• 20.04.2018
  • Praxis
Prävention und Therapie des Delirs

"Jeden Patienten so behandeln, als sei er delirgefährdet"

Die Schwester Der Pfleger

Ausgabe 7/2017

Seite 26

Ein perioperatives Delir kommt häufig vor, bleibt aber gerade bei älteren Patienten oft unerkannt. Dabei gibt es effektive Präventions- und Behandlungsmöglichkeiten. Die Pflege spielt dabei eine entscheidende Rolle, weiß Dr. Simone Gurlit vom St. Franziskus-Hospital in Münster. Ihr Klinikum ist mit mehreren Projekten federführend in Deutschland, was die Delirvermeidung betrifft.

Frau Dr. Gurlit, immer mehr ältere Menschen werden heute operiert. Wie oft kommt es dabei zu einem peri­operativen Delir?

Es gibt nur wenig konkrete Daten zur Häufigkeit eines Delirs. Wir wissen, dass analgosedierte Intensivpatienten zu über 80 Prozent delirant sind. Und wir haben gute Zahlen zu Patienten, die aufgrund einer hüftgelenksnahen Fraktur operiert werden und älter als 65 Jahre sind. Von denen erleiden 40 bis 60 Prozent ein Delir. Allerdings muss bedacht werden, dass viele Patienten schon delirant in die Klinik kommen – die Literatur geht hier von zehn bis 20 Prozent der über 65-Jährigen aus. Dabei handelt es sich beispielsweise um die ältere Dame, die bei heißem Wetter zu wenig trinkt, eine Exsikkose entwickelt, aufgrund derer sie delirant wird und stürzt. Sie wird in der Klinik mit der Diagnose „Verdacht auf Fraktur“ aufgenommen, hat aber gleichzeitig noch ein Delir. Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Delirraten, die derzeit in den Kliniken erfasst werden, noch deutlich von den in der Literatur genannten Zahlen abweichen.

Warum ist das so?

Die meisten Delirien im Krankenhaus – rund 60 Prozent – bleiben unerkannt. Und die Delirien, die erkannt werden, werden häufig nicht kodiert. Im System der DRGs, also der Diagnosis Related Groups, ist ein Delir in der Regel nicht erlössteigernd. Deshalb findet ein erkanntes Delir häufig keinen Eingang in die Kodierung. Und dann gibt es noch einen dritten Grund: Oftmals wird ein Delir quasi als Nebeneffekt billigend in Kauf nehmen – im Sinne von: Ja, der Patient ist zwar delirant, aber das geht ja wieder weg. Ein Bewusstsein für die Relevanz des Themas ist leider noch nicht bei allen ärztlichen und pflegerischen Kollegen gegeben.

Werden Patienten mit Verdacht auf ein Delir nicht regelhaft gescreent?

Das ist bislang noch nicht der Fall. Auf Intensivstationen sind wir schon etwas weiter. Hier gibt es eine S3-Leit­linie zum Delir, die ein einheitliches, routinemäßiges Screening empfiehlt. Auf Normalstationen sieht das anders aus. Erst wenn Patienten standardisiert auf das Vorliegen eines Delirs untersucht werden, kann langfristig von einer zuverlässigen Erfassung ausgegangen werden.

Warum bleibt ein Delir zu 60 Prozent unerkannt?

Es gibt zwei Kategorien – das hyperaktive und das hypoaktive Delir. Beim hyperaktiven Delir haben wir klassischerweise den aggressiv-agitierten Patient vor uns, der mit dem Tablett nach der Pflegeperson wirft und sich schon mal den geblockten Blasenkatheter zieht. Beim hypoaktiven Delir hingegen liegt der Patient apathisch im Bett, schaut unter die Decke und hat bis nachmittags um fünf noch nicht einmal nach der Schwester geklingelt. Je älter die Patienten, umso häufiger leiden sie an diesem unspektakulären hypoaktiven Delir. Das Problem: In der Hektik der Tagesroutine wird dieses häufig zu spät oder gar nicht diagnostiziert.

Gibt es Mischformen?

Ja, die meisten Patienten weisen Mischformen auf. Das sind zum Beispiel die Patienten, die tagsüber vermeintlich unauffällig waren, und die abends auf einmal schwierig werden und die Nacht zum Tag machen. Das ist dann für den Nachtdienst tatsächlich ein großes Problem, vor allem, wenn nur eine Pflegeperson für 30 Patienten zuständig ist. Typisch für eine Mischform ist: Der Patient ist nachts sehr unruhig, morgens ist er dann zunächst sehr müde und schläft, und dann geht es ihm mittags und nachmittags ganz gut. Oft höre ich dann als Ärztin: Jetzt ist der Patient nicht mehr delirant. Das ist aber falsch – man muss 24 Stunden frei von den Symptomen sein. Und am Abend geht es dann mit den Symptomen weiter.

