Das Sana Klinikum Offenbach hat 2020 ein Praxisprojekt zur Weiterentwicklung des interprofessionellen Wundmanagements ins Leben gerufen. Ziel ist die kontinuierliche Verbesserung einer leitliniengerechten Wundversorgung von Patienten mit chronischen Wunden.
Kritisch kranke Patienten haben im Zuge der intensivmedizinischen und -pflegerischen Therapie ein besonders hohes Risiko, Hautdefekte zu entwickeln. In Deutschland werden immer mehr multimorbide Patienten wegen anderer akuter Krankheitsereignisse mit chronischen Wunden als Nebendiagnose ins Krankenhaus eingewiesen (Textkasten: Chronische Wunden). Zwar fehlen bislang repräsentative Daten zu den Prävalenzen und Inzidenzen chronischer Wunden. Allerdings ist anzunehmen, dass die Dekubitalulzera-prävalenz von Krankenhauspatienten bei zwei Prozent und höher liegen könnte.
Chronische Wunden
Als chronisch gilt eine Wunde, wenn ihr Heilungsprozess mehr als acht Wochen andauert. Zu den häufigsten Wundarten mit chronischem Krankheitsverlauf zählen v. a. der Dekubitus, Wunden wegen vorliegender peripherer arterieller Verschlusskrankheit (PAVK), Ulcus cruris venosum und das diabetische Fußsyndrom [1, 2].
Die Expertenstandards „Pflege von Menschen mit chronischen Wunden“ sowie „Dekubitusprophylaxe in der Pflege“ sind als Handlungsempfehlungen des Deutschen Netzwerks für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) einerseits wichtige Instrumente, um bestehende Prozesse in der Ablauforganisation des Wundmanagements zu hinterfragen.
Andererseits dienen sie dazu, auf die steigenden Anforderungen zur Verbesserung der Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität professionell zu reagieren. Neben der Optimierung der Ablauforganisation des Wundmanagements hat das Sana Klinikum Offenbach ein dezentrales Expertenteam von Pflegenden mit Zusatzqualifikation „Wundexpert:in ICW“ aus unterschiedlichen Fachbereichen des Klinikums gegründet. Die Spezialisierung der Wundexpertinnen und -experten (im Folgenden: Wundexperten) ist in den standardisierten Prozess des Wundmanagements integriert.
Im Rahmen der Integration dieser Experten in das Wundteam haben die Projektverantwortlichen deren Tätigkeiten bzw. Rolle definiert und von anderen Tätigkeitsprofilen in der Pflege differenziert. Die Wundexperten sind konsiliarisch tätig: Für das neue Tätigkeitsprofil der Wundexperten entwickelten die Projektverantwortlichen innerhalb des Wundzirkels ein digitales, zur Ablauforganisation passendes „Wundkonsil“ und implementierten es in Zusammenarbeit mit der IT-Abteilung in das bestehende Krankenhausinformationssystem (KIS).
Die Wundexperten haben die Aufgaben, die Ablauforganisation in der Pflege von Patientinnen und Patienten (im Folgenden: Patienten) mit chronischen Wunden besser zu strukturieren und das Wundmanagement auf Allgemein- und Intensivstationen des Klinikums stetig weiterzuentwickeln. Auf diese Weise soll das Bewusstsein für die Pflege von Patienten mit chronischen Wunden und die Prophylaxe von Dekubitalulzera geschärft werden.
Wundkonsil – agiles Arbeitstool im Wundmanagement
Das Wundkonsil ist ein agiles Arbeitstool (Abb. 1).
Pflegepersonal und ärztlicher Dienst beauftragen das Wundteam über das Wundkonsil im Krankenhausinformationssystem (KIS) bei Fragestellungen zur Wundbehandlung. Der jeweilige diensthabende Wundexperte erhält so über das KIS eine tagesaktuelle Arbeitsliste. Das Wundkonsil nutzt und ergänzt die Potenziale der zuvor etablierten IT-gestützten Wunddokumentation im Sana Klinikum Offenbach und treibt somit die digitale Transformation der Patientendokumentation im Krankenhaus voran. Die Wundexperten arbeiten und dokumentieren mittels Tablet am „Point of Care“, also in der unmittelbaren Patientenversorgung. Sie dokumentieren im Wundkonsil ihre Einschätzungen und Empfehlungen zur Diagnostik oder zur Lokaltherapie (Textkasten: Lokale Wundtherapie).
