Wer an Krebs erkrankt, steht vor großen körperlichen und seelischen Herausforderungen. Für Menschen mit Zuwanderungsgeschichte können Sprachbarrieren hinzukommen, die negative Folgen für die Versorgung mit sich bringen können. Ein Forschungsteam der Uniklinik Köln und des Instituts für Pflegewissenschaft der Universität zu Köln entwickelt im Projekt "IntVeM" gezielte Unterstützungsangebote für onkologisch erkrankte Patientinnen und Patienten mit Sprachbarriere. Ziel ist es, die Kommunikation zu verbessern und Versorgungslücken zu schließen.
Menschen, die an Krebs erkranken, durchleben eine Zeit tiefgreifender körperlicher und seelischer Herausforderungen. Neben den aufwühlenden Gefühlen, die die Diagnose auslöst, fühlen sich viele Betroffene vom Versorgungssystem und den nun an sie gestellten Fragen zudem überfordert. Wie schwer muss es dann erst für Menschen sein, die nicht mit Deutsch als Erstsprache aufgewachsen sind? Für sie kommen zur körperlichen und emotionalen Belastung oft noch Sprachbarrieren hinzu. Diese führen nicht nur zu Unsicherheit, sondern im schlimmsten Fall auch zu einer schlechteren pflegerischen und medizinischen Versorgung. Ein Team der Uniklinik Köln und des Instituts für Pflegewissenschaft der Universität zu Köln will dies ändern: Im von der Deutschen Krebshilfe geförderten Forschungsprojekt "Integratives Versorgungsmodell für onkologisch erkrankte Menschen mit Migrationshintergrund und Sprachbarrieren (IntVeM)" entwickelt es seit Herbst 2023 gezielte Unterstützungsangebote für onkologisch erkrankte Menschen mit Migrationsgeschichte und Sprachbarrieren.
In der Begleitung sind Pflegefachpersonen im Krankenhaus oft die ersten Ansprechpartnerinnen und -partner für onkologisch erkrankte Menschen. Im unmittelbaren Gespräch erleben sie häufig, dass Menschen mit Migrationsgeschichte und Sprachbarrieren aufgrund fehlender Sprachkompetenz die Auswirkungen der Diagnose und die Komplexität verschiedener Therapien nur eingeschränkt verstehen. Hinzu kommen häufig kulturelle Barrieren. Dadurch stoßen Pflegefachpersonen bei der Versorgung an verschiedene Grenzen. So sind beispielsweise tiefgründige Gespräche gar nicht möglich und belastende Symptome sowie Ängste können nicht ausreichend erfasst und behandelt werden.
Auch die Betroffenen selbst stoßen im Gesundheitssystem auf zahlreiche Hindernisse, die sich negativ auf ihre Versorgung auswirken können. Vor dem Hintergrund einer Krebserkrankung ist dies besonders problematisch. Verständnisschwierigkeiten und die fehlende Fähigkeit, nachzufragen, können dazu führen, dass Betroffene schlechter informiert sind und die Vor- und Nachteile von Behandlungsmöglichkeiten nicht abwägen können. Zudem fällt es ihnen oft schwer, eigene Wünsche, Bedürfnisse oder Probleme mitzuteilen. Dem Behandlungsteam stehen diese Informationen dann für eine individuelle Versorgung ebenfalls nicht zur Verfügung. Mögliche Folgen sind, dass gesundheitliche Probleme und Symptome sowie Bedürfnisse und Präferenzen der Betroffenen nicht oder (zu) spät entdeckt werden und ein angemessener Umgang fehlt. Es besteht die Gefahr, dass die Betroffenen benachteiligt oder ungewollt schlechter behandelt werden.
Hilfreiche Versorgungskonzepte fehlen
An der Uniklinik Köln haben etwa zehn Prozent der onkologischen Patientinnen und Patienten zuwanderungsbedingte Sprachbarrieren. Das hat eine kürzlich durchgeführte Erhebung ergeben. In der Versorgung fehlt es an Konzepten, um mit dieser besonders vulnerablen Gruppe gut umzugehen. Das IntVeM-Projekt richtet sich deshalb sowohl an Menschen mit Migrationsgeschichte, die die Sprache des Versorgungsteams nicht oder kaum sprechen, als auch an jene, die die Alltagssprache zwar ausreichend beherrschen, denen es jedoch schwerfällt, medizinische und pflegerische Fachsprache und Zusammenhänge zu erfassen.
Sprachbarrieren als zusätzliche Belastung
Für Betroffene und ihre Familien bedeuten Sprachbarrieren und das Fehlen von Konzepten zu deren Überwindung eine zusätzliche Belastung in einer ohnehin schweren Zeit. Auch für das Versorgungsteam ist diese Situation herausfordernd. Sie stoßen immer wieder an Grenzen, wenn es darum geht, im Behandlungsalltag gut mit den Betroffenen und ihren Angehörigen zu kommunizieren.
Um geeignete Maßnahmen zu entwickeln, wurden Patientinnen und Patienten, die Deutsch nicht fließend sprechen und verstehen, nach ihren Bedürfnissen und Wünschen befragt. Zudem wurden die in der Versorgung Tätigen zu den Herausforderungen im Versorgungsalltag interviewt und es wurde in der wissenschaftlichen Literatur nach bestehenden Maßnahmen zur Überwindung von Sprachbarrieren recherchiert.
