• 27.06.2023
  • Bildung
Forschungsprojekt

Umschulende Personen bestmöglich unterstützen

In einem aktuellen Forschungsprojekt wird ein partizipatives Ausbildungskonzept entwickelt, das optimal an die Bedarfe der Lernenden angepasst ist.

Die Schwester Der Pfleger

Ausgabe 7/2023

Seite 62

Eine Umschulung im Pflegeberuf ist für die Lernenden mit vielfältigen Herausforderungen verbunden. In einem aktuellen Forschungsprojekt wird daher ein partizipatives Ausbildungskonzept entwickelt, das optimal an die Bedarfe der Lernenden angepasst ist.

Eine Umschulung ist das Erlernen eines neuen Ausbildungsberufs oder der Erwerb eines ersten Berufsabschlusses nach einer dreijährigen ungelernten Tätigkeit [1]. Die Agentur für Arbeit betrachtet Umschulung als Teil der beruflichen Weiterbildung. 2020 befanden sich rund 74.000 Personen in einer Förderung der beruflichen Weiterbildung mit dem Ziel eines Berufsabschlusses [2]. Davon wählten 7.700 Personen (7.500 als Fachkraft, 200 als Hilfskraft) eine geförderte Qualifizierung in die Pflege. Leider erfassen die Statistiken nicht umschulende Personen, die keine Förderung erhalten. Diese jedoch würden den statistischen Anteil an umschulenden Personen im Pflegeberuf erhöhen.

Das vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) in Auftrag gegebene Forschungsprojekt ParAScholaBi (Partizipatives Ausbildungskonzept zur Förderung und Entstigmatisierung von Schülerinnen und Schülern mit längeren Bildungswegen vor der Pflegeausbildung) nimmt die besondere Situation der umschulenden Personen im Pflegeberuf in den Blick.

Für das von 2022 bis 2025 laufende Projekt hat die Forschungsgruppe sowohl umschulende Personen im Alter zwischen 20 und 53 Jahren als auch Lehrende, Praxisanleitende sowie Mitarbeitende der Agentur für Arbeit und der Jobcenter interviewt. Anhand von sieben Fokusgruppeninterviews und 23 leitfaden­gestützten Einzelinterviews sollen Bedarfe, Wahrnehmungen und Einschätzungen der verschiedenen Personengruppen dargestellt werden. Auf Grundlage des empirischen Materials erarbeiteten die Forschenden ein aus fünf Konzeptbausteinen bestehendes partizipatives Ausbildungskonzept, das sich derzeit in der Entwicklungsphase befindet und im Anschluss pilotiert und evaluiert wird. Ziel ist, umschulende Personen im Pflegeberuf künftig besser zu unterstützen.

Hohe Motivation

Umschulende Personen sind oftmals älter als erstauszubildende Personen und bringen mehr Lebens- und Berufserfahrung mit. Zusätzlich zum Alter unterscheiden sich umschulende Personen auch in ihrer ethnischen Herkunft, ihrem Familienstand und der Zahl der Kinder. Die bereits gesammelten beruflichen Erfahrungen umschulender Personen bilden einerseits eine große Ressource, andererseits bedingen sie auch besondere Herausforderungen.

So haben manche Personen bis zur Umschulung als Pflegehelfende gearbeitet und wünschen sich nun mehr Verantwortung, mehr Hintergrundwissen und mehr Gehalt. Andere haben vorher in einem anderen Berufsfeld gearbeitet, das ihnen nicht mehr ausreichend Sinnerfüllung gibt. Diese Personen haben beispielsweise eine Ausbildung oder ein Studium im Büromanagement, in der Hotellerie oder in der Betriebswirtschaft absolviert. Manche waren auch in Form einer ungelernten Tätigkeit beschäftigt, etwa in der Gastronomie oder bei Telekommunikationsanbietern.

