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Krankenhauspflege

Die Dame mit der Lampe und dem scharfen Verstand

Rezension zur kommentierten Übersetzung von Florence Nightingales "Bemerkungen zur Krankenpflege" von Christoph Schweikardt und Susanne Schulze-Jaschok, erschienen in sechster Auflage 2024 im Mabuse-Verlag.

Florence Nightingale wurde 1820 als zweite Tochter einer wohlhabenden englischen Familie geboren. Sie wuchs entsprechend ihres Standes mit einer exzellenten Erziehung auf, die eigentlich in eine passende Heirat und das damals übliche Leben einer bürgerlichen Dame in der viktorianischen Zeit gemündet hätte. Schon mit 17 Jahren stellte Miss Nightingale aber fest, dass ein solches Leben unnütz sei und fühlte sich (von Gott) berufen, ihr Leben in den Dienst für kranke Menschen zu stellen. Von da an verfolgte sie dieses Ziel hartnäckig, auch gegen den Widerstand ihres Umfelds. Berühmt ist sie für ihren Einsatz im Krimkrieg, als sie sich um britische Soldaten in einem Lazarett vor den Toren des heutigen Istanbuls kümmerte. Durch ihre unermüdliche Fürsorge bei Tag und Nacht (mit der Lampe) wurde sie von den Soldaten hoch verehrt. Nachdem sie dort festgestellt hatte, dass die Soldaten viel häufiger an schlechten Versorgungsbedingungen als an Kriegsverletzungen starben, nahm sie besonders die Hygiene in den Blick. Ihr Verständnis von Krankenpflege ging weit über die Tätigkeit für einen individuellen Kranken hinaus – sie setzte sich für eine Neuordnung der Rahmenbedingungen der Krankenversorgung ein, von der Krankenhausorganisation bis hin zur fachlichen Ausbildung für die Krankenpflegerinnen.

Erstes weibliches Mitglied der Royal Statistical Society

Als Frau konnte sie zur damaligen Zeit kein Regierungsamt bekleiden – sie wirkte vielmehr durch persönliche Beziehungen zu einflussreichen Personen und mit umfangreichen Berichten und Empfehlungen. Sie sammelte und analysierte Unmengen von Daten, zum Beispiel zu Sterberaten in Krankenhäusern. Zu ihren Fähigkeiten zählte, unterschiedliche Zielgruppen anzusprechen und von ihren Erkenntnissen zu überzeugen. Für politische Entscheidungsträger nutzte sie neue grafische Darstellungen ihrer Sterbestatistiken. Diese damals revolutionäre Verwendung zeugt von ihrem scharfen Verstand und nicht umsonst war sie 1858 das erste weibliche Mitglied der Royal Statistical Society. Mit den Bemerkungen zur Krankenpflege richtete sie sich an alle Frauen und Mädchen, die Kinder oder Erwachsene pflegen, und wählte dafür eine ganz direkte Ansprache für ein breites Publikum.

Aufbau und Inhalt des Buchs

Die Neuübersetzung von Schweikardt und Schulze-Jaschok umfasst insgesamt fünf Abschnitte:

  1. eine ausführliche Einführung
  2. den Hauptteil mit den Bemerkungen zur Krankenpflege
  3. ein Nachwort zum Werk von Florence Nightingale und dessen Übersetzung
  4. einen Anhang mit ihrem Lebenslauf und einem Glossar
  5. ein strukturiertes Quellenverzeichnis.

 

Der Einführungsteil bietet einen kurzen Überblick über das Leben und Wirken von Florence Nightingale und die Lebensbedingungen ihrer Zeit. Ihr Verständnis von Infektion und Ansteckung wird dargestellt – Florence Nightingale glaubte an die damals verbreitete Miasmentheorie. Diese besagt, dass Krankheiten durch schädliche Dämpfe ausgelöst werden (Erreger wurden als Auslöser von Infektionskrankheiten erst später anerkannt). Weiterhin fasst das Autorenduo Nightingales Verständnis von Krankenpflege und die Zielsetzung zusammen, die sie mit den Bemerkungen zur Krankenpflege verfolgte. Das Material in Nachwort und Anhang dient dazu, den Forschungsstand zu Nightingales Werk sowie die Herausforderungen und Ziele der Neuübersetzung nachzuvollziehen. Das nach Rubriken geordnete Quellenverzeichnis gibt der Leserschaft Orientierung für eine gezielte Vertiefung in das Thema.

Damit bietet das Buch umfangreiche Informationen, die nötig sind, um die Bemerkungen zur Krankenpflege vor ihrem historischen Kontext lesen und einordnen zu können. Auf eine fachliche und berufspolitische Einordnung in den heutigen Kontext der Pflegeprofession verzichten Schweikardt und Schulze-Jaschok allerdings.

