• 08.08.2017
  • Praxis
Pruritus

Teufelskreis aus Jucken und Kratzen

Pflegende haben eine Schlüsselrolle, wenn es darum geht, den Teufelskreis aus Jucken und Kratzen zu durchbrechen

Die Schwester Der Pfleger

Ausgabe 8/2017

Seite 46

Chronischer Juckreiz ist ein weit verbreitetes Symptom zahlreicher Erkrankungen. Viele Patienten berichten aber nicht darüber, und somit bleibt der Pruritus unbehandelt. Pflegende spielen eine wesentliche Rolle bei der Erkennung, Linderung und symptomatischen Therapie.

Jeder kennt das lästige Gefühl nach einem Mückenstich. Zunächst versucht man noch, das Jucken zu ignorieren. Doch irgendwann kommt man nicht mehr dagegen an und es wird heftig drauflos gekratzt. In vielen Fällen endet das Scheuern mit einer kleinen Wunde – hätte man doch bloß nicht damit angefangen.

Juckreiz verspürt jeder Mensch mindestens einmal am Tag – die Nase piekst, der Rücken kratzt oder die Kopfhaut verleitet dazu, sich zu jucken. Diese kurzen Juckreiz-Attacken sind in aller Regel ganz normal. Doch wenn das Jucken länger anhält, kann dies ein Anzeichen für chronischen Pruritus sein. Denn während ein akuter Juckreiz nach kurzer Zeit wieder abklingt, hält der chronische Pruritus mindestens sechs Wochen an. Professorin Sonja Ständer ist Leiterin des Kompetenzzentrums Chronischer Pruritus in Münster. Sie nennt als einen weiteren Unterschied zwischen akutem und chronischem Pruritus die Behandlung: „Der akute Pruritus spricht schnell auf Therapien an, beispielsweise Kortisoncremes, und klingt von alleine ab. Es stehen auch üblicherweise keine versteckten Krankheiten dahinter. Anders ist dies beim chronischen Pruritus. Hier ist genau das Gegenteil der Fall. Daher muss er auch durch einen Spezialisten untersucht und behandelt werden“, sagt Ständer.

Ursachen sind fast unbegrenzt

Laut der Leitlinie der deutschen Dermatologischen Gesellschaft für chronischen Pruritus (1) leiden etwa 13,5 Prozent der Allgemeinbevölkerung an chronischem Juckreiz, bei der arbeitenden Bevölkerung sind es 16,8 Prozent. Daher kann man durchaus von einem Volksleiden sprechen. „Früher wurde der chronische Pruritus aber nicht beachtet und daher auch nicht erfasst“, erklärt Sonja Ständer die hohen Zahlen. „Mit jeder neuen Krankheit steigt das Risiko für die Entwicklung des Juckens. Heute leiden weltweit viele Menschen unter Zivilisationskrankheiten, die zur Häufung von chronischem Pruritus weiter beitragen.“ Eine einzelne Ursache für das Symptom gibt es dabei nicht. „Die Ursachen für Pruritus sind sozusagen unbegrenzt“, erklärt die Pruritus-Expertin. „Viele Erkrankungen aus allen Fachgebieten haben die Fähigkeit, Pruritus im Körper auszulösen.“ Die häufigsten Beispiele sind dabei laut Ständer trockene Haut, atopische Dermatitis, Urtikaria, Psoriasis, chronische Nierenerkrankungen, Lebererkrankungen, Arzneimittelreaktionen und Bluterkrankungen. Der Juckreiz kann nach seiner Entstehung in vier Kategorien eingeteilt werden:

  • Pruritozeptiver Pruritus: Er entsteht in der Haut oder in den Schleimhäuten selbst, zum Beispiel bei atopischer Dermatitis.
  • Neuropathischer Pruritus: Er kann auftreten, wenn eine juckleitende, afferente Nervenbahn geschädigt ist und die Haut dadurch eine veränderte Sensibilität aufweist. Das kann zum Beispiel als Folge einer Herpesinfektion sein.
  • Neurogener Pruritus: Er entsteht im zentralen Rückenmark oder im Gehirn, wenn sich endo- oder exogene Substanzen ansammeln. Diese können als pruritogene Mediatoren wirken, das heißt als Botenstoffe, die das Jucken fördern.
  • Psychogener Pruritus: Er kann begleitend zu verschiedenen psychiatrischen Leiden auftreten, eine eindeutige Ursache fehlt. Der psychogene Pruritus spricht in der Regel nicht auf die üblichen wirksamen Medikamente an (1, 2).

Den Teufelskreis durchbrechen

Das Symptom folgt dabei immer dem gleichen Muster: Pruritus bewirkt ein Kratzen, Scheuern, Rubbeln, Reiben, Drücken oder Kneten der Haut. Dieses Kratzen führt zu Schmerzen. Der Schmerz lindert kurzzeitig das Jucken, bewirkt aber gleichzeitig, dass sich der Betroffene weiterhin kratzen möchte. Durch diesen Teufelskreis aus Jucken und Kratzen kann die Haut geschädigt werden und sich unter Umständen entzünden. Als Folge können beispielsweise Hämatome, Blutungen, Ulzerationen oder Krusten entstehen (1).

