Pflegefachpersonen sind für Menschen, die an depressiven Erkrankungen leiden, wichtige Ansprech- und Gesprächspartner. Doch oft erweist sich der Kontakt mit den Betroffenen als mühsam und perspektivlos. Der folgende Beitrag gibt Tipps, wie eine zielführende Kommunikation gelingen kann.
Depressive Erkrankungen gehören zu den bedeutendsten Krankheitsbildern unserer Zeit: Sie betreffen in ihren unterschiedlichen Ausprägungsformen bis zu 20 Prozent der Bevölkerung und verursachen neben großem Leid jährliche Kosten von 21 Milliarden Euro. Depressionen werden im Jahr 2030 in den Industrienationen laut einer Prognose der Weltgesundheitsorganisation bereits die häufigste Krankheit sein. Sie sind die Hauptursache für Arbeitsunfähigkeit und Frühverrentung in Deutschland.
In den vergangenen Jahren ist außerdem klar geworden, dass die Depression als chronische Stressfolgeerkrankung ein Risikofaktor für das Auftreten anderer schwerwiegender Erkrankungen wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Osteoporose, Demenz und Diabetes ist. Aber nicht nur aus diesem Grund ist eine Depression lebensgefährlich: Täglich nehmen sich in Deutschland 30 bis 40 Menschen im Rahmen einer depressiven Erkrankung das Leben (vgl. Keck 2016).
In den vergangenen Jahren haben sich viele Prominente öffentlich zu diesem Leiden bekannt. Seitdem wird in unserer Gesellschaft graduell offener über die Erkrankung gesprochen, dennoch besteht unverändert die Gefahr der Stigmatisierung. Einen traurigen Höhepunkt nahm die öffentliche Debatte im März 2015, als ein Pilot der Fluggesellschaft „Germanwings" sich und alle Passagiere willentlich in den Tod stürzte. Er litt offensichtlich in einer früheren Lebensphase an Depressionen. Dies konnte nach Einschätzung von Experten jedoch nicht der entscheidende Grund für das grauenhafte Ereignis sein. Dennoch schlussfolgerte die breite Öffentlichkeit schnell, dass Menschen mit Depressionen gefährlich sind. Eine solche Behauptung ist wissenschaftlich nicht haltbar.
Keine „normale" Traurigkeit
Unter einer Depression versteht man grundsätzlich eine affektive Störung, die mit einer starken Veränderung der Stimmung einhergeht. Von „normaler" Traurigkeit unterscheiden sich Depressionen dadurch, dass sie das Empfinden, Erleben und Verhalten eines Menschen völlig verändern können. Davon ist auch seine Selbstwahrnehmung betroffen, ebenso wie die Art, mit anderen zu interagieren (vgl. Matolycz 2016, S. 260). Weitere typische Symptome können sein:
- Störungen des Denkens: negative Selbstwahrnehmung, etwa Gefühle der Schuld oder der „Wertlosigkeit", des „Überflüssigseins" bis hin zur Wahnbildung,
- gestörte Konzentrations- beziehungsweise Merkfähigkeit: Es kann zum „Grübelzwang" kommen, bei dem nur wenige, meist ängstigende oder bedrückende Themen im Zentrum der Gedanken des Betroffenen stehen,
- das Gefühl des Sinnverlusts – bis hin zu Suizidgedanken oder Suizid – und andere Begleiterscheinungen wie Schlafstörungen, Ängste oder Veränderungen des Appetits,
- verschiedene körperliche Symptome.
Eine Depression ist stets multikausal bedingt, das heißt, sie hat mehrere Ursachen. Nach dem bio-psycho-sozialen Modell können dabei biologische, psychologische oder soziale Aspekte eine Rolle spielen. Zu den biologischen Ursachen gehören beispielsweise eine familiäre Belastung mit der Erkrankung, aber auch genetische Risikofaktoren des Stoffwechsels sowie ein Ungleichgewicht im Neurotransmitterhaushalt oder der Stresshormonregulation. Zu psychologischen Ursachen zählen erlernte dysfunktionale Stressbewältigungsstrategien sowie nicht erlernte funktionale Strategien, zu den sozialen Ursachen belastende oder traumatische Ereignisse im sozialen Umfeld oder auch Belastungen aus der sozioökonomischen Zugehörigkeit.
