• 01.08.2016
  • Forschung
Studie zum Dementia Care Mapping

Bessere Lebensqualität fraglich

Die Schwester Der Pfleger

Ausgabe 8/2016

Menschen mit Demenz benötigen eine individuelle Pflege, die die Person fördert und wertschätzt. Eine populäre Methode hierzu ist das Dementia Care Mapping (DCM). Die Wirksamkeit dieses Ansatzes wurde nun erstmals in Deutschland wissenschaftlich untersucht – mit unerwartetem Ausgang.


Dementia Care Mapping (DCM) ist ein strukturiertes Verfahren, das von Tom Kitwood und Kathleen Bredin an der Universität Bradford in Großbritannien entwickelt wurde (Brooker & Surr 2006). Seit mehreren Jahren wird der Ansatz auch in Deutschland angewendet, bevorzugt in der stationären Altenpflege.

Strukturierte Beobachtung

Ein sogenannter DCM-Zyklus besteht aus sechs Schritten (Abb. 1). Nach einer Einführung, in der Bewohner, Angehörige und Mitarbeiter über die Methode informiert werden, wird eine Gruppe von Bewohnern bis zu acht Stunden von zuvor geschulten Beobachtern, den sogenannten Mappern, strukturiert beobachtet. Dabei werden das Verhalten und die Interaktion der Menschen mit Demenz erfasst. Diese Daten werden dokumentiert und analysiert. Die so ermittelten Ergebnisse werden in einer Teamsitzung vorgestellt sowie mögliche Problemfelder und Lösungsansätze diskutiert. Anschließend erstellt das involvierte Pflegeteam einen Handlungsplan und setzt diesen um. Womöglich erfordert dies auch eine Anpassung der individuellen Pflegeplanungen.

In regelmäßigen Abständen, beispielsweise alle sechs Monate, startet ein neuer DCM-Zyklus, in dessen Rahmen die Wirkung der durchgeführten Maßnahmen überprüft und eventuell neue Handlungsfelder erfasst werden. Insgesamt soll das Vorgehen jedem einzelnen Bewohner zugutekommen und eine Person-zentrierte Einstellung der Mitarbeiter und eine demenzfreundliche Kultur in der Einrichtung fördern (Brooker/Surr 2006).

Bislang wenige Studien

Obwohl die DCM-Methode in der Pflegepraxis international und national populär ist, gibt es wissenschaftsbasiert wenige und widersprüchliche Erkenntnisse zur tatsächlichen Wirksamkeit (Chenoweth et al. 2009, Rokstad et al. 2013, van de Ven et al. 2013). In Deutschland gab es bislang keine wissenschaftliche Erkenntnisse zur Wirksamkeit von DCM (Dichter et al. 2015, Halek et al. 2013).

Diese Lücke wurde nun mit der Studie „Lebensqualität von Menschen mit Demenz stärken" – kurz: Leben-QD II – geschlossen. Jeweils ein Wohnbereich von neun stationären Pflegeeinrichtungen nahmen an der Untersuchung teil.

In drei Wohnbereichen wurde die DCM-Methode neu eingeführt (Gruppe A). In weiteren drei Wohnbereichen war die Methode schon implementiert, die strukturierten Beobachtungen wurden allerdings von externen Mappern durchgeführt. In diesen drei Wohnbereichen wurde DCM daher neu eingeführt (Gruppe B). In den verbleibenden drei Wohnbereichen wurde nicht mit DCM gearbeitet (Gruppe C). Stattdessen erfolgte hier im Rahmen der Studie eine regelmäßige Einschätzung der Lebensqualität der Bewohner, um einen Vergleich zu den Wohnbereichen herstellen zu können, die mit DCM arbeiten. Zur Einschätzung der Lebensqualität wurde das demenzspezifische Instrument QUALIDEM (Dichter et al. 2013, Ettema et al. 2007) verwendet.

