• 11.09.2018
  • Praxis
Pneumonieprophylaxe bei Beatmung

"Am wichtigsten ist die Basishygiene"

PflegenIntensiv

Ausgabe 1/2017

Seite 14

Atemwegsinfektionen bei Intensivpatienten können tödlich verlaufen. Eine effektive Prophylaxe rettet daher Menschenleben, sagt Stefan Wilpsbäumer, Praxisanleiter an der Weiterbildungsstätte für Intensivpflege und Anästhesie am Universitätsklinikum Münster. Wir sprachen mit ihm über Empfehlungen des Robert Koch-Instituts und darüber, wie eine Umsetzung gelingen kann.

Herr Wilpsbäumer, warum sollte man aktiv Infektionsprophylaxe bei beatmeten Patienten betreiben? Geschieht dies nicht automatisch im Rahmen des pflegerischen Handelns?

Es wäre natürlich das beste, wenn dies automatisch geschehen würde. Und ich denke auch, dass gut ausgebildete Pflegende, zum Beispiel mit einer Fachweiterbildung, auf einem hohen Level arbeiten und zahlreiche Infektionen verhindern. Aber es gibt dennoch gute Gründe, die Infektionsprophylaxe bei beatmeten Patienten bewusst und aufmerksam in den Fokus zu nehmen.

Welche Gründe sind das?

Zum einen gibt es immer wieder neue Erkenntnisse, die umgesetzt werden müssen. Zum anderen greifen viele Maßnahmen nur dann, wenn sie konsequent von allen Pflegenden durchgeführt werden. Das Thema hat insgesamt eine hohe Relevanz, denn Atemwegsinfektionen sind die häufigste nosokomiale Infektion bei Intensivpatienten und die häufigste tödlich verlaufende Krankenhausinfektion.

Wie viele Patienten bekommen unter Beatmung eine Infektion?

Die Zahlen schwanken in der Literatur stark. Etwa zehn bis 20 Prozent aller Patienten, die länger als 48 Stunden beatmet werden, erwerben eine sogenannte beatmungsassoziierte Pneumonie. Besonders wichtig finde ich hier die Erkenntnis, dass das kumulative Risiko für Infektionen mit der Beatmungsdauer steigt.

Was bedeutet das konkret?

Das heißt, je länger sie invasiv beatmet sind, desto wahrscheinlicher bekommen sie eine Pneumonie, desto länger befinden sie sich auf der Intensivstation und desto höher ist das Risiko, dass sie im Zusammenhang mit ihrer Erkrankung sterben. Das bedeutet gleichzeitig, dass die besten Maßnahmen bereits vor der Beatmung ansetzen. Denn eine Beatmungssituation stellt grundsätzlich ein Risiko dar. Wenn der Patient intubiert ist, sollte also schnellstmöglich eine Entwöhnung vom Respirator angestrebt werden. Je kürzer die Beatmungszeit ist, desto geringer ist auch die Infektionsrate.

Warum ist die Infektionsrate gerade bei beatmeten Patienten so hoch?

Zunächst einmal muss man zwischen invasiver und nicht-invasiver Beatmung unterscheiden. Bei nicht-invasiver Beatmung sind die Pneumoniezahlen nicht besonders hoch. Erst dann, wenn der Patient einen invasiven Zugang zu den Atemwegen erhält, also einen Tubus oder eine Trachealkanüle, steigt das Risiko für eine Atemwegsinfektion.

Woran liegt das?

Patienten können in dieser Situation ihren Atemweg in der Regel nicht mehr selbst kontrollieren. Husten und Schlucken sind beeinträchtigt oder gar unmöglich. Sekret sammelt sich im Rachen und im oberen Bereich der Luftröhre an, also direkt über dem Tubuscuff. Dieses Sekret ist häufig auch noch mit Keimen aus dem Magen-Darm-Trakt kontaminiert.

Wie kommt es zu dieser Kontamination?

Die meisten intubiert oder tracheotomiert beatmeten Patienten haben eine Magensonde. Diese stellt sozusagen eine Leitschiene für Keime aus dem Magen-Darm-Trakt dar, vor allem für gramnegative Bakterien und Pilze. Die Keime steigen zunächst entlang der Magensonde in den Rachen auf und anschließend am Tubus entlang in die Lunge hinab. Tubus und Trachealkanüle bilden dabei das gleiche Leitsystem wie die Magensonde – Keime können sich daran gut in die unteren Atemwege hinunterhangeln.

Das heißt, keine Intubation, gleich keine Infektion?

Die beste Maßnahme, um tubusbedingte Atemwegsinfektionen zu vermeiden, wäre tatsächlich, den Patienten gar nicht erst zu intubieren. Das ist natürlich nicht immer möglich. Aber es unterstreicht, wie wichtig atemfördernde Maßnahmen und Atemtherapie sind, einschließlich CPAP und nicht-invasiver Beatmung.

