• 01.03.2023
  • Management
Gesund führen

Der Königsweg heißt Wertschätzung

Die Schwester Der Pfleger

Ausgabe 5/2019

Seite 17

Im stressigen Führungsalltag Zeit zu finden, eine motivierende und freundliche Arbeitsatmosphäre zu schaffen, ist nicht immer leicht. Dabei sind es oft die kleinen, einfachen Dinge, die helfen, das tägliche Miteinander positiv zu beeinflussen.

Im Fußball ist alles ganz einfach: Ein guter Spieler wechselt nach seiner aktiven Karriere die Seite und wandelt sich vom Spieler zum Coach. Als Coach steht er nicht mehr mit auf dem Spielfeld, sondern widmet sich vollständig seiner neuen Aufgabe: das Team formen und motivieren, jeden Einzelnen fördern und gemäß seinen Talenten einsetzen. Dabei muss er Fitness und Gesundheit im Blick behalten – alles mit dem großen Ziel, beruflich erfolgreich zu sein, sprich in der Liga ganz oben mitzuspielen.

Plötzlich Führungskraft

Die wenigsten Führungskräfte haben „Führung“ von der Pike an gelernt. Talentförderung setzt sich erst langsam in der Pflege durch. Wer schon lange als Führungskraft arbeitet, ist ein Kind alter Schule. Meist bedeutet das: Die Führungskraft übt ihren Job so aus, wie sie es selbst erlebt hat – beim Vater, Lehrer, Professor oder einer anderen Autoritätsperson.

Um Teams erfolgreich führen zu können, ist es heutzutage unbedingt notwendig, in Sachen Führungsskills nachzubessern. Ein erster Schritt ist, die folgenden 5 Glaubenssätze auf den Prüfstand zu stellen:

  • Glaubenssatz Nr. 1: „Wenn Du als Führungskraft nicht mindestens 150 % gibst, bist du nicht engagiert genug.“
  • Glaubenssatz Nr. 2: „Wer hier etwas werden will, sollte nicht nach den Arbeitszeiten fragen.“
  • Glaubenssatz Nr. 3: „Kranksein ist nur was für Weicheier.“
  • Glaubenssatz Nr. 4: „Erst die Klinik, dann die Familie – und zwar immer.“
  • Glaubenssatz Nr. 5: „Für Pausen haben wir hier keine Zeit.“

In der Pflege ist das meist anders. Auch hier wechselt eine Führungskraft die Seite vom Teamlevel in eine höhere Position. Auch hiermit sind neue Aufgaben verbunden. Der Unterschied zum Fußball ist: Die Führungskraft verschwindet nicht vom Spielfeld. Bei der Patientenversorgung packt sie weiterhin mit an. Spätestens zu diesem Zeitpunkt macht sich die neue Sandwichposition unangenehm bemerkbar. Schließlich ist der Erwartungsdruck von allen Seiten groß: Patienten fordern Zeit, Aufmerksamkeit und eine qualitativ hochwertige Pflege. Die Mitarbeitenden benötigen einen Dienstplan, der ihren persönlichen Belangen entgegenkommt. Der Arbeitgeber erwartet maximales Kostenbewusstsein – vor allem, was den Einsatz von Personal und Material angeht. Zudem gilt es, den Pflegeberuf für Nachwuchskräfte attraktiv zu machen, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Also alles mit einem Lächeln auf den Lippen erledigen, damit die Stimmung im Team passt – denn auch dafür ist die Führungskraft verantwortlich. Von oben gibt es trotzdem oft nur Druck und weitere Vorgaben. Vielleicht halten Sie diese Ausführungen für überspitzt, aber so oder so ähnlich spiegeln es die Teilnehmenden aus den „Gesund-führen-Seminaren“ der Autorin.

Es scheint, als wäre in unserer Gesellschaft des Wohlstands im Gesundheitsbereich von allem zu wenig vorhanden: zu wenig Zeit und Personal, zu wenig Lob und Wertschätzung und letztlich zu wenig Selbstsorge. Dafür aber ein hoher Anspruch an die Menge und Qualität der Arbeit. Die Folgen eines Berufsalltags in diesem Spannungsfeld sind klar: Zuerst leidet die Motivation und später die Gesundheit. Gerade die Menschen, die sich mit Leidenschaft um das Wohl und die Gesundheit anderer kümmern, sind am Ende des Tages eine besondere Risikogruppe für arbeitsbedingte Belastungen und Gesundheitsbeschwerden. Höchste Zeit, hier für eine Kehrtwende zu sorgen. Und die beginnt am besten ganz oben.

