Onkologische Erkrankungen sind oft lebensbedrohlich und gehen mit einer langen, häufig invasiven Therapie einher. Dies kann bei Betroffenen eine Posttraumatische Belastungsstörung auslösen, die auch Jahre später – zum Beispiel durch einen erneuten Krankenhausaufenthalt – reaktiviert werden kann.
Die Häufigkeit von Krebserkrankungen nimmt zu. Die Anzahl neuer Fälle wird Expertenschätzungen zufolge in den nächsten zwei Jahrzehnten um 70 Prozent ansteigen (1). Schon heute gehört Krebs zu den führenden Ursachen für Morbidität und Mortalität weltweit (2).
In Deutschland wird jährlich bei rund 480.000 Menschen erstmalig eine Krebserkrankung diagnostiziert. Im Laufe ihres Lebens erkranken 51 Prozent der Männer und 43 Prozent aller Frauen an Krebs. Jeder vierte Mann und jede fünfte Frau versterben an einer onkologischen Erkrankung (3).
Viele Krebspatienten leiden unter PTBS
Menschen mit Krebserkrankungen sind durch die Fortschritte der Medizin heute als chronisch krank zu verstehen. Die Behandlung dauert eine lange Zeit, mit dem Ziel einer Heilung, Verlängerung der Lebenszeit und dem Erhalt der bestmöglichen Lebensqualität.
Oft sind die betroffenen Patienten aber nicht adäquat versorgt, da unser Gesundheitssystem nicht ausreichend auf die Bedürfnisse chronisch kranker Menschen eingestellt ist. Meist steht die Behandlung akuter Gesundheitsprobleme im Vordergrund, nicht aber die kontinuierliche und koordinierte Begleitung von Patienten mit komplexen Krankheitsverläufen, die durch ein Auf und Ab des Gesundheitszustandes gekennzeichnet sind (4).
Selbst von Krebs geheilte Patienten haben oft das Gefühl, dass ihre Krankheit nie ganz weg ist. Sie fürchten Metastasen und ein Wiederauftreten der Erkrankung. Die Diagnose Krebs und dessen Therapie stehen im Zentrum aller Aktivitäten und Überlegungen des Betroffenen. Dieses Phänomen beschreibt Shaha (5) auch als Omnipräsenz von Krebs. Die Krankheit beeinflusst das ganze Leben des Patienten und auch seiner Angehörigen (6).
Onkologische Erkrankungen sind mit wiederholter invasiver Diagnostik und Therapie sowie Schmerzen verbunden. Auch ist häufig eine Behandlung auf einer Intensivstation erforderlich. Die erfahrene Lebensbedrohung durch die Krankheit und der erlebte Kontrollverlust beeinflussen die Krankheitsverarbeitung und können die Entwicklung einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) begünstigen (7). Schwere körperliche Erkrankungen, aber auch medizinische Eingriffe können folglich Auslöser einer PTBS sein (8).

Eine solche Belastungsstörung ist durch die in Abbildung 1 dargestellten Leitsymptome gekennzeichnet: Intrusion, Vermeidung, Hyperarrousal (9). Diese können durch ein Trauma ausgelöst werden und in einem zeitlichen Zusammenhang von sechs Monaten mit diesem auftreten. Posttraumatische Belastungsstörungen beeinträchtigen die Lebensqualität der betroffenen Menschen erheblich und beeinflussen auch das Outcome der Therapie (10).
Der Zeitpunkt der Diagnosestellung einer Posttraumatischen Belastungsstörung kann mit Schwierigkeiten verbunden sein. Diese betreffen im Wesentlichen die folgenden Punkte:
- Retraumatisierung – erneutes Auftreten eines traumatischen Ereignisses, zum Beispiel erneuter Krankenhausaufenthalt, mit Ähnlichkeit zum initialen traumatisierenden Ereignis (11),
- Reaktivierung – Wiederauftreten von Symptomen, zum Beispiel Alpträume (11),
- verzögerter Beginn – Auftreten der ersten Symptome sechs Monate nach traumatisierendem Ereignis (12).
Krebspatienten erleben eine Vielzahl unterschiedlich lebensbedrohlicher Ereignisse und Situationen im Rahmen ihrer Krebserkrankung. Zumeist dominieren jedoch die körperlichen Symptome das Erleben. Dies erschwert die Ursachenzuschreibung, insbesondere bei einer bestehenden Schmerzsymptomatik.
Jüngere Patienten, Menschen mit einer weiter fortgeschrittenen Krebserkrankung sowie Patienten, die ihre Therapie erst gerade abgeschlossen haben, scheinen dabei ein höheres Risiko zu haben, eine Posttraumatische Belastungsstörung zu entwickeln (13).
Video soll aufklären
Eine Studentengruppe der Universität Witten/Herdecke entschied sich, zu dieser Thematik ein Erklärvideo zu produzieren. Ziel war es, die Pflegenden in der Praxis auf eine mögliche Posttraumatische Belastungsstörung bei Krebspatienten aufmerksam zu machen. Nur durch eine Sensibilisierung kann ein Bewusstsein für das Problem geschaffen und eine adäquate Versorgung der Betroffenen erreicht werden.