Was sind neben der Hyper- und der Hypoaktivität weitere Symptome eines Delirs?

Klassische Symptome sind die Störung von Bewusstsein und Aufmerksamkeit, aber auch eine veränderte Wahrnehmung – Stichwort Halluzinationen und Wahnvorstellungen. Hinzu kommt, dass der Schlaf-Wach-Rhythmus häufig gestört ist, was sich in einer nächtlichen Verschlechterung der Symptome bemerkbar macht. Viele Patienten sind zudem depressiv verstimmt. Es gibt zwar auch euphorische Formen, die sind aber eher selten. Typisch ist zudem, dass sich das Störungsbild innerhalb einer kurzen Zeitspanne entwickelt und im Krankheitsverlauf fluktuiert, also schwankt. Wenn diese Dinge zusammentreffen, sollte man ein Delir-Screening machen.

Wie sieht ein Delir-Screening aus?

Es gibt unterschiedliche Instrumente. Wir im St. Franziskus-Hospital arbeiten mit dem CAM-Test, das ist ein weltweit häufig verwendetes Verfahren zur Erkennung eines Delirs. CAM steht dabei für Confusion Assessment Method. Hier wird zum Beispiel erhoben: Gibt es Hinweise für eine akute Veränderung des geistigen Zustandes des Patienten gegenüber seinem Normalverhalten? Unterliegt der Patient Tagesschwankungen? Hat er Mühe, sich zu konzentrieren? Ist er leicht ablenkbar? Auf der Intensivstation wird das routinemäßig einmal pro Schicht gemacht – hier gibt es einen speziellen Test für Intensivstationen, den CAM-ICU. Mit diesem kann man sogar analgosedierte und beatmete Patienten screenen.

Wie kann ich als Pflegeperson ein Delir von einer Demenz abgrenzen? Ich kenne ja sein Normalverhalten nicht.

Es ist tatsächlich schwierig, eine Aufmerksamkeitsstörung im klinischen Alltag zu diagnostizieren. Vor allem dann, wenn ich zu wenig über die kognitive Ausgangssituation des Patienten weiß. Das Delir ist ein akutes Ereignis und ist gerade in Abgrenzung zu einer vorbestehenden kognitiven Einschränkung bis hin zur Demenz nur dann möglich, wenn ich weiß, wie der Patient vorher war.

Können die Angehörigen das nicht am besten einschätzen?

Ja, die Angehörigen bieten uns quasi die Fremdanamnese: Wie war der Patient vorher? Allerdings muss man einschränkend sagen, dass die Einschätzung der Angehörigen nicht immer mit den Ergebnissen des Screenings übereinstimmt. Oft höre ich: „Nach der Narkose wurde Vati nie wieder der Alte“ – dann muss man sagen: Sehr häufig war Vati vor der Narkose auch schon nicht mehr der Alte, es hat im Alltag nur keiner gemerkt oder darauf geachtet. Die Hauptrisikofaktoren für das Erleiden eines Delirs – wenn wir mal die Top 3 nehmen – sind: ein hohes Lebensalter, Multimorbidität und eine vorbestehende kognitive Einschränkung. Und diese vorbestehende kognitive Einschränkung ist häufig nicht bekannt und fällt erst auf, wenn der Patient ins Krankenhaus kommt.

Weil hier seine vertrauten Strukturen fehlen?

Genau. Viele Patienten, die kognitiv eingeschränkt sind – oft handelt es sich dabei um wirklich hochaltrige Patienten, – kommen unter den vertrauten heimischen Bedingungen noch gut zurecht. Und dann werden sie ins Krankenhaus aufgenommen, mit Strukturen, die sie nicht durchschauen und vielleicht auch mit fehlenden Orientierungsmöglichkeiten. Das führt dazu, dass das fragile Gleichgewicht, das diese Patienten bislang noch hatten, zusammenbricht. Von einem Tag auf den anderen scheint der Patient plötzlich „akut dement“ zu sein. Und hier sind wir dann genau beim Thema Delir.

Was sind die Folgen eines Delirs für die Betroffenen?