Weder Leitfaden noch Lehrbuch – Nightingale wollte Denkanstöße geben

Hauptteil: Florence Nightingale macht im Vorwort deutlich, wozu sie ihr Werk geschrieben hat: "Die folgenden Bemerkungen sind keineswegs als Leitfaden gedacht, mit dessen Hilfe Krankenschwestern sich selbst die Pflege beibringen können, noch weniger als ein Lehrbuch, um Krankenschwestern die Pflege zu lehren. Sie sind einfach dazu gedacht, Frauen Denkanstöße zu geben, die persönlich für die Gesundheit anderer verantwortlich sind." (S. 27). In den folgenden Kapiteln fasst sie ihre Thesen und Ratschläge bezogen auf verschiedene Bereiche der Pflege zusammen und beginnt mit dem aus ihrer Sicht wichtigsten Teil: Lüften und Wärmen. Weitere Themen sind die Gesundheit von Häusern, Organisation im Alltag, Geräusche, Abwechslung, Nahrungsaufnahme und Ernährung, Bett und Bettzeug, Licht, Sauberkeit von Zimmern und Wänden, Sauberkeit des einzelnen Patienten. Im letzten Kapitel wird die Versorgung von Babys beschrieben, die sie etwas später verfasst hat.

Wichtige übergeordnete Themen sind das Verständnis von Gesundheit und Krankheit, die Rolle der Krankenschwester und die Aufgabenteilung zwischen den Professionen.

Ziel der Krankenpflege: Gesundheit als positives Konzept 

Florence Nightingale betrachtete Genesung als natürlichen Wiederherstellungsprozess und die Aufgabe der Pflege als dessen Unterstützung. "Die Pathologie lehrt uns, zu welcher Schädigung die Krankheit geführt hat. Aber darüber hinaus lehrt sie uns nichts. Wir erfahren nichts über das Prinzip der Gesundheit, das Positive, dessen Negatives die Pathologie ist, außer durch Beobachtung und Erfahrung." (S. 199). Damit macht sie die Gesundheit als positives Konzept zum Ziel der Krankenpflege.

Sie thematisiert eine klare Aufgabenteilung und den kompetenzorientierten Einsatz der unterschiedlichen Professionen. "Eine Krankenschwester sollte nichts anderes tun als zu pflegen. Wenn man eine Putzfrau will, so nehme man eine." (S.83). Den Anordnungen des Arztes ist unbedingt Folge zu leisten – jedoch nicht, ohne dass die Krankenschwester ihren eigenen Verstand gebraucht. Damit der Arzt richtige Entscheidungen treffen kann, benötigt er die Kompetenz der Krankenschwester zur Krankenbeobachtung und zur präzisen Kommunikation des Zustands der Erkrankten. Hingebungsvoller Gehorsam als Charakterisierung einer Krankenschwester ist für sie unnütz: "Diese Definition würde genauso für einen Pförtner zutreffen. Sie könnte sogar für ein Pferd gelten." (S. 209).

Die minutiöse Beobachtung des Patienten und das sorgfältige Abstimmen der Krankenpflege auf seinen aktuellen Zustand und seine individuellen Bedürfnisse ist folglich ein wichtiges Motiv, das sich durch alle Kapitel zieht.

Einige Abschnitte wirken befremdlich

Nightingales inhaltlicher Fokus auf Hygiene und das Vermeiden schädlicher Dämpfe ist einerseits eine auch aus heutiger Sicht plausible Reaktion auf damalige Verhältnisse in Krankenhäusern und Privathaushalten. Andererseits drückt sich hierin auch ihr Glaube an die mittlerweile veraltete Miasmentheorie aus. Vor dem Kontext des aktuellen Wissens wirken einige Abschnitte dadurch eher befremdlich.

Die Bemerkungen zur Krankenpflege betrachtet sie als Hilfe zur "hygienischen Krankenpflege". Diese trifft für alle Pflegesituationen zu, zuhause, wie auch im Krankenhaus, für Laien, wie auch für die professionelle Pflege. Darüber hinaus definiert sie die "chirurgische Krankenpflege" als "Handwerk". Dieses Handwerk umfasst zum Beispiel die Versorgung des Patienten vor und nach Operationen und zielt unter anderem auf die Vermeidung von Komplikationen wie Wundinfektionen. Das Handwerk der Krankenpflege kann man aus ihrer Sicht nur mit einer gründlichen Schulung durch erfahrene "Oberschwestern" in der Praxis erlernen. Nightingale besuchte im Jahr 1850 die Kaiserswerther Diakonissen und Theodor Fliedner. Dessen Organisation und Ausbildungskonzept beeindruckte sie sehr und sie hatte dieses Vorbild einer professionellen Krankenpflege vor Augen, als sie 1860 ihre eigene Krankenpflegeschule am St. Thomas Hospital in London gründete.

Schon Nightingale sah Abhängigkeit guter Pflege von organisatorischen Rahmenbedingungen

Nightingale war klar, dass die Krankenpflege hohe Anforderungen stellte. Sie sah die Verantwortung der Krankenschwester für ihren Patienten in einer konkreten Versorgungssituation. Jedoch betont sie auch die "Organisation im Alltag", als Verantwortung der Krankenschwester, die Versorgung auch in ihrer Abwesenheit auf dem gleichen Niveau durch Anleitung und Organisation sicherzustellen. Sie stellt klar, welche umfassenden Kompetenzen die Verantwortung für die Krankenpflege in einem Hospital bedeutete, denn sie sah die Abhängigkeit guter Pflege von organisatorischen Rahmenbedingungen. Ihre Berufung für die Krankenpflege nahm sie auch auf einer politischen Ebene wahr und kämpfte unermüdlich dafür, diese Rahmenbedingungen zu verbessern.