Die Kopplung des Erklärvideos an ein von erfahrenen Praktikern konstruiertes Fallbeispiel verankert das Thema realistisch im Alltag der Pflegenden. Zusätzlich wurde das Fallbeispiel mit wissenschaftlich gesicherten Daten untermauert und hebt sich somit von einer Einzelfallstudie ab.
Selbstredend kann ein Erklärvideo das Thema „Versorgung von onkologischen Patienten" nicht erschöpfend abhandeln. Vielmehr ist es als Hinweis zu verstehen, der dem interessierten Betrachter den Weg in ein brisantes und hochaktuelles Thema weist. In dieser Rolle können Erklärvideos zukünftig auch in anderen Bereichen der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Pflegenden genutzt werden.
Erklärvideo „Die schwierige Patientin" möchte für das Trauma Krebstherapie sensibilisieren
Der Trickfilm ohne Ton begleitet Frau Krass, die die Diagnose Bronchialkarzinom erhält und eine umfangreiche Therapie durchlaufen muss: Lungenteilresektion, Chemotherapie und Bestrahlung. Zweieinhalb Jahre später wird sie nach einem Sturz erneut ins Krankenhaus aufgenommen. Aufgrund der starken Schmerzen in der Hüfte befürchtet sie Knochenmetastasen – denn diese sind bei Bronchialkarzinom sehr häufig. Es ist zum Glück nur eine Fraktur, trotzdem entwickelt Frau Krass in der Folge Schlafstörungen, Alpträume, Ängste. Das Pflegepersonal erlebt die Patientin als schwierig. Gleichzeitig hat Frau Krass das Gefühl, dass sich keiner um sie kümmert …
Das zweieinhalbminütige Video möchte dafür sensibilisieren, dass eine Krebserkrankung und die damit zusammenhängende Therapie eine Posttraumatische Belastungsstörung auslösen können, die auch noch Jahre später reaktiviert werden kann. Eine studentische Arbeitsgruppe hat das Erklärvideo geplant und umgesetzt. Das Video entstand im Rahmen eines Praxisprojektes des Masterstudiengangs „Pflegewissenschaft MSc" der Universität Witten/Herdecke.
Sie finden das Video unter: www.youtube.com (Suchbegriff „Die schwierige Patientin").
(1) World Health Organization (2015). WHO Fact sheet N° 297: cancer. Abgerufen am 4.1.2016 unter www.who.int/mediacentre/factsheets/fs297/en/
(2) Stewart, B. W., Wild, C. P. (Hrsg.) (2014). World Cancer Report 2014. Lyon: WHO
(3) Robert Koch-Institut (RKI) & die Gesellschaft der epidemiologischen Krebsregister in Deutschland e.V. (GEKID) (Hrsg) (2015). Krebs in Deutschland 2011/2012. 10. Ausgabe. DOI: 10.17886/rkipubl-2015–004
(4) Corbin, J., Hildebrand, B., Schaeffer, D. (2009). Das Trajektkonzept. In: Schaeffer, D. (Hrsg.). Bewältigung chronischer Krankheit im Lebensverlauf. Bern: Huber
(5) Shaha, M., Cox, C. L. (2003). The omnipresence of cancer. European Journal of Oncology Nursing. 7 (3): 191–196
(6) Shaha, M., Käppeli, S., Schnepp, W. (2013). Aus der Praxis in die Praxis zurück: Zwischenverpflegung Theorieentwicklung. Pflegewissenschaft, 15 (7/8): 389–400
(7) Becker-Nehring, K., Witschen, I., Bengel, J. (2012). Schutz- und Risikofaktoren für Traumafolgestörungen. Ein systematischer Review. Zeitschrift für klinische Psychologie und Psychotherapie, 41 (3), 148–165
(8) Köllner, V. (2013). Posttraumatische Belastungsstörungen bei körperlichen Erkrankungen und medizinischen Eingriffen. In: Maercker, A. (Hrsg.). Posttraumatische Belastungsstörungen (4. Aufl.). Berlin, Heidelberg: Springer
(9) Flatten, G., Gast, U., Hofmann A. et al. (2011). S3 – Leitlinie Posttraumatische Belastungsstörung. Trauma & Gewalt 3: 202–210
(10) Rustad, J. K. et al. (2012). Cancer and post-traumatic stress disorder: Diagnosis, pathogenesis and treatment considerations. Palliative and Supportive Care, 10, 213–223
(11) Schock, K., Rosner, R., Wenk-Ansohn, M., Knaevelsrud, C. (2010). Retraumatisierung – Annäherung an eine Begriffsbestimmung. Psychotherapie Psychosomatik Medizinische Psychologie; 60 (7): 243–249
(12) Andrews, B., Brewin, C. R., Philpott, R. & Stewart, L. (2007). Delayed-onset posttraumatic stress disorder: a systematic review of the evidence. American Journal of Psychiatry, 164 (9), 1319–1326 (13) Abbey, G. et al. (2015). A meta-analysis of prevalence rates and moderating factors for cancer-related post-traumatic stress disorder. Psycho-Oncology 24: 371–381
Das Autorenteam: A.-H. Seidlein, M. Meng, F. Bürger, F. Grüssel-Griethe, C. Weber, F. Wefer, C. Kugler, Department für Pflegewissenschaft, Universität Witten/Herdecke