Stationsleitungen haben im Krankenhaus eine Schlüsselrolle. Sie müssen deshalb gezielt ausgewählt und kontinuierlich begleitet werden, meint Joachim Prölß, Direktor für Patienten- und Pflegemanagement am Universitätsklinikum Eppendorf. Das UKE setzt hierbei auf ein selbst entwickeltes Konzept zur Führungskräfteentwicklung.
Herr Prölß, Sie haben einmal gesagt: „Wer erfolgreich führen will, muss ein Menschenfreund sein." Was meinen Sie damit genau?
Führungskräfte sollten in der Lage sein und auch Freude daran haben, eine Beziehung zu ihren Mitarbeitern aufzubauen. Sie sollten Menschen gerne haben und ein positives Menschenbild mitbringen. Die Wissenschaft spricht hier auch von der XY-Theorie. Die Theorien X und Y sind dabei Führungsphilosophien, die zwei völlig unterschiedliche Menschenbilder repräsentieren. Eine X-Führungskraft geht davon aus, dass der Mitarbeiter grundsätzlich wenig motiviert ist und Sanktionen und Belohnungen braucht, um seine Aufgaben zu erledigen. Der Y-Typ wiederum glaubt, dass der Mitarbeiter von sich aus motiviert ist und einen großen Gestaltungsspielraum braucht. Ich bin mir sicher: Eine Führungskraft wird mehr Erfolg haben, wenn sie an das Gute im Menschen glaubt und ein positives Menschenbild mitbringt.
Kann ich denn bei allen Mitarbeitern die gleiche Motivation voraussetzen?
Nein, wohl eher nicht. Manche Menschen brauchen einen möglichst großen Spielraum. Andere wiederum benötigen Hilfestellung in Form von klaren Vorgaben, um sich gut entwickeln zu können. Ich halte deshalb den situativ-kooperativen Führungsstil für den geeignetsten, das heißt, dass sich das Führungsverhalten individuell am Mitarbeiter und der Situation orientiert.
Wählen Sie entsprechend dieser Philosophie auch Ihre Führungskräfte aus?
Auf jeden Fall. Wir suchen gezielt Menschen, bei denen wir bereits gute Anlagen für Führungskompetenzen sehen, speziell im Bereich der sozialen und kommunikativen Kompetenzen. Das Ziel ist, frühzeitig Talente zu entdecken und diese zu fördern.
Wie gehen Sie vor, um Führungstalente zu finden?
Wir haben ein Instrument entwickelt, eine sogenannte Potenzialanalyse. Das ist kein Bewerbungsverfahren, sondern eher eine Art Assessment, bei dem wir spezielle Kompetenzen und Eigenschaften erkennen wollen. Dazu sprechen wir gezielt Mitarbeiter an, bei denen wir Potenziale sehen. Manchmal kommen aber auch Mitarbeiter von sich aus auf uns zu und möchten sich einschätzen lassen. Mittlerweile arbeiten wir mit diesem Instrument schon seit drei Jahren und haben mehr als 100 Potenzialanalysen durchgeführt.
Mit Erfolg?
Ja, viele Kandidaten haben wir zu Führungskräften weiterentwickeln können. Es gab aber auch Pflegende, die teilweise schon als stellvertretende Stationsleitungen tätig waren, bei denen deutlich wurde: Die möchten gar keine Leitungsfunktion übernehmen, sondern sich viel lieber fachlich weiterentwickeln. Auch das ist für alle Beteiligten eine wichtige Erkenntnis.
Können Sie mit diesem Verfahren alle pflegerischen Leitungspositionen am UKE besetzen?
Im Moment haben wir unheimlich guten und motivierten Führungsnachwuchs – das macht viel Spaß. 90 Prozent aller Leitungsfunktionen können wir aus den eigenen Reihen besetzen, die restlichen decken wir mit externen Bewerbern ab. Unser Ziel ist aber, eigenen Führungsnachwuchs zu generieren, auch vor dem Hintergrund, dass wir unseren Mitarbeitern gute Weiterentwicklungsoptionen bieten möchten.
Viele Kliniken haben im Moment Probleme, guten Führungsnachwuchs zu finden. Wie lässt sich das aus Ihrer Sicht erklären?
Das kann zum einen demografisch bedingt sein: Der Generation Y sagt man ja gerne nach, dass sie nicht gerne Verantwortung übernehmen möchte, auch wenn ich das persönlich nicht bestätigen kann. Dann spielen sicherlich auch die Rahmenbedingungen eine Rolle. Junge Führungskräfte brauchen eine enge Begleitung durch ihre Vorgesetzten, bei uns am UKE sind das die Zentrumsleitungen. Nur dann können sie sich weiterentwickeln. Sie brauchen Vorbilder und müssen selbst eine gute Führung erleben. Und darüber hinaus ist die Vergütung sicherlich ein Thema. Gute Führung muss auch gut honoriert werden.
