Gehen Kliniken mit Beschwerden von Patienten und Angehörigen konstruktiv um, können alle Beteiligten gewinnen. Das erfordert Fingerspitzengefühl, aber auch das Vertrauen aller, die in den Beschwerdeprozess eingebunden sind. Wir sprachen mit Sabine Gründlinger, Leitung des Zentralen Beschwerdemanagements am Klinikum der Universität München.
Frau Gründlinger, was ist die ungewöhnlichste Patientenbeschwerde, an die Sie sich erinnern?
Jede Beschwerde ist auf ihre Art sehr ungewöhnlich und individuell. Wir hatten beispielsweise einen Patienten, dessen Auto vor dem Krankenhaus abgeschleppt wurde. Er bat uns, die Gebühr von 360 Euro zu übernehmen – schließlich hätte er keinen Parkplatz gefunden (lacht). Und ich erinnere mich an eine alte Dame, die ihre Telefonkarte verloren hatte, auf der noch ein Guthaben von 50 Euro war. Über die Quittung ist es uns dann tatsächlich gelungen, die Nummer der Karte ausfindig zu machen und der alten Dame das Geld zu überweisen. Ihre Dankeskarte war überaus herzlich und steht noch heute auf dem Schreibtisch meines Mitarbeiters.
Sie haben also nicht ausschließlich mit Beschwerden zu tun?
Nein, wir kümmern uns um alles Mögliche, also auch um Verluste und andere Anliegen. Man könnte uns auch als die „Nummer für den Kummer“ bezeichnen.
Was sind denn typische Anliegen, mit denen Patienten und Angehörige zu Ihnen kommen?
Wir haben in unserem Klinikum 46 Kliniken und Institute, elf Pflegebereiche und über 10.000 Mitarbeiter. Das Spektrum an Beschwerden, das bei uns eingeht, ist entsprechend vielfältig. Es reicht vom fehlenden Kleiderhaken in der Besucher-Toilette, der unzureichenden Beschilderung auf dem Klinikgelände, dem schlechten Essen bis zur pflegerischen Betreuung oder der Einschätzung, dass der Vater oder die Ehefrau falsch behandelt wurde. Oft geht es dabei um die Beziehungsebene, also zum Beispiel, dass jemand als kurz angebunden oder unfreundlich erlebt wurde oder sich medizinisch nicht ausreichend aufgeklärt fühlt.
Mit vielen Beschwerden werden im Stationsalltag erst einmal die Pflegenden konfrontiert. Was empfehlen Sie ihnen, wie sie sich am besten verhalten, wenn unzufriedene Patienten oder Angehörige auf sie zukommen?
Das sind ganz einfache Maßnahmen: Bleiben Sie ruhig, klären Sie, um was es genau geht und fragen Sie zum Beispiel: „Was kann ich für Sie tun?“ Hilfreich ist auch, Verständnis für die Wut zu signalisieren. Sie können beispielsweise sagen: „Es tut mir leid, dass Sie so aufgebracht sind. Wollen wir uns hinsetzen und darüber sprechen?“ Ich hole gerne erst einmal eine Tasse Kaffee oder ein Glas Wasser und lasse den anderen in Ruhe erzählen. Oftmals geht es um Beziehungsklärung und Aufmerksamkeit, wenn Patienten sehr aufgebracht sind.
Man tendiert ja schnell dazu, sich zu rechtfertigen, wenn man eine Beschwerde als unberechtigt erlebt.
Ich würde dringend davon abraten, sich zu rechtfertigen. Viel wirksamer ist es, zuzuhören und Raum zu lassen. Und wenn keine Zeit da ist, können Sie einen Termin für später vereinbaren. Lediglich zu sagen „Tut mir leid, ich habe keine Zeit“ macht die Situation nur schlimmer. Besser ist: „Ich habe im Moment keine Zeit. Können Sie sich noch eine Stunde gedulden? Dann bin ich bei Ihnen.“ Das sollte man dann aber auch verbindlich einhalten.
Was ist, wenn Patienten drohen oder beleidigend werden?
