiwilligen Mitgliedschaft zu bewegen. Aber eben über Inhalte und nicht über den Streit um den richtigen Weg.