• 13.07.2017
  • Forschung
Pilotstudie

Rosa Zeiten für Pflegehandschuhe?

Die Farbe des Pflegehandschuhs hat erkennbare Auswirkungen auf die Akzeptanz oder Ablehnung von Berührungen

Die Schwester Der Pfleger

Ausgabe 7/2017

Seite 90

Weiß, blau, rosa oder hautfarben – welche Farbe bevorzugen Heimbewohner, wenn Einmalhandschuhe genutzt werden? Diese Frage hat das Bayerische Institut für alters- und demenzsensible Architektur (BIfadA) untersucht – und kommt zu interessanten Ergebnissen. 

Jeder Intensivpatient erfährt laut Statistik innerhalb von 24 Stunden Hunderte von Berührungen durch die Hände von Pflegekräften und Ärzten. Ähnlich hoch fällt die Berührungsquote bei geschwächten älteren Patienten aus – vor allem bei jenen, die sich selbst nicht mehr waschen oder ernähren können.

Wie wirken Farben auf ältere Menschen?

Einmalhandschuhe zählen zum alltäglichen Equipment, besonders solche aus strapazierfähigem, antiallergischem Nitril-Kunststoff. Und die sind meistens … blau. „Wir haben uns alle längst an den Anblick von blauen Handschuhen im Krankenhaus oder in der Altenpflege gewöhnt“, sagt Dr. Birgit Dietz vom Bayerischen Institut für alters- und demenzsensible Architektur (BIfadA). „Dabei wird jedoch bei der Berührung mit Handschuhen oft gerade die Farbe Blau von Patienten innerlich abgelehnt“.

Die Bamberger Architektin gilt als Koryphäe auf dem Gebiet einer „heilenden Architektur“ in der Geriatrie. Ihr Spezialgebiet: Licht, Akustik und farbliche Orientierungshilfen für ältere Patienten mit Demenz oder kognitiven Einschränkungen. Gemeinsam mit dem von ihr geleiteten BIfadA-Team berät Dr. Birgit Dietz seit Jahren namhafte Kliniken im In- und Ausland – darunter sogar ein Hospital im chinesischen Wuhan.

Bei ihren Erkundungstouren im Krankenhaus nutzen die Bamberger Berater Erkenntnisse aus der Farbpsychologie ebenso wie ein profundes Wissen um die Farbwirkung bei älteren Menschen, die häufig unter einer nachlassenden Sehkraft leiden. Dabei machen die altersgerechten Farbkonzepte der Bamberger „Gesundheitsarchitektin“ Birgit Dietz nicht im Patientenzimmer oder auf den Fluren halt: „Grundsätzlich prüfen wir alle Dinge, mit denen Patienten im Krankenhaus in Berührung kommen, auf ihre optimalen psychologischen und physiologischen Farbeigenschaften“. Eben auch: die Farbe von Einmalhandschuhen. 

Neuer Leitfaden fördert altersgerechte und demenzsensible Gestaltung von Akutkrankenhäusern


Von Oktober 2015 bis April 2017 entwickelte das Bayerische Institut für alters- und demenzsensible Architektur (BIfadA) einen Leitfaden zur altersgerechten und demenzsensiblen Gestaltung von Akutkrankenhäusern. Gefördert wurde das Projekt durch die Robert Bosch-Stiftung und das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege, die Leitung hatte die Ingenium-Stiftung, Ingolstadt, inne. Denn neben ausreichendem, gut geschultem Personal und optimalen Organisationsstrukturen spielt die Architektur – und hier auch die farbliche Gestaltung der Räume und der Innenausstattung – eine immens wichtige Rolle bei der Versorgung älterer Patienten.

