• 01.10.2016
  • Management
Pflegekammer Rheinland-Pfalz

„Wir stellen uns der Diskussion"

Die Schwester Der Pfleger

Ausgabe 10/2016

Seit Anfang des Jahres ist die erste deutsche Pflegekammer tätig. Doch die Unruhe unter den Mitgliedern ist groß. Die bisherigen Erfolge der Selbstverwaltung rücken darüber leider in den Hintergrund, meint Vizepräsidentin Sandra Postel. 

Frau Postel, wie ist die Stimmung in Rheinland-Pfalz?

Sehr gemischt. Positiv ist: Wir haben im ersten halben Jahr vieles von dem erreicht, was wir uns vorgenommen haben. Wir sind mittlerweile in vielen politischen Gremien mit Stimmrecht vertreten, die Pflege findet – zumindest in Rheinland-Pfalz – endlich mehr politisches Gehör. Dennoch bereitet uns die Stimmung unter den Mitgliedern derzeit Sorgen. Es hat sich eine Gegenbewegung entwickelt, der etwa 1 100 Pflegende angehören und die sich im Moment stark gegen die Pflegekammer und hier vor allem gegen die Pflichtmitgliedschaft positioniert. 

Aber dass diese kommen wird, war doch schon lange klar. Warum jetzt die Unruhe?

Viele Pflegende haben sich erst mit dem Thema auseinandergesetzt, als ihnen der Beitragsbescheid zugeschickt wurde. Das war im Frühjahr dieses Jahres. Seitdem hat die Kritik an der Institution Kammer noch einmal eine andere Dimension angenommen. Zwar gab es auch schon vorher einige Kammergegner, aber es gab auch immer viele Unterstützer. 

Wie zeigt sich der Protest?

Es gab im August eine Demonstration in Mainz, zudem hat sich eine Widerstandsbewegung auf Facebook formiert, und es kommen zahlreiche persönliche Anrufe und Beschwerden in der Geschäftsstelle an. Auch haben im Sommer fünf Pflegende aus Mainz eine Verfassungsbeschwerde gegen die „Zwangsmitgliedschaft" eingelegt. Diese Beschwerde wurde vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zwar sehr schnell abgewiesen, eine generelle Unzufriedenheit ist aber weiter spürbar.

Wie gehen Sie mit dieser Situation um?

Wir sind als Gesamtvorstand präsent und versuchen, uns der Diskussion mit den Kritikern zu stellen. Allerdings wird diese Diskussion teilweise sehr emotional geführt. Einige Vorwürfe sind auch einfach falsch, wie das Gerücht, dass der gesamte Vorstand mit einem Dienstwagen ausgestattet wurde. Also: Wir stellen uns der Kritik, führen viele persönliche Gespräche und versuchen herauszufinden, welche Fragen und Probleme sich hinter dem Protest verbergen.

Welches Motiv treibt die Kritiker an? 

Im Grunde erlebe ich zwei unterschiedliche Stränge in der Motivation. Die einen sind schon lange in der Pflege tätig, oft berufspolitisch oder gewerkschaftlich engagiert, zeigen eine hohe Identifikation mit ihrem Beruf und erleben die zunehmende Verschlechterung der Rahmenbedingungen für die Pflege. Diese Gruppe ist einfach skeptisch gegen die Grundidee: „Die Kammer wird es schon richten." Die andere Gruppe erinnert mich ein bisschen an das Phänomen der „Wutbürger". Diese Kollegen sind jung, sehr politikverdrossen, wenig interessiert am politischen Geschehen und wollen der Kammer keinen Vertrauensvorschuss geben. Diese Vertreter argumentieren meist provokativ, zum Beispiel: „Wenn ich heute allein in den Nachtdienst gehen muss, wird mir die Pflegekammer dann eine zweite Nachtwache stellen?" Denen fehlt es an Vertrauen, dass eine Kammer etwas an den Bedingungen in der Pflege ändern kann und daraus resultiert in der Konsequenz: „Dafür will ich dann auch nicht zahlen!"

Können Sie diese Positionen nachvollziehen?

Natürlich, die Skepsis gegenüber einer neuen politischen Institution, die mich Geld kostet und deren Erfolge noch nicht absehbar sind, ist aus meiner Sicht sehr nachvollziehbar. Aber was wäre denn die Alternative? Diese Frage diskutiere ich auch gerne und oft mit Kollegen. Nur – und das wird in allen Diskussionen bald klar – es gibt keine schnellen Lösungen. Es gibt nur diesen einen Weg, der langfristig angelegt ist und der über Selbstbestimmung sowie politische Mitbestimmung läuft. Anders funktioniert Gesundheitspolitik nun mal nicht. Viele trauen aber einfach den politischen Strukturen nicht. Und der unmittelbare Gewinn einer Pflegekammer ist für die Pflegenden zunächst auch gering. Da verlangen wir sehr viel von den Kollegen, das weiß ich. 

Sie investieren als Vizepräsidentin viel Zeit in die Pflegekammer. Trifft Sie diese Kritik persönlich?

Ich habe grundsätzlich nichts dagegen, zu diskutieren und sachliche Auseinandersetzungen zu führen. Im Gegenteil: Ich freue mich über jede kritische Pflegeperson, die sich mit ihren Argumenten einbringt. Was mich aber betroffen macht, ist, wenn beispielsweise Inhalte aus persönlichen Gesprächen auf Facebook falsch wiedergegeben werden. Oder wenn Vorwürfe erhoben werden, dass sich der Vorstand persönlich an der Pflegekammer bereichern würde. Das ist einfach falsch, und das trifft mich dann auch persönlich. Der komplette Vorstand und auch wir als Präsidenten übernehmen unsere Aufgaben im Ehrenamt und machen das sehr gerne. Es vergeht kein Tag, an dem wir uns nicht mit dem Thema Pflegekammer beschäftigen.

