• 25.03.2024
  • Management
Patientensicherheit

Medikationssicherheit trainieren

Die Schwester Der Pfleger

Ausgabe 4/2024

Seite 50

Um die Beschäftigten für die Arzneimitteltherapiesicherheit zu sensibilisieren, hat das Universitätsklinikum Münster das Trainingskonzept „Room of Safety“ eingeführt.

In Krankenhäusern wird eine steigende Zahl multimorbider Patient:innen mit immer komplexeren Therapien und Medika­tionsregimes behandelt. Generika und Zeitdruck machen das fehlerfreie Stellen und Verabreichen von Medikamenten zu einer echten Herausforderung. Dabei kann schon eine falsche Tablette im schlimmsten Fall tödlich enden.

Aus diesem Grund hat das Universitäts­klinikum Münster (UKM) seit 2019 im Rahmen einer klinikweiten Kampagne vielfältige Maßnahmen umgesetzt, um das Bewusstsein der Beschäftigten für die Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) zu schärfen. Unter anderem wird der Verordnungsprozess kontinuierlich digitalisiert. Damit sollen handschrift­liche Übertragungsfehler und die Verordnung unrealistischer Dosierungen verhindert werden. Zugleich wird die Zubereitung der Arzneimittel erleichtert, da Trägerlösungen und möglicherweise besondere Warnhinweise hinzugefügt werden. Ein interprofessionelles AMTS-Team informiert in monatlichen Newsletter über spezielle Risiken und zusätz­liche Verabreichungshinweise. Über Hospitationen und andere Angebote haben Mitarbeiter:innen die Möglichkeit, sich mit Apotheker:innen über den Medikationsprozess auszutauschen. Die Patient:innen werden in die Bemühungen um mehr AMTS einbezogen. Das UKM wirbt beispielsweise für den Bundeseinheitlichen Medikationsplan, der aufgrund digitaler Einlesbarkeit Übertragungsfehler verhindert und eine lückenlose Schnittstelle zwischen Kliniken und eingebundenen Fachärzt:innen bildet.

Die situative Aufmerksamkeit trainieren

Letztlich hängt die Medikationssicherheit aber vor allem von psychischen, kognitiven und sozialen Einflussfaktoren der Beschäftigten ab. Sie sind neben den fachlichen und technischen Fertig- und Fähigkeiten entscheidend für ein fehlerfreies Arbeiten. Denn nicht jede Wechselwirkung, nicht jeder potenzielle Fehler und nicht jeder individuelle Patientenfaktor können in Ausbildungsmodulen konkret angesprochen oder gar langfristig verinnerlicht werden. Dafür ist die Anzahl verschiedener Arzneimittel und möglicher Kombinationen in der Verabreichung viel zu hoch. Es geht also darum, die situative Aufmerksamkeit aller Beteiligten am Medikationsprozess zu trainieren. Die Mitarbeiter:innen sollen sich bewusst machen, bei der Verordnung, Zubereitung und Verabreichung von Medikamenten eigenständig und proaktiv Fehler und potenzielle Fehlerquellen erkennen und beheben zu können.

Der vom UKM-Trainingszentrum mitentwickelte „Room of Safety“ ist eine praxisorientierte Möglichkeit, um die Beschäftigten für die Gefahren des Medikationsprozesses zu sensibilisieren. So kann der Blick für Verwechslungsmöglichkeiten geschärft und ein Anreiz geschaffen werden, eigene Arbeits­gewohnheiten kritisch zu hinterfragen und zu optimieren. Eine häufige Erkenntnis ist zum Beispiel die besondere Bedeutung des Vier­augenprinzips als Sicherheitsbarriere im Kli­nikalltag.

Die erste Version des Room of Safety am UKM wurde in Anlehnung an das „Room of Horrors“-Modell der Stiftung Patientensicherheit Schweiz im Jahr 2020 entwickelt. Es handelte sich um einen nachgestellten Medikationsarbeitsplatz mit integrierten typischen Fehler- und Sicherheitslücken. Die Teilnehmer:innen wurden aufgefordert, diese innerhalb von 15 Minuten zu identifizieren und zu dokumentieren. Im Fokus stand dabei die für einen Musterpatienten vorbereitete Morgenmedikation. Im Anschluss wurden die individuellen Ergebnisse mit dem Schulungsteam evaluiert und diskutiert. Dabei wurde Wert darauf gelegt, im geschützten Raum über Fehler offen zu sprechen. Gemeinsam wurden konkrete Lösungsansätze formuliert und Umsetzungsstrategien entwickelt.