Maßnahmen zur Infektionsprophylaxe

1. Basishygiene

2. Aspirationen verhindern mittels 

  • subglottischer Absaugung
  • Oberkörperhochlagerung
  • Cuff besser abdichten

3. Keimspektrum reduzieren

  • Antiseptische Mundpflege

Es gibt verschiedene Definitionen für eine beatmungsassoziierte Pneumonie. Inwiefern sind genaue Definitionen praxisrelevant?

Die Probleme der exakten Definition und Diagnose betreffen vor allem die Forschung und die Epidemiologie. Dabei geht es darum, valide und vergleichbare Zahlen über die Häufigkeit von Infektionen in den Ländern zu bekommen und Wirkungen von Maßnahmen genauer zu messen. Wenn dies gelingt, dann haben wir auch eine gute Grundlage für praktische Entscheidungen, also für die Frage, welche Maßnahmen wir umsetzen und welche nicht so wichtig sind.

Welche Maßnahmen sind zur Infektionsprophylaxe am wichtigsten?

An erster Stelle steht nach wie vor die Basishygiene, insbesondere die korrekte Händedesinfektion. Dies ist die wichtigste Einzelmaßnahme zur Verhinderung nosokomialer Infektionen. Darüber hinaus gibt es zwei Bereiche, die für die Vermeidung beatmungsassoziierter Pneumonien von besonderer Bedeutung sind.

Welche sind das?

Es handelt sich dabei um Maßnahmen zum Schutz vor Aspirationen und solche zur Reduktion des Keimspektrums.

Gerade der Schutz vor Aspirationen spielt eine zentrale Rolle, warum ist das so?

Ein invasiv beatmeter Patient kann seine Atemwege nicht selbst schützen. Tubus und Trachealkanüle beeinträchtigen die Wahrnehmung im Mund-Rachen-Raum und behindern das Schlucken und Husten. Und der Cuff bietet auch keinen 100-prozentigen Schutz. Wenn der Cuffdruck zu niedrig eingestellt ist oder der Tubus bewegt wird, kann es zu Aspirationen oder Mikroaspirationen kommen. Außerdem können sich an den Umschlagfalten des Cuffs kleine Sekretstraßen bilden.

Was sind konkrete Maßnahmen zum Schutz vor eben dieser Gefahr?

Es gibt Versuche, technische Lösungen dafür zu finden, den Cuff besser abzudichten. Hierzu gehören zum Beispiel Geräte zur kontinuierlichen Cuffdruckeinstellung, sich selbst regulierende Cuffs oder spezielle Cufffolien, welche Sekretstraßen verhindern. Allerdings ist bei diesen Möglichkeiten noch nicht klar, was sich davon in der Praxis durchsetzen wird.

Und was setzt sich durch?

Was auf jeden Fall kommen wird, ist die subglottische Sekretabsaugung. Hierdurch wird verhindert, dass sich überhaupt Sekret über dem Cuff ansammelt. Es gibt eine starke Empfehlung des Robert Koch-Instituts, dies bei allen Patienten mit einer erwarteten Beatmungsdauer von über 72 Stunden durchzuführen.

Besteht in der Klinik denn immer die Möglichkeit zur subglottischen Absaugung?

Man benötigt hierfür besondere Endotrachealtuben oder Kanülen und eine spezielle Pumpe, um effektiv subglottisch absaugen zu können. Ich habe keinen Überblick, wie viel Prozent der Intensivstationen das schon machen. Flächendeckend eingeführt ist es aber noch nicht.

In Sachen Oberkörperhochlagerung gibt es unterschiedliche Meinungen. Wie sind die aktuellen Empfehlungen hierzu?

Zur Oberkörperhochlagerung gibt es widersprüchliche Forschungsergebnisse. Die jahrelang vertretene Lehrmeinung, dass die kontinuierliche Oberkörperhochlagerung ganz entscheidend zur Pneumonieprophylaxe beiträgt, wurde inzwischen verlassen. Das Robert Koch-Institut empfiehlt dies jedenfalls nicht mehr generell.

Soll man sie nun also nicht mehr durchführen?

Die Oberkörperhochlagerung hat viele Vorteile, zum Beispiel hinsichtlich Wohlbefinden, Aktivierung und Orientierung des Patienten. Und es ist auch gut nachvollziehbar, dass hierdurch tatsächlich weniger Sekret aus dem Magen in den Rachen aufsteigt. Zum Schlafen ist diese Position aber nicht sehr bequem und bei hämodynamischer Instabilität ist sie ungünstig.

Wie gehen Sie hier dann vor?

Möglicherweise liegt die Wahrheit in der Mitte. Wir favorisieren die Oberkörperhochlagerung, aber sind nicht zu streng damit, wenn es gute Gründe für alternative Positionen gibt. Dann dürfen diese auch durchgeführt werden.

Und neben dem Aspirationsschutz – wie lässt sich das Keimspektrum reduzieren?

Die Keimbelastung lässt sich mittels antiseptischer Mundpflege reduzieren. Mit der Mundpflege können wir den Biofilm im Mund-Rachen-Raum verringern, in dem sich Keime sehr wohlfühlen und vermehren. Und wenn wir die Anzahl von Keimen reduzieren, können auch weniger Keime in die tiefen Atemwege absteigen. Das Robert Koch-Institut empfiehlt eine regelmäßige Mundpflege mit antiseptischen Substanzen mit nachgewiesener Wirksamkeit.