Umschulende Personen verfügen häufig über reichhaltige Lebens- und Berufserfahrungen, die es ihnen erleichtern, in den Kontakt mit zu versorgenden Menschen zu treten und trag­fähige pflegerische Beziehungen aufzubauen. Dank ihrer Erfahrung können sie souveräner mit pflegespezifischen Situationen umgehen, in denen Trauer, Scham, Tod oder Ekel eine Rolle spielen. Sie haben entweder vorher schon in der Pflege gearbeitet und wissen, worauf sie sich einlassen, oder sie haben sehr lange und gründlich überlegt, ob sie der Situation gewachsen sind, im Schichtdienst zu arbeiten und im stetigen Kontakt mit Menschen zu sein.

Aus dem Datenmaterial geht besonders hervor, dass alle befragten Pflegelehrenden, Praxisanleitenden und Mitarbeitenden der Agentur für Arbeit sowie der Jobcenter die hohe Motivation, das starke Engagement im Klassenverband und den großen Wissensdurst umschulender Personen schätzen.

Vielfältige Herausforderungen

Umschulende Personen verbleiben länger im Pflegeberuf als Erstauszubildende [3]. Somit stellt die Gruppe der umschulenden Personen eine besondere Ressource dar, um Pflege nachhaltig zu gestalten. Die Ergebnisse der Projektgruppe verdeutlichen aber auch, wie vielfältig die Herausforderungen sind, die den umschulenden Personen begegnen.

Lernen. Viele umschulende Personen erzählen von ihrer großen Sorge, das Lernen wieder zu lernen. Sie zweifeln, ob es ihnen gelingt, wieder in verschiedene Lernmethoden und -prozesse hineinzufinden. Dies tritt vor allem dann auf, wenn sie länger nicht mehr lernen oder sich neue Lerninhalte aneignen mussten. Gleichzeitig beobachten vor allem Lehrende, dass umschulende Personen einen hohen Anspruch an sich selbst haben. Dies zeigt sich oftmals in Prüfungsängsten am Lernort Schule.

Rollenkonflikte. Arbeiten umschulende Personen weiterhin in ihrem vorherigen Anstellungsverhältnis in der Pflege, müssen sie sich zum Teil selbst in die Rolle der Lernenden einfinden, aber auch im Arbeitsumfeld darum kämpfen, den Status einer Lernenden zugeschrieben zu bekommen. Oftmals bekommen sie Aufgaben aufgetragen, die sie laut Ausbildungsstand nicht übernehmen dürfen.

Soziales Netzwerk als Herausforderung und Ressource. Zusätzliche Lernzeiten und geeignete Lernorte müssen umschulende Personen mit dem Familienleben in Einklang bringen, was für einige von ihnen eine große Herausforderung darstellt. Dennoch sind Partnerinnen und Partner, Eltern sowie Freundinnen und Freunde eine große Hilfe in der Kinderbetreuung oder auch bei der emotionalen Bewältigung von Schwierigkeiten und Herausforderungen während der Umschulung.

Finanzielle Belastung. Umschulende Personen erhalten ein Ausbildungsgehalt. Für Menschen, die Familie haben, möglicherweise ein Haus oder durch Kreditzahlungen belastet sind, ist es kaum möglich, den Lebensunterhalt mit diesem Gehalt zu decken. Mithilfe von Förderprogrammen lässt sich das Ausbildungsgehalt aufstocken. Dies kann jedoch wiederum den Druck erhöhen, gute Noten zu erhalten. Denn schlechte Noten können dazu führen, dass eine Förderung nicht weiterbewilligt wird.

In den Interviews berichteten einige umschulende Personen, dass sie eine Förderung der Agentur für Arbeit oder der Jobcenter gemäß des Förderprogramms „Weiterbildung Geringqualifizierter und beschäftigter älterer Arbeitnehmer in Unternehmen“ (das aktualisierte Förderungsprogramm heißt „Qualifizierungschancengesetz“) erhalten. Hierbei wird das Ausbildungsgehalt der umschulenden Personen, orientiert am Gehalt der vorherigen Beschäftigung, aufgestockt.

Ermutigung und Unterstützung. In der Entscheidung zur Umschulung fühlen sich viele umschulende Personen unsicher. Hier können Menschen in ihrem Umfeld hilfreich sein. Gerade Kolleginnen und Kollegen, Vorgesetzte, Partnerinnen und Partner, Freundinnen und Freunde ermutigen umschulende Personen, mit einer Umschulung zu beginnen oder diese auch fortzuführen.

