• 17.09.2019
  • Praxis
Digitale Kompetenzen

Die gleiche Sprache sprechen

Die Schwester Der Pfleger

Ausgabe 8/2018

Seite 22

Die Digitalisierung verändert die Arbeitswelt und mit ihr verändern sich die Anforderungen an Pflegende. Welche digitalen Kompetenzen sind nötig, um mit IT-Fachleuten auf Augenhöhe kommunizieren zu können? Pflegeinformatik kann die Antwort sein. Sollte sie deshalb Teil der pflegerischen Ausbildung sein?

Von der Anamnese über die Behandlungsplanung bis hin zur Evaluierung und Überleitung in die Weiterbehandlung – bei all dem können moderne Informationssysteme Pflegende im Alltag unterstützen. Damit IT-Systeme in der Praxis allerdings wirklich eine Entlastung sind, müssen sie auf die Bedürfnisse des Pflegepersonals zugeschnitten sein. Deshalb sollten Pflegende von Anfang an in die Auswahl und Einführung neuer Systeme einbezogen werden und bereits die Anforderungen an ein digitales Dokumentationssystem aus Sicht der Pflege mitformulieren. Damit das gelingt, müssen sie mit IT-Fachleuten auf Augenhöhe kommunizieren können. IT-Wissen war jedoch bislang nicht Teil der Ausbildung, sodass nur wenige Pflegekräfte Informatikkenntnisse besitzen. Es stellt sich daher die Frage: Wird sich das mit der Reform der Pflegeausbildung ändern? Und werden Pflegepädagogen in ihrem Studium ausreichend auf diese Themen vorbereitet, um die nachfolgenden Generationen auf die digitalisierten Arbeitsprozesse vorzubereiten?

Kompetenz – was ist das?

Der Begriff Kompetenz stammt aus der Pädagogik. Gemeint ist damit die Fähigkeit und Fertigkeit, in einem bestimmten Gebiet – in diesem Fall also der Pflegeinformatik – ein Problem zu lösen. Hinzu kommen die Motivation und die Bereitschaft, das Problem tatsächlich lösen zu wollen. Kompetenz kann über verschiedene Wege erworben werden: durch Bildung und Weiterbildung, eigene Erfahrung, aber auch durch Selbststudium (autodidaktisc

 

„Leider noch nicht“, sagt Ursula Hübner, Professorin für Medizinische und Gesundheitsinformatik an der Hochschule Osnabrück und Mitglied der AG Informationsverarbeitung in der Pflege der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (GMDS). Gemeinsam mit Partnern aus Österreich und der Schweiz ist sie der Forschungsfrage nachgegangen, welche Kernkompetenzen in Informatik Pflegende in Zukunft benötigen, damit sie den Herausforderungen der Digitalisierung gewachsen sind. Dazu befragte sie 87 Experten aus Forschung, Lehre, Praxis und Industrie. Herausgekommen ist ein Katalog von Kernkompetenzen und Empfehlungen, die aufzeigen, wie dringend Pflegeinformatik bereits in die grundständige Pflegeausbildung, aber auch in Fort- und Weiterbildung bzw. in die Studiengänge integriert werden muss, um derzeitige und nachfolgende Generationen von Pflegenden auf die digitalisierte Zukunft vorzubereiten.

Neue Ausbildungsverordnung – mehr digitale Kompetenzen?

Ende Juni wurde die neue Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Pflegeberufe vom Bundestag verabschiedet. Wurden dort die Kernkompetenzen der Pflegeinformatik berücksichtigt? In den geforderten Kompetenzen für die staatliche Prüfung zur Pflegefachfrau oder zum Pflegefachmann wird zumindest erwähnt, dass die Absolventen in der Lage sein sollten, digitale Pflegedokumentationssysteme zu nutzen, um ihre Pflegeprozesse zu evaluieren.

„Pflegedokumentation ist jedoch nur eine von vielen Kompetenzen, die wir im Rahmen der Studie identifiziert haben“, sagt Hübner und ergänzt „Digitale Kompetenzen umfassen viel mehr. Denn Dokumentation muss immer im Zusammenhang mit Daten, Informationen und Wissen gesehen werden. Es geht um die Nutzung der Daten, also die Auswertung und Interpretation, um Pflege besser zu gestalten.“

Pflegeinformatik verbindet zwei Welten

„Pflegende müssen selbst sagen können, was sie im Rahmen der Digitalisierung brauchen. Damit sie das können, müssen diese zwei Welten – Pflege und Informatik – die gleiche Sprache sprechen“, sagt auch Daniel Flemming von der Katholischen Stiftungshochschule (KSH) in München. „Damit das gelingt, müssen Pflegende die Kernprinzipien der Informatik verstehen.“ Gemeint ist damit zum Beispiel: Wie läuft ein Prozess ab, welcher Schritt folgt auf den anderen? Wie kann ein Prozess beschrieben werden? Oder welche Informationen und Daten werden zu welchem Zeitpunkt benötigt und in welcher Qualität? Heute ist Flemming Professor für Informatik und Informationstechnologie. Seine Kenntnisse rund um die Informatik hat er sich nach seiner Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger und seinem Pflegemanagementstudium zunächst autodidaktisch angeeignet und erst später im Rahmen einer Promotion vertieft.