Lokale Wundtherapie
Die individuelle lokale Wundtherapie – v. a. für chronische Wunden – ist eine Herausforderung und verlangt kenntnisreiches Handeln der Pflegenden [3]. In diesem Zusammenhang steigt die Anforderung an Pflegende, eine komplexe lokale Wundtherapie auf Basis implementierter Wundversorgungsstandards innerhalb eines etablierten Wundmanagements gemeinsam im interprofessionellen Team zu initiieren. Hierzu bedarf es einer klaren standardisierten Ablauforganisation in der Institution, um den Behandlungserfolg effektiv zu sichern. Da manche Wunden bereits zu Beginn ihrer Entstehung als „chronisch“ gelten, ist neben der Lokaltherapie auch eine Kausaltherapie erforderlich.
Pflegende und behandelnder ärztlicher Dienst können mithilfe der digitalen Vernetzung der IT-gestützten Patientendokumentation die Ergebnisse des Wundexperten unmittelbar einsehen und darauf reagieren.
Tätigkeitsprofil der Wundexperten
Das Wundteam ist derzeit mit sechs Wundexperten besetzt, die die Zusatzqualifikation „Wundexpert:in ICW“ erworben haben. Über einen rollierenden Dienstplan erfolgt in Abstimmung mit den Teamleitungen die Personaleinsatzplanung. Der Personaleinsatz der Wundexperten wechselt wöchentlich. Wird ein Wundexperte in der Patientenversorgung beauftragt und hinzugezogen, verschafft er sich ein ganzheitliches Bild zu Diagnosen, Wundverhältnissen und ggf. zur bisherigen Wundtherapie. Alle am Behandlungsprozess Beteiligten tauschen sich anschließend fallbezogen aus.
Beratung. Zu den vordergründigen Aufgaben der Wundexperten gehören insbesondere die Beratung, Schulungen und Anleitungen von Patienten mit chronischen Wunden. Zentral ist dabei die Förderung von deren gesundheitsbezogenen Selbstmanagements.
Empfehlung. Ferner erarbeiten die Wundexperten innerhalb von Wundvisiten entsprechend der Patienten- bzw. Wundcharakteristika Empfehlungen für eine bedarfsbezogene lokale Wundtherapie und übernehmen Wundbehandlungen.
Begleitung. Überdies empfehlen sie weitere Diagnostik für die Kausaltherapie (z. B. Doppleruntersuchungen bei PAVK) oder die Konsultation anderer Berufsgruppen (z. B. Ernährungstherapie). Entlang des Behandlungsprozesses begleiten sie die Patienten mit chronischen Wunden von der Beauftragung bis zur Entlassung und tragen somit zu einem erfolgreichen Entlassungsmanagement bei.
Qualitätssicherung. Über ihre Mitarbeit im interprofessionellen Wundzirkel wirken die Wundexperten – neben ihrer Tätigkeit in der unmittelbaren Patientenversorgung – für das Wundmanagement bei der Sicherstellung der Struktur- und Prozessqualität mit.
Schulung. Das Wundteam ist zudem in der Aus-, Fort- und Weiterbildung der Pflegeberufe am Sana Klinikum Offenbach aktiv. Es entwickelt bedarfsbezogene Schulungskonzepte und koordiniert die innerbetrieblichen Fortbildungen rund um das Thema Wundmanagement in der Pflege.
Herausforderung Intensivstation. Kritisch kranke Patienten auf der Intensivstation sind aufgrund einer Vielzahl von Risikofaktoren stark gefährdet, Wundheilungsstörungen zu entwickeln. Insbesondere die lang anhaltende Bewegungseinschränkung im Zusammenhang mit einer notwendigen Analgosedierung mündet in vielen Fällen in ein sehr hohes Dekubitusrisiko.
