• 28.05.2019
  • Praxis
Händedesinfektion

Wie Psychologie das Hygieneverhalten verbessern kann

Die Schwester Der Pfleger

Ausgabe 6/2019

Seite 14

Die Händedesinfektion ist die wichtigste Einzelmaßnahme zum Schutz vor nosokomialen Infektionen. Oftmals hapert es aber an der Compliance. Eine sozialpsychologische Studie zeigt nun: Gemeinsame Ziele und zeitnahes Feedback motivieren Mitarbeitende, ihr Händehygieneverhalten zu verbessern. 

Die tatsächliche Rate der indikationsgerechten Händedesinfektionen in deutschen Kliniken liegt lediglich zwischen 41 und 55 % [1]. Dabei sind Studien zufolge 3 Viertel der Pflegenden und Ärzte/-innen hoch motiviert, mit ihrer Händedesinfektion Erregerübertragungen zu verhindern [1]. Das zeigt: Mag die Händedesinfektion auch simpel sein – die Compliance ist es nicht.

Die Ursachen für die mangelnde Bereitschaft zur Händehygiene beschäftigt immer mehr Forscher. Längst hat sich dabei eine weitere Erkenntnis durchgesetzt: Motivation ist zwar einer der Schlüsselpunkte zur Verbesserung der Compliance [1], sie führt aber „nur in einem kleinen Prozentsatz auch zum Handeln“, wie die Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) beim Robert Koch-Institut (RKI) in ihrer Empfehlung zur Händehygiene feststellt. Als Konsequenz empfiehlt die KRINKO, „psychosoziale Faktoren wie die Verhaltensplanung und -kontrolle sowie die Zusammenarbeit im Stationsteam“ zu fördern [1].

Wie das gehen könnte, zeigt eine aktuelle sozialpsychologische Studie, die die Sozialwissenschaftlerin der Universität Ulm, Dr. Svenja Diefenbacher, zusammen mit Kollegen des Klinikums Heidelberg und des Bode Science Center, dem wissenschaftlichen Kompetenzzentrum der Paul Hartmann AG, durchgeführt hat [2]. Für ihre sozialpsychologische Studie haben die Wissenschaftler 2 Aspekte ausgewählt: Feedback und Zielsetzung, oder konkret:

  • Wie beeinflusst die Rückmeldung des Händehygieneverhaltens die Compliance der Mitarbeiter?
  • Wie wirkt sich die gemeinsame Festlegung einer Compliance-Rate auf das Verhalten aus und was passiert, wenn man beide Maßnahmen kombiniert?

Kombination aus Feedback und Zielsetzung erfolgreich

Durchgeführt wurde die Untersuchung als 4-armige Studie am Klinikum Heidenheim: Eine Gruppe erhielt Feedback auf ihr Händehygieneverhalten, eine andere vereinbarte im Team eine zu erreichende Compliance-Rate, die dritte Gruppe erhielt Feedback und vereinbarte zusätzlich ein Compliance-Ziel und die vierte Gruppe diente als Kontrolle.

Das Händehygieneverhalten wurde auf 2 Wegen erfasst: durch stichprobenartige direkte Beobachtungen und mit vollautomatischen Desinfektionsmittelspendern, die an Monitoring-Systeme angeschlossen waren. Aus den Datensätzen entwickelten Diefenbacher und Kollegen eine Formel, mit der eine geschätzte Compliance ermittelt werden konnte.

Als die beste Intervention, um die Häufigkeit der Händedesinfektion zu erhöhen, erwies sich die Verbindung aus Feedback und Zielsetzung. Die durchschnittliche Zahl der Händedesinfektionen je Spender und Zimmer stieg signifikant von 7,9 auf 17,0. Auch bei der Post-Intervention 4 Wochen später blieb die Zahl an Händedesinfektionen deutlich erhöht.

Die ermutigenden Ergebnisse der Studie lohnen einen genaueren Blick auf die Hauptkomponenten der Intervention: Feedback und Zielsetzung. Dass Feedback eine wichtige Rolle dabei spielt, Verhaltensänderungen zu bewirken, ist in den Sozialwissenschaften umfassend belegt und akzeptiert. Auch Infektionsschutzexperten u. a. der WHO und des RKI zählen Feedback zu den wichtigen Komponenten einer Umsetzungsstrategie zur Verbesserung des Händehygieneverhaltens [1, 3]. Damit die Rückmeldung an die Mitarbeitenden auch erfolgreich ist, sollte darauf geachtet werden, dass das Feedback zeitnah erfolgt. In der Studie von Diefenbacher und Kollegen ermöglichte der Einsatz elektronischer Systeme ein kontinuierliches Feedback der aktuellen Compliance-Rate auf einem Monitor im Stationszimmer. So kannte jeder Stationsmitarbeitende zu jeder Zeit die aktuelle Rate der Händehygiene-Compliance.