Dann ist es wichtig, klare Grenzen zu ziehen. Reagieren Sie nicht auf Drohungen. Wenn jemand sehr aufgebracht ist, empfehlen wir den Mitarbeitern auf den Stationen: Schicken Sie den Betroffenen zu uns. Das Zentrale Beschwerdemanagement ist ja auch zur Deeskalation da. Wenn Menschen sehr aufgebracht sind, können Sie beleidigend werden oder auch Drohungen aussprechen, wie „So ein Saftladen! Damit gehe ich zur Presse!“
Was sagen Sie dann?
Ich sage zum Beispiel ganz ruhig: „Das bleibt Ihnen unbenommen. Ich kann Ihnen nur anbieten, dass wir jetzt gemeinsam nach einer Lösung suchen.“ Manchmal sage ich auch: „Bitte beruhigen Sie sich. So kommen wir nicht weiter. Ich würde mir wünschen, wir könnten in Ruhe reden.“ Es ist immer wichtig, ein anderes Tempo anzuschlagen als der Betroffene – wird er unflätig, seien Sie besonders höflich, wird er laut, bleiben Sie so ruhig und bedacht wie möglich.
Was ist, wenn der Betroffene mit einem Anwalt droht?
Auch dann sage ich: „Das ist Ihr gutes Recht“, und versuche dennoch weiter, die Angelegenheit in Ruhe zu klären. Habe ich das Gefühl, es ist bereits ein Anwalt eingeschaltet, frage ich direkt nach. Dann ist das nämlich nicht mehr ein Fall fürs Beschwerdemanagement, sondern für unsere Abteilung Recht und ich übergebe das an unsere Juristen.
Wie erfolgt die Zusammenarbeit zwischen den Stationen und dem Zentralen Beschwerdemanagement?
Wir arbeiten eng mit allen Abteilungen zusammen. Das Ziel ist ja, Beschwerden einvernehmlich und im besten Falle vor Ort zu klären. Ärzte und Pflegende sollen das Zentrale Beschwerdemanagement nicht als Inquisition, sondern als Unterstützung und Entlastung erleben. Erreichen uns Beschwerden noch während des Klinikaufenthalts, sprechen wir mit dem Stationsarzt oder der Stationsleitung, um den Sachverhalt zu klären. Die wiederum bemühen sich dann meist, in einem Gespräch mit dem Patienten die Wogen zu glätten und geben uns anschließend Rückmeldung. Stationsleitungen und -ärzte sind quasi die Beschwerdemanager vor Ort. Hier ist eine gute Kommunikationsebene gefragt. Patienten nehmen eine schroffe Zurückweisung sehr übel. Dies trägt meist dazu bei, dass die Beschwerde an die nächsthöhere Ebene herangetragen wird.
Was passiert, wenn sich Patienten erst nach ihrem Aufenthalt bei Ihnen beschweren?
Das ist auch sehr typisch. Der Patient ärgert sich, macht seinem Unmut aber erst Luft, wenn er zu Hause ist. Wenn er uns anschreibt, geben wir freundlich Rückmeldung und bedanken uns für den Hinweis und sagen, dass wir diesem nachgehen werden. Und das machen wir dann auch. Kommt jemand persönlich zu uns, nehmen wir ebenfalls die Beschwerde entgegen. In diesem Fall klären wir auch direkt, welche Aufgaben wir übernehmen. Patienten denken ja oft, das Zentrale Beschwerdemanagement sei eine Stelle, die disziplinarisch durchgreifen könne. So ist es natürlich nicht, damit würden wir bei weitem unsere Kompetenzen überschreiten. Wir sind eine unparteiische Instanz, die zwischen dem Beschwerdeführer und der Klinik vermittelt.
Wie schnell reagieren Sie auf Beschwerden?
Gehen schriftliche Beschwerden bei uns ein, senden wir spätestens am zweiten Tag einen Zwischenbescheid. Innerhalb von 14 Tagen antworten wir dann ausführlich. Wir möchten den Patienten ja als Vertrauenspartner halten.
Wie viele unzufriedene Patienten beschweren sich tatsächlich?