Ebenso vielgestaltig sind die Erscheinungsformen. Bei einigen Betroffenen können beispielsweise die typischen depressiven Symptome mit Traurigkeit, Freud- und Antriebslosigkeit im Vordergrund stehen, bei anderen sind eher Anspannung und Gereiztheit zu beobachten. Auch die Verlaufsformen sind sehr unterschiedlich, von ein oder mehreren begrenzten Episoden bis zu andauernd, chronisch vorhandenen Symptomen. Dementsprechend kann nicht von „der" Depression gesprochen werden, es sind unterschiedliche Formen in der Entstehung und im Erscheinungsbild zu beachten. Diese Berücksichtigung muss sowohl in der Diagnostik als auch in der Behandlung stattfinden (vgl. Keck et al. 2016).
Pflegende als zentrales Gegenüber
Pflegende und andere Gesundheitsberufe sind mit Betroffenen in allen Versorgungsbereichen und Lebensaltern konfrontiert. Sie begegnen depressiv Erkrankten auf den (Akut-) Stationen der psychiatrischen Krankenhäuser ebenso wie in Kliniken, wo somatische Probleme im Vordergrund stehen. Zudem gibt es mehr oder minder schwere depressive Reaktionen auf besondere Verschlechterungen des Gesundheitszustandes, zum Beispiel bei Krebs. Die Pflege ist für den Patienten im stationären Kontext eine stabile Größe. Ein Tag ohne Arzt oder Psychologe kann durchaus kompensiert werden. Dies funktioniert nur, da die Konstanz durch den Pflegedienst gewährleistet ist (vgl. Löhr/Schulz 2016).
Pflegende sind im Umgang mit depressiven Menschen gleich mehrfach gefordert. Sie sind diejenigen, die klar unterscheiden müssen, wenn sie Patienten mit depressiver Symptomatik erkennen: „Handelt es sich um einen ‚normalen‘ Trauerprozess im Rahmen einer Erkrankung, oder ist es eine Depression, die der Behandlung bedarf? Kann die Trauer im Rahmen der pflegerischen Begleitung aufgefangen werden oder sind Fachexperten wie Psychiater oder Psychologen hinzuziehen? Natürlich sind die Pflegenden nicht diejenigen, die die Diagnose stellen. Sie sind aber diejenigen, die durch ihre Nähe zu den Patienten hinweisende Symptome frühzeitig erkennen und Kollegen und andere Professionelle darauf aufmerksam machen können. Zudem werden sie aufgrund ihres Tätigkeitsfeldes, das sehr stark im High Touch-Bereich liegt, von Patientinnen und Patienten schnell ins Vertrauen gezogen" (Teigeler 2016, S. 223).
Die Interaktion, also das In-Beziehung-Treten mit von Depression Betroffenen, wird von professionellen Helfern dabei oft als sehr fordernd und schwierig wahrgenommen. Sie zählt zu den schwierigsten Aufgaben von Pflege und Betreuung. „Wäre es nicht schön, wenn ein Gespräch neue Perspektiven eröffnen und Hoffnung für einen depressiv erkrankten Menschen wecken könnte? Wer mit Depression zu tun hat, kennt diese Fragen nur zu gut. Hinter all diesen Wünschen steckt das Bedürfnis nach Veränderung. Solche Gedanken beschäftigen professionelle Experten in helfenden Berufen gleichermaßen wie Angehörige. Auch depressive Menschen hoffen selbst auf eine derartige Besserung und kennen solche Wünsche. Im Alltag begegnen sie ihnen auch in Form von Erwartungen und Forderungen, die andere an sie richten, und erhöhen dadurch ihre Last zusätzlich. Helfende hingegen machen entgegen ihrer Hoffnungen, einen depressiven Menschen unterstützen zu können, häufig die gegenteilige Erfahrung: Konversationsversuche prallen ab, Interaktionen erweisen sich als mühsam und perspektivlos und Hilfe- und Unterstützungsversuche scheitern. Enttäuschung und Abwendung auf beiden Seiten ist die Folge. Denn etwas Wesentliches ist Menschen in einer Depression verloren gegangen: der innere Antrieb, die Motivation. Scheinbar ausweglose Passivität und ein Verharren in Hoffnungslosigkeit, sie sind Teil der Erkrankung. Wollen und nicht können, genau das kennzeichnet eine Depression im Kern." So beschreibt es treffend die Theologin Annette Haußmann (2016, S. 267) und sieht in den Prinzipien der „Motivierenden Gesprächsführung" (Rollnick/Miller/Butler, 2012) einen Weg, mit unter Depressionen leidenden Menschen zielführend zu kommunizieren.