Das „do-care®-Konzept“

Das „do-care®-Konzept“ von Dr. Anne Katrin Matyssek ist seit 2002 etabliert und damit das langjährigste am deutschen Markt. Es wurde durch die RWTH Aachen wissenschaftlich evaluiert. Eine weitere Evaluation durch die TU Braunschweig ist in Arbeit. Das Konzept inspiriert Führungskräfte, sich mit dem Thema Wertschätzung und Kommunikationskultur zu beschäftigen, und gibt Antworten auf die Fragen:

  • Wie bleiben Führungskräfte selbst gesund, schalten besser ab und bewältigen ihren Stress?
  • Welche Zusammenhänge gibt es zwischen Führung und Mitarbeitergesundheit bzw. -anwesenheit?
  • Wie lässt sich gesundheitsgerechte Führung ohne großen Mehraufwand integrieren?
 

Ziel ist, durch einen wertschätzenden Umgang mit sich selbst und untereinander eine positive Arbeitsatmosphäre zu erzeugen. Sie bildet die Basis für das Führungsverständnis von heute – agil, teamorientiert, auf Augenhöhe.

   

Ein Umdenken in der Führung ist überfällig

An den Verhältnissen in Kliniken und Pflegeheimen können Pflegekräfte in der Regel nichts ändern. Selbst das Management steht unter Druck, wenn ehrgeizige Zielvorgaben erreicht werden müssen. Dieser Druck setzt sich in den meisten Häusern konsequent nach unten fort. Die Frage, die sich dabei stellt: Wie viele Mitarbeitende können unter Druck auf Dauer gut, gerne und glücklich arbeiten? Wahrscheinlich die wenigsten. Und sind nicht gerade innere Zufriedenheit, Gesundheit und Energie die Grundvoraussetzung, um anspruchsvolle Ziele überhaupt erreichen zu können? Shawn Achor bringt es in seinem Buch „The Happiness Advantage“ [1] auf den Punkt: Glücklichsein kommt vor Erfolg. Nicht umgekehrt.

„Glücklichsein“ im Sinne von „Zufriedensein“ am Arbeitsplatz ist gerade bei schwierigen Arbeitsverhältnissen mehr als notwendig. Der Königsweg dorthin heißt Wertschätzung. Mit Wertschätzung ist es wie mit Vitaminen: Es geht eine Weile ohne, aber irgendwann leiden Körper und Seele unter Mangelerscheinungen. Wer sich von seinen Mitmenschen ignoriert fühlt, neigt eher zu Infektionen. Zudem steigt das Depressionsrisiko. Wie viele Vitamine auch, können wir Wertschätzung nicht selbst „herstellen“. Wir müssen sie von außen bekommen. Führungskräfte, die ihre tägliche Fast-Food-Kommunikation aus Anweisungen, Zahlen, Daten und Fakten mit Freundlichkeit, Lob und Achtsamkeit anreichern (Abb. 1), werden schnell eine positive Veränderung bei sich selbst und in ihrem Team spüren.

 Do care®

Das Einzige, worauf Mitarbeitende, egal welcher Hierarchiestufe, wirklich Einfluss haben, ist ihr eigenes Verhalten. Genau hier setzt das Gesund-führen-Denken an. Der Kerngedanke des „do-care®Konzepts“ (Kasten), das die Psychologin Dr. Anne Katrin Matyssek als eine der Ersten in Deutschland bekannt gemacht hat, besteht darin, dass eine Führungskraft zunächst an sich selbst denken muss. Ohne Selfcare, Selbstsorge also, fehlt auf Dauer die Kraft für einen gesunden und wertschätzenden Umgang mit den Mitarbeitenden – mit allen negativen Konsequenzen. Daher gilt es, die eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen und achtsam mit sich selbst umzugehen.

Abschalten, erholen, schlafen, Pause machen, Lebensbalance beachten – es sind die trivialen Bedürfnisse des Lebens, die dafür sorgen, dass wir gesund und fit bis zur Rente arbeiten können. Wenn Führungskräfte sich selbst keine Pausen mehr erlauben, werden sie wenig Verständnis für das Pausenbedürfnis ihres Teams aufbringen. Dadurch steigt die Ermüdung auf beiden Seiten mit jeder Arbeitsminute. Damit einher geht eine Beeinträchtigung der physischen und psychischen Funktionstüchtigkeit. Fehler passieren. Hektik entsteht. Der Umgangston wird schärfer. Ein Teufelskreis.

Das eigene Verhalten reflektieren

Bereits vor Arbeitsbeginn die eigene Haltung zum Arbeitstag zu reflektieren, sollte einer Führungskraft in Fleisch und Blut übergehen. Es hilft, sich in Sekundenschnelle zu fragen, in welcher Verfassung man zur Arbeit erscheint: gut gelaunt und motiviert? Oder übermüdet und bereits gereizt? Wichtig ist, private Belastungen außen vorzulassen und sich zunächst auf die positiven Dinge zu fokussieren. Schließlich können die Mitarbeitenden in der Regel nichts dafür, dass die Führungskraft schlecht geschlafen hat, das Auto nicht angesprungen ist oder der Magen drückt.

