Künstliche Intelligenz, Robotik, modernste IT – in der Universitätsmedizin Essen entsteht derzeit das erste Smart Hospital Deutschlands. Mit der Pflegedirektorin Andrea Schmidt-Rumposch sprachen wir darüber, welche Vorteile sich daraus ergeben und wie Digitalisierung die Pflege verändert.
Frau Schmidt-Rumposch, Digitalisierung in der Pflege ist derzeit in aller Munde. Was verstehen Sie darunter?
Gut, dass Sie fragen, denn es hilft, mit einer allgemeinen Fehlvorstellung aufzuräumen: Digitalisierung in der Pflege bedeutet nicht, dass in Zukunft Roboter und Automaten eingesetzt werden, um menschliche Fürsorge zu simulieren. Einen Pflegeroboter, der einem Patienten in einer schwierigen persönlichen Situation die Hand hält, wird es in meiner Vorstellung auch in einer digitalisierten Zukunft nicht geben. Vielmehr geht es primär um den Einsatz digitaler Technologien, um Arbeitsabläufe zu automatisieren und damit zu verbessern.
Welche Arbeitsabläufe meinen Sie?
Ich denke an administrative Bereiche wie die Dokumentation und Terminplanung. So können wir die Pflegenden nachhaltig entlasten, etwa durch die Einführung einer elektronischen Patientenakte. Denn diese vermeidet Mehrfacherhebungen, zum Beispiel von Anamnesen und Medikationsplänen. Langfristig gesehen wird Pflege so wieder mehr Freiräume für das Wesentliche finden: die Arbeit für den und mit dem Patienten. Das mag sich paradox anhören, wird aber an folgendem Beispiel deutlich: Patienten und auch deren Angehörige befinden sich zum Zeitpunkt der Aufnahme ins Krankenhaus nahezu immer in einer für sie belastenden Situation. In dieser Verfassung möchte man sich nicht zusätzlich belasten oder gar ärgern müssen. Man wünscht vielmehr Verlässlichkeit, das vorbereitete Bett, Orientierung, keine unnötigen Wartezeiten, eine größtmögliche Sicherheit, Diagnostik- und Therapiequalität. Ganz besonders möchte man aber Freundlichkeit, Zuwendung und Vertrauensbildung.
Das leuchtet ein. Aber was hat das mit Digitalisierung zu tun?
Die Digitalisierung organisatorischer Prozesse, unterlegt mit Künstlicher Intelligenz, kann wesentlich dazu beitragen, die Pflegenden von all diesen, sie teilweise erheblich Zeit kostenden, mitunter auch belastenden Tätigkeiten zu befreien. Dies schafft Freiräume für die Zuwendung zu den Patienten. Damit rücken dann die so wichtigen Wünsche nach Freundlichkeit, Zuwendung und Vertrauensbildung in den Mittelpunkt. In den kommenden Jahren wird es also eine Umgestaltung der Tätigkeitsfelder in der Pflege geben – weg von körperlich schweren Dauerbelastungen, hin zu mehr Freiraum für soziale Interaktionen.
Was konkret kann Digitalisierung hier leisten?
Digitalisierung bewirkt eine Minderung von körperlichen und psychischen Belastungen durch zum Beispiel Roboterkomponenten am Bett, die das Pflegepersonal bei Umlagerung, Mobilisation und Gehbewegungstraining der Patienten unterstützen. Auch Organisations- und prozessbezogene Unterstützung, etwa durch Service- und Transportrobotik, wird relevant werden. Wichtig ist, dass Digitalisierung nicht zum Zweck der Rationalisierung genutzt wird, sondern im Sinne der Menschen, also der Patienten, deren Angehörige und aller Beschäftigten in einem Krankenhaus. Digitalisierung dient der Ergänzung, nicht dem Ersatz. Digitalisierung in der Pflege wird dann dazu führen, dass Patienten sich in einem Krankenhaus wohler fühlen – allein schon dadurch, dass die Organisation reibungsfreier funktioniert und die Servicequalität im Krankenhaus steigt. Digitalisierung macht zudem den Pflegeberuf attraktiver als bisher.
Inwiefern?
Wenn Tätigkeiten im patientenfernen sowie im Service- und Logistikbereich durch technologische Innovationen und Assistenzsysteme übernommen werden, bleibt mehr Zeit für die menschliche Zuwendung zum einzelnen Patienten und die persönliche Qualifikation der Mitarbeitenden.