Dennoch: Kratzen lindert den Pruritus, wenngleich nur kurzfristig. Weitere Faktoren, die lindernd sein können, sind zum Beispiel Ablenkung oder ein warmes, trockenes Klima (2). Dagegen gibt es eine Vielzahl von Faktoren, die Pruritus negativ beeinflussen. „Dazu zählen zum Beispiel eine trockene Haut oder zu häufiges Waschen und Baden. Auch das Kratzen mit scharfen Gegenständen schädigt die Haut und sollte vermieden werden. Eine intakte Haut ist sehr wichtig, um den chronischen Pruritus nicht zu fördern. Aber auch raue Kleidung, Stress oder bestimmte Genussmittel wie Alkohol oder scharfe Gewürze können den Juckreiz verstärken“, erklärt die Leiterin des Kompetenzzentrums.

Um den chronischen Juckreiz langfristig zu therapieren, muss zunächst die Grunderkrankung behandelt werden. Lindert die Behandlung den Pruritus nicht, wird ergänzend mit einer symptomatischen Therapie begonnen. Bei den therapeutischen Möglichkeiten gibt es ein breites Repertoire. Diese greifen entweder in die Entstehung oder in die Weiterleitung des Symptoms ein. „Topische Therapien sind lokal anwendbar, zum Beispiel eine Salbe oder eine Creme und stellen bereits eine wichtige Interventionsmöglichkeit gerade bei umschriebenem Pruritus dar. Systemische Therapien wirken dagegen auf den gesamten Organismus und sind notwendig bei generalisiertem Pruritus“, erklärt die Pruritus-Expertin. Welche Therapie im Einzelfall hilft, hängt laut Ständer jedoch immer von der Grunderkrankung ab.

Pflegende haben eine Schlüsselrolle

Chronischer Pruritus kann für die Betroffenen eine erhebliche Einschränkung der Lebensqualität bedeuten. Das ausgeprägte Jucken kann zu Schlafstörungen führen, die Leistungseinschränkungen in der Schule oder am Arbeitsplatz zur Folge haben können. Ständiges Kratzen kann bei Angehörigen abneigendes Verhalten hervorrufen. Eventuelle Hautschäden und das ausgeprägte Kratzverhalten können bei Betroffenen Scham erzeugen und zu einem geringen Selbstwertgefühl beitragen (2). Die Aufgaben von Pflegenden beim Thema Pruritus sind daher vielschichtig und umfassend. „Das beginnt zunächst einmal damit, überhaupt zu erkennen, dass das Symptom vorliegt. Denn viele Patienten berichten nicht davon und der chronische Pruritus bleibt damit oft unerkannt. Es ist insofern wichtig, dass Pflegende den Hautzustand dieser Patienten beobachten, auf Kratzläsionen achten und diese lokal behandeln“, erklärt Sonja Ständer. „Überhaupt müssen Pflegende in der Ausgabe von symptomatischen, topischen „Erste Hilfe“-Therapien geschult sein, um Betroffenen schnell helfen zu können, zum Beispiel mit verordneten Salben oder Cremes. Darüber hinaus muss die Intensität des Juckreizes auch dokumentiert werden, um den Verlauf beobachten zu können. Ist das Symptom erkannt, haben Pflegende eine unterstützende Rolle. Das betrifft zum Beispiel die Auswahl von Pflegeprodukten, die die Haut nicht zusätzlich reizen und austrocknen oder die Kleidung, da raue Oberflächen zusätzlich scheuern. Aber auch das Ernährungsverhalten sollte beobachtet werden, da zum Beispiel scharfe Gewürze oder heiße Getränke ebenfalls Pruritus fördern können.“

Oft unerkanntes Symptom

Chronischer Juckreiz ist ein oft unerkanntes Symptom zahlreicher Erkrankungen. Nur wenn es erkannt wird, ist eine Linderung des Symptoms und eine entsprechende Therapie möglich. Zahlreiche negative Folgen für die Betroffenen wie Hautschäden oder psychisches Leiden können so verhindert werden. Für Pflegende bedeutet das, die Haut im Blick zu behalten, um Auffälligkeiten frühzeitig zu erkennen. Die anschließenden pflegerischen Interventionen richten sich nach dem individuellen Krankheitsbild sowie den Folgen, die das ausgeprägte Jucken verursacht.

TIPP

 

Eine aktuelle S2-Leitlinie zum chronischen Pruritus können Sie kostenfrei unter www.amwf.org herunterladen (unter Suche: chronischer Pruritus eingeben). Die letzte Überarbeitung der Leitlinie erfolgte im Mai 2016.

   

(1) Ständer, Sonja; et al.: Leitlinie der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft. Chronischer Pruritus. 2012. Verfügbar im Internet: http://www.dev.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/013–048l_S2k_Chronischer_Pruritus__092012_1.pdf
(2) Pruritus. Diagnostik und Therapie von chronisch-systemischem Hautjucken. Von Sonja Ständer und Thomas Mettang (Hrsg.). Hans Huber 2009

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