Der Druck für die Stationsleitungen erscheint derzeit sehr groß – und das alles für nur wenig mehr Gehalt. Wie können diese Positionen besser honoriert werden?
Der Tarifvertrag bietet unterschiedliche Spielräume. Es können beispielsweise Altersstufen vorweggenommen werden, aber es können auch individuelle Zulagen gegeben werden, um besonders gute Mitarbeiter zu binden. Vieles ist möglich, aber vieles wird auch nicht gemacht. In der neuen Entgeltordnung, die im öffentlichen Dienst künftig gilt, sind die Leitungspositionen besser abgebildet. Das ist gut so – Geld ist zwar nicht alles, verweist aber auf die Wertschätzung, die mit einer Position einhergeht.
Kommen Mitarbeiter auch direkt zu Ihnen, um über Ihr Gehalt zu verhandeln?
Ja, leider (lacht). Es kommen sowohl Führungskräfte als auch Gesundheits- und Krankenpfleger zu mir. Allerdings kann ich beim Thema Gehalt natürlich nicht nach Gutsherrenart entscheiden, sondern muss mich an den tariflichen und betrieblichen Rahmenbedingungen orientieren. Bei Personen, die besondere Fähigkeiten mitbringen, setzen wir uns dann in der Regel zusammen und erarbeiten eine Lösung, die dem Mitarbeiter genügend Mehrwert bietet, um am UKE zu bleiben.
Ein typisches Problem scheint für Stationsleitungen auch die Schwierigkeit der mangelnden Abgrenzung zu sein. Viele berichten, dass sie – aufgrund der Nähe zu den Kollegen – sehr oft mit persönlichen Problemen oder Konflikten konfrontiert werden. Wie können Stationsleitungen mit dieser Situation umgehen?
Das ist oft eine Gratwanderung. Einerseits möchten wir natürlich, dass die Leitungspersonen den Pflegenden als Ansprechpartner zur Verfügung stehen und dass eine vertrauensvolle Beziehung zwischen ihnen herrscht. Andrerseits müssen die Leitungskräfte aber auch lernen, sich abzugrenzen, um nicht in eine völlige Überforderungssituation zu geraten. Für diesen Spagat habe ich leider kein Rezept. Wir thematisieren aber das Nähe-Distanz-Problem in unseren Managementkursen, um den Leitungskräften zu zeigen: Wie kann ich Grenzen ziehen? Wie gelingt es, sich nicht vereinnahmen zu lassen? Wie kann ich den Mitarbeitern meine Erwartungshaltung vermitteln? Wir versuchen also, unsere Führungskräfte bei dieser Gratwanderung zu unterstützen.
Und es sind ja nicht nur die Mitarbeiter, die mit ihren Erwartungen an die Stationsleitungen herantreten.
Genau, es sind die Patienten, die Angehörigen, die Ärzte und viele andere. Stationsleitungen befinden sich in einer typischen Sandwich-Position zwischen den Erwartungen der Mitarbeiter und den Zielen des Arbeitgebers. Das ist nicht einfach. Dabei ist die Position der Stationsleitung der entscheidende Erfolgsfaktor im Krankenhaus. Sie ist die-jenige, die das Klima einer Station prägt, die die Patientenorientierung vorantreibt und die Mitarbeiter bei Veränderungsprozessen mitnimmt. Deshalb müssen sich die Personalverantwortlichen gut um diese zentralen Stationsleitungen kümmern und ihnen Respekt, Anerkennung und Begleitung zukommen lassen.
Wie setzen Sie das am UKE um?
Zunächst versuchen wir, mithilfe der beschriebenen Potenzialanalyse geeignete Mitarbeiter für Führungsaufgaben zu finden. Die Kandidaten, die dabei positiv getestet wurden, nehmen dann an einem strukturierten Auswahlverfahren teil.
Wie sieht dieser aus?
Hier müssen die Kandidaten beispielsweise eine Präsentation halten, einen Fragenkatalog beantworten und in einem Rollenspiel eine herausfordernde Führungssituation meistern. Dieses Auswahlverfahren funktioniert mit einer hohen Treff-sicherheit. Danach qualifizieren wir diese Mitarbeiter in einem eigenen einjährigen Managementkurs am UKE. Dieser ist zugeschnitten auf Führungskräfte, hier werden Pflegende, Hebammen, MTA und OTA berufsübergreifend qualifiziert. Dieser Kurs erfolgt berufsbegleitend und umfasst sehr viele praktische Trainingsanteile, zum Beispiel zur Gesprächsführung oder zum Konfliktmanagement.