Positive Aspekte zeigten sich auch in der berufsgruppenübergreifenden Zusammenarbeit. Zur Verdeutlichung einer realen Schulungssituation im Room of Safety: Pflegefachpersonen berichteten aus dem Medikationsbeispiel heraus, dass ihnen die Wechselwirkung zwischen Metamizol und Acetylsalicylsäure (ASS) nicht bekannt sei. Ihnen war somit nicht bewusst, dass bei gleichzeitiger Einnahme der thrombozytenaggregationshemmende Effekt von ASS und damit auch der Schutz vor Thromboembolien vermindert sein kann. Die Pflegenden äußerten, dass sie in der realen Praxis eine solche Wechselwirkung nicht hinterfragt und sich auf die ärztliche Verordnungsverantwortung verlassen hätten. Mit dem Training im Room of Safety wurde ihnen allerdings ihre bedeutende Rolle bewusst, Abweichungen oder Unklarheiten unbedingt anzusprechen. So leisten Pflegende im Medikationsprozess einen wichtigen Beitrag zur Erhöhung der AMTS.

Die Auswahl der im Room of Safety verwendeten Arzneimittel erfolgt im engen Austausch mit der Apotheke des UKM; hierbei wurde als Grundlage die Fehlerliste der Stiftung Patientensicherheit Schweiz modifiziert und um eigene klinikrelevante Akzente ergänzt. Unter anderem entstand eine Auswahl an sogenannten LASA-Medikamenten. Die Abkürzung steht für „Look-alike – Sound- alike“ und beschreibt Medikamente, die ähnlich aussehen oder klingen und daher rasch verwechselt werden können. Die optische Ähnlichkeit bezieht sich dabei sowohl auf das Medikament selbst als auch auf die Verpackung. Dies kommt häufig bei verschiedenen Medikamenten desselben Herstellers vor, die jedoch unter Umständen sehr unterschiedliche Wirkungen haben, beispielsweise Diuretika und Betablocker desselben Herstellers.

Um die akustische Verwechslungsgefahr zu reduzieren, vergibt die WHO seit 1953 international bereits generische Wirkstoffnamen, die möglichst einzigartig sein sollen. Dennoch kommt es immer wieder zu Fehlern wie beispielsweise der Verwechslung von Ampicillin und Amoxicillin. Auf solche Fallstricke soll das Training im Room of Safety aufmerksam machen.

Umstellung auf mobile Version

Zur Teilnahme am Training im Room of Safety waren zunächst Beschäftigte eingeladen, die sich im Rahmen des regulären Kursbetriebs eh im UKM-Trainingszentrum befanden. Über klinikinterne Kommunika­tionswege wurde multimedial, aber auch persönlich für das Training geworben – möglichst als ganzes Team. Ein Großteil der Teilnehmer:innen empfand das Training als äußerst praxisrelevant. Alle gaben an, insbesondere vom Austausch im Team profitiert zu haben. Über zwei Drittel äußerten, das Training „sehr sicher“ ihren Kolleg:innen weiterzuempfehlen. Dennoch war es für das Trainingszentrum eine Herausforderung, eine konstante Teil­nehmerzahl im Room of Safety aufrechtzu­erhalten.

Zum Tag der Patientensicherheit 2022 wurde eine mobile Version des Room of Safety geschaffen, mit der Mitarbeiter:innen des AMTS-Teams in ausgewählten Bereichen ein niedrigschwelliges Training für die Kolleg:innen vor Ort anboten. So konnten schon in einer Woche deutlich mehr Beschäftigte und mehr Berufsgruppen erreicht werden als üb­licherweise mit der ortsfesten Version. Aus diesem Grund wurde entschieden, der mobilen Variante künftig den Vorrang zu geben.

Um den mobilen Room of Safety nachhaltig in den Klinikalltag zu integrieren und den damit verbundenen personellen Anforderungen gerecht zu werden, sind auch Praxisanleiter:innen des Bildungsinstituts für Pflege und Gesundheit am UKM in das Trainingskonzept eingebunden. Nun wird jeder Jahrgang in der Ausbildung zur Pflegefachfrau und zum Pflegefachmann standardisiert, ein Training am mobilen Room of Safety zu absolvieren. Die Inhalte der Szenarien werden dabei an den jeweiligen Ausbildungsstand angepasst und beziehen sich nicht nur auf die Arzneimitteltherapie.

Der Room of Safety hat sich am UKM als ein Baustein innerhalb eines ganzheitlichen AMTS-Konzepts bewährt. Neben fachinhaltlichen Schulungen und Weiterbildungen sind konkrete Trainingsmöglichkeiten, wie sie der Room of Safety bietet, zur individuellen Förderung der notwendigen Situationsaufmerksamkeit bei allen Akteuren unverzichtbar. Mitarbeiter:innen erhalten die Möglichkeit, sich kritisch zu hinterfragen und sich berufsgruppenübergreifend auszutauschen. Zudem er­leben und verstehen sie Sicherheitsprozesse in einem geschützten Umfeld und nehmen viele ganz individuelle Erlebnisse mit in ihren beruflichen Alltag.

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