Wie behalten Sie Ihre Motivation bei so viel Gegenwind?

Wir haben ja zum Glück nicht nur das kritische Lager, sondern bekommen auch viel positives Feedback, zum Teil sogar von Pflegenden aus anderen Bundesländern. Das ist sehr bestärkend. Zudem sehe ich mittlerweile Erfolge, die man uns im Vorfeld nicht zugetraut hätte und die bundesweit einmalig sind. Wir haben beispielsweise ein unmittelbares Stimmrecht in der Landeskrankenhausplanung, wir sind in vielen politischen Gremien vertreten, sogar federführend im Landesgremium Demenz, und wir stehen im direkten Kontakt mit dem Gesundheitsministerium des Landes. In Rheinland-Pfalz gibt es auch erstmals ehrenamtlich tätige Berufsrichter aus der Pflege, Vertreter der Pflegekammer, die bei Gerichtsfällen, die die Pflege betreffen, zum Einsatz kommen. Bislang wurden Pflegefehler von Nicht-Pflegenden beurteilt. Diese Erfolge rücken bei der momentanen Unruhe leider etwas in den Hintergrund, aber sie bestärken mich, weiterzumachen. Und ich bin sehr froh über meine Familie, die hinter mir steht und mich unterstützt. Sonst funktioniert das nicht, wenn man so eine Aufgabe im Ehrenamt übernimmt.

Sie haben im vergangenen halben Jahr wichtige Aufbauarbeit geleistet. Was war die größte Herausforderung?

 Die größte Herausforderung war aus meiner Sicht, effiziente Verwaltungsabläufe zu etablieren und mit der Flut an Kontakten und Anfragen zurechtzukommen. Seitdem wir den Beitragsbescheid rausgeschickt haben, haben uns Tausende von Mitgliedern angerufen. Und die Mitarbeiter, die diese Anrufe entgegennehmen, müssen fachlich fit sein, denn viele rufen mit konkreten pflegerischen Fragen an.

 Mit welchen Anfragen und Sorgen haben sich die Mitglieder gemeldet?

Da gab es zum einen verwaltungsrelevante Fragen, wie: „Ich bin im Mutterschutz. Muss ich trotzdem zahlen?" Viele haben sich aber auch über den Beitragsbescheid beschwert, hier haben wir meist persönliche Gespräche geführt. Dann gab es viele Anrufe, in denen Pflegende sich über die schlechten Arbeitsbedingungen und die hohe Arbeitsbelastung beklagt haben. Oder es kamen Fragen zu rechtlichen Hintergründen, zum Beispiel zur Delegation: „Der Arzt will, dass ich die Trachealkanüle wechsle. Muss ich das übernehmen?" Aber auch Mobbing, gerade zwischen den Berufsgruppen, ist ein Thema, das erschreckend oft angesprochen wurde.

Das klingt, als wenn die Pflegekammer gerade ein Auffangbecken für eine generell hohe Unzufriedenheit unter den Pflegenden ist.

Ja, wir haben geahnt, dass diese Welle kommt. Es ist trotzdem schlimm, wenn man erlebt, dass uns so viele unzufriedene Pflegekräfte anrufen. Die Pflegenden erleben im Moment – vor allem durch die immer aufwendigeren Patienten – eine extrem hohe Arbeitsbelastung und gleichzeitig einen hohen Motivationsverlust. Und in dieser Situation kommt dann die Pflegekammer und fordert Geld. Ich kann die Frustration verstehen, die daraus resultiert. Pflegende waren schon immer fremdbestimmt, und diese Pflichtmitgliedschaft erleben sie nun als den Gipfel der Fremdbestimmung. Dass es tatsächlich um Selbstbestimmung geht, sehen die Pflegenden noch gar nicht. Hier ist unsere Aufgabe, sichtbar zu werden, in der Öffentlichkeit, in der Politik, in der Berufsgruppe selbst.

Was sind die nächsten Schritte, die nun anstehen?

Aktuell entwickeln wir unsere Homepage weiter und arbeiten mit Hochdruck an der Weiterbildungsordnung, die bis 2017 stehen muss. Dann sind wir dabei, ein „Mobbing"- oder „Notruf"-Telefon zu etablieren, um den vielen Mobbinganfragen gerecht zu werden, die uns erreichen, und unseren Mitgliedern eine schnelle Unterstützung im Bedarfsfall anzubieten. Ein weiteres aktuelles Thema ist eine Klinikschließung in Rheinland-Pfalz. Hier möchten wir alle betroffenen Pflegenden bei der heimatnahen Stellenvermittlung unterstützen. Unser Herzthema bleibt die Berufsordnung, die von Pflegenden für Pflegende erstellt werden soll. Diese sollte so sein, dass sie Argumente liefern kann, um sich bei schlechten Arbeitsbedingungen wehren zu können, zum Beispiel: „Unter diesen Bedingungen kann ich der geltenden Berufsordnung nicht nachkommen." Es bleibt also eine Menge zu tun.

Was sind Ihre Wünsche für die Pflegekammer in 2017?

Mein größter Wunsch wäre es, nachweisen zu können, dass die Pflegekammer positive Effekte erzielen kann und dass die Pflegenden von ihr profitieren. Und natürlich auch, dass es Wirkung zeigt, wenn die Pflege in politischen Gremien eingebunden ist. 

Ich danke Ihnen für das Gespräch und wünsche weiter viel Durchhaltevermögen, Frau Postel.

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