• 14.02.2023
  • PflegenIntensiv
Krankenhausfinanzierung

„Qualifiziertes Personal für die Intensivpflege aufbauen“

PflegenIntensiv

Ausgabe 1/2023

Seite 34

Die Regierungskommission hat ihre Vorschläge für eine „Grundlegende Reform der Krankenhausvergütung“ vorgelegt. Im Gespräch mit PflegenIntensiv gibt Ingo Böing, Referent für Pflege im Krankenhaus beim Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe, DBfK, eine pflegefachliche Bewertung ab. Er sieht eine Chance für die Professionalisierung der Pflege, kritisiert aber auch das Fehlen adäquater Strukturvorgaben für die Intensivpflege.

Herr Böing, wie bewerten Sie die Reform­vorschläge zur Krankenhausfinanzierung?

Der DBfK ist der festen Überzeugung, dass Pflege in der künftigen Gesundheitsversorgung – in allen Settings – eine größere Rolle spielen muss, als dies bisher der Fall war. Es gibt auch kaum eine andere Lösung, denn in einer alternden Gesellschaft muss die Arbeitsteilung zwischen den Gesundheitsprofessionen allein aus Effizienzgründen neu verteilt werden. Die Vorschläge der Regierungskommission heben insbesondere die Bedeutung der akademisierten Pflege hervor. Das ist eine Chance für die Professionalisierung der Pflege mit allem, was dazugehört – von der Heilkundeübertragung über ein Leistungsrecht für die Pflege bis zur Übernahme der Verantwortung für ein Krankenhaus des Levels 1i. Daraus ergibt sich zweifelsohne das Potenzial, das Gesundheitssystem zu verbessern und dabei die Rolle der professionellen Pflege zu stärken. Es hängt nun davon ab, wie die Reform im Detail ausgestaltet wird.

Fallpauschalen sollen künftig eine geringere Bedeutung haben und stattdessen Vorhaltebudgets eine zusätzliche Finanzierungssäule bilden. Was halten Sie von diesem Vorschlag?

Zunächst ist es natürlich sehr begrüßenswert, dass die Regierungskommission erkannt hat, dass die Fallpauschalen viele Probleme im Krankenhauswesen verursacht haben. Der DBfK steht ihnen schon seit Langem kritisch gegenüber, denn besonders die Pflege hat unter der zunehmenden Ökonomisierung gelitten. Die Diagnosis Related Groups (DRG) sind maßgeblich dafür verantwortlich, dass Pflegestellen abgebaut wurden und Pflege in den Krankenhäusern deprofessionalisiert wurde. Entgegen der ursprünglichen Intention haben die Fallpauschalen nicht zu einem Qualitätswettbewerb geführt, sondern zu einer Mengenausweitung. Die Qualität der pflegerischen Versorgung hat dabei eine immer geringere Rolle gespielt. Insofern sind Vorhaltebudgets als zusätzliche Finanzierungssäule prinzipiell sinnvoll. Für die Intensivstationen soll der Vorhalteanteil 60 Prozent betragen, für die meisten anderen Abteilungen 40 Prozent.

Wäre es nicht besser gewesen, das DRG-System komplett zu überwinden?

In der Tat ist festzuhalten, dass das DRG-System mit den vorgestellten Reformvorschlägen nicht abgeschafft wird. Der Anteil der Erlöse aus den Fallpauschalen ist lediglich verringert worden. In letzter Konsequenz könnte das auch dazu führen, dass in den verbleibenden Erlösen aus den Fallpauschalen der Druck steigt, Gewinne zu generieren. Denn wie wir wissen, gibt es im Krankenhaussystem einige einflussreiche Akteure, die Gewinne erwirtschaften und ausschütten wollen. Denen reicht eine schwarze Null nicht. Insofern wäre der Schritt zurück zum Selbstkostendeckungsprinzip sinnvoll gewesen, da die Gesundheitsversorgung als Daseinsvorsorge und Gemeinwohlaufgabe zu bewerten ist.

Wie bewerten Sie die befürwortete Zuordnung von Krankenhäusern zu Versorgungsstufen – Level 1 bis 3 mit Untergruppierungen?

