In der Pflegeversicherung wollen Bund und Länder grundsätzlich an Pflegegraden festhalten, doch die konkreten Leistungen überprüfen und vereinfachen. Das teilte das Bundesgesundheitsministerium in Berlin mit. Zuvor hatte die Bund-Länder-Arbeitsgruppe "Zukunftspakt Pflege" in einer digitalen Sitzung Zwischenergebnisse der Fachebene erörtert, wie es hieß.
Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) sagte: "Eine umfassende Reform ist überfällig." Bund und Ländern müsse eine Kraftanstrengung gelingen. Die Wirkung bisheriger Leistungen müsse aus Effizienzgründen auf den Prüfstand.
Aufregung über Pflegegrad 1
Die Unterscheidung nach Pflegegraden solle grundsätzlich beibehalten werden, hieß es in der Mitteilung weiter. Strukturen des Leistungsrechts wollen Bund und Länder jedoch möglichst vereinfachen und fokussieren. Ende September hatte ein "Bild"-Bericht für Aufregung gesorgt, demzufolge in der Koalition über eine mögliche Abschaffung des Pflegegrads 1 diskutiert werde.
Kanzleramtsminister Thorsten Frei (CDU) reagierte wenige Tage später ausweichend auf eine entsprechende Nachfrage. Auf die Frage, ob eine Abschaffung des Pflegegrads 1 die Lösung sei, antwortete Frei in der ARD-Sendung "Maischberger": "Das kann man so pauschal nicht sagen." Er "kenne niemand aus der Koalition, der den Vorschlag gemacht hat".
Laumann: Pflegegrade damals richtig
Nun sagte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU): "2017 hatten wir bei der letzten großen Pflegereform die Pflegegrade eingeführt. Das war zu der Zeit auch richtig." Doch inzwischen existiere ein hochkomplexes Leistungsrecht, in dem die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen sich oftmals nicht mehr zurechtfänden.
"Zudem haben wir in der Pflegeversicherung noch keine guten Lösungen für pflegerische Akutfälle – wenn zum Beispiel kurzfristig die Pflegeperson ausfällt und ganz schnell eine Versorgung gefunden werden muss", so Laumann weiter. Dies sei Teil der Reformüberlegungen.
Warken meinte: "Wir müssen das System der sozialen Pflegeversicherung nachhaltig aufstellen." Stetige Beitragssteigerungen und Mehrbelastungen könnten nicht die Lösung sein. "Die Einnahmen im System müssen ausreichen, um das Leistungsversprechen zu finanzieren."
SPD will kein Spargesetz
Hamburgs Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer (SPD) sprach sich für eine Stärkung der heimischen Pflege aus. Dagmar Schmidt, stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, und Gesundheitsexperte Christos Pantazis erklärten in einer gemeinsamen Stellungnahme: "Mit uns wird es kein Spargesetz auf dem Rücken der Schwächsten geben."
Hintergrund zum Beschluss der Bund-Länder-Arbeitsgruppe "Zukunftspakt Pflege"
- Festhalten am Teilleistungssystem der Pflegeversicherung
Die soziale Pflegeversicherung bleibt auch nach der Reform ein Umlage- und Teilleistungssystem. Es besteht Einigkeit darüber, dass Lösungen zur Begrenzung oder Dämpfung der steigenden Eigenanteile notwendig sind. - Begrenzung der Eigenanteile in der Pflege
Die Fach-AG Finanzierung wurde beauftragt, Optionen zur Begrenzung der Eigenanteile auszuarbeiten, den Finanzbedarf zu beziffern und bis Dezember 2025 konkrete Reformvorschläge vorzulegen. - Finanzierung versicherungsfremder Leistungen aus Steuermitteln
Die Länder fordern, dass versicherungsfremde Leistungen der Pflegeversicherung konsequent aus Steuermitteln finanziert werden, um die Finanzlage kurzfristig zu stabilisieren. - Weiterentwicklung des Pflegevorsorgefonds
Der Pflegevorsorgefonds soll weiterentwickelt werden, um die soziale Pflegeversicherung zu stützen und zur Stabilisierung des Beitragssatzes beizutragen. - Pflegegrade beibehalten – Leistungsrecht vereinfachen
Die Pflegegrade bleiben erhalten. Gleichzeitig sollen die Strukturen des Leistungsrechts "vereinfacht und fokussiert" werden. - Evaluation des Begutachtungsinstruments zur Pflegebedürftigkeit
Das Begutachtungsinstrument wird überprüft, insbesondere die Schwellenwerte auf Basis der Empfehlungen des Expertenbeirats von 2013. Ziel ist eine umfassende Evaluation zur Bemessung der Pflegebedürftigkeit. - Präventionsorientierung im Pflegegrad 1 stärken
Die Beratungen über einen präventionsorientierten Ansatz im Pflegegrad 1 werden fortgesetzt. Leistungen sollen stärker auf Prävention ausgerichtet werden, etwa mit verbesserter pflegefachlicher Begleitung. - Sektorenunabhängige Leistungsbudgets prüfen
Bis Ende 2027 sollen sektorenunabhängige Leistungsbudgets ergebnisoffen geprüft werden. Erste Schritte zur Vereinfachung des Leistungsrechts durch Bündelung in Budgets werden weiterverfolgt. - Neuaufstellung der Beratungsleistungen in der Pflege
Die Beratungsleistungen für Pflegebedürftige sollen weiterentwickelt und gebündelt werden, um eine verbesserte pflegefachliche Begleitung zu ermöglichen. - Versorgung bei pflegerischen Akutsituationen verbessern
Die Fach-AG soll konkrete Vorschläge für eine bessere Versorgung in pflegerischen Akutsituationen erarbeiten, zum Beispiel bei kurzfristigem Ausfall der Hauptpflegeperson oder gesundheitlichen Krisen. - Investitionskosten und pflegerische Infrastruktur
Die Länder erkennen ihre Verantwortung für die pflegerische Infrastruktur. Die Rolle der Investitionskostenförderung wird im weiteren Verfahren diskutiert. - Fokus der Arbeitsgruppen bis Dezember 2025
Bis zur Abschlusssitzung im Dezember 2025 arbeiten die Arbeitsgruppen (AG) intensiv weiter:
AG Versorgung: Vertiefung von Prävention, Datenlage, Innovation, Digitalisierung, KI-Nutzung und Entbürokratisierung.
AG Finanzierung: Prüfung der einnahme- und ausgabeseitigen Stellschrauben.
dpa | Bibliomed