• 01.08.2016
  • Management
Alter und Altern in Film und Fernsehen

The One and Oldie

Die Schwester Der Pfleger

Ausgabe 8/2016

Immer mehr Filmemacher trauen sich an Themen heran, die vor einigen Jahren noch undenkbar schienen, wie Demenz, Sexualität im Alter, Senioren in neuen Rollen. Damit stellen sie eingefahrene Denkmuster und Bilder zum Alter zur Diskussion – eine Aufgabe, die heute wichtiger ist denn je.

Die Geschichte der „Space Cowboys" ist schnell erzählt: Ein alter Satellit aus Zeiten des Kalten Krieges ist außer Kontrolle geraten, und nur alte Haudegen aus der Pionierzeit der Raumfahrt sind imstande, die historische Software, die den Himmelskörper steuert, zu beherrschen. Clint Eastwood, Regisseur und einer der Hauptdarsteller, bricht zusammen mit James Garner, Tommy Lee Jones und Donald Sutherland zu einer letzten Weltraummission ins All auf, um die Menschheit vor unabsehbarem Ungemach zu bewahren. Die Jungen bleiben auf der Erde zurück und beobachten das Geschehen vom Boden aus. Die Botschaft des Films, der 2000 in die Kinos kam, ist klar: Es gibt Situationen, da sind es die Alten, die mit ihrem Wissen und Können die Welt retten können.

In einer Gesellschaft des langen Lebens entdecken auch Film und Fernsehen die Themen Alter und Altern für sich – gerade in den vergangenen Jahren in zuvor ungeahnter Vielfalt und Intensität. Das wundert nicht weiter, denn stets ist künstlerisches Schaffen immer auch Reflex auf Themen, welche die Menschen bewegen, denen sie sich ausgesetzt sehen und die es zu verarbeiten und zu meistern gilt. So gab es zwar bereits zu Stummfilmzeiten Filme, die entweder das Thema Alter aufgriffen oder ältere und alte Akteure auftreten ließen, wirklich gesellschaftlich virulent und bedeutsam wurde die Thematik Alter und Altern für die Film- und Fernsehschaffenden aber erst im Zuge der öffentlichen Wahrnehmung des demografischen Wandels. Erst dann konnten Filme, die Alter und Altern abendfüllend thematisieren, zu Blockbustern werden, die selbst ein Millionenpublikum erreichen.

In den vergangenen Jahren entstand als eine Ausprägung der Auseinandersetzung mit Alter und Altern das in der Filmgeschichte völlig neue Genre des Demenzfilms. Man denke nur an die Werke „Still Alice", „Iris", „Mein vergessenes Leben", „Honig im Kopf", „Stiller Abschied", „Mein Vater", „Die Auslöschung" oder auch „Nicht schon wieder Rudi".

Neben Pflegebedürftigkeit und Demenz, die zwar – individuell und gesellschaftlich – emotional stark belegt sind, aber eben nur einen Teil der Wirklichkeit von Alter darstellen, werden in den Filmen, die Alter und Altern aufgreifen, auch die Themen „Sexualität", „Konfrontationen der Generationen", „Senioren in neuen Rollen", aber auch „Sterben und Tod" bearbeitet. Gegen so manches tradierte Altersrollenmuster wird heute mit ungewohnten Bildern angegangen. Andreas Dreesen zeigt in seinem Film „Wolke 9" ein sich leidenschaftlich liebendes Paar jenseits der 70 bei einem Seitensprung – ungeschminkt, mit Wollust, voller Begierde, Nacktheit und reifer Körperlichkeit – Bilder, die vor wenigen Jahren so undenkbar waren. Und Michael Haneke kann in „Liebe" dem Publikum die Geschichte eines Paares erzählen, dem mit den Belastungen durch fortschreitende Pflegebedürftigkeit der Ehefrau das Leben immer mehr verloren geht. Beide Filme werden als Meilensteine der filmischen Auseinandersetzung mit der Gesellschaft des langen Lebens zu Beginn des 21. Jahrhunderts in die Film- geschichte eingehen.

Natürlich gibt es auch die alternden Kino- und Fernsehstars, die entweder wie Sylvester Stallone als Rocky Balboa mehr als 30 Jahre nach den ersten großen Boxkämpfen immer wieder in scheinbar nicht enden wollenden Remakes in den Ring steigen oder wie Harrison Ford – nunmehr deutlich jenseits der 70 – als Han Solo weiterhin den Krieg der Sterne proben. Wie schön und angenehm ist es für ein silbergraues Publikum zu sehen, was ihre mit ihnen gealterten Helden noch alles zu leisten vermögen und den Jungen mit Lebenserfahrung noch ein Schnippchen schlagen können.

Das Wissen, das Können, die Erfahrung und die Weisheit der Alten werden eben gebraucht, sind manchmal sogar unverzichtbar. In „Man lernt nie aus – The Intern" heuert der 70-jährige Ben Whittaker (gespielt von Robert de Niro), um der Langeweile des Ruhestands zu entfliehen, als Praktikant in einem E-Commerce-Modeunternehmen an und beweist, wie hilfreich alte Weisheiten und Old-Business-Fertig- keiten sein können, wenn im Geschäftsleben von heute kritische Situationen auftauchen.

Alter kann im Film auch für die „Bilanzierung des Lebens" taugen. Jüngst beeindruckend in Paolo Sorrentinos „Ewige Jugend – Youth" zu sehen: In der Abgeschiedenheit der Schweizer Berge ringen die deutlich gealterten Künstler und Freunde Fred Ballinger (Michael Caine) und Mick Boyle (Harvey Keitel) gemeinsam, manchmal auch gegeneinander, sich doch ergänzend und sich auch widersprechend um die letzten Werke vor dem Tod, um Vollendung, Höhepunkt und um das, was bleiben und das eigene Leben überdauern soll. Dieser Streifen mit dieser ihm eigenen Interpretation der Thematik Alter, zwischen Komödie, Tragödie, wurde immerhin zum besten Europäischen Film 2015 gekürt.

Es wird immer wieder bemängelt, dass es noch keine tiefgreifenden Untersuchungen zum Altersbild in den Medien gibt. So wissen wir noch nicht, welche Zuschauer die Altersfilme in die Kinos und vor die Bildschirme locken und welche Wirkungen bei Jung und Alt erzeugt werden. Vielfach wird aber festgestellt, dass Film und Fernsehen oftmals (noch immer) ein eher verzerrtes und inhaltlich verkürztes Bild vom Alter und dem Altern zeichnen. Unsicherheiten auf bisher weitgehend unbekanntem Terrain und langsames Herantasten an ein (neues) Thema – so ließe sich die Situation beschreiben.

Kein Wunder – die gesellschaftlichen Entwicklungen, Herausforderungen und Aufgabenstellungen im Zuge des demografischen Wandels sind im vollen Gange und haben noch nicht ihren Höhepunkt erreicht. Die Debatten sind noch lange nicht abgeschlossen. Niemand kann mit Sicherheit voraus-sagen, was uns noch erwartet. Das macht es auch dem Film nicht unbedingt leicht. Er kann aber – und das wagen seine Akteure immer mehr – eingefahrene Denkmuster und Bilder zum Alter zur Diskussion und Disposition stellen. Und diese Aufgabe ist wichtiger denn je.

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