• 01.09.2017
  • Praxis
Aktualisierter Expertenstandard

Dekubitusprophylaxe: Was hat sich geändert?

Bedeutsame pflegerische Aufgabe Die derzeit verfügbaren Hilfsmittel und das Wissen um Prophylaxemaßnahmen reichen aus, um einen Dekubitus weitestgehend zu vermeiden

Die Schwester Der Pfleger

Ausgabe 9/2017

Seite 36

Das Deutsche Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) hat den Expertenstandard „Dekubitusprophylaxe in der Pflege“ zum zweiten Mal an den aktuellen Stand des Wissens angepasst. Änderungen nahmen die Autoren bei den Kommentierungen und dem Aufbau des Experten- standards vor. Zudem wurde ein sogenanntes Indikatorenset entwickelt.

Einen Dekubitus zu vermeiden, ist eine bedeutsame pflegerische Aufgabe. Obwohl das evidenzbasierte Wissen zur Dekubitusprophylaxe noch immer lückenhaft ist, reichen die derzeit verfügbaren Kenntnisse zu Hilfsmitteln und anderen Prophylaxemaßnahmen aus, um einen Dekubitus weitestgehend zu vermeiden.

Trotzdem kann es Gründe für die Entstehung eines Dekubitus geben. Der Expertenstandard „Dekubitusprophylaxe in der Pflege“, erstmals 2004 und soeben in der zweiten Aktualisierung erschienen, will einen Beitrag zur Qualitätssicherung und -weiterentwicklung bei der Vermeidung von Dekubitus leisten.

Die meisten inhaltlichen Aussagen bestätigt

Der Expertenstandard „Dekubitusprophylaxe in der Pflege“ ist der erste, der zum zweiten Mal aktualisiert wurde. Die Arbeit daran erfolgte von Oktober 2015 bis Juni 2017. Unter der methodischen Begleitung des DNQP traf sich eine 15-köpfige Expertenarbeitsgruppe zu zwei Sitzungen und passte den Expertenstandard an den aktuellen Stand des Wissens an.

Wesentliche Grundlage für die Anpassungen und Konkretisierungen war die Literaturstudie, die vom wissenschaftlichen Leiter der Expertenarbeitsgruppe, Privatdozent Dr. Jan Kottner von der Charité – Universitätsmedizin Berlin, verantwortet wurde. Nach einer kritischen Auseinandersetzung mit den Ergebnissen der Literaturrecherche und ihrer Übertragbarkeit auf deutsche Praxisbedingungen wurden die Standardkriterien des „alten“ Expertenstandards geprüft und in Teilen neu formuliert.

Im Ergebnis lag ein Expertenstandard-Entwurf vor, auf dessen Grundlage die Experten neue Kommentierungen formulierten. Wie bereits bei der ersten Aktualisierung im Jahr 2010 gab es nur wenige inhaltliche Änderungen der Standardkriterien. Allerdings wurde der Aufbau des Expertenstandards verändert, um klarer der Logik des Pflegeprozesses zu folgen und die unterschiedlichen Standardkriterien zu pflegerischen Interventionen – Information und Beratung, direkte fachliche Interventionen zur Druckverteilung und -entlastung sowie die Nutzung von Hilfsmitteln – besser zu unterscheiden. Weitestgehend neu formuliert und zum Teil erheblich erweitert wurden die Kommentierungen zu den Standardkriterien, die für die Umsetzung in der Praxis vielfältige Hilfestellungen und Konkretisierungen enthalten.

Anfang 2017 lag eine überarbeitete Fassung des Expertenstandards für die sich anschließende Konsultationsphase vor, bei der die Fachöffentlichkeit Stellung zu den Änderungen beziehen konnte. Im Rahmen einer sechswöchigen Konsultationsphase bestand Gelegenheit, an der Aktualisierung des Expertenstandards mitzuwirken.

Angesichts von 3.552 Zugriffen auf die eingestellten Dokumente erscheint der Rücklauf von elf schriftlichen Stellungnahmen als sehr gering. Diese waren jedoch sehr qualifiziert und enthielten eine Vielzahl begründeter Hinweise auf redaktionellen und inhaltlichen Überarbeitungsbedarf. Die Hinweise wurden vom wissenschaftlichen Team des DNQP aufbereitet und der Expertengruppe gemeinsam mit den Original-Stellungnahmen zur Verfügung gestellt. Die Rückmeldungen der Mitglieder der Expertenarbeitsgruppe in dieser weiteren Konsentierungsrunde sind in die abschließende Fassung der Veröffentlichung eingeflossen.