Klingt nach trockener Informatik? Nur auf den ersten Blick. Angenommen, eine Patientin wird in der Notaufnahme aufgenommen und auf eine Normalstation verlegt. Das ist ein Prozess. Der Pflegeinformatiker stellt sich nun die Frage: Welche Informationen und Daten müssen an welcher Stelle in einer elektronischen Patientenakte hinterlegt sein und wie muss die Akte aufgebaut sein, damit diese Informationen auch dokumentiert und von den Beteiligten wahrgenommen werden können?

Hier wird deutlich: Reine Informatik stößt hier schnell an ihre Grenzen. Sie braucht die Expertise der Pflege. Nur so können die Anforderungen an Informationssysteme präzise formuliert werden. „Heute muss die Beschreibung einer Wunde viel genauer sein, damit ein digitales System sie auch versteht. Man wird in der digitalen Zeit zur Präzision gezwungen, was gerade auch dem Menschen zugute kommt“, erläutert Hübner. Und es gehört noch viel mehr dazu. Neben der Dokumentation wurden Kenntnisse und Fähigkeiten zu übergreifenden Themen wie Datenschutz und Datensicherheit, Qualitätssicherung und -management, Prozess- und Projektmanagement als die fünf wichtigsten eingeschätzt – sowie je nach Berufsfeld eine Vielzahl anderer Kenntnisse.

Fortbildungen zur Pflegeinformatik

Doch woher sollen diese Kompetenzen kommen? Und müssen nun alle Pflegenden Pflegeinformatiker werden? Nein. Was es jedoch braucht, sind Experten für Pflege und Informatik: Pflegeinformatiker.

Sowohl in Deutschland als auch international wird Pflegeinformatik als ein Teil der Medizininformatik gesehen. Im Gegensatz zu Ärzten können Pflegende jedoch – Stand heute – noch keine Zusatzbezeichnung erwerben. „Ich kann mir jedoch vorstellen, dass es in absehbarer Zeit auch eine Fachweiterbildung Pflegeinformatik geben wird“, vermutet Ursula Hübner.

Einige pflegewissenschaftliche Studiengänge haben schon heute Module in Pflegeinformatik in ihre Studiengänge integriert. So bieten zum Beispiel die Hochschule Osnabrück und die KSH in München in ihren pflegebezogenen Studiengängen Module in „Nursing Informatics“ an. An der Tiroler Universität UMIT in Hall können Studierende des Masterstudiengangs Pflegewissenschaften zudem im vierten Semester Pflegeinformatik als Vertiefungsfach wählen. Wer sein Wissen in konzentrierter Form erwerben und nicht studieren möchte, kann in Hall einen dreitägigen Zertifikatsslehrgang „Informationsmanagement und eHealth in der Pflege“ belegen, um so IT-Kompetenzen für Fach- und Führungskräfte in der Pflege zu erwerben.

„Pflegende müssen nicht programmieren können. Aber sie brauchen ein Grundverständnis für Informatik: Sie müssen verstehen, wie zum Beispiel eine elektronische Patientenakte grundsätzlich aufgebaut ist“, beschreibt der Pflegeinformatiker Flemming und fügt hinzu „Auch unter Lehrern für Pflegeberufe steigt das Interesse an Fortbildungen in Pflegeinformatik.“

Dies ist ein Schritt in die richtige Richtung, denn nur so können digitale Kompetenzen gleich zu Beginn an die Auszubildenden der Pflegeberufe weitergegeben werden – im Sinne einer eigenen Fremdsprache.

 

(1) Hübner U., Egbert N., Hackl W. et al. (2017): Welche Kernkompetenzen in Pflegeinformatik benötigen Angehörige von Pflegeberufen in den D-A-CH-Ländern? Eine Empfehlung der GMDS, der ÖGPI und der IGPI. GMS Med Inform Biom Epidemiol; 13 (1): Doc02

(2) Ammenwerth E. (2016): Pflegepersonen benötigen Kompetenzen im Informationsmanagement – ein Plädoyer. Pflegewiss; 18 (7/8): 324–326

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