Man geht davon aus, dass sich einer von 27 unzufriedenen Patienten beschwert. Die anderen 26 tragen ihre Unzufriedenheit aber natürlich trotzdem weiter und erzählen es Nachbarn, Freunden und anderen Personen. Und auch die erzählen es weiter. Das ist also eine gefährliche Kaskade, die da in Gang gesetzt werden kann.
Gibt es in jedem Klinikum ein Zentrales Beschwerdemanagement?
Die Etablierung eines Beschwerdemanagements ist gesetzlich gemäß § 135a SGB V Abs. 2 Satz 2 im Rahmen der Qualitätssicherung vorgeschrieben. Alle Universitätskliniken sind hier nach meiner Recherche gut aufgestellt und haben zwei oder drei Mitarbeiter, die ausschließlich für diese Aufgabe zuständig sind. Einige haben ihr Beschwerdemanagement sogar zertifiziert.
Werden die Meldungen auch für das Qualitätsmanagement genutzt?
Ja, alle eingehenden Beschwerden gehen in unser Qualitätsmanagement ein. Auf der Basis dieser Daten kann die Qualität der Versorgung verbessert und können Prozesse neu überdacht werden. Treten in einer Abteilung gehäuft Beschwerden auf, kann es notwendig sein, genauer hinzuschauen und im Rahmen des Projektmanagements tätig zu werden. Das kann zum Beispiel der Fall sein, wenn in einem Bereich wiederholt lange Wartezeiten auftreten. Deshalb sind wir für Rückmeldungen immer dankbar und nehmen jede Beschwerde ernst. Ziel ist ja, dass der Patient die bestmögliche Behandlung, Pflege und Serviceleistung erhält. Es heißt zu Recht: Beschwerden sind ein Geschenk. Im Moment arbeiten wir auch an einer digitalen Lösung, die die Bereiche Risikomanagement, Qualitätsmanagement und Beschwerdemanagement zusammenführt.
Wie wird geprüft, ob die Beschwerden berechtigt ist? Es gibt ja immer zwei Seiten.
Wir bitten die betroffene Abteilungsleitung um eine Stellungnahme und sprechen, wenn erforderlich, auch persönlich mit ihr. Mit diesen Informationen können wir dem Beschwerdeführer dann eine Rückmeldung geben. Wir entschuldigen uns – ohne uns dabei anzuklagen –, informieren, wie die Situation nachweislich gewesen ist oder sagen in anderen Fällen, dass wir ernste Gespräche geführt haben. Das hängt dann immer vom konkreten Fall ab. Wichtig ist, dass beide Seiten gehört und eingebunden werden. Das Ziel ist, die Situation im Einvernehmen zu klären, ohne dass jemand brüskiert wird oder sein Gesicht verliert – es sei denn, es liegt ein schweres Fehlverhalten vor.
Was machen Sie, wenn es sich um eine reine Unmutsäußerung handelt?
Auch dann gehen wir auf jede Frage und jede Beschwerde ein – das schulden wir dem Patienten. Oberstes Gebot ist dabei natürlich immer, den Datenschutz zu wahren. Beschwert sich beispielsweise eine Tochter über die Behandlung ihrer Mutter, ist die Identität der Beschwerdeführerin zu klären – das kann bis zur Kopie des Personalausweises gehen. Und es muss natürlich geklärt werden: Ist die Patientin damit einverstanden? Oft geht es ja um sehr sensible medizinische Daten. Bei Anfragen von Dritten ist deshalb grundsätzlich die Übersendung einer Schweigepflichtsentbindungserklärung erforderlich.
Sie beschäftigen sich als Leiterin der Vorstandsstabsstelle Zentrales Beschwerdemanagement jeden Tag mit Beschwerden. Das klingt nach einer ziemlich frustrierenden Angelegenheit. Gibt es schöne Momente?
Ja, natürlich. Ich freue mich über jedes Gespräch, das zu einem freundlichen Abschluss führt, in dem man sich mit einem Dank und einem Lächeln voneinander verabschiedet. Ich bin immer wieder froh über die gute Kooperation mit den Abteilungen bei uns im Haus. Beschwerden sind immer ein Beziehungsgewinn und eine Klärung gelingt nur, wenn alle Beteiligten sich einbringen. Das geht nur gemeinsam.