Die Folgen sind immens. Die Mortalität dieser Patienten steigt deutlich an, die Literatur legt 1-Jahres-Mortalitätsraten von 30 Prozent nahe. Die Betroffenen sterben dabei nicht an ihrer Verwirrtheit, sondern an den Komplikationen, die sie erleiden. Dazu gehören zum Beispiel Stürze und Infektionen. Häufig kommt es auch zu einer Immobilisierung, durch die – gerade bei älteren Patienten – oft eine nur schwer aufzuhaltende Negativspirale in Gang gesetzt wird. Vor allem die hypoaktiven Patienten, die oftmals nicht erkannt werden, haben eine sehr schlechte Prognose.

Kann ein Delir auch eine Demenz auslösen?

Mittlerweile weiß man, dass das so ist. Früher dachte man, nach der OP sei eine Phase der Verwirrtheit normal und verschwinde von allein wieder. Deshalb wurde das Phänomen auch als „Durchgangssyndrom“ bezeichnet. Heute wissen wir, dass Patienten mit einem Delir ein hohes Risiko haben, langfristige Schäden davonzutragen. Das Risiko, eine Demenz zu erleiden, ist zum Beispiel doppelt so hoch. Man weiß nicht, ob das Delir eine beginnende Demenz demaskiert – das heißt der Patient war schon vorher leicht dement –, oder ob das Delir die alleinige Ursache dafür ist, dass ein demenzieller Prozess in Gang gesetzt wird. Fakt ist: Wer delirant war, hat ein erhöhtes Risiko, in der Folgezeit an einer Demenz zu erkranken.

Können Medikamente ein Delir auslösen?

Ja, Benzodiazepine haben zum Beispiel eine delirogene Wirkung. Deshalb sind bei geriatrischen Patienten eine medikamentöse Präemedikation und auch das Schlafmittel am Abend zu vermeiden. Wir wissen, dass die einmalige Gabe von Benzodiazepinen dazu führen kann, dass ein gefährdeter Patient ein Delir bekommt und sich davon nicht wieder erholt. Das müssen die Pflegenden wissen, denn sie sind es ja, die abends die Schlafmittel verteilen. Patienten, die zu Hause kein Schlafmittel nehmen, sollten dies in der Klinik tunlichst auch nicht tun. Besser sind da nichtmedikamentöse Maßnahmen wie beispielsweise ein Glas warme Milch. Nimmt ein Patient hingegen zu Hause regelmäßig ein Schlafmittel, sollte er es auch in der Klinik nehmen. Der Entzug von einem Schlafmittel wirkt ebenfalls delirogen.

Das klingt kompliziert für die Pflegenden. In der Regel verlassen sie sich ja bei der Medikamentengabe auf die ärztliche Anordnung.

Ja, aber die ärztliche Anordnung lautet „bei Bedarf“. Ob diese Bedarfsmedikation gegeben wird hängt zum Beispiel davon ab, welche Einstellung die Pflegeperson zu Schlafmitteln hat und wie sie an den Patienten herantritt. Sie kann fragen: „Sie wollen doch sicher etwas zum Schlafen haben?“, aber auch: „Brauchen Sie denn wirklich etwas zum Schlafen?“ Allein der Tonfall, wie sie die Frage stellt, kann suggerieren: Besser Sie nehmen eins, oder: Besser Sie nehmen keins. Zur Prämedikation und in der Narkoseführung vermeiden wir mittlerweile den Einsatz von Benzodiazepinen komplett. Aber dann kann es passieren, dass am zweiten oder dritten postoperativen Tag auf der Station ein Benzodiazepin gegeben wird – einfach weil es gut gemeinte Routine ist. Hier müssen wir noch viel sensibler werden.

Patienten kommen ja bereits mit unterschiedlichen Medikamenten auf die Station. Gibt es andere Substanzen, die ein Delir auslösen können.

Multimedikation per se ist ein Delirrisiko, weil man mögliche Interaktionen nicht abschätzen kann. Es gibt bestimmte Antibiotika, die ein Delir auslösen können, und auch Diuretika – zum Beispiel Lasix ist hochdelirogen –, ebenso wie alle Neuroleptika.

Welche medikamentösen Möglichkeiten gibt es, ein Delir zu behandeln?

Ein klassisches Medikament ist das Haloperidol, aber wir wissen, dass alle Neuroleptika bei geriatrischen Patienten eine erhöhte Mortalität haben. Dennoch kann es im Einzelfall sinnhaft sein, medikamentös zu behandeln, beispielsweise wenn jemand akute Wahnvorstellungen hat. Diese Medikamente sollte man aber sehr niedrig dosiert und zeitlich begrenzt einsetzen. Und sie sollten auch wieder abgesetzt werden, was leider nicht immer regelhaft passiert. Insgesamt sind die pharmakologischen Möglichkeiten aber eher unbefriedigend, deshalb haben die nicht-pharmakologischen Optionen auch einen so hohen Stellenwert. Bei diesen ist wiederum gut belegt, wie effektiv und wirksam sie sind, wenn sie konsequent gelebt werden. Und sie sind nahezu deckungsgleich mit den Präventionsmöglichkeiten eines Delirs.