Welche Substanzen haben denn eine nachgewiesene Wirksamkeit?

Gute Studien zur Verringerung der Pneumonierate durch Antiseptika gibt es derzeit nur für Chlorhexidin. Gleichzeitig wissen wir, dass andere Substanzen, wie beispielsweise Octenidin, ein besseres Wirkspektrum und weniger Nebenwirkungen aufweisen. Hier muss die Datenlage in Zusammenhang mit der Pneumonierate aber noch verbessert werden. Für die Intensivpflege bedeutet das, bei allen Patienten mit invasivem Atemwegszugang eine gründliche Mundpflege und Zahnreinigung durchzuführen und antiseptische Substanzen anzuwenden. Welche Substanz man verwendet, muss in einer internen Leitlinie festgelegt werden.

Wie gelingt eine Umsetzung dieser Maßnahmen in die Praxis?

Infektionsprophylaxe ist auf jeden Fall kein Selbstläufer. Man muss sich bemühen und alle ins Boot holen, damit die Umsetzung gelingt. Die Einführung von Spezialisten, die sich mit dem Thema beschäftigen und auch dafür freigestellt sind, ist enorm hilfreich. Am Universitätsklinikum Münster gibt es neben den Hygienefachkräften, die sich schon immer mit dieser Problematik befassen, jetzt auch Atmungstherapeuten, die vor Ort präsent sind und das Team unterstützen. Sie sind für Fragen ansprechbar, geben Tipps und führen Schulungen und Anleitungen durch.

Wie schafft man es, Kollegen zu motivieren?

Ich halte es für entscheidend, dass bei der Einführung von Neuerungen alle Mitarbeiter von vornherein beteiligt werden. In der Literatur ist die Rede von den vier E´s – Engagement, Education, Execution und Evaluation. Diese sollen die Akzeptanz und die Befolgung neuer Maßnahmen verbessern.

Können Sie diese näher beschreiben?

Engagement bedeutet, dass alle Mitarbeiter an dem Prozess beteiligt sein müssen. Dazu gehört zum Beispiel das bilden eines multidisziplinären Teams. Ein streng verordnetes Programm führt zu keiner nachhaltigen Akzeptanz und Umsetzung der Maßnahmen. Education heißt, es muss gut erklärt werden, was für Veränderungen benötigt werden und wie diese wirken. Dem Mitarbeiter muss klar sein, warum etwas getan werden soll. Execution meint, dass die Durchführung klar und einfach sein muss. Das kann in Form eines Maßnahmenbündels sein oder ein protokollbasiertes Vorgehen. Hilfreich sind zum Beispiel Poster, Erinnerungen oder Checklisten. Und Evaluation heißt Ergebnismessung und eine kurzfristige Rückmeldung an alle Beteiligten. Diese Punkte helfen, die Compliance zu verbessern.

Complianceförderung zur Infektionsprophylaxe

  • Engagement: Alle Mitarbeiter müssen an dem Prozess beteiligt sein
  • Education: Es muss gut erklärt werden, welche Veränderungen benötigt werden und wie diese wirken
  • Execution: Die Durchführung der Maßnahmen muss klar und einfach sein
  • Evaluation: Ergebnismessung und Rückmeldung an alle Beteiligten

Was hat sich für Sie am meisten bewährt?

Die Quintessenz ist einfach folgende: Es reicht nicht aus, gute Maßnahmen zu beschließen, man braucht auch eine gute Implementierungsstrategie. In den letzten Jahren werden zum Beispiel immer häufiger Maßnahmenbündel eingeführt. Zunächst erarbeitet eine Vorbereitungsgruppe aus dem Team mehrere Maßnahmen, die als zentral angesehen werden. Danach werden alle Mitarbeiter informiert und geschult. Bei der Durchführung ist es hilfreich, die Alles-oder-nichts-Dokumentation zu verwenden. Man macht dann nur ein Häkchen: Entweder sind alle Maßnahmen während des Dienstes durchgeführt worden oder nicht. Das erhöht die Quote, mit der die Vorgaben umgesetzt werden.

Wo sehen Sie Schwierigkeiten?

Das Hauptproblem ist die hohe Arbeitsbelastung. Zeitdruck führt dazu, dass nicht alle Maßnahmen durchgeführt werden können. Gerade die Hygiene wird in Stresssituationen schnell mal vernachlässigt. Auch unzureichend geschultes oder nicht qualifiziertes Personal sind ein Risikofaktor. Der Zusammenhang zwischen der Qualifikation der Pflegenden und der Komplikationsrate bei Patienten ist gut belegt. Wir benötigen also für hochwertige Pflege auch gute Rahmenbedingungen. Um Neuerungen einzuführen brauchen wir Zeit, die wir nicht immer haben. Optimistisch macht mich aber, wenn ich sehe, dass professionell Pflegende heute sehr gut in der Lage sind, wissenschaftliche Erkenntnisse in praktisches Handeln umzusetzen.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Wilpsbäumer.

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