Dies scheint erst einmal sinnvoll zu sein. Die Einteilung kann aber nur der erste Baustein auf dem Weg hin zu einer zeitgemäßen qualitätsorientierten und sektorenübergreifenden Versorgungsplanung sein. Langfristig müssen für eine zukunftsfähige Gesamtversorgungsplanung alle Ebenen – von der Prävention bis Rehabilitation und schließlich Palliation – einbezogen werden. Dazu braucht es ein gemeinsames Planungsinstrument der Versorgungsstufen, das Gesundheitszentren zur Sicherstellung der Primärversorgung ausdrücklich einschließt. Unabhängig von der Einstufung sind für die Bevölkerung verschiedene Aspekte ausschlaggebend. Erstens muss der Zugang zu jeder Zeit, zu jeder Versorgungsstufe und jedem Fachbereich gewährleistet sein, zum Beispiel auch über ein ausgebautes Rettungs- und Verlegungswesen. Zweitens muss für alle Krankenhäuser ein wirtschaftlicher Betrieb möglich sein, der zu jeder Zeit den Versorgungsauftrag gewährleistet. Dazu sind entsprechende Krankenhausplanungen und Finanzierungsstrukturen unerlässlich. Es braucht auch für jede Versorgungsstufe angepasste Kompetenzen bei der Besetzung mit Pflegepersonal. Insbesondere eine adäquate Quote an Pflegefachpersonen mit hochschulischem Bildungsweg muss vorgehalten werden, denn die veränderten Versorgungsstrukturen werden Auswirkungen auf die Kompetenzanforderungen an die Pflege haben.

Kliniken des Levels 1i soll eine Schlüsselrolle zur Überwindung der getrennten stationär-ambulanten Gesundheitsversorgung zukommen. Hat es Sie überrascht, dass diese Häuser auch unter Pflegeleitung stehen können sollen?

Nein, denn dies fordert der DBfK seit vielen Jahren. Insofern werden die Level-1i-Häuser, die unter pflegerischer Leitung stehen sollen, aus unserer Sicht eine Schlüsselrolle für die Reform und die Verbesserung der Gesundheitsversorgung in den Regionen übernehmen. Hier kommt es darauf an, Pflegefachpersonen mit erweiterten Kompetenzen wie Community Health Nurses und Advanced Practice Nurses mit Masterabschluss einzusetzen. Aber auch in den anderen Krankenhäusern, in denen die Maximalversorgung angeboten wird, müssen akademisch ausgebildete Pflegefachpersonen in den Teams eingesetzt werden, um die hochkomplexen Fälle pflegerisch gut versorgen zu können. Spitzenmedizin ohne Spitzenpflege funktioniert nicht.

Das Pflegebudget soll als Finanzierungsinstrument beibehalten werden und sich in den Vorhaltekosten wiederfinden. Begrüßen Sie diesen Vorschlag?

Selbstverständlich begrüßen wir, dass das Pflegebudget erhalten bleibt und auch als eigener Posten in den Vorhaltekosten ausgewiesen wird. Auch wenn das Pflegebudget alleine nicht die Situation der Pflege im Krankenhaus verbessert und die Ausgestaltung der Verhandlungen nicht gut verläuft, ist und bleibt das Pflegebudget eine der großen Errungenschaften der Finanzierung der Pflege im Krankenhaus. Um es zu konkretisieren: Die Umsetzung der PPR 2.0 und eines Instruments zur Personalbedarfsermittlung auf den Intensivstationen und in den Notaufnahmen kann nur dann erfolgreich sein, wenn auch das Pflegebudget erhalten bleibt. Denn der Anreiz, am Pflegepersonal zu sparen, wäre sofort wieder vorhanden, wenn die Stellen über andere Finanzierungssäulen gesichert werden müssten. Dann würde die Pflegepersonalbedarfs­ermittlung zur Makulatur werden. Deshalb halte ich sogar eine Weiterentwicklung des Pflegebudgets für dringend notwendig.

Welche Änderungen im Pflegebudget wären aus Ihrer Sicht sinnvoll?