Wie sehen diese Maßnahmen aus?

Der erste wichtige Punkt ist, dass ich alles zur Re-Orientierung biete, was möglich ist. Das heißt Brille auf, Hörgerät rein. Wird ein Patient in den OP gebracht, sollte er also sein Hörgerät tragen. Ist das aus irgendwelchen Gründen nicht möglich, muss sichergestellt sein, dass ihm dieses unmittelbar nach der Operation im Aufwachraum zur Verfügung gestellt wird. Der nächste Punkt ist, Ängste zu nehmen. Angst ist hochdelirogen, und dass diese Patienten Angst haben, ist sehr gut nachvollziehbar. Ein dritter wichtiger Punkt ist eine gute Tag-Nacht-Struktur.

Wie gelingt das im Krankenhaus?

Indem wir dafür sorgen, dass die Patienten körperlich erschöpft sein können. Sie müssen die Möglichkeit haben, überhaupt müde zu werden. Wenn man sich überlegt, was auf einer Normalstation tagsüber passiert, dann ist das manchmal erschütternd wenig. Der Patient hat morgens vielleicht noch Programm: Visite, Physiotherapie, Mittagessen. Und danach hält er dann einen Mittagsschlaf. Und wenn dann niemand zu Besuch kommt, ist es kein Wunder, wenn der Mittagsschlaf bis in den frühen Abend ausgedehnt wird. So jemand ist dann abends um zehn Uhr natürlich fit. Deshalb brauchen wir eine gute Tagesstruktur mit Aktivitätsphasen. Grundsätzlich machen Sie im Zweifel alles richtig, wenn Sie jeden Patienten so behandeln, als sei er delirgefährdet. Kein Patient hat negative Effekte zu befürchten, wenn Sie etwas machen, das ein Delir vermeidet.

Aktivierung kostet Zeit. Wie kann das bei der momentanen personellen Besetzung gelingen?

Ich weiß, dass die Pflegenden im Moment nicht mehr leisten können – einfach, weil sie zu wenige sind. Klinikträger sollten aber bedenken: Wenn wir diesen Patienten mehr Aktivität ermöglichen, dann vermeiden wir teure Komplikationen. Wenn wir die Krankenschwester sparen – mal ganz einfach formuliert – erkaufen wir uns auf der anderen Seite vielleicht eine teure Komplikation. Und wenn der Patient nur einen Tag länger im Krankenhaus verweilt als geplant, ist das mit Kosten für das Krankenhaus verbunden. Und das sollte man gegeneinander aufrechnen.

Sie selbst haben in Ihrer Klinik fünf Mitarbeiter eingestellt, die sich ausschließlich um Risikopatienten für ein Delir kümmern. Rechnet sich das?

Ja, bei uns werden seit mehr als 15 Jahren Risikopatienten vor, während und nach der OP durch ein Geriatrie-Team persönlich betreut und begleitet. Das Projekt wurde zunächst vom Bundesministerium für Gesundheit über zwei Jahre gefördert und ist seitdem in die Regelversorgung integriert. Die zusätzlichen Personalkosten rechnen sich über die reduzierten Komplikationen und die geringeren Verweildauern. Das Geriatrie-Team ist bei uns aus der Versorgung nicht wegzudenken.

Nicht alle Träger stellen aber mehr Pflegepersonal ein. Was können wir tun, um dennoch eine gute Delirvermeidung und -therapie sicherzustellen?

Wir können die Angehörigen mit ins Boot holen. Sie sind ein wertvoller Partner. Meine Empfehlung an die Angehörigen ist immer: Kommen Sie gegen halb fünf, bleiben Sie nicht neben dem Bett sitzen, aktivieren Sie den Patienten. Ein guter Besuch macht müde. Wichtig ist es, bei den Angehörigen ein Bewusstsein dafür zu wecken, dass diese Aktivierung am Nachmittag ein essentieller Baustein ist. Auch das Essen und Trinken spielt eine wichtige Rolle. Viele Patienten im Delir essen nicht so, wie wir uns das wünschen würden, aber auch das müssen wir erst einmal wahrnehmen. Wesentliche Elemente der Delirvermeidung und -behandlung sind also: eine gute Ernährung, ein guter Tag-Nacht-Rhythmus und Frühmobilisation. Der Patient muss raus aus dem Bett. Gerade im hypoaktiven Delir ist das ganz wichtig – häufig wünschen diese Patienten keine Aktivierung. Vonseiten der Physiotherapie heißt es dann zum Beispiel: „Der lässt sich hängen“, aber das gilt es zu überwinden. Nur so kann die notwendige körperliche Erschöpfung eintreten.

