• 29.07.2025
  • Pflegepolitik
Zukunft der Pflegepersonalfinanzierung

"Alles daransetzen, das Pflegebudget möglichst lange zu erhalten"

Arne Evers ist seit 2019 Pflegedirektor am St. Josefs-Hospital Wiesbaden. Der 39-Jährige ist Absolvent des Masterstudiengangs Pflegewissenschaft an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar und des Bachelorstudiengangs „Bachelor of Science: Gesundheit und Pflege“ an der Katho lischen Hochschule Mainz. Die Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger absolvierte er am St. Josefs-Hospital Wiesbaden (2007–2010); seit 2014 war er stellvertretender Pflegedienstleiter. Evers ist in zahlreichen Verbänden und Gremien engagiert, unter anderem im Deutschen Berufsverband für Pflege - berufe (DBfK) und im Katholischen Krankenhausverband Deutschland (KKVD). Er ist Autor mehrerer Veröffentlichungen zum Thema Pflegepersonalbemessung (Zeitschriftenartikel und Sammelbandbeiträge). Im vergangenen Monat ist das von ihm herausgegebene Buch „Personal bemessung in der Pflege“ erschienen (Textkasten).

Die Schwester Der Pfleger

Ausgabe 8/2025

Seite 58

Das Pflegebudget hat zu einem überproportionalen Personalaufwuchs in Kliniken geführt. Angesichts hoher Kosten fordern Gesundheitsökonomen jedoch zunehmend die Abschaffung dieses Instruments. Über die möglichen Folgen und die zukünftige Finanzierung des Pflegepersonals sprachen wir mit Pflegemanager Arne Evers.

Herr Evers, das Pflegebudget sollte zu deutlich mehr Pflegepersonal in den Krankenhäusern führen. Dieses Ziel wurde erreicht. Dennoch war das Instrument von Anfang an umstritten. Wo lag die zentrale Schwachstelle?

Zum einen birgt das Pflegebudget die Gefahr der Rückdelegation von Tätigkeiten wie Reinigung und Patiententransport an die Pflege. Denn wenn Servicekräfte über das DRG-System mühsam erwirtschaftet werden müssen, ist es aus betriebswirtschaftlicher Sicht naheliegend, deren Tätigkeiten wieder von Pflegekräften ausführen zu lassen. Denn deren Stellen werden ja alle bezahlt. Genau hier liegt das zweite Problem des Pflege­budgets – zumindest aus Sicht der Krankenkassen. Der kürzlich pensionierte Abteilungsleiter Krankenhäuser beim GKV-Spitzen­verband, Wulf-Dietrich Leber, bezeichnete das Pflegebudget seinerzeit als Freibierregelung: Was auch immer die Krankenhäuser unter das Konto Pflege buchten, werde in vollem Umfang refinanziert; Wirtschaftlichkeit spiele keine Rolle. Freibier für die Pflege klingt zwar etwas po­lemisch, aber Leber hatte mit seiner Kritik nicht ganz Unrecht. Tatsächlich waren viele Kliniken sehr kreativ, wenn es darum ging, möglichst viele Mitarbeitende über das Pflegebudget laufen zu lassen – beispielsweise Per­sonal, das zwar über eine pflegerische Qualifikation verfügt, de facto aber in einem anderen Bereich eingesetzt ist.

Wulf-Dietrich Leber plädierte damals dafür, das Pflegebudget zeitlich und auf „Pflege am Bett“ zu begrenzen sowie klare Regeln zu erlassen, um zu verhindern, dass das Pflegepersonal wieder Putz­arbeiten ausführt, weil das billiger ist als das Reinigungspersonal. Dies ist nicht erfolgt – stattdessen wurden die sogenannten pflegeentlastenden Maß­nahmen im Pflegebudget zwischenzeitlich neu geregelt. Was hat es damit auf sich und welche Auswirkungen hatte das?

Ursprünglich konnten Krankenhäuser bis zu 4 Prozent ihres Pflegebudgets für potenziell pflegeentlastende Maßnahmen verhandeln. Dazu zählen zum Beispiel der Einsatz bestimmter Berufsgruppen wie Medizinischer Fachangestellter, deren Tätigkeit das Pflegepersonal entlastet, die Anschaffung einer Diktiersoftware, um den bürokratischen Aufwand zu reduzieren, oder die Medikamentenverblisterung, die zu Zeitersparnissen führt, weil das zeitaufwendige Stellen der Tabletten entfällt. Natürlich haben die Kliniken versucht, möglichst viel als pflegeentlastende Maßnahmen zu verhandeln. Dies ist aber in vielen Fällen nicht geglückt, sodass die Pflegebudget­verhandlungen mit den Krankenkassen scheiterten. Dies wiederum brachte viele Krankenhäuser in wirtschaftliche Bedrängnis. Zudem war der bürokratische Aufwand sehr hoch, da jede potenziell pflegeentlastende Maßnahme einzeln begründet und verhandelt werden musste. Seit 2024 gilt daher eine neue Regelung, wonach nur noch 2,5 Prozent des Pflegebudgets für pflegeentlastende Maß­nahmen verhandelt werden können – dafür allerdings pauschal, unbürokratisch und ohne aufwendige Nachweispflicht. Für manche Kliniken ist das von Vorteil, weil sie pflegeentlastende Maßnahmen nicht mehr aufwendig mit den Kassen verhandeln müssen. Für unser Haus beispielsweise führt die neue Regelung jedoch zu einem Einkommensverlust, weil wir die 4 Prozent ausschöpfen und erfolgreich verhandeln konnten.