Anspruchsvolle Ziele motivieren

Dass Beschäftigte ein Verhalten verbessern können, wenn sie sich im Team auf Ziele einigen, wurde bereits in den 1990er-Jahren gezeigt. Entsprechende Studien aus Großbritannien beschäftigten sich hauptsächlich mit der Verbesserung der Arbeitssicherheit auf Baustellen. In Interventionen zur Stärkung der Hygiene fanden die Erkenntnisse zur Zielsetzung bislang noch keine praktische Anwendung. Diefenbacher und Kollegen nutzen in ihrer Studie vor allem zwei grundlegende Erkenntnisse zur Festlegung von Zielsetzungen im Team:

1. Spezifisch statt allgemein. Ziele sollten so konkret wie möglich definiert werden: Statt: „Wir wollen besser werden“, lieber: „Wir wollen eine Compliance-Rate von 70 % erreichen“. Die Ziele werden dadurch messbar. Gleichzeitig wird der Unterschied zwischen Ist und Soll deutlich, was sich positiv auf die Motivation auswirkt.

2. Anspruchsvoll statt unambitioniert. Ehrgeizige Ziele sind effektiver als zu niedrig gestellte Anforderungen an sich selbst und die Gruppe. Höhere Ziele spornen an und motivieren, sollten aber gleichzeitig auch realistisch sein.

Alle Beteiligten abholen

Wie lässt sich die Maßnahme „Feedback und Zielsetzung“ zur Verbesserung der Händehygiene nun praktisch umsetzen? Das Wissenschaftlerteam um Diefenbacher ging dabei mehrstufig vor: Im Rahmen der Stationsübergabe wurden geleitete Teamsitzungen durchgeführt, in denen allen Beteiligten die Idee der Zielsetzungen erläutert wurde. In einem weiteren Teil wurde das Wissen zur Händehygiene aufgefrischt. Dabei wurden die Teilnehmer auch über ihre in Beobachtungen erhobene Compliance-Rate der Station informiert. Um die Teams für eine anspruchsvollere Zielsetzung zu motivieren, wurden sie über wichtige Erkenntnisse aus der Infektionsforschung informiert: Erst wenn die Compliance-Rate über einen längeren Zeitraum über 80 % liegt, lassen sich demnach Infektionen signifikant senken [4].

Nach der Informationsphase wurde in den Teams über die Festlegung eines geeigneten Compliance-Ziels diskutiert. Ermittelt wurde das Ziel schließlich als Mittelwert der Zahlen, die die Mitarbeiter jeweils anonym auf Zettel geschrieben hatten.

Die Informations- und Diskussionsphase bot den Teams eine solide Entscheidungsgrundlage. Der Mittelwert aller individuellen Zielsetzungen stellte sicher, dass alle Mitarbeitenden mit ihren individuellen Zielvorstellungen berücksichtigt wurden. Dieser partizipative Ansatz ist eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg von Gruppen-Zielsetzungen.

In den letzten Jahren rückte nicht zu Unrecht die wichtige Rolle der Leitungsebenen für die Krankenhaushygiene in den Vordergrund. Die Studie von Diefenbacher und Kollegen lenkt ein Augenmerk auf das große Potenzial, das in Teamentscheidungen steckt. Inwiefern die Compliance-Steigerungen auf einzelne „Leuchtturm“-Mitarbeitende zurückzuführen sind oder auf eine generelle Compliance-Steigerung des gesamten Teams, wurde in dieser Studie nicht untersucht. Es wäre spannend, dieser Frage in nachfolgenden Untersuchungen auf den Grund zu gehen.

 

[1] Händehygiene in Einrichtungen des Gesundheitswesens. Empfehlung der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) beim Robert Koch-Institut (RKI), Bundesgesundheitsbl 2016, 59: 1189–1220

[2] Diefenbacher S, Fliss PM, Tatzel J, Wenk J, Keller J. A quasi-randomized controlled before-after study using performance feedback and goal setting as elements of hand hygiene promotion. JHI 2019, 101 (4): 399–407

[3] WHO Guidelines on Hand Hygiene in Health Care First Global Patient Safety Challenge Clean Care is Safer Care. World Health Organization 2009

[4] Kirkland KB et al. Impact of a hospitalwide hand hygiene initiative on healthcare-associated infections: results of an interrupted time series. BMJ Qual Saf. 2012; 21: 1019–1026

*

Autor

Weitere Artikel dieser Ausgabe

WEITERE FACHARTIKEL AUS DEN KATEGORIEN