• 11.02.2019
  • Praxis
Altenpflege

Von kichernden Robotern und begeisterten Senioren

Die Schwester Der Pfleger

Ausgabe 11/2018

Seite 32

Noch ist es ein Experiment, und viele Fragen sind offen: Im Siegener Seniorenzentrum „Marienheim“ der Marien Pflege gGmbH sorgt seit einigen Monaten ein 1,20 Meter kleiner Roboter für abwechslungsreiche Stunden unter den Senioren. Was Pepper kann, wo seine Grenzen liegen und wie er die Arbeit von Pflegenden verändern kann, haben wir uns vor Ort angeschaut. 

Ein kleines weißes Plastikmännchen mit großen hell leuchtenden Kulleraugen schwingt sich rollend von der linken Seite des kleinen Aufenthaltsraums nach rechts. Vom iPad am Bauch von Pepper, dem 1,20 Meter großen Roboter, erklingt gerade der Schlagerklassiker „Tanze Samba mit mir“. Pepper hebt seine Ärmchen gen Zimmerdecke und versucht sich im Tanzen. Sieben Senioren zwischen 70 und 91, die sich sitzend im Halbkreis um ihn versammelt haben, beginnen, im Takt zu wippen, einige singen sogar mit. Ihnen gefällt die Musikeinlage. Auch Pepper scheint Spaß zu haben. Immer wieder kichert er in seiner zarten, kindlichen Stimme.

„Jetzt will ich Freddy hören“, ruft eine ältere Frau von links. Doch von dem österreichischen Sänger und Schauspieler Quinn hat Pepper leider nichts im Repertoire. Stattdessen erklingen die ersten Töne von „Theo wir fahr‘n nach Lodz“. Die Senioren verstummen. Das Lied kommt nicht so gut an.

Gut, dass Pepper noch mehr kann als Lieder abspielen. Vom Laptop aus, nur wenige Meter von den Senioren entfernt, steuert Felix Carros, was Pepper als nächstes tun soll. Carros ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Sozio-Informatik an der Universität Siegen. Zusammen mit Projektleiter Dr. Rainer Wieching untersucht er, wie Roboter im Pflegealltag eingesetzt werden können.

Tai-Chi-Übungen, Quizfragen, Pantomime – all das kann Pepper mittlerweile schon.

„Wir haben festgestellt, dass die Senioren sehr schnell neugierig werden und merken, dass sie Spaß mit Pepper haben können. Dadurch steigt sofort die Akzeptanz“, sagt Wieching. Wenn Pepper etwa anfängt mit Schattenboxen, orientieren sich die Senioren an seinen Bewegungen und machen die Tai-Chi-Übungen nach.

Aber der Favorit bei den Senioren ist ein anderes Talent von Pepper: „In Gesprächen mit Senioren und Pflegenden haben wir erfahren, dass die älteren Menschen vor allem Gedächtnis-Spiele ausprobieren möchten, um sich die Zeit zu vertreiben. Also haben wir extra für diese Bedürfnisse etwas programmiert“, so Wieching. Studierende des Masterstudiengangs „Human Computer Interaction“ an der Uni Siegen haben dazu eine Quizz-App für Pepper entwickelt. Pepper liest eine Frage und verschiedene Antwortmöglichkeiten vor, die Senioren brauchen nur auf die richtige Antwort auf dem Tablet tippen. „Gut gemacht, du bist schlau“, sagt Pepper dann oder löst die korrekte Antwort auf.

Doch Pepper soll nicht nur gute Laune verbreiten. Er soll den Senioren künftig auch dabei helfen, körperliche Übungen zur Prävention von Stürzen durchzuführen. Der Roboter soll die Senioren aktiv ansprechen und zum Mitmachen motivieren, die Übungen erklären und mit positiven Kommentaren oder Tipps helfen. Ähnlich wie Alexa, einem virtuellen Assistenzsystem, soll der Roboter mit den Bewohnern schon bald kommunizieren können. Eines Tages könnte Pepper die Bewohner auch daran erinnern, dass sie regelmäßig etwas trinken oder pünktlich ihre Tabletten nehmen.

Derzeit leidet die 30 Kilogramm schwere Technik allerdings noch unter kleinen Aussetzern. Manchmal kann Pepper nicht einordnen, was die Senioren gesagt oder auf seinem Tablet eingetippt haben. Dann kichert er.

„Unser Ziel ist es, Pepper bei jedem Besuch hier im Pflegeheim zu optimieren und noch bestehende Mängel abzustellen“, sagt Carros.

Bislang kommt Pepper ein- oder sogar mehrmals die Woche mit den Wissenschaftlern von der Uni Siegen vorbei. Die Senioren haben den kindlichen Roboter schon in ihr Herz geschlossen. Regelmäßig fliegen ihm Küsschen vor allem von den Seniorinnen zu. Die 91-jährige Margarethe Flender sagt, sie würde Pepper gerne öfter sehen. Auch der 83-jährige Henner Kring findet Gefallen an den abwechslungsreichen Auftritten des kleinen Roboters.