Sind Angehörige nicht sehr besorgt, wenn ihre Mutter oder ihr Vater plötzlich Symptome eine Verwirrung zeigt?

Natürlich. Ist ein Patient akut delirant, dann geht bei den Angehörigen oft ein Kopfkino los: Wie soll das bloß werden? Was passiert, wenn meine Mutter nicht zurück in ihre Wohnung kann? Was bedeutet das für mich? Und dann beobachten wir manchmal, dass ein Angehöriger am Bett sitzt und die ganze Zeit sagt: Du weißt doch, wo du hier bist. Du bist im Franziskus Hospital. Du weißt doch, wie spät es ist. Und du weißt doch, dass Mittwoch ist. Das ist sehr ungünstig, weil sie damit ihre Ängste auf den Patienten übertragen. Der fühlt dann, mit mir stimmt etwas nicht, und die Angst wird immer größer.

Was kann die Pflege hier leisten?

Hilfreich wäre es, wenn die Pflegenden so vertraut mit dem Thema Delir sind, dass sie die Angehörigen in dieser Phase begleiten und unterstützen können. Sie können erklären: „Ein Delir kommt häufig bei älteren Patienten im Krankenhaus vor. Wenn jetzt die richtigen Maßnahmen ergriffen werden, kann es komplett wieder verschwinden.“ Sie können vermitteln, wie wichtig es ist, dass die Angehörigen nun möglichst oft beim Patienten sind, speziell in den ersten Tagen nach der OP und an den Wochenenden, wenn die Pflege schlecht besetzt ist. Es geht nicht darum zu kommen und zu sehen, dass der Vater schläft. Es geht darum, ihn zu aktivieren, gegebenenfalls auch gegen seine schlechte Laune und sein unwirsches Abweisen. Was der Patient jetzt braucht, sind kontinuierlich vertraute Gesichter um sich.

Können vertraute Gegenstände helfen?

Ja, Angehörige können Fotos mitbringen. Und was zu Hause im Schlafzimmer am Bett steht, kann auch in der Klinik am Bett stehen – der gleiche Wecker, das gleiche Trinkglas, das gleiche Foto von der Ehefrau. Das alles hilft dem Patienten, um sich zu orientieren. Für solche Hinweise sind Angehörige meist sehr dankbar. Wenn es gleichzeitig gelingt zu vermitteln, die eigenen Ängste nicht auf den Patienten zu übertragen, dann kann man zusammen mit den Angehörigen eine Menge erreichen.

Wie kann es gelingen, eine besseres Bewusstsein für die Wichtigkeit des Themas zu schaffen?

Dieses Bewusstsein müssen beide Berufsgruppen entwickeln, am besten gemeinsam. Sie können als Unfallchirurg noch so toll eine belastungsstabile Frakturversorgung machen. Wenn der Patient dann am nächsten Tag mobilisiert werden soll, aber die Pflege ist zu schlecht besetzt und zieht nicht mit, dann nutzt das gar nichts. Umgekehrt kann ich als Pflegeperson noch so gut auf den Einsatz von Brille und Hörgerät achten – wenn der Arzt das falsche Neuroleptikum oder ein vermeidbares Schlafmittel verordnet, kann das trotzdem zur Verwirrung des Patienten führen. Das Thema Delir ist kein alleiniges Pflegethema. Es ist auch kein reines Arztthema. Es geht nur gemeinsam.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Dr. Gurlit.

Dr. Simone Gurlit ist Anästhesistin und Ärztliche Leitung der Abteilung für Perioperative Altersmedizin am St. Franziskus-Hospital in Münster. Gemeinsam mit dem Chefarzt der Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin, Prof. Michael Möllmann, hat sie schon vor etwa 15 Jahren das „Geriatrie Team“ eingeführt, bei dem Risikopatienten vor, während und nach der OP persönlich betreut und begleitet werden. Das preisgekrönte Projekt ist schon seit vielen Jahren in die Regelbetreuung übergegangen.

TIPP

Hospitationsprogramm
Praktische Anregungen zur besseren Versorgung und Verhinderung eines perioperativen Altersdelirs mit Dr. Simone Gurlit
20. und 21. November 2017
St. Franziskus-Hospital Münster
Anmeldung unter: stephanie.hock(at)sfh-muenster.de
Weitere Infos: www.sfh-muenster.de (unter: Neuigkeiten - Veranstaltungen)

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