• 24.10.2019
  • PflegenIntensiv
Intranasale Medikamentengabe

Nützliche Alternative zum venösen Zugang

Intranasale Medikamentenapplikation: Der weiche, konisch geformte Stöpsel dichtet das Nasenloch bei korrekter Anwendung vollständig ab. Dies ermöglicht, dass das Medikament komplett in das Nasenloch appliziert werden kann.

PflegenIntensiv

Ausgabe 1/2019

Seite 50

Die Nasenschleimhaut ist nicht nur für lokale Anwendungen empfänglich, sondern es können darüber auch Substanzen in den Körper aufgenommen werden. Mittels spezieller Applikatoren sind verschiedene Medikamente bei Kindern und Erwachsenen therapeutisch einsetzbar. Die intranasale Medikamentengabe ermöglicht auch und gerade bei Notfällen eine Versorgung von Patienten, wenn ein Gefäßzugang noch nicht vorhanden ist. Es sind jedoch einige Aspekte zu beachten.

Mehrere Bedingungen können die Anlage von intravenösen Zugängen deutlich erschweren. Hierzu zählen „Speckärmchen“, Wehrhaftigkeit bei Kindern, Aggressivität, intravenöser Drogenabusus und Adipositas. In solchen Situationen können beim Legen eines Zugangs nicht nur technische Schwierigkeiten auftreten, sondern die Mitarbeiter sind zudem gefährdet, sich durch Abwehrreaktionen des Patienten an der Venenverweilkanüle zu verletzen. Ein intraossärer Zugang kann in solchen Situationen häufig eine Alternative zum intravenösen Zugang sein (1). Doch sie ist nicht immer sinnvoll anwendbar, etwa beim agitierten Patienten. Hier bietet die intranasale Medikamentengabe deutliche Vorteile.

Anatomische und physiologische Grundlagen

Wie gelangen Medikamente bei der intranasalen Gabe in den systemischen Kreislauf? Es spielen hierbei zwei Areale in der Nasenhöhle eine Rolle: die respiratorische und olfaktorische (2, 10). Die respiratorische Region ist stark durchblutet. Dies ermöglicht die Aufnahme von Medikamenten ins Herz-Kreislauf-System. Da diese nicht über die Darmschleimhaut, sondern über die Nasenschleimhaut absorbiert werden, treten sie nicht in den Pfortaderkreislauf ein. Somit unterliegen sie nicht dem Leberstoffwechsel, dem sogenannten First-Pass-Effekt, sodass die Medikamentenspiegel höher sind als bei einer oralen oder rektalen Medikamentengabe. Wichtig zu wissen: Das Blut aus Magen, Darm, Milz und Pankreas wird über die Pfortader (vena portae) abtransportiert. First-Pass-Effekt beschreibt die Umwandlung eines Arzneistoffs während der ersten Passage durch die Leber.

In der olfaktorischen Region wird ein Teil der nasal verabreichten Medikamente über die Riechschleimhaut direkt in den Liquor und das Gehirn transportiert, was rasche Effekte zentral wirkender Medikamente hervorruft. Dies wird auch als Nasen-Hirn-Weg bezeichnet. Er ermöglicht Medikamenten einen Eintritt in das Zentralnervensystem, indem auf dieser Route die Blut-Hirn-Schranke umgangen wird (2).

Wie erfolgt die intranasale Gabe?

Wer sich schon einmal Nasentropfen verabreicht hat, weiß, dass ein Teil der Flüssigkeit im Rachen hinunterläuft und keine Wirkung in der Nase entfaltet. Wenn die Tropfen zu groß sind, werden sie schlechter absorbiert. Durch einen Zerstäuber namens „LMA® MAD NasalTM“ werden Medikamente zu einem „feinen Nebel“ mit Teilchengrößen von etwa 30–100 µm zerstäubt (ein Mikrometer ist ein Tausendstel Millimeter). Dadurch wird eine optimale Benetzung der Nasenschleimhaut erreicht und die Resorption verbessert.

Zu den intranasal applizierbaren Medikamenten zählen Esketamin (Ketanest-S®), Midazolam (Dormicum®), Naloxon (Narcanti®), Morphin, Fentanyl, Sufentanil (Sufenta®) und Flumazenil (Anexate®). Es gibt aber noch weit mehr intranasal applizierbare Medikamente (2, 10). Gerade die hier genannten sind aber die häufig angewendeten in der Notfall- und Palliativmedizin sowie in der Anästhesie. Für die Medikamentenverabreichung via LMA® MAD NasalTM sollten einige Aspekte beachtet werden, damit die Maßnahme auch zum gewünschten Erfolg führt.

Nase auf Blut und Sekret inspizieren: Die Nase sollte auf größere Mengen Blut oder Sekret, die die Resorption beeinträchtigen können, inspiziert werden. Sichtbare Mengen Blut oder Nasensekret sollten abgesaugt werden, bevor das Medikament gegeben wird (6).

Luer-Lock-Spritzen verwenden: Zum Zerstäuben des Medikaments ist Druck erforderlich, weil das MAD NasalTM einen gewissen Widerstand bietet. Damit die Spritze sich dabei nicht vom MAD NasalTM löst, sollten am besten Luer-Lock-Spritzen verwendet werden, die durch die Schraubverbindung (wie bei einer Perfusor®-Spritze) sicher mit dem MAD NasalTM verbunden sind.