Übersicht der Anpassungen

In der zweiten Aktualisierung konnten Kinder als Zielgruppe deutlich stärker berücksichtigt werden, da mittlerweile mehr Veröffentlichungen für diese Zielgruppe vorliegen und zudem zwei ausgewiesene Expertinnen aus der Kinderkrankenpflege für die Mitarbeit in der Expertenarbeitsgruppe gewonnen werden konnten. Eine weitere Änderung betraf die Reihenfolge der Handlungsebenen des Expertenstandards. Diese orientieren sich nunmehr klarer an den Schritten des Pflegeprozesses und folgen somit stärker der Logik der anderen Expertenstandards.

Eine Veränderung gab es hinsichtlich der Aussagen zu den Ursachen für eine erhöhte und/oder verlängerte Einwirkung von Druck auf das Gewebe. Während in der ersten Aktualisierung noch zwischen Einschränkungen der Aktivität und Einschränkungen der Mobilität unterschieden wurde, wird in der zweiten Aktualisierung ausschließlich der Begriff der Mobilität verwendet, wenn es um die Identifikation von Risikopatienten geht. Die Trennschärfe beider Begriffe war in der Praxis problematisch und es bot sich an, die Definition aus dem Expertenstandard „Erhaltung und Förderung der Mobilität in der Pflege“ aus dem Jahr 2014 zu übernehmen.

Darüber hinaus ist im aktualisierten Expertenstandard – in Anlehnung an die internationale Dekubitusleitlinie der NPUAP/EPUAP/PPPIA (2014) – nicht mehr von Graden, sondern von Kategorien die Rede. Neu sind auch die zwei zusätzlichen Klassifizierungen, die allerdings keiner Kategorie zugeordnet werden können, sondern lediglich beschrieben werden mit „keiner Kategorie zuordenbar: Tiefe unbekannt“ und „vermutete tiefe Gewebeschädigung: Tiefe unbekannt“.

Bei den einzelnen Standardkriterien wurden folgende Änderungen vorgenommen:

1. Ebene zur Einschätzung: Die Formulierung aus der ersten Aktualisierung des Expertenstandards – „Die Pflegefachkraft beurteilt mittels eines systematischen Vorgehens das Dekubitusrisiko aller Patienten/Bewohner, bei denen eine Gefährdung nicht ausgeschlossen werden kann“ – hat in der Praxis dazu geführt, dass der Gefährdungsausschluss häufig nicht dokumentiert wurde und so nicht ersichtlich war, ob eine Risikoeinschätzung stattgefunden hat. Daher wurde in der neuen Fassung in P1 deutlicher zwischen einem initialen Screening zur Beantwortung der Frage, ob ein Dekubitusrisiko vorliegt oder nicht, und einer differenzierten Einschätzung unterschieden.

In E1 wurde der Begriff „Dekubitusgefährdung“ gegen „individuelles Dekubitusrisiko“ ausgetauscht. Damit wird deutlicher, dass es nicht nur darum geht, eine Gefährdung zu erkennen, sondern auch zu identifizieren, worin das individuelle Risiko für einen Dekubitus liegt, um die richtigen Maßnahmen ableiten zu können.

2. Ebene zur Planung und Schnittstellenorganisation: Die Inhalte der ursprünglichen Ebene 5 zur Koordination der Schnittstellen wurde in die Handlungsebene 2 verschoben. Im Strukturkriterium 2b wurde die Verfahrensregelung aufgenommen, die als Werkzeug der Qualitätsentwicklung bereits aus anderen Expertenstandards bekannt ist, im Expertenstandard zur Dekubitusprophylaxe aber bisher nur in der Kommentierung Erwähnung fand. Das Vorhandensein einer solchen Verfahrensregelung wurde von der Expertenarbeitsgruppe als hilfreich und wichtig angesehen. Deutlicher betont wird das Erfordernis der gemeinsamen Planung von Maßnahmen mit dem Betroffenen und gegebenenfalls Angehörigen in Ebene P2.

3. Ebene zur Beratung: Hier wurde das Kriterium S3b ergänzt, mit dem die Einrichtung in die Pflicht genommen wird, erforderliches Informations- und Schulungsmaterial für die Anleitung von Betroffenen und Angehörigen zur Verfügung zu stellen.