Das Gesund-führen-Denken stärkt und kultiviert in erster Linie eine gesundheitsfördernde Haltung zu sich selbst und anderen gegenüber. Ziel ist, das eigene Wohlbefinden zu erhalten und als Führungskraft eine Vorbildfunktion in Sachen Gesundheit einzunehmen. Wertschätzung beginnt deshalb mit Selbstwertschätzung. „Eine Führungskraft muss sich so viel wert sein, dass sie auf sich selbst achtet. Erst dann hat sie Lust auf eine gesundheitsgerechte Führung ihrer Mitarbeitenden“, ist ein wesentlicher Punkt.

Aufgrund der Arbeitsverhältnisse in der Pflege sind Selbstsorge und motivierendes Führen eine Herausforderung. Genau hier punktet das Gesund-führen-Konzept durch seine Praxisorientierung. Es geht nicht darum, komplizierte Management­techniken im hektischen Alltag zu integrieren. Stattdessen gelingt es mit einfachen Fragen, für eine entspannte und motivierende Arbeitsatmosphäre zu sorgen:

  • Heute schon Danke gesagt oder gelobt?
  • Heute schon mit Mitarbeitenden gesprochen oder sie um Rat gefragt?
  • Heute schon wichtige Informationen weitergegeben und für Transparenz gesorgt?
  • Heute schon auf sich selbst gehört und Pause gemacht?

„Wir haben keine Zeit für Geplauder und erst recht nicht für Pausen“, ist der häufigste Einwand. Doch dieser Einwand gilt nicht, denn erstens: Der Umgang miteinander ist keine Frage der Zeit. Ob man sich grüßt oder wortlos aneinander vorbeirauscht, ob man sich in die Augen schaut oder auf den Boden blickt, ob man lächelt oder nicht, ob die Stimme einen sarkastischen oder freundlichen Unterton hat – das hat nichts mit Zeit zu tun. Das ist eine Frage der inneren Haltung. Menschen, mit denen ich einen wertschätzenden Umgang pflege, kann ich grüßen, sie ansehen, anlächeln, ohne dass mein straffer Terminplan durcheinander gerät. Wenn wir vergessen, einander wahrzunehmen, ist das oft eine Folge von Stress. Arbeiten wir im Dauerstress, stellt sich eine Gewöhnung ein. Der ruppige Umgangston wird zum Normalzustand. Das können Mitarbeitende für eine Weile kompensieren.

Aber nicht für immer. Daher gilt zweitens: Kleine Pausen, die den Arbeitstag strukturieren, sorgen unmittelbar für eine persönliche „Entmüdung“. Minipausen können für körperliche Ausgleichsübungen genutzt werden (unser Körper wird es uns danken) oder bieten Raum für Kommunikation und Information. Sie ermöglichen kleine, aber regelmäßige Teamkontakte. Hier haben Führungskräfte Gelegenheit, einen Blick auf ihre Mitarbeitenden zu werfen und wahrzunehmen: Wie geht es demjenigen oder derjenigen heute? In Pausen können Führungskräfte zudem selbst über ihre Tagesform sprechen, wenn sie das möchten. Ihr Geist kann sich auf neue Arbeitsbereiche einstellen und – ganz wichtig – Pausen bieten Raum für Humor.

Das bewusste Entstressen wird auch für Patienten spürbar. Die Atmosphäre lockert sich für alle Beteiligten und der Teufelskreis aus Anforderungen, Hektik, Stress und schlechter Laune kann durchbrochen werden. Pausen, Kontakte, Transparenz, Anerkennung, um Rat fragen und die unterschiedlichen Menschen im Team wahrnehmen – es sind oft Kleinigkeiten, die eine große Wirkung erzielen.

 

Vorbild zu sein: Darauf kommt es an

Um die eigene Haltung zum Thema Führung zu korrigieren, braucht es Willen und Vorbilder – vor allem in der oberen Führungsetage. Nur wenn es der Wille des obersten Managements ist, bei den Mitarbeitenden für ein Klima des Wohlbefindens zu sorgen, haben Gesundheitskonzepte – in welcher Form auch immer – eine Chance. Keine Führungskraft wird sich bei einer Entspannungsübung „erwischen“ lassen wollen, solange dies nicht in den Zielen des Klinikums oder der Einrichtung verankert ist.

Um als Arbeitgeber attraktiv zu sein, gilt es, Menschen in ihrem beruflichen Umfeld Sinn und Wertschätzung zu geben. Die Zeit ist reif, dies zu begreifen. Gesund zu führen, ist dabei essenziell. Das Gute: Gesund führen ist keine komplexe Wissenschaft. Es ist einfach. Wir müssen es nur tun, um in der Liga ganz oben mitzuspielen.

 

[1] Achor S. The Happiness Advantage: How a Positive Brain Fuels Success in Work and Life. New York: Currency; 2018

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