Die Universitätsmedizin Essen hat sich auf den Weg gemacht, das erste Smart Hospital Deutschlands zu werden. Wie kam es zu dieser Entscheidung?
Der Vorstand hat im Jahr 2015 die Weichen gestellt, um die Universitätsmedizin Essen mit dem Zielbild, ein Smart Hospital zu werden, weiterzuentwickeln. Ausgangssituation war die Berufung des Ärztlichen Direktors, Professor Jochen A. Werner, der mit der Vision angetreten ist, die Universitätsmedizin Essen zum Vorreiter für die Digitalisierung zu machen. Dabei geht es gar nicht so sehr um die Digitalisierung an sich, sondern um den Einsatz moderner Technologien im Sinne einer besseren Patientenversorgung und -betreuung, was auch ihre Angehörigen einschließt. Als ich Anfang 2017 nach Essen kam, hat sich die Universitätsmedizin Essen also gerade erst auf den Weg gemacht, ein Smart Hospital zu werden. Es war der ideale Zeitpunkt für mich, um einzusteigen und der Pflege auf dem Weg hin zum Smart Hospital Gewicht zu verleihen. Wir sind dabei auf einem guten Weg, der wahrscheinlich nie enden wird. Denn Digitalisierung ist hoch dynamisch, daher wird es im Smart Hospital keinen finalen Zustand, sondern permanente Weiterentwicklung geben. Wichtig ist, den kontinuierlichen Prozess professionell und mit dem richtigen Wertesystem zu managen.
Was genau bedeutet der Begriff Smart Hospital?
Das Smart Hospital ist ein intelligent arbeitendes Krankenhaus der Zukunft, das den Fokus auf den Menschen legt, viel stärker noch als es heute der Fall ist. Smart Hospital steht dabei für eine neue Krankenhauskultur, die vor dem eigentlichen Krankenhausaufenthalt ansetzt und bis weit in die poststationäre Phase reicht. Auf diesem Weg werden zahlreiche Strukturen verändert – angefangen von der Erreichbarkeit und Auskunftsfähigkeit für Patienten und Angehörige am Telefon bis hin zur Nachbehandlung und Korrespondenz mit nachbehandelnden Ärzten, Physiotherapeuten und anderen Berufsgruppen. Im Krankenhaus rücken die diagnostischen Fächer viel stärker zusammen, Behandlungskonzepte werden individualisierter, das berufliche Miteinander wird teamorientierter und auch das Krankenhaus wird prozessorientierter.
Welche Herausforderungen sind auf dem Weg zum Smart Hospital zu bewältigen?
Die digitale Transformation ist gewaltig und berührt nahezu jede Faser eines Krankenhauses. Die größte Herausforderung ist es, den Wandel professionell zu managen und die Veränderung im Verhalten aller Beteiligten zu bewirken. Was sich nicht zuletzt auch in der Pflege über viele Jahrzehnte entwickelt hat, kann nicht von heute auf morgen neu gestaltet werden. Das gilt, auch wenn es Unzufriedenheit etwa mit den Arbeitslasten gibt. Ein radikaler Wandel führt zu Unsicherheiten, wenn bekannte Handlungsweisen, Aufgabengebiete oder Strukturen radikal verändert werden. In der Universitätsmedizin Essen müssen wir 2.400 Pflegende mit auf den Weg nehmen, erklären, was sich verändert und warum. Wir müssen Bedenken ernst nehmen und Chancen vermitteln. Das machen wir beispielsweise bei der Einführung der Elektronischen Patientenakte.
Die Universitätsmedizin Essen wäre das erste Smart Hospital Deutschlands. Woran orientieren Sie sich? An Kliniken im Ausland?
Wir orientieren uns bei unserem Weg hin zum Smart Hospital am Patienten, an dessen Angehörigen und an den Beschäftigten in der Universitätsmedizin Essen. Das haben wir ganz zu Anfang des Transformationsprozesses durch die Gründung des klinikinternen „Instituts für PatientenErleben“ organisatorisch verankert. Vergleichbare Konzepte gibt es, etwa an der Cleveland Universität in den USA. Durch die lassen wir uns sicher inspirieren, und mit der Cleveland Universität tauschen wir uns auch aus. Aber letztendlich ist unser Weg hierzulande einzigartig: Was in den USA funktioniert, funktioniert nicht unbedingt in Deutschland. Auch die Besonderheiten des Ruhrgebiets müssen wir einbeziehen. Wir haben Themen, die es in Hamburg, München oder auch im ländlichen Gebiet so nicht gibt. Eine weitere wichtige Institution ist unser interdisziplinär besetzter Lenkungskreis Smart Hospital. Dieser koordiniert und orchestriert die vielfältigen digitalen Initiativen, die es in den verschiedenen Instituten und Bereichen gibt. Die Pflege redet hier ein gewichtiges Wort mit und gestaltet so die Zukunft. Wichtig aber auch: Der Weg hin zum Smart Hospital folgt keinem festgeschriebenen Masterplan. Der wäre in dem hoch dynamischen Umfeld der Digitalisierung schneller veraltet als geschrieben.