Nasal verabreichtes Volumen und Medikamentenkonzentration beachten: Experten empfehlen, pro Nasenloch maximal 1 ml Volumen zu verabreichen. Bedenkt man noch das Totraumvolumen der MAD NasalTM von ca. 0,1 ml, sollen also höchstens 1,1 ml pro Nasenloch appliziert werden (in Ausnahmefällen auch etwas mehr). Das bedeutet, dass die Medikamente in der größtmöglichen verfügbaren Konzentration bevorratet werden müssen. Dazu ein Beispiel: Midazolam (Dormicum®) ist in 5-ml-Ampullen mit 1 mg Wirkstoff/ml verfügbar (= 5 mg/ 5 ml), jedoch auch in 3-ml-Ampullen mit 5 mg Wirkstoff/ml (= 15 mg/3 ml). Nur die letztgenannte macht aber für die intranasale (i.n.) Gabe Sinn, denn bei einer empfohlenen Midazolam-Dosierung von 0,2(–0,4) mg/kgKG i.n. könnte man mit der Konzentration 1 mg/1 ml nur Säuglinge mit adäquater Dosis versorgen. Vergleichbares gilt für Esketamin (Ketanest-S®), das ebenfalls in unterschiedlichen Wirkstoffkonzentrationen pro Milliliter angeboten wird.

Intranasale Applikation ist Off-Label-Use

Werden die genannten Medikamente nasal verabreicht, entspricht dies dem sogenannten Off-Label-Use, weil sie für diese Applikationsform nicht zugelassen sind (7). Wenn Bedenken gegen die Einführung einer intranasalen Medikamentengabe bestehen, wird gelegentlich der Off-Label-Use als Argument angeführt. Unter Off-Label-Use versteht man die Verordnung eines Arzneimittels, das zwar in Deutschland zugelassen ist, jedoch nicht für die beabsichtigte Indikation oder Patientengruppe. Darunter fällt etwa die Verordnung eines Medikaments für die „falsche“ Krankheit, in einer „falschen“ Altersgruppe oder in der „falschen“ Dosierung (3).

In bestimmten Fällen kommt beim Off-Label-Use eine Verschuldenshaftung des verordnenden Arztes in Betracht. Andererseits gilt: Erfüllt der Off-Label-Use den aktuellen fachlichen Standard, wird er eventuell als „bestimmungsgemäßer Gebrauch“ anerkannt. Mitunter hat der Arzt sogar die Pflicht zum Off-Label-Use. So wurde 1990 ein Krankenhaus verurteilt, weil die Ärzte dort die wissenschaftlich anerkannte Off-Label-Behandlung mit Aciclovir bei einer Herpesenzephalitis zu spät begonnen hatten (3). Gerade in der Pädiatrie und Kinderanästhesie ist der Off-Label-Use tägliche Realität, weil die bewährten Medikamente nicht für alle Altersgruppen zugelassen sind (4).

Vorteile überwiegen

Die intranasale Medikamentengabe kann eine wichtige und wertvolle Option sein – nicht nur bei Notfällen, sondern in vielen Situationen, wenn ein venöser Zugang schwierig oder unmöglich ist, Einige Anwendungsmöglichkeiten sind beispielsweise die Sedierung bei Agitation, die Behandlung von Krampfanfällen, Opiatüberdosierungen und die Schmerzbehandlung in unterschiedlichen Situationen.

Das Verfahren wird leider noch nicht überall eingesetzt. Das ist schade, da die Vorteile deutlich überwiegen: Die intranasale Medikamentengabe ist wenig invasiv, sehr einfach zu handhaben und geht mit einer schnellen Bioverfügbarkeit einher.

Wer sich intensiver mit dem Thema befassen will, dem sei die englischsprachige Website http:// intranasal.net empfohlen.

(1) Dönitz S. Intraossäre Punktion – im Notfall oft das Mittel der Wahl. PflegenIntensiv 3/18.

(2) Koch H. J., Matthiessen F. Nasale Applikation – Auf direktem Weg zum Wirkort. Pharmazeutische Zeitung online. Ausgabe 50/2006. Download: www.pharmazeutische-zeitung.de/index.php

(3) Rojahn J., Stute A. Off-Label-Use: Zwischen Freiheit und Pflicht. Lege artis 2012; 2: 10–15. Download: www.thieme.de/statics/dokumente/thieme/final/de/ dokumente/tw_aerzte-in-weiterbildung/Off-Label_Use_Lege-artis.pdf

(4) Landsleitner B., Schroth M. Analgesie und Anästhesie bei Kindernotfällen. Notfall Rettungsmed 2014; 17: 95–104. DOI 10.1007

/s10049–013–1810-y

(5) Reynolds S. L. et al. Randomized Controlled Feasibility Trial of Intranasal Ketamine Compared to Intranasal Fentanyl for Analgesia in Children with Suspected Extremity Fractures. Acad Emerg Med 2017; 24: 1430–

1440. DOI: 10.1111/acem.13313

(6) Girrbach F. F. et al. Intranasale Medikamentenapplikation – Schritt für Schritt. Notfallmedizin up2date 2018; 13: 14–18

(7) Ärztliche Leiter Rettungsdienst in Bayern. Intranasale Applikation von Arzneimitteln. Stand: April 2012. Download: www.trainmed.info/assets/service/management-des-notfalls/HET_intranasale_Medikamen tentengabe_26_04_2012.pdf

(8) Robertson T. M., Hendey G. W., Stroh G., Shalit M. Intranasal Naloxone Is a Viable Alternative to Intravenous Naloxone for Prehospital Narcotic Overdose. Prehospital Emergency Care 2009;13: 4, 512–515

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