Die Berater des BIfadA versetzten sich dabei zunächst in die Rolle des Patienten, der sich in der – für ihn meist fremden – Umgebung zurechtfinden und wohlfühlen soll. Eine gezielte Farbgestaltung im Krankenhaus kann nach neuesten Erkenntnissen sogar zum Heilungsprozess beitragen. Wichtig zudem: Gesättigte Farben, vor allem im Warmtonbereich, verhelfen zur besseren Orientierung. So erleichtern zum Beispiel individuelle Farbflächen an Schränken die Ablage und Wiederauffindbarkeit persönlicher Gegenstände, der Weg zur Toilette wird durch eine Lichtführung auf den Fluren begleitet.

Der Leitfaden steht in Kürze im Internet als webbasiertes Tool unter www.akg-architekten.de/architekten/profile/118 zur Verfügung.


Transparent und Rosa bevorzugt

Um herauszufinden, ob und in welcher Weise deren Farben bei der Berührung von älteren Patienten eine Rolle spielen, startete das BIfadA eine Pilotstudie. 18 Bewohner einer Pflegeeinrichtung im Alter von 69 bis 98 Jahren nahmen teil. Bei acht Teilnehmern lag eine diagnostizierte Demenzerkrankung vor, fünf weitere hatten kognitive Einschränkungen, vor allem im Bereich des Erinnerungsvermögens.

Die Teilnehmer sollten von einer Pflegekraft mit Handschlag begrüßt, also an der Hand berührt werden. Bei jeder Begegnung wechselte die Farbe der dabei genutzten Pflegehandschuhe: mal Weiß, mal Rosa, mal Blau – oder schlicht transparent. Anschließend notierte die Pflegekraft zusammen mit einer BIfadA-Mitarbeiterin die Reaktionen der Teilnehmer nach drei Kriterien:

1. Zulassen der Berührung/positive Rückmeldung

2. Neutrale oder keine Reaktion

3. Ablehnung oder gar Abwehr.

„Unsere Studie hat gezeigt, dass die Farbe des Pflegehandschuhs erkennbare Auswirkungen auf die Akzeptanz oder Ablehnung von Berührungen hatte“, fasst Dr. Birgit Dietz die Ergebnisse zusammen. „Transparente und rosafarbene Handschuhe wurden dabei besonders positiv bewertet. Weiße Pflegehandschuhe riefen dagegen bei dreißig Prozent der Probanden Abwehr und Verweigerung hervor. Blaue Pflegehandschuhe stießen bei vierzig Prozent der Teilnehmer auf wenig Gegenliebe. Bewohner mit Demenz oder kognitiven Einschränkungen lehnten die blauen Pflegehandschuhe sogar mit mehrheitlich fast sechzig Prozent ab“.

Warum bestimmte Handschuhfarben derart deutliche Auswirkungen bereits beim ersten Händedruck zeigen, lässt sich nur vermuten. Weitere Studien könnten hier Aufschluss geben – und vielleicht auch Hersteller wie Einrichtungsträger zum Umdenken bewegen. Birgit Dietz: „Wenn man die Träger fragt, weshalb ausgerechnet Handschuhe in blauen Farbtönen häufiger eingekauft werden als andere, hört man: weil diese überwiegend preiswerter angeboten werden. Fragt man wiederum die Industrie, weshalb das so ist, lautet die Antwort: weil blaue Handschuhe so oft bestellt werden.“

Fazit: Einfache Mittel wie die Wahl der richtigen Farbe eines Pflegehandschuhs können dazu beitragen, Pflegesituationen für alte Menschen und Patienten mit Demenz angenehmer zu gestalten. Davon profitieren Senioren, da es ihnen leichter fällt, Berührungen zuzulassen. Andererseits müssen Mitarbeiter weniger Zeit und Energie aufwenden, um Berührungsschwellen abzubauen. Und noch eine Schlussfolgerung legen die bisherigen Tests nahe: Wer im täglichen Pflegeeinsatz – wann immer möglich – darauf verzichtet, die Einmalhandschuhe überzustreifen und seine Patienten ganz ohne „künstliche Haut“ berührt, macht sicherlich nichts verkehrt.

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