Welche technischen Neuerungen auf dem Weg zum Smart Hospital wurden bereits umgesetzt?
Die Elektronische Patientenakte wurde am Universitätsklinikum Essen mittlerweile in allen Normalstationen eingeführt, in diesem Sommer beginnt das Rollout in unseren Tochterkliniken. Softwarelösungen für Intensiv- und Funktionsbereiche sind in der Erarbeitung. Damit schaffen wir eine wichtige Voraussetzung für eine zentrale Dokumentation, die von allen genutzt werden kann. Ein weiteres Beispiel ist die telefonische Erreichbarkeit der in einer Klinik befindlichen Personen, sei es an der Anmeldung, auf der Station oder in der Notaufnahme. Hier kann auf Basis digitalisierter Prozesse unter Einbeziehung Künstlicher Intelligenz eine erhebliche Verbesserung der aktuellen Situation geschaffen werden, mit wesentlich mehr Servicequalität für Patienten, Angehörige, kooperierende Praxen und Krankenhäuser. Aktuell stehen wir inmitten dieses Großprojektes, das wir wohl bis Ende 2018 umgesetzt haben werden.
Wie sieht es mit dem Bereich Robotik aus?
Wir als Universitätsmedizin Essen sind sehr daran interessiert, solche Systeme auszuprobieren und diesbezügliche Entwicklungen voranzutreiben. Roboterassistierte Chirurgie kommt als Weiterentwicklung der minimal-invasiven laparoskopischen Chirurgie mittlerweile in vielen Fachbereichen als Standardoption zum Tragen, genutzt wird dazu das Da-Vinci-System der aktuellen Generation in Maximalausstattung. Projekte unter anderem zu Service- und Logistik-Robotik oder Exo-Skeletten befinden sich in der Konzeptionsphase.
Betreffen die neuen Technologien auch die direkte Pflege?
Ja, auch in der Pflege werden zunehmend „smarte“ Wege gegangen. Zur Sturzprophylaxe kommen nach erfolgter Indikationsstellung Sensormatten in Gebrauch, die die Pflegenden mit Warnmeldungen unterstützen. Im Rahmen der Dekubitusprophylaxe werden Pflegende durch Monitorsysteme entlastet, die unter anderem die Eigenbewegung von Patientinnen und Patienten messen und bei der Ableitung von pflegerischen Maßnahmen behilflich sind.
Welche pflegeerleichternden Technologien sind weiter geplant?
Aktuell überprüfen wir digitale Unterstützungsmöglichkeiten unserer Schulungskonzepte: Virtual-Reality-Brillen werden mittelfristig die Arbeit unserer Praxisanleiterinnen und die Einarbeitung neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erleichtern. Tablets werden – wie auch im persönlichen Alltag – nicht mehr aus der Pflegepraxis wegzudenken sein. Unsere Pflegenden könnten außerdem schon bald beim Stellen der Medikation durch ein System unterstützt werden, das eine automatisierte Kontrolle vornimmt und dadurch das Vier-Augen-Prinzip mit nur einer Pflegekraft sicherstellt. Dies entlastet nicht nur die Pflege, es trägt auch maßgeblich zu einer höheren Patientensicherheit bei. Wir erarbeiten des Weiteren smarte Lösungen im Hinblick auf spezifische Patientengruppen. So prüfen wir etwa Tracking-Systeme zur Erhöhung der Patientensicherheit bei dementiellen Erkrankungen oder erarbeiten die Gestaltung eines Patientenzimmers nach neuesten Erkenntnissen zu Licht- und Soundkonzepten für Patienten im Delir. Für die Kinderklinik wird der Einsatz von Service-Robotern geprüft, um Kinder in emotionalen Ausnahmesituationen zu begleiten.
Stößt Robotik nicht gerade hier an seine Grenzen?