Betriebsräte aus Krankenhäusern schlugen gemeinsam mit der Gewerkschaft Verdi Alarm: Die Änderung im Pflege­budget bewirke eine zunehmende Über­tragung von Servicetätigkeiten wie etwa der Reinigung von Betten auf Pflegekräfte, was deren ohnehin schon angespannte Arbeitssituation zusätzlich belaste. Können Sie diesen Effekt bitte erklären?

Die geänderte Regelung bei den pflegeentlastenden Maßnahmen hat nur indirekt mit der Rückdelegation von Servicetätigkeiten an das Pflegepersonal zu tun. Vereinfacht gesagt führte die Reduzierung der pflegeentlastenden Maßnahmen von 4 auf 2,5 Prozent zu einem erhöhten Kostendruck, sodass manche Kliniken damit noch intensiver begannen, Stellen im Servicebereich abzubauen. Im Grunde wurde der generelle Fehlanreiz des Pflegebudgets durch diese Entwicklung nur verstärkt.

Die Zukunft des Pflegebudgets wird aktuell kontrovers diskutiert. So plädierte der renommierte Gesundheitsökonom Boris Augurzky Ende Juni auf dem Hauptstadtkongress für die Abschaffung des Pflegebudgets und die Integration der Pflege­personalfinanzierung in die Fallpauschalen und die neue Vorhaltepauschale. Ähnlich äußerte sich der Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK, David Scheller-Kreinsen. Seiner Ansicht nach sei das Pflegebudget ein „gesundheitsökonomisches Trauerspiel“: Die Transaktionskosten seien gewaltig, eine Neujustierung der Pflegekostenfinan­zierung zwingend nötig. Wie blicken Sie als Pflegedirektor auf solche Forderungen?

Das Pflegebudget sollte zu deutlich mehr Pflegepersonal in den Kliniken führen – das war das politische Ziel. Gleichzeitig war von Anfang an klar, dass das Instrument eine erheb­liche Kostenbelastung darstellt und daher nicht auf Dauer bestehen wird. Insofern kommen Forderungen wie die von Boris Augurzky nicht überraschend. Er argumentiert aus unternehmerischer Sicht – und da hat er auch vollkommen recht. Die Frage ist also nicht, ob, sondern wann das Pflegebudget abgeschafft wird.

Angenommen, die Politik folgt Boris Augurzkys Vorschlag und integriert die Pflegepersonalfinanzierung wieder in die Fallpauschalen und die neue Vorhalte­pauschale – was würde passieren?

Dann verfiele man sicher wieder in die alten Muster und es würde Pflegepersonal abgebaut werden. Wir benötigen daher dringend eine Diskussion darüber, wie eine zeitgemäße Alternative zur Pflegepersonalfinanzierung aussehen könnte – die eben nicht zu einem Rückfall auf den Stand von 2019 führt. Auch ist die Entwicklung des Pflegeberufs vorangeschritten, wie die Vorbehaltsaufgaben oder die zukünftigen Befugnisse aufgrund des Pflegekompetenzgesetzes zeigen. Die Rolle der Pflege in der Krankenhausstrukturreform wird zudem insbesondere in den kleineren Krankenhäusern bedeutsamer. All das muss sach­gemäß eingepreist und berücksichtigt werden.

Hintergründe zum Pflegebudget

  • Das Pflegebudget wurde zum 1. Januar 2020 auf Grundlage des Pflegepersonal- Stärkungsgesetzes (PpSG) eingeführt. Statt über Fallpauschalen (DRG) werden die Personalkosten für Beschäftigte im Pflegedienst seitdem separat über einen krankenhausindividuellen Betrag finanziert.
  • Das Pflegebudget wird nach dem Selbstkostendeckungsprinzip berechnet; das heißt, die tatsächlichen Pflegepersonalkosten werden erstattet.
  • Das Pflegebudget wird jährlich zwischen den Krankenhäusern und Krankenkassen verhandelt. Diese Verhandlungen gestalten sich oft langwierig, wie die PwC-Studie „Benchmark Pflegebudget 2024“ zeigte: Demnach hatte 2022 knapp die Hälfte der Krankenhäuser noch keine Vereinbarung abgeschlossen.
  • Seit Inkrafttreten des PpSG verzeichnete der Pflegedienst im Krankenhaus einen überproportionalen Personalaufwuchs.

Wie sollte die Finanzierung des Pflege­personals in Krankenhäusern künftig geregelt werden?

Die Antwort auf diese Frage ist simpel: über Pflegepersonalbemessung. Dadurch würde sich die Personalfinanzierung an den erbrachten Leistungen orientieren – was aus ökonomischer Perspektive tragfähiger ist als das heutige Pflegebudgetsystem. Das Problem ist nur, dass es die Verknüpfung zwischen Personal­finanzierung und -bemessung heute noch nicht gibt und dass die heutige PPR 2.0 in der Umsetzung noch nicht einwandfrei funktioniert. Der Entwicklung eines wissenschaftlich fundierten Pflegepersonalentwicklungsinstruments kommt also eine große Bedeutung zu. Parallel dazu benötigen wir eine Diskussion darüber, wie pflegerische Qualifikationen, die über die Personalbemessung noch nicht ab­gedeckt sind – zum Beispiel Advanced Prac­tice Nurses oder Pflegeprojektstellen – künftig vergütet werden können. Diese waren in den vergangenen Jahren einzig über das Pflegebudget finanziert. Insofern war das Pflegebudget – so umstritten es selbst unter Pflegemanagerinnen und Pflegemanagern auch ist – in den vergangenen fünf Jahren ein echter Professionalisierungstreiber. Deshalb: Die Weiterentwicklung der PPR 2.0 ist zwingend notwendig. Bis wir ein solches System haben, müssen wir alles daransetzen, das Pflege­budget möglichst lange zu erhalten.

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