Da jeder aus dem Marienheim, eine Einrichtung der Marien Pflege gGmbH, mitentscheiden darf, was Pepper noch lernen soll oder was noch optimiert werden könnte, „sind die anfänglichen Zweifel der Bewohner längst überwunden“, weiß der Leiter des Siegener Seniorenzentrums, Jörg Boenig. Auch die Skepsis von Pflegenden habe sich gelegt. Etwaige Befürchtungen, der Roboter könne Pflegende ersetzen, entgegnet Boenig entschieden: „Es geht nicht darum, Fachpflegende zu ersetzten, sondern darum, sie zu unterstützen. Pepper soll Freiräume schaffen, damit mehr persönliche Zeit für unsere Bewohner bleibt.“

„Roboter und Menschen sollen eine Form von hybriden Teams bilden und sich gegenseitig ergänzen“, fügt Projektleiter Wieching hinzu.

Damit Pepper Sprache, Mimik und Gestik von Menschen einwandfrei erkennt und mit Personen auch inter­agieren kann, sind passgenaue Software-Lösungen gefragt. Der Roboter müsse sich gegenüber einer dementen Person zum Beispiel anders verhalten als bei jemandem, der nicht mehr gut gehen könne. „Das Ziel muss sein, dass Laien ohne Programmier- oder IT-Kenntnisse Pepper bedienen und konfigurieren können“, so Wieching. Damit das mittelfristig im Pflegeheim klappt, müssten die Pflegenden vor Ort den Roboter einfach und schnell über eine App auf die Bedürfnisse der Patienten einstellen können. Daran arbeiten Wieching und sein Team mit Hochdruck.

Pepper kostet derzeit als Rohling rund 17 500 Euro. Dann sind zunächst nur Sensoren an seinem Kopf und an den Fingern integriert. Für die passende Software muss noch einmal ungefähr diese Summer investiert werden. „Dieser Preis wird sich in den nächsten Jahren aber nach unten verschieben, wenn die Nachfrage steigt“, ist sich Wieching sicher. In fünf bis zehn Jahren gehören Roboter wie Pepper zum Standard, meint er.

Boenig hätte am liebsten drei Pepper auf jeder Station. Aus Eigenmitteln sei das zur Zeit jedoch nicht zu finanzieren.

Förderung durch Bundesmittel

Pepper ist Teil des Projekts „Anwendungs- nahe Robotik in der Altenpflege“, kurz ARiA, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird. Im Rahmen des „Wissenschaftsjahres 2018 – Arbeitswelten der Zukunft“ geht das gemeinsame Projekt der Universität Siegen und der Fachhochschule Kiel auf Tour. Wie sieht unsere Arbeit mit Robotern in der Pflege aus? Dieser Frage gehen Wissenschaftler beider Unis auf zahlreichen Veranstaltungen im gesamten Bundes­gebiet nach.

Pflegende, Angehörige und Pflegebedürftige entwickeln in Workshops gemeinsam Ideen, wie Roboter im Alltag und bei der Arbeit eingesetzt werden können.

Zum ARiA-Projekt gehören weitere Kooperationspartner wie die Diakonie, die Caritas oder die Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen.

www.robotik-in-der-pflege.de

www.mariengesellschaft.de

 

Pepper ist ursprünglich Franzose. In Frankreich wurde er entwickelt, dann nach Japan verkauft und dort auf den Massenmarkt gebracht. In Japan ist Pepper vor allem als Verkäufer gefragt. In Shops und Supermärkten zeigt er Kunden den Weg zum Produkt oder informiert über Preise und Inhaltsstoffe. „Manche Familien haben ihn sogar schon privat gekauft und leben mit ihm zu Hause“, weiß Wieching von seinen Reisen nach Japan zu berichten. Generell seien Japaner Robotern gegenüber offener eingestellt als es derzeit noch hierzulande der Fall sei. „Derzeit befinden sich zwar alle Modelle noch in der Testphase, aber wir sind auf einem vielversprechenden Weg.“

Allerdings gibt es bislang noch einen entscheidenden Haken: Klare politische Regelungen zu datenschutzrechtlichen und ethischen Fragen fehlen. Was passiert etwa mit den Daten, die Pepper über seine Kamera und das integrierte Mikrofon aufzeichnen kann? Wer haftet, wenn Pepper einen Bewohner verletzt? Der Hersteller, der Programmierer, das Heim?

Um eher praktische Fragen soll es ab 2019 in einem Modellversuch der Pflegeausbildung in Siegen gehen: Hier sollen Pflegeschüler für Möglichkeiten und Risiken sensibilisiert werden, die Roboter im Pflegealltag mit sich bringen. Gleichzeitig sollen die Azubis lernen, die Technologie zu bedienen und zu verwalten.

Auch wenn es bis zum Regelbetrieb mit Robotern in Heimen noch etwas dauert: „Pepper wird zwar nicht die Pflegekrise lösen können. Aber er wird künftig helfen, Pflegende zu unterstützen. Das ist schon viel Wert“, resümiert Einrichtungsleiter Boenig.

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