Fünf Konzeptbausteine

Um den vielfältigen Herausforderungen umschulender Personen professionell zu begegnen, hat das Forschungsteam fünf Konzeptbausteine entwickelt. Diese dienen zum einen der konkreten Unterstützung umschulender Personen. Zum anderen sollen aber auch Informationen über umschulende Personen für die anderen Akteure (Lehrende, Mitarbeitende der Agentur für Arbeit sowie der Jobcenter und Praxisanleitende) zur Verfügung gestellt werden.

Info-Paper. Das Info-Paper sensibilisiert Lehrende, Praxisanleitende und Mitarbeitende der Agentur für Arbeit und der Jobcenter aus der Perspektive der umschulenden Personen heraus für deren Lebenslagen. Umschulende Personen erhalten Informationen dazu und erfahren, dass sie mit ihren Herausforderungen nicht allein sind.

Handreichungen. In den Handreichungen findet sich eine Multiperspektivität. So werden Erfahrungsberichte von Lehrenden, Praxisanleitenden und Mitarbeitenden der Agentur für Arbeit sowie der Jobcenter über die Zusammenarbeit mit umschulenden Personen ein­gebracht. Die genannten Personengruppen erhalten mittels der Handreichungen Vorschläge, wie sie förderlich auf die Herausforderungen, die umschulende Personen erleben, eingehen können.

Mitwirkung an Pilotierung

Personen oder Einrichtungen, die Interesse an der Mitwirkung an der Pilotierung haben, werden gebeten, sich per E-Mail an das Projektteam zu wenden: parascholabi@pflegepaedagogik.uni-kiel.de.

Workshops. In Selbstreflexion zu gehen und sich mit anderen Teilnehmenden auszutauschen, ermöglicht das Workshopangebot zu den vier Schwerpunktthemen „Herausforderung und Ressourcen von umschulenden Personen“, „Rolle von umschulenden Personen“, „Geschlecht und Diversität“ sowie „Anerkennung und Empowerment“. Diese Workshops richten sich an umschulende Personen wie auch an Praxisanleitende, Lehrende und Mitarbeitende der Agentur für Arbeit sowie der Jobcenter. In den Interviews stellte sich heraus, dass es ebenso für bereits ausgebildete Fachkräfte wichtig ist, sich und ihre/seine Haltung zu hinterfragen.

Schulsozialarbeit. Am Lernort Schule mit ihren mannigfaltigen Herausforderungen haben sich die umschulenden Personen weitere Unterstützung gewünscht. Einige Pflegeschulen wollen daher ein sozialpädagogisches Angebot implementieren, das psychosoziale Beratung und auch Lernberatung umfasst.

Unterricht zum Thema Geschlecht und Diversität. In Kooperation mit dem Masterstudiengang Pflegepädagogik an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel werden Studierende für das Thema „Geschlecht und Diversität“ sensibilisiert. Dies soll nicht nur helfen, Diversität als Ressource in der Pflege und im Unterricht stark zu machen, sondern auch methodisches Handwerkszeug zu erlangen, wie ein produktiver Umgang mit Diversität zu denken, pädagogisch zu vermitteln und in der professionellen Praxis auszuüben ist.

[1] Arbeitsagentur. Umschulung; 2022. Im Internet: www.arbeitsagentur.de/arbeitslos-arbeit-finden/buergergeld/arbeit-finden/umschulung; Zugriff: 25.04.2023

[2] Bundesagentur für Arbeit. Monatsbericht zum Arbeits- und Ausbildungsmarkt; 2022. Förderung der beruflichen Weiterbildung. Berichtsmonat Dezember 2021. Im Internet: www.arbeitsagentur.de/datei/arbeitsmarktbericht-dezember-2021_ba034770.pdf; Zugriff: 26.04.2023

[3] Zieher J, Ayan T. Fachkräftesicherung durch Quereinsteiger. Blätter der Wohlfahrtspflege (BdW) 2016; 163 (1): 23–25

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