Entwicklung eines neuartigen Versorgungsmodells
Auf Grundlage dieser Ergebnisse wurde an der Uniklinik Köln ein neues pflegegeleitetes Versorgungsmodell entwickelt, das auf die Zielgruppe zugeschnitten ist. Dieses Modell umfasst unter anderem folgende Elemente:
- den Einsatz speziell geschulter onkologischer Pflegeexpertinnen und -experten
- eine ergänzende Beratung durch Pflegexpertinnen und -experten des Patienten-Informations-Zentrums (PIZ)
- einen telefonischen Sprachmittlungsservice, der allen an der Versorgung beteiligten zur Verfügung gestellt wird
- den Einsatz von speziell entwickelten Informationsmaterialien in der jeweiligen Erstsprache
- die Bereitstellung von Materialien der Routineversorgung in der jeweiligen Erstsprache sowie
- die Schulung von Mitarbeitenden.
Die häufigsten nichtdeutschen Erstsprachen von Patientinnen und Patienten an der Uniklinik Köln sind Türkisch, Ukrainisch, Russisch und Arabisch. Daher konzentriert sich das Projekt "IntVeM" auf diese Sprachen.
Onkologische Pflegeexpertinnen und -experten, die neben der pflegerischen Ausbildung eine Weiterbildung in onkologischer Pflege und ein Hochschulstudium absolviert haben, spielen eine wichtige Rolle in dem Forschungsprojekt. Diese nach dem Vorbild von Advanced Practice Nursing etablierten erweiterten pflegerischen Rollen übernehmen im Rahmen des Versorgungsprozesses eine koordinierende, steuernde und leitende Funktion. Zu Beginn des stationären Aufenthalts führen die Pflegefachpersonen ein ausführliches Aufnahmegespräch, in dem sie unter anderem sprachliche, soziale und krankheitsbezogene Aspekte erfragen. Auf dieser Grundlage wird ein zweisprachiger Versorgungsplan erstellt, der einer strukturierten Planung, Dokumentation und Koordination der Behandlungs- und Pflegemaßnahmen dient. Die Pflegeexpertinnen und -experten identifizieren erste Informationsbedarfe zu Erkrankung, Therapie sowie möglichen Nebenwirkungen und stellen entsprechende Materialien in der jeweiligen Erstsprache zur Verfügung.
Auch Angehörige niedrigschwellig beraten
Während des Aufenthalts koordinieren die Pflegeexpertinnen und -experten ergänzende Unterstützungsangebote wie sozialrechtliche Beratung oder Beratung durch das Patienten-Informations-Zentrum (PIZ) der Uniklinik Köln. Dort können Patientinnen, Patienten sowie ihre An- und Zugehörigen Angebote der "Familialen Pflege" erhalten und werden niedrigschwellig zu Themen wie Tabakentwöhnung, Leistungen der Pflegeversicherung oder Hygiene bei Immunsuppression beraten und geschult.
In einem Zwischengespräch besprechen die onkologischen Pflegeexpertinnen und -experten erneut die individuellen Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten, um Maßnahmen zur Überwindung von Sprachbarrieren gezielt anzupassen. Dazu zählen unter anderem der Einsatz bilingualer Kommunikationshilfen und mehrsprachiger Entscheidungshilfen sowie die Vermittlung passender ambulanter Angebote. Vor der Entlassung erfolgt ein Abschlussgespräch. Auch in der poststationären Phase bleiben die onkologischen Pflegeexpertinnen und -experten als direkte Ansprechpartnerinnen und -partner eingebunden. Die Angebote des Patienten-Informations-Zentrums (PIZ) und der "Familialen Pflege" stehen den Betroffenen nach der Entlassung weiterhin zur Verfügung. Dies sorgt für eine bessere Kontinuität in der Versorgung.
Was benötigen Patientinnen und Patienten mit Sprachbarrieren wirklich?
Der Erfolg der Intervention wird wissenschaftlich evaluiert. Der Fokus liegt dabei auf dem Informationsstand, der Gesundheitskompetenz und der Zufriedenheit der in das Projekt eingeschlossenen Patientinnen und Patienten. Die Daten dazu werden per Fragebogen zu drei Zeitpunkten (Aufnahme, Entlassung und drei Monate nach Entlassung) erhoben. Am Ende des Projekts werden auch die Versorgenden zu ihren Erfahrungen mit dem Versorgungsprojekt befragt.
Es wird erwartet, dass onkologisch erkrankte Menschen mit Zuwanderungsgeschichte und Sprachbarrieren dank "IntVeM" besser informiert sind, sich sicherer und kompetenter fühlen, stärker in Therapieentscheidungen einbezogen werden und Therapien seltener abbrechen. Die Intervention soll zu einer erhöhten Zufriedenheit, zu weniger Komplikationen und zu besseren Heilungschancen führen. Im Fokus einer begleitenden Prozessevaluation stehen aber auch die Arbeitszufriedenheit der beteiligten Versorgenden und die Umsetzbarkeit in der Praxis.
Mit "IntVeM" wird an der Uniklinik Köln eine neue Brücke für Menschen mit migrationsbedingten Sprachbarrieren und das versorgende Team gebaut.
Autorinnen und Autoren:
Annika Dangendorf, M.Sc.
Pflegeexpertin APN Gesundheitsförderung
Patienten-Informations-Zentrum (PIZ)
Uniklinik Köln
Stefanie Federhen, M.A.
Pflegeexpertin APN
Gesundheitsförderung
Leiterin Patienten-Informations-Zentrum (PIZ)
Uniklinik Köln
Johannes Bösche, M.A.
Leitender onkologischer Pflegeexperte APN
Uniklinik Köln
Carolin Höckelmann, M.Sc.
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Institut für Pflegewissenschaft
Universität zu Köln
Richard Dano, M.Sc.
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Institut für Pflegewissenschaft
Universität zu Köln
Prof. Dr. Sascha Köpke
Leiter Institut für Pflegewissenschaft
Universität zu Köln