Im GKV-Finanzstabilisierungsgesetz wurden bereits Änderungen angekündigt, die ab 2025 gelten sollen. Demnach sollen mehrere Berufsgruppen künftig nicht mehr aus dem Pflegebudget finanziert werden. Sollte keine sinnvolle Anschlussregelung gefunden werden, ergeben sich daraus aus meiner Sicht ein unkalkulierbares Risiko und eine weitere Gefährdung der Versorgungslage – zum Beispiel, wenn aus finanziellen Anreizen an Pflegeassistenzpersonal und so­genannten pflegeentlastenden Maßnahmen gespart würde. Es darf beispielsweise nicht sein, dass Service- und Reinigungstätigkeiten wieder in die Berufs­gruppe der Pflege delegiert werden. Also muss es eine sichere Finanzierungsgrundlage für alle Berufsgruppen geben, die sinnvoll in die Versorgungsprozesse der Patientinnen und Patienten eingebunden sind. Der Gesetzgeber hat nach Verabschiedung des Gesetzes bereits eine Änderung aus dem GKV-Finanzsta­bilisierungsgesetz zurückgenommen und finanziert künftig auch die gesamte Hebammenversorgung im Krankenhaus mit dem Pflegebudget. Eigentlich müssten alle Prozesse, die für die Versorgung der Patientinnen und Patienten im Krankenhaus essenziell sind, sicher finanziert werden. Es muss entsprechend auch die Funktionsbereiche einschließen, zum Beispiel müssten auch die Pflegestellen in der Anästhesie und in den Notaufnahmen über das Pflegebudget finanziert werden.

Das Gutachten enthält als Beispiel Vorgaben für pflegerische Stellenschlüssel auf Intensivstationen und für Anteile an Pflegefachpersonen mit Fach­weiterbildung in Krankenhäusern mit verschiedenen Leveln. Wie beurteilen Sie diese Vorschläge?

Es ist spannend, dass als Strukturvorgaben lediglich eine Personalausstattung gemäß Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung gefordert wird. Der Gesetzgeber ist eigentlich weiter. Nach Maßgabe des Krankenhauspflegeentlastungsgesetzes soll ein Personalbemessungsinstrument für Intensivstationen entwickelt und erprobt werden. Die Anwendung eines gesetzlich vorgeschriebenen Instruments zur Personalbedarfsermittlung, zum Beispiel das vom Universitätsklinikum Heidelberg entwickelte Instrument INPULS, müsste also maßgeblich sein. Die im Gutachten genannten Anteile von Pflegefachpersonen mit Fachweiterbildung von 20 Prozent beziehungsweise 30 Prozent sind weit unter den Forderungen der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfall­medizin – der DIVI –, nach der mindestens 50 Prozent der Pflegefachpersonen auf Intensivstationen über eine qualifizierte Fachweiterbildung verfügen sollten. Das ist auch dringend notwendig, denn die Fälle auch auf den Intensivstationen werden zunehmend komplexer.

Wie bewerten Sie das Fehlen von Vorgaben zur Personalentwicklung in der Intensivpflege? Laut DIVI fehlen bundesweit immerhin bis zu 50.000 Vollkräfte.

Es ist dringend notwendig, qualifiziertes oder hoch qualifiziertes Personal für die Intensivpflege auf­zubauen. Einer der Grundgedanken der Krankenhausreform ist es, durch eine Reduzierung der Standorte und Betten das vorhandene Pflegepersonal auf weniger Fälle beziehungsweise Patientinnen und Patienten zu verteilen. Das wird in der Intensivmedizin nur bedingt funktionieren, denn diese Fälle können in der Regel nicht ambulantisiert werden. Deshalb bezweifle ich, dass Betten in der intensivmedizinischen Versorgung im großen Stil abgebaut werden. Wir müssen durch Personalaufbau und Herstellen von guten Arbeitsbedingungen Pflegefachpersonen halten und neue gewinnen, denn sonst können wir die Versorgung der Bevölkerung nicht sicherstellen. Trotzdem ist es natürlich auch wichtig, über ein gegebenenfalls zu hohes Mengenniveau zu reden, auch in der intensivmedizinischen Versorgung. Eventuell können die Vorhaltebudgets in der Intensivmedizin von 60 Prozent die Anreize tatsächlich ändern und Über-, Unter- und Fehlversorgung ein Stück weit verringern.

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