Arbeiten die Kandidaten während des Kurses schon als Führungskräfte?
Das kommt darauf an. Meine Wunschkandidatin für den Managementkurs hat mindestens zwei Jahre Berufserfahrung, das Auswahlverfahren erfolgreich absolviert und bereits eine stellvertretende Leitungsfunktion übernommen, bestenfalls mit einer erfahrenen Leitung im Tandem. So klassisch ist das in der Praxis natürlich selten. Wichtig ist aus meiner Sicht aber ein langsames Hineinwachsen in die Führungsrolle unter guter Begleitung einer erfahrenen Führungskraft. Ähnlich wie das auch in der Luftfahrt mit dem Piloten und dem Co-Piloten erfolgt. Entscheidend ist der Anfang, also die gezielte Auswahl der Leitungsperson. Hier darf man keine Kompromisse eingehen, sonst zahlt man am Ende drauf.
Gelingt Ihnen das?
Ja, im Moment müssen wir keine Kompromisse eingehen. Und interessant ist: Oft hat sich bei der Auswahl der Führungskräfte mein erstes Bauchgefühl bestätigt. Dennoch sind strukturierte Verfahren in diesem Bereich natürlich immens wichtig. Die Potenzialanalyse hat unsere Akademie selbst entwickelt und diese wird auch kontinuierlich verfeinert. Das ist eine wichtige Hilfestellung für uns.
Wie stellen Sie eine ausreichende Begleitung der Nachwuchsführungskräfte sicher?
Der klassische Weg ist, dass die Kandidaten mit Potenzial zunächst eine stellvertretende Stationsleitung übernehmen. Sie haben dann in der Stationsleitung einen erfahrenen Mentor zur Seite. Der jeweilige Vorgesetzte ist immer für die Ebene unter sich zuständig und steht als Mentor und Ansprechpartner zur Verfügung. Zwischen diesen gibt es dann regelmäßig Jour-fixe-Treffen und Mitarbeiter-Gespräche. Zudem bieten wir gezielt ein Coaching an, wenn wir Unterstützungsbedarf sehen, zum Beispiel bei komplexen Veränderungsprozessen. Einige unserer Führungskräfte nehmen auch am Mentoring-Programm der B. Braun-Stiftung teil, anderen ermöglichen wir Hospitationen, um sie gezielt für einen bestimmten Aufgabenbereich zu fördern. Eine Kollegin geht zum Beispiel in Kürze für eine Woche in die USA, um sich ein Magnethospital anzuschauen. Besonders qualifizierten Führungskräften ermöglichen wir auch ein Masterstudium, das wir zeitlich und/oder finanziell fördern. Im Moment sind das über 20 Mitarbeiter, die wir bei ihrem Studium unterstützen.
Wie schätzen Sie die Situation ein: Gehen uns die Führungskräfte in der Pflege aus, wenn wir sie nicht besser pflegen?
Ja, natürlich. Wir müssen unsere Führungskräfte gut behandeln. Wir müssen sie begleiten und unterstützen, dann werden wir auch in der Generation Y genügend Menschen finden, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen und Lust haben, Dinge voranzutreiben. Wichtig ist gerade zu Beginn, dass die Nachwuchsführungskräfte lernen, mit ihrer neuen Rolle klarzukommen. Am Anfang haben alle ein Rollenproblem, da sie plötzlich von der Kollegin zur Vorgesetzten werden. Mit diesem Rollenwechsel müssen sie sich auseinandersetzen, und wir müssen sie dabei unterstützen.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Prölß.

Joachim Prölß ist seit 2010 Direktor für Patienten- und Pflegemanagement und Mitglied des Vorstands des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE). Er ist Krankenpfleger, hat zwei Fachweiterbildungen – Intensivpflege und Anästhesie sowie zur Stationsleitung – und den Studiengang Pflegemanagement in Köln erfolgreich absolviert. 2008 schloss er sein postgraduales Studium in Gesundheits- und Sozialmanagement an der TU Kaiserslautern mit dem Master of Arts (M.A.) ab. Prölß wurde als Manager des Jahres 2015 ausgezeichnet, er ist bislang der erste Pflegemanager, der diese Auszeichnung erhielt.
Mail: j.proelss@uke.de