In der Tagespresse war kürzlich von einem Intensivpfleger aus Rheinland-Pfalz die Rede, der seine Arbeitsstelle nach Luxemburg verlagerte, weil er dort „optimale Bedingungen“ vorfand. Wir fragten die Präsidentin des luxemburgischen Pflegeverbandes, ob es wirklich so verlockend ist, als Pflegefachperson im Großherzogtum zu arbeiten.
Frau Hanff, immer wieder ist von hervorragenden Arbeitsbedingungen für luxemburgische Pflegefachpersonen zu lesen. Ist die Darstellung zutreffend?
Pflegende, die aus Deutschland zu uns stoßen, schätzen Annehmlichkeiten wie die höhere Entlohnung, die bessere Personalausstattung und das 13. Monatsgehalt. Insgesamt sind wir allerdings der Meinung, dass noch viel Luft nach oben ist.
Laut dem OECD-Bericht „Health at a Glance“, der Daten zum Gesundheitswesen der Industriestaaten enthält, verdienen Pflegefachpersonen in Luxemburg am meisten weltweit. Demzufolge kommen Pflegefachpersonen in Ihrem Land auf ein Jahresgehalt von 94.000 Dollar. Stimmen diese Zahlen?
Diese Frage ist schwer zu beantworten, da das Gehalt von der Berufserfahrung und dem Sektor abhängig ist. Allerdings kann ich Ihnen sagen, dass das Anfangsgehalt einer Gesundheits- und Krankenpflegerin in Luxemburg bei um die 4.600 Euro brutto liegt. Allerdings muss man ebenfalls dazu sagen, dass die Bezahlung in Luxemburg im Allgemeinen besser ist als in der Großregion [der Begriff bezieht sich auf die Region Luxemburg, Lothringen, Saarland, Rheinland-Pfalz und Wallonien, Anm. d. Red.]. Setzt man die Entlohnung in Relation zu den hohen Lebenshaltungskosten in unserem Land, sieht die Situation gleich ganz anders aus. Dann belegen die Luxemburger Pflegefachpersonen bei der Bezahlung nicht mehr den ersten Platz.
Laut Presseberichten begründet das luxemburgische Gesundheitsministerium die vergleichsweise hohen Gehälter in der Pflege damit, dass die wirtschaftliche Lage dies momentan erlaube. Können Sie mehr dazu sagen?
Nein, wir verfügen über keine fundiertere Begründung.
Sie sagten, dass noch viel Luft nach oben sei. Wie meinen Sie dies?
Rund 70 Prozent der Pflegenden, die in Luxemburg arbeiten, leben in der Großregion und kommen jeden Tag über die Grenze zu uns arbeiten. Dies bringt mit sich, dass wir sehr viel von unseren angrenzenden Ländern lernen können. Diese Diversität ist einerseits ein Vorteil. Andererseits führt diese Situation aber dazu, dass die pflegerische Versorgung in Luxemburg sehr verwundbar ist.
Inwiefern?
Nur 30 Prozent haben ihre Grundausbildung in Luxemburg absolviert. Dadurch haben wir nur einen geringen Einfluss darauf, welches Wissen den Pflegenden in der Grundausbildung vermittelt wurde sowie über welche Werte und Kompetenzen sie verfügen. Ebenfalls führt diese Situation dazu, dass französisch- und deutschsprachiges Personal die pflegerische Versorgung in Luxemburg zusammen gestalten. Dies ist eine sprachliche Herausforderung. Die Warnung, dass unser System ohne die Hilfe des Pflegepersonals aus dem Ausland zusammenbrechen würde, haben wir mehrmals bei der Politik ausgesprochen. Bisher wurde das Thema nicht ernst genommen. Spätestens durch die Corona-Pandemie und die damit verbundene Grenzschließung wurde bewusst, wie gefährlich die Tatsache ist, dass zwei Drittel des Pflegepersonals aus dem Ausland rekrutiert werden. Ein weiteres Problem: Durch die nicht vorhandene Pflegewissenschaft in Luxemburg können wir keine hochwertigen Studien zu pflegerelevanten Themen durchführen. Es liegen demnach sehr wenig qualitativ hochwertige Informationen zur Situation der Pflegenden in Luxemburg vor. Eine Politik, die auf Fakten basiert, ist demnach quasi unmöglich.
Sie haben in Deutschland ein pflegewissenschaftliches Masterstudium absolviert und befinden sich derzeit in einem Ph.D.-Studium der Pflegewissenschaft. Gibt es in Ihrem Land vergleichbare Studienangebote?
Luxemburg ist das einzige Land Europas, das keinen grundständigen Bachelorstudiengang für die Pflege anbietet. Insofern besteht ein enormer Nachholbedarf, was die Ausbildung und Akademisierung in der Pflege angeht.
Wie werden Pflegefachpersonen in Luxemburg ausgebildet?
Im luxemburgischen Ausbildungssystem für die Pflege gibt es zwei unterschiedliche Levels – die Sekundarstufe und das Hochschulniveau. Die Ausbildung beginnt in der zwölften Klasse. Während der ersten beiden Jahren in der Sekundarstufe belegen die Pflegeschülerinnen und -schüler allgemeinbildende und pflegespezifische Kurse – eine unnötige Doppelbelastung. Nach zwei Jahren schließen die Pflegeschülerinnen und -schüler die 13. Klasse ab und erhalten die allgemeine Hochschulreife. Wer möchte, kann entweder ein Studium in einem Fach seiner Wahl beginnen oder auf Hochschulniveau – allerdings nicht an einer Hochschule – in weiteren zwei Jahren die Pflegeausbildung abschließen. Dieser mühselige Weg wird mit einem BTS (Brevet Technicien Supérieur) abgeschlossen.
Offensichtlich halten Sie dieses Ausbildungssystem nicht für zeitgemäß ...
Unser Ausbildungssystem ist Resultat einer unzureichenden Pflegepolitik und einer fehlenden Beachtung der Bedürfnisse der Pflegepraxis. Eine langfristige Vision für die Entwicklung der Pflege in unserem Land hat lange gefehlt. Es stimmt mich jedoch hoffnungsvoll, dass die Pflegeausbildung und die Kompetenzen professionell Pflegender momentan erstmals politisch diskutiert werden. Zudem sind wir unserem Ziel eines grundständigen Bachelorstudiengangs für die Pflege momentan näher als je zuvor.
In Deutschland ist der unzureichende Organisationsgrad von Pflegefachpersonen ein Problem. Wie sieht das bei Ihnen aus?
13 Prozent der rund 7.000 Pflegenden in Luxemburg sind Mitglied im Berufsverband. Der Organisationsgrad könnte also auch bei uns höher sein. Glücklicherweise sind die Mitgliederzahlen momentan aber steigend; es scheint sich auszuzahlen, dass wir während der Pandemie wichtige Informationen für die Berufskolleginnen und -kollegen aufbereitet sowie die Probleme der Pflege gesammelt und an den richtigen Stellen angesprochen haben. Da wir keine Förderung seitens der Regierung erhalten, verfügen wir insgesamt über sehr eingeschränkte Ressourcen. Diese Situation ermöglicht uns aber, die politischen Entwicklungen, die die Pflege betreffen, klar und frei von Interessenskonflikten zu thematisieren. Neben unserem Berufsverband leisten die in Luxemburg sehr präsenten Gewerkschaften eine wichtige Arbeit. Wir beschäftigen uns im Berufsverband mehr mit inhaltlichen Fragen zur Pflege und weniger mit arbeitsrechtlichen Themen.