Lebensqualität schlechter

Die neun Wohnbereiche wurden über einen Zeitraum von 18 Monaten untersucht. Insgesamt konnten zu Studienbeginn 154 Bewohner mit Demenz eingeschlossen werden. Anders als von den Projektdurchführenden vermutet, zeigte sich eine tendenzielle Verschlechterung der Lebensqualität bei den Bewohnern der Wohnbereiche der Gruppen A und B – beide haben im Projekt mit der DCM-Methode gearbeitet – im Vergleich zur Gruppe C.

In den Gruppen B und C zeigte sich ein tendenzieller Rückgang in der Schwere und Häufigkeit herausfordernder Verhaltensweisen. Demgegenüber verschlechterte sich das herausfordernde Verhalten in der Gruppe A leicht.

Nach Abschluss des Beobachtungszeitraums zeigte sich, dass nur vier der neun Wohnbereiche die jeweilige Intervention wie geplant umgesetzt haben – es handelte sich um jeweils zwei Wohnbereiche der Gruppen A und B, also die Gruppen, in denen mit DCM gearbeitet werden sollte.

Die Gründe für die mangelnde Umsetzung sind vielfältig. Fördernde Faktoren der Umsetzung waren eine demenzfreundliche Kultur der Wohnbereiche, flexible Organisationsstrukturen, eine positive Einstellung der Mitarbeiter gegenüber der DCM-Methode, eine genaue Planung der Interventionsumsetzung, die Einbindung von im jeweiligen Wohnbereichsteam anerkannten Mitarbeitern in die Interventionsumsetzung sowie erfahrene und gut qualifizierte Projektkoordinatoren in den teilnehmenden Einrichtungen.

Auch wenn die Studienergebnisse aufgrund der fehlenden Randomisierung und kleinen Stichprobe vorsichtig zu interpretieren sind, konnte die zu Studienbeginn erwartete positive Wirkung der DCM-Methode nicht gezeigt werden.

Auch wenn die Gründe hierfür vermutlich vielfältig sind, ergeben sich aus pflegewissenschaftlicher Sicht zentrale Fragen: Warum wurde die DCM-Methode nur in vier von sechs Wohnbereichen wie geplant umgesetzt? Wurden bei den DCM-Beobachtungen die relevanten Situationen in der Versorgung der Bewohner zuverlässig erfasst? Wurden die Ergebnisse der DCM-Beobachtungen in den Feedback-Gesprächen im Sinne einer Person-zentrierten Versorgung interpretiert?

Es wird deutlich, dass die DCM-Methode an sich und ihre Umsetzung vor der weiteren Anwendung in der Praxis weiter kritisch reflektiert werden muss. So ist mittlerweile bekannt, dass die Zuverlässigkeit der DCM-Beobachtungen verbessert werden muss (Dichter et al. 2016). Denn nur durch zuverlässige DCM-Beobachtungen können gültige Beobachtungsergebnisse ermittelt und sinnvoll interpretiert werden. Fraglich ist auch, welcher Schulungsgrad hierfür ausreichend ist oder ob ergänzende Kompetenzen vermittelt werden müssen.

Besonders wichtig scheint aber die Frage der Umsetzung der DCM-Methode zu sein. Welche unterstützenden Maßnahmen werden benötigt, damit die DCM-Methode und somit vor allem die erarbeiteten Handlungspläne in der täglichen Pflege umgesetzt werden können? Welche Voraussetzungen sind hierzu in der jeweiligen Einrichtung notwendig? Vor allem der Einbezug aller Entscheidungsebenen eines Pflegeheims ist für die Umsetzung einer Person-zentrierten Pflege notwendig. So können Pflegende oder Mitarbeiter des sozialen Dienstes eine individuelle Pflege nur dann umsetzen, wenn auch mit ihnen selbst vom Management und der gesamten Organisation Person-zentriert umgegangen wird.

Hinweis: Die Studie wurde von der Stiftung Wohlfahrtspflege gefördert und in Zusammenarbeit mit der Johanniter Seniorenhäuser GmbH durchgeführt. Mehr Informationen und der ausführliche Projektbericht ist abrufbar unter: http://www.dzne.de/standorte/witten/projekte/lebenqdii.html

Literatur bei den Verfassern.

Die Autorengruppe: Martin N. Dichter, Tina Quasdorf, Diana Trutschel, Dr. Margareta Halek

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