Dekubitalulzera zu verhindern, ist eine besondere Herausforderung in der Pflege kritisch kranker Patienten auf der Intensivstation [4, 5]. Daher übernehmen die Wundexperten neben dem regulären Einsatz in allen Fachbereichen des Sana Klinikums Offenbach zusätzlich einmal wöchentlich einen gesonderten „High-Care-Wunddienst“ auf den vier Intensivstationen. Die Wundexperten begleiten Pflegende insbesondere bei Wundvisiten und übernehmen Wundbehandlungen. Zudem liegt ihr besonderes Augenmerk auf der Prophylaxe von Dekubitalulzera.
Mitwirkung in der praktischen Pflegeausbildung. Auch Auszubildende der Pflegeberufe profitieren von dem Spezialisierungsgrad der Wundexperten und von der Integration des Wundteams in den Kernprozess. Denn im praktischen Ausbildungsplan des Klinikums sind eigens entwickelte, spezielle ineinandergreifende Praxisanleitungen sowie Lernaufgaben rund um das Thema Wundmanagement sowie die Dekubitusprophylaxe verankert.
Die Auszubildenden werden strukturiert über die gesamte praktische Pflegeausbildung hinweg Schritt für Schritt an die komplexe Wundversorgung von Patienten mit chronischen Wunden herangeführt. Die Wundexperten sind dazu in Praxisanleitungen eingebunden.
Bessere Vernetzung, bessere Versorgung
Der Einsatz des Wundteams fördert die interprofessionelle Vernetzung und verbessert die Qualität der Versorgung von Patienten mit chronischen Wunden auf Allgemein- und Intensivstationen. Zudem haben die Wundexperten das Bewusstsein der Pflegenden für die Prophylaxe von Dekubitalulzera gesteigert. Im Alltag zeichnet sich bereits jetzt ab, dass das Wundteam die Pflegepraxis fortschrittlich erweitert.
Zudem trägt der Spezialisierungsgrad der Wundexperten zur Entlastung der Pflegenden in der unmittelbaren Patientenversorgung bei. Klare, einheitliche Prozesse in der Ablauforganisation sichern den Erfolg in der Wundbehandlung der Patienten mit chronischen Wunden von der Aufnahme bis zur Entlassung aus dem Krankenhaus.
Das Projekt verbessert die Pflegequalität und fördert die kompetenzbasierte Personalentwicklung auf unterschiedlichen Qualifikationsebenen. Es entwickelt sich kontinuierlich weiter und bietet jetzt wie auch in Zukunft viele Möglichkeiten zur multidimensionalen Entfaltung von Potenzialen. Das Jobenrichment erhöht die Arbeitszufriedenheit in der Pflegepraxis und ebnet zusätzlich Karrierewege in der Pflege.
[1] Dissemond J, Kröger K. Chronische Wunden. Diagnostik – Therapie – Versorgung. 1. Aufl. München: Elsevier; 2020; 17–24
[2] Tomova-Simitchieva T, Akdeniz M et al. Die Epidemiologie des Dekubitus in Deutschland: eine systematische Übersicht. Gesundheitswesen 2019; 81 (6): 505–512
[3] Danzer S. Wundbehandlung. Die wichtigsten Fragen und Antworten. Hannover: Schlütersche; 2020
[4] IQTIG – Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen. Bundesauswertung zum Erfassungsjahr 2020. Pflege: Dekubitusprophylaxe. Qualitätsindikatoren und Kennzahlen (10.08.2021). Im Internet: iqtig.org/downloads/auswertung/2020/dek/QSKH_DEK_2020_BUAW_V01_2021-08-10.pdf; Zugriff: 26.06.2022
[5] Wilpsbäumer S, Mört D et al. Wundmanagement auf der Intensiv- station. Intensivmedizin up2date 2015; 11 (2): 109–124