Ingrid Kükenshöner, Verantwortliche Pflegefachkraft in der Tagespflegeeinrichtung Hoffmannsgarten in Berlin, über die praktische Umsetzung des Expertenstandards „Kontinenzförderung in der Pflege“.
Frau Kükenshöner, die Expertenarbeitsgruppe empfiehlt die Einschätzung der Kontinenzsituation. Wie gehen Sie hier vor?
Menschen, die sich für einen Platz bei uns interessieren, werden im Rahmen eines 45- bis 60-
minütigen Kennenlerngesprächs zunächst ausführlich über unser Angebot informiert. Im zweiten Schritt befragen wir die Interessenten und Angehörigen nach ihrer häuslichen Pflegesituation. Hierbei stellen wir auch diskrete Fragen zur Kontinenz. Im Rahmen des Probetags und der ersten Besuchstage in unserer Einrichtung beobachten wir den Gast, um uns ein genaueres Bild zu machen. Eine weitere Einschätzung der Kontinenzsituation erfolgt nach Aufnahme in unsere Einrichtung im Rahmen der Strukturierten Informationssammlung. Hier befragen wir den Gast persönlich, sprechen aber auch detailliert mit den Angehörigen. Im Anschluss besprechen wir mit den Kolleginnen im Rahmen der Eingewöhnung erforderliche Maßnahmen und halten sie im Maßnahmenplan fest.
Bieten Sie eine Kontinenzberatung an?
Ja, das tun wir – sowohl wenn es zu Hause zu Herausforderungen kommt und wir um Rat gefragt werden als auch proaktiv, etwa wenn wir erkennen, dass ein Gast mehr Unterstützung rund um das Thema Kontinenz benötigt. Dabei ist die Beratung der Gäste und Angehörigen sehr individuell. Da es sich um ein schambehaftetes Thema handelt, ist Beobachtung zentral für uns. Wir suchen beispielsweise sensibel das Gespräch, wenn uns auffällt, dass ein Gast länger auf der Toilette verweilt oder scheinbar mit den Abfolgen überfordert ist. Manchmal kommt es auch vor, dass ein Gast beispielsweise nach Urin riecht oder einen ungepflegten Eindruck macht. In anderen Fällen kommt es bei einer eigentlich kontinenten Person zu einem „Malheur“, etwa aufgrund einer Infektion oder einer bestimmten Speise. Dann sind zwar Unterstützung und Zuspruch nötig, aber keine dauerhafte Intervention. Manchmal ist es eine Gratwanderung, eben weil das Thema so schambehaftet ist, aber in der Regel gelingt es uns gut, Probleme mit der Kontinenz so auszugleichen, dass die Person nicht dauerhaft beeinträchtigt ist.
Die Studienlage zum Toilettentraining ist gering, wird im Expertenstandard aber dennoch empfohlen. Welche Erfahrungen machen Sie mit Toilettentraining?
Mit dem Toilettentraining machen wir gute Erfahrungen. Vor allem bei Menschen mit Demenz funktioniert es gut. Auch hier steht die Beobachtung im Vordergrund. Wir wissen relativ schnell, wie häufig unsere Gäste täglich Wasser lassen und wie oft sie in der Woche Stuhlgang haben. Auf dieser Basis bieten wir individuelle Toilettenintervalle an, um den Wechsel von Inkontinenzmaterial überflüssig zu machen. Wichtig ist, den Betroffen die Zeit zu geben, die sie benötigen – Hektik ist beim Thema Kontinenzförderung völlig kontraproduktiv. Wir bemühen uns, mithilfe von Ritualen, akustischen oder taktilen Entspannungstechniken oder auch der Bitte, einmal zu husten, unsere Gäste zum Wasserlassen zu animieren. Für Männer ist es erfahrungsgemäß schwieriger, sich Hilfe zu holen oder auch einer Begleitung bei den Toilettengängen zuzustimmen – auch, weil unser Team aktuell nur aus Frauen besteht. Durch einfühlsame und rücksichtsvolle Angebote und die Erfahrung, dass eine Begleitung nicht schambesetzt sein muss, lassen sich die meisten aber auf die Unterstützung ein.
Beckenbodentraining gilt bei Frauen mit Belastungsinkontinenz als effektiv. Bieten Sie es an?
Im Herbst 2023 gab es in unserer Einrichtung eine ausführliche Schulung zum Thema Inkontinenz und Beckenbodentraining. Als Dozentin engagierten wir eine Physiotherapeutin mit einer hohen Expertise diesbezüglich. Sie hat bereits viele Patientinnen und Patienten betreut, denen sie helfen konnte. Die im Rahmen der Schulung gelernten Übungen bieten wir sowohl im Rahmen des täglichen Sportangebots als auch in der Einzelbetreuung, bei Tanzangeboten und beim gemeinsamen Singen an. Sie lassen sich wunderbar in den Alltag integrieren und unsere Gäste nehmen sie gern an.
Wie schaffen Sie es in Zeiten von Personalmangel, diese Angebote anzubieten?
Wir haben glücklicherweise einen sehr guten Personalschlüssel und ein gut eingespieltes Team. Jeden Tag legen wir fest, welche Kolleginnen aus unserem Team an dem Tag für Toilettengänge zuständig sind. Diese sprechen sich untereinander ab. Jede von uns kennt unsere Gäste und ihre Besonderheiten. Im Rahmen unserer täglichen Teammeetings teilen wir wichtige Informationen; dazu gehören auch Beobachtungen der Kontinenzsituation. Natürlich kommt es auch bei uns zu Engpässen aufgrund von hohen Krankenständen. Unser Anspruch ist aber dennoch, dass sich die Gäste bei uns wohlfühlen; dabei spielt die Kontinenzsituation eine wichtige Rolle. Wir legen deshalb großen Wert darauf, in diesem Bereich keine Abstriche zu machen.