4. Ebene zur Förderung der aktiven (Eigenbewegung) und passiven (Druckentlastung durch die Bewegung des Patienten/Bewohners) Bewegung: In den Interventionsebenen wird deutlicher als vorher dargestellt, dass die Maßnahmen je nach Umfang der Mobilitätseinschränkungen und anderer wichtiger Risiken individuell angepasst werden müssen. Während es bei manchen Patienten/Bewohnern mit einem Dekubitusrisko ausreichend sein kann, umfassend zu beraten, benötigen andere zusätzlich Anreize zur oder Unterstützung bei der Bewegung. In der 4. Handlungsebene geht es vorrangig um die Förderung der Eigenbewegung durch unterstützende oder motivierende Maßnahmen. Im Fall von nicht ausreichender Eigenbewegung zum Beispiel aufgrund verstärkter Mobilitätseinschränkungen oder kognitiver Einschränken werden die Eigenbewegung fördernden Maßnahmen durch druckentlastende Maßnahmen (Positionierung) durch die Pflegefachkraft ergänzt wird. Hierzu findet sich im Anhang des Expertenstandards eine hilfreiche Übersicht zu möglichen Positionierungen.

5. Ebene zum Einsatz von druckentlastenden und -verteilenden Hilfsmitteln: In dieser Handlungsebene gab es die wenigsten Änderungen. Die Evidenz für den Einsatz von Wechseldruck- oder Weichlagerungsmatratzen ist in den letzten Jahren eher noch besser geworden. In der Kommentierung zu S5b wurde eine Übersicht zu den derzeit verfügbaren Matratzen- und Auflagentypen ergänzt, um eine individuelle Auswahl zu erleichtern.

6. Ebene zur Evaluation: Die neu aufgenommenen Kriterien S6b und E6b nehmen die Evaluation aus Organisationsperspektive in den Fokus. Ähnlich wie beim Thema Sturzprophylaxe erachtete die Expertenarbeitsgruppe das Ermöglichen von systematischer Evaluation durch die Erfassung von Daten sowie das Rückkoppeln dieser Daten an die Mitarbeiter für bedeutsam.

Indikatorenset entwickelt

Im Rahmen der Aktualisierung des Expertenstandards wurden erstmalig Qualitätsindikatoren für das interne Qualitätsmanagement entwickelt. Deren Einsatz in der Praxis soll den Fokus verstärkt auf die Prozesse innerhalb der Einrichtungen lenken und den Verantwortlichen eine bessere Steuerung ihrer Qualitätsbemühungen ermöglichen. Dazu erfolgte auf Grundlage des aktualisierten Expertenstandards eine erste Einschätzung durch die Expertenarbeitsgruppe, welche Aspekte der pflegerischen Dekubitusprophylaxe besonders in den Blick genommen werden sollen. Diese Prioritätensetzung wurde vom wissenschaftlichen Team des DNQP gemeinsam mit dem Team der Charité – Universitätsmedizin Berlin zu einem vorläufigen Indikatorenset zusammengestellt. Dieses wird bis Dezember 2017 im Rahmen eines Praxisprojekts mit 30 Einrichtungen erprobt. Nach Auswertung der Ergebnisse werden Erkenntnisse aus dem Praxisprojekt zur Arbeit mit dem aktualisierten Expertenstandard sowie zur Praxistauglichkeit des Indikatorensets der Fachöffentlichkeit vorgestellt. Eine gute Möglichkeit, sich zum aktualisierten Expertenstandard und zu den Ergebnissen des Praxisprojekts auszutauschen bietet der 20. Netzwerk-Workshop am 2. März 2018 in Berlin.

DNQP rät: Aktuelles Qualitätsniveau erheben

Für Einrichtungen gilt es nun zu prüfen, ob und in welchem Umfang eine Anpassung des einrichtungsinternen Vorgehens aufgrund der Veränderungen erforderlich ist. Das DNQP empfiehlt hier zunächst die Erhebung des aktuellen Qualitätsniveaus, etwa durch das im Expertenstandard enthaltene und zudem auf der DNQP-Website abrufbare Audit-Instrument zum Expertenstandard. Es können aber auch einrichtungsinterne Qualitätsinstrumente genutzt werden, wie Pflegevisiten und Fallbesprechungen. Mit Vorliegen der Ergebnisse kann ein Vergleich mit dem Qualitätsniveau im aktualisierten Expertenstandard erfolgen und geprüft werden, inwieweit Anpassungen oder themenspezifische Fortbildungen geplant werden müssen.

Die aktualisierte Version des Expertenstandards kann online bestellt werden unter: www.dnqp.de/bestellung

Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (Hg.): Expertenstandard Dekubitusprophylaxe in der Pflege – 2. Aktualisierung 2017. Osnabrück: DNQP

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