Tipps für die Gesprächsführung
Wer im Gespräch Entscheidungsspielräume schaffen will, sollte einen geleitenden Kommunikationsstil gegenüber einem direktiven oder folgenden Stil bevorzugen. Zwischen einem direkten Ratschlag (direktiv) oder unterstützendem Verständnis (folgend) wird gewissermaßen der Mittelweg gesucht, der sich etwa so beschreiben lässt und die Vorteile der beiden anderen Stile vereint. Konkret bedeutet dies für ein Gespräch:
- Stellen Sie offene Fragen: „Wie soll es weitergehen?" „Was könnte Ihnen jetzt helfen?"
- Hören Sie aktiv zu: „Ich möchte gern mehr darüber wissen."
- Fassen Sie zusammen: „Ich habe Sie so verstanden, dass …"
- Bieten Sie Optionen an: „Möchten Sie etwas über mögliche Veränderungen erfahren?"
- Informieren Sie, seien Sie transparent: „Wir versuchen nun gemeinsam, das Für und Wider einer Veränderung auszuloten" (vgl. Haußmann 2016, S. 273).
In Bezug auf die Grundhaltung gibt es ebenso hilfreiche Empfehlungen für einen Dialog mit dem erkrankten Gegenüber:
- Verlangen Sie nicht zu viel von sich und Ihrem Gesprächspartner. Veränderung ist ein Prozess.
- Hören Sie auf Ihre eigenen Gefühle und Gedanken in der Kommunikation und danach.
- Achten Sie Ihre eigenen gesundheitlichen und kommunikativen Grenzen.
- Laden Sie sich nicht zu viel Verantwortung für das Wohl des anderen auf, achten Sie seine Selbstbestimmung.
- Nehmen Sie die Probleme der Betroffenen nicht mit nach Hause, sondern wahren Sie innere Distanz. Supervision kann eine Hilfe sein, im geschützten Rahmen über schwierige Gespräche und Interaktionen zu sprechen.
- Verweisen Sie auf weitere Hilfemöglichkeiten, Beratungsstellen und Therapie. Identifizieren Sie weitere Ressourcen, die dem Betroffenen helfen können. Das setzt voraus, dass Sie entsprechende Anlaufstellen und Unterstützungsangebote kennen.
Für Christian Müller-Hergl vom Department für Pflegewissenschaft an der Universität Witten/Herdecke gilt im Kontakt mit Menschen, die von Depressionen betroffen sind, eine Minimalbedingung: „Du darfst die Affekte deines Gegenübers nicht übernehmen" (2014, o. S.). Distanz bedeutet in diesem Fall für den Experten, „dass Pflegende sich in der Beziehungsarbeit beobachten und darauf achten, nicht in den depressiven Sog zu geraten. Denn das Schlimmste, was einem depressiven Menschen passieren kann, ist ein depressives Gegenüber, das ihn oder sie in der selbstbezogenen Negativität und der depressiven Prophezeiung bestärkt."
Pflegende sollten im Kontakt eine Balance zwischen Autonomie und Anerkennung anbieten. Sie fordern von der Person und trauen ihr damit zugleich etwas zu. Es kommt dabei darauf an, „den indirekten depressiogenen Angeboten in der Beziehung standzuhalten, zum Beispiel der Vorstellung, dass ja nichts helfen kann, insbesondere der Pflegende nicht."
Eine Depression ist folglich weitaus mehr als Übellaunigkeit! Wer an ihr erkrankt, leidet anhaltend und umfassend. Pflegende sind in diesem Kontext wichtige zentrale Ansprech- und Gesprächspartner. Nicht nur in der Psychiatrie, wo Sprache als ein entscheidendes Mittel/Instrument der Behandlung gilt, sollte die Hilfs- und Unterstützungsbedürftigkeit der Betroffenen erkannt und nicht ignoriert werden. Ein treffendes Wort, ein passender Satz – mitunter sind es die kleinen Gesten, die Brücken bauenden Interventionen, die den Augenblick heilen können. Diese Chance sollte nicht vertan werden!
Hax-Schoppenhorst, T.; Jünger, S. (2016). Das Depressions-Buch für Pflege- und Gesundheitsberufe. Menschen mit Depressionen gekonnt pflegen und behandeln. Bern: Hogrefe (Hinweis: Die erwähnten/zitierten Beiträge von Haußmann, Keck/Keck et al., Löhr/Schulz, Matolycz und Teigeler sind Bestandteil dieses Herausgeberbandes)
Müller-Hergl, C. (2014). Depression und Pflege: Bewegungen zwischen Nähe und Distanz. Download: http://dzd.blog.uni-wh.de/depression-und-pflege-bewegungen-zwischen-nahe-und-distanz/
Rollnick, S.; Miller, W. R.; Butler, C. C. (2012). Motivierende Gesprächsführung in den Heilberufen. Core-Skills für Helfer. Lichtenau: Probst Verlag