Es mag in der Tat wie ein Widerspruch klingen, wenn man mit dem Einsatz von Robotik und Künstlicher Intelligenz kalte Technik versteht, die im Umgang mit dem Patienten eingesetzt wird. Das ist bei uns nicht gemeint. Wir setzen digitale Technologien insbesondere bei der Optimierung von Prozessen ein. Nehmen Sie das intelligente Anrufer-Management in unserem neuen Service- und Informationscenter. Hier arbeiten Künstliche-Intelligenz-Algorithmen, damit Anrufer über unsere zentrale Telefonnummer an die richtige Stelle geroutet werden, um ihr Anliegen schnellstmöglich gelöst zu bekommen. Dem steht heute gegenüber, dass es allein im Klinikum zighunderte Telefonnummern gibt und Anrufer vielfach vergeblich Orientierung suchen, irgendwo anrufen, weitervermittelt werden, um dann im schlimmsten Fall eine Rückrufbitte zu platzieren, die nicht bedient werden kann – vielleicht auch, weil sie an einer Stelle liegt, die gar nicht für das Anliegen zuständig ist.
Welche Gefahren birgt der Einzug von Digitalisierung in die Pflege?
Gefahren zum Beispiel einer nicht angemessenen Patientenbetreuung bestehen vielleicht da, wo das Wertesystem nicht stimmt, also da, wo beispielsweise Rationalisierungsbestrebungen im Vordergrund stehen. Hier kommt es auf das richtige Management des Veränderungsprozesses an. Eine weitaus größere Gefahr auf dem Weg hin zur Digitalisierung besteht aber darin, dass die Mitarbeitenden nicht mit auf den Weg genommen werden. Das gilt für die digital affinen ebenso wie für die skeptischen. Hier kommt es darauf an, dass die Veränderung die Zeit bekommt, die sie braucht, um keinen zurückzulassen. Die größte Gefahr besteht aber darin, nichts zu tun und darauf zu hoffen, dass die Digitalisierung an einem vorbeizieht und sich aktuelle Herausforderungen wie die äußerst angespannte Pflegesituation auf herkömmliche Weise lösen lassen. Damit verliert man den Anschluss, was sich dann nur mit ei-nem großen Kraftakt und großen Schmerzen korrigieren lässt.
Wie werden die Technologien von den Pflegenden angenommen?
Es gibt in jedem Berufszweig Personen, die neuen Technologien gegenüber sehr aufgeschlossen sind und andere, die eine längere Eingewöhnungszeit benötigen. Dies muss durch individuell angepasste Personalentwicklungsstrategien aufgenommen werden. Durch die kontinuierliche Begleitung mit Schulungen erkennen die Pflegenden insgesamt aber schnell, welchen Mehrwert neue Technologien haben können. Die Einführung der Elektronischen Patientenakte zum Beispiel wird auch von der Pflege im Universitätsklinikum Essen sehr positiv bewertet.
Sind Schulungen erforderlich, um die Pflegenden auf das Smart Hospital vorzubereiten?
Schulungen sind ein wesentlicher Erfolgsfaktor, um Veränderungen wie die Einführung der Elektronischen Patientenakte (EPA) erfolgreich zu bewerkstelligen. Bei diesem Beispiel setzen wir sogenannte EPA-Trainerinnen und Trainer ein. Nachdem die einzelnen Teams eine Schulung durchlaufen haben, stehen ihnen in der Praxis die EPA-Trainerinnen und Trainer zur Seite. Fundierte Schulungen durch aus der Pflege freigestellte EPA-Trainerinnen und Trainer kombiniert mit intensiven Coachings machen die Erfolgsgeschichte EPA in der Universitätsmedizin Essen aus. Wichtig ist es uns, dass die Mitarbeitenden durch diese Schulungen nicht nur informiert werden, sondern auch das System begreifen. Dadurch kommen wieder neue Fragen auf, und so ist das ein stets lernender Prozess. So wachsen das Verständnis und auch die Bereitschaft zur Veränderung. Das sehen wir in unserem Service- und Informations-center. Die Einführung bedeutet für den einen oder anderen, den Arbeitsplatz zu wechseln oder Aufgaben abzugeben. Wenn man versteht, worum es geht und warum das wichtig ist, fällt die Entscheidung zur Veränderung leichter.
Frau Schmidt-Rumposch, viel Erfolg weiterhin auf dem Weg zum Smart Hospital und vielen Dank für dieses Gespräch.