Bemerkenswert ist ihr Schreibstil. Sie stellt pointierte Thesen auf und untermauert diese dann mit Daten, selbst erlebten Fallbeispielen oder der Meinung anerkannter Experten. Sie spricht ihr Publikum direkt an und arbeitet mit Wiederholungen und Zusammenfassungen. Ihre Beschreibungen sind anschaulich und praxisnah. Sie schildert auch Negativbeispiele und Übertreibungen und setzt eine gute Portion britischen Sarkasmus ein. "Wenn Ihr gerne eure Möbel dadurch säubert, dass Ihr Eure sauberen Kleider auf Euren schmutzigen Stühlen oder Sofa auslegt, so ist dies sicherlich ein Weg." (S. 142).

Einordnung: Die Bemerkungen zur Krankenpflege – was sie sind und was sie nicht sind

Was waren die Bemerkungen zur Krankenpflege in der Zeit von Florence Nightingale? Florence Nightingale senkte die Sterblichkeit in ihrem Lazarett durch ihre Maßnahmen zur Organisation und Hygiene von 40 Prozent auf 2 Prozent und rettete damit unmittelbar tausenden Soldaten das Leben. Die Bemerkungen zur Krankenpflege stellten zu ihrer Zeit einen Beitrag zur allgemeinen Gesundheitserziehung der Bevölkerung dar. Man kann wohl nicht ermessen, wie viele weitere tausende Leben sie dadurch rettete, dass sie auch ein breites Publikum ansprach und grundlegende Kenntnisse über Hygiene und Krankenpflege vermittelte.

Was sind die Bemerkungen zur Krankenpflege heute? Auch heute sind die Bemerkungen zur Krankenpflege nicht nur ein historisches Dokument, sondern können Inspiration für unsere Pflegepraxis sein.

Bemerkenswert ist die konsequente Ausrichtung der Pflege auf die individuelle Situation des Patienten und seine Bedürfnisse. Immer wieder betont Nightingale die Bedeutung dieser Perspektive, die man heute Person- oder Patientenzentrierung nennen würde. Man kann ihre Methoden auch durchaus als evidenzbasierte Praxis bezeichnen: bei Entscheidungen, ob auf der individuellen oder der organisationsbezogenen Ebene, berücksichtigte sie gründliche Beobachtung und zog empirische Daten heran. Ganz klar war für sie die interprofessionelle Zusammenarbeit zwischen Pflege und Medizin. Jedes Feld hat einen spezifischen Blickwinkel und Versorgungsauftrag, die Gesundung eines Kranken ist nur durch das Zusammenwirken der Professionen denkbar. Sie thematisiert wichtige ethische Prinzipien wie Verantwortung und Fürsorge, die aktueller, integraler Bestandteil der Pflegeethik und unseres Berufskodex sind. Verantwortung für die Krankenpflege erstreckt sich in ihrer Arbeit bis hin zur politischen Arbeit für bessere Versorgungsbedingungen.

Was sind die Bemerkungen zur Krankenpflege nicht? Das Wissen über Gesundheit und Krankheit, Medizin und Pflege ist heute ein anderes als vor 165 Jahren und auch der Versorgungskontext hat sich drastisch verändert. Einige Bemerkungen stimmen bis heute – vieles ist inhaltlich nicht mehr zutreffend oder falsch. Die Bemerkungen zur Krankenpflege sind daher kein aktuelles Lehrbuch für die Pflege (sollten sie auch damals schon nicht sein) und auch kein Leitfaden für die häusliche Laienpflege.

Trotzdem finde ich die Lektüre empfehlenswert. Die Bemerkungen zur Krankenpflege illustrieren einen wichtigen historischen Schritt in der Entwicklung unserer Profession. Wir können stolz sein auf die Fortschrittlichkeit und den Mut der Krankenschwester Florence Nightingale. Sie zeigt, was unser Beitrag, der Beitrag der Pflege, zur Genesung von unzähligen Patienten sein kann.

Nicht zuletzt bietet das Buch die großartige Chance, eine Pionierin der Krankenpflege mit bissigem britischem Humor im O-Ton sprechen zu hören. Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie ich als Schülerin im Patientenzimmer stehe, die Krankenschwester Florence Nightingale hereineilt und mich ermahnt: "Miss Silies! Fenster sind zum Öffnen da, Türen zum Schließen – eine Wahrheit, die anscheinend außerordentlich schwierig zu begreifen ist!" (S.47). Und ich frage mich: Was für ein Buch würde Florence Nightingale wohl heute schreiben? Und welchen Entscheidungsträgern würde sie zum Wohle der Menschen und mit scharfem Verstand hartnäckig auf die Füße treten? Sicher ist: Sie hätte für jede ihrer Thesen und Forderungen aussagekräftige Daten in überzeugender Darstellung parat!

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