Das Irmgard-Bosch-Bildungszentrum in Stuttgart startet im September eine interkulturelle Ausbildung in der Gesundheits- und Krankenpflege. Geflüchtete und Deutsche sollen hier gemeinsam und voneinander lernen und eine hohe interkulturelle Expertise erreichen. Ein ambitioniertes, aber zukunftsweisendes Ziel.
Deutschland ist ein Multikulti-Land. Interkulturalität findet sich mittlerweile in allen Bereichen wieder. Das gilt auch für das Gesundheitswesen. Diese Entwicklung bringt Herausforderungen mit sich. Gleichzeitig bringen Menschen aus anderen Ländern aber auch viel Potenzial mit nach Deutschland. Potenzial, das genutzt werden könnte, zum Beispiel, um mehr qualifizierte Menschen für den Pflegeberuf zu gewinnen. Denn hier gibt es einen akuten Mangel. Das weiß auch Dr. Annette Lauber, Direktorin des Irmgard-Bosch-Bildungszentrums am Robert-Bosch-Krankenhaus: „Es herrscht ein regelrechter Kampf um Mitarbeiter in allen Bereichen des Gesundheitswesens.“ Bereits jetzt arbeiten im Robert-Bosch-Krankenhaus in allen Abteilungen Personen mit Migrationshintergrund. Auf kulturelle Vielfalt stößt man also überall.
Um Pflegenden künftig bereits während der Ausbildung ein besonderes Kulturverständnis zu vermitteln, startet das Irmgard-Bosch-Bildungszentrum im September erstmalig eine interkulturelle Ausbildung in der Gesundheits- und Krankenpflege. Auf der einen Seite möchte das Bildungszentrum damit Menschen mit Migrationshintergrund eine qualifizierte Ausbildung ermöglichen und damit dem Personalmangel begegnen. Auf der anderen Seite soll die interkulturelle und kultursensible Pflege mit dem künftigen Angebot vorangebracht werden. „Die Idee war, beides miteinander zu verbinden, um eine Win-win-Situation zu bekommen“, erklärt Annette Lauber. Außerdem sollen die Potenziale der Menschen, die nach Deutschland einwandern, möglichst gut genutzt werden. „Wir wollen etwas gestalten, das die interkulturellen Potenziale gut nutzbar macht – und zwar für alle“, sagt Lauber.
Vierjährige Ausbildung mit interkulturellem Angebot
Die interkulturelle Ausbildung verläuft über vier Jahre in Teilzeit. In einem Jahr werden jeweils 75 Prozent des normalen Ausbildungscurriculums absolviert. Die restlichen 25 Prozent bilden interkulturelle Zusatzangebote. Insgesamt stehen für diesen Teil etwa 1 200 Stunden zur Verfügung. Die Auszubildenden sind demnach in Vollzeit beschäftigt. „Das interkulturelle Zusatzangebot wird zwar nicht vergütet, es ist aber für die Teilnehmer kostenlos“, erklärt Annette Lauber. Gezahlt werde die normale Ausbildungsvergütung. Fördergelder erhält das neue Angebot von der Robert Bosch Stiftung.
Die Inhalte des interkulturellen Zusatzangebotes sind dabei so vielfältig wie ihre Teilnehmer. Einen festen Bestandteil bilden Deutschkurse für Auszubildende mit Migrationshintergrund. Deutsche lernen derweilen Arabisch. Bei den zahlreichen arabischen Dialekten kein leichtes Unterfangen. „Arabisch Sprechende haben in den Informationsveranstaltungen darüber geschmunzelt“, erklärt die Leiterin des Bildungszentrums lachend. „Uns ist aber bewusst, dass wir hier nur ein Basiswissen vermitteln können.“ Doch oft reiche ein Grundwortschatz bereits aus, um die Kommunikation und auch die Zuwendung zum Patienten wesentlich zu erleichtern, ist sich Lauber sicher. „Außerdem haben wir mit unserer Projektkoordinatorin eine Arabisch-Sprecherin vor Ort.“
Neben Sprachkenntnissen und einem psychologisch begleiteten Reflexions- und Supervisionsprogramm, umfasst das Zusatzangebot auch verschiedenste interkulturelle Themen. Diese werden in das bestehende Regelangebot eingebunden. Als Beispiel nennt Projektkoordinatorin Martina Pöschl das Lernfeld „Nahrungsaufnahme gesundheitsförderlich gestalten“. Hier gehe es darum, wie man sich gesund ernährt, Patienten dabei unterstützt oder was Nahrung für den Körper bedeute. „Aber eben auch um kulturelle Besonderheiten, zum Beispiel bei muslimischen Patienten. Was möchte dieser Patient essen, was nicht?“, erklärt Pöschl.
Interkulturelle Patienten zu versorgen ist eine Seite. Auf der anderen steht ein multikulturelles Kollegium. Auch dafür soll die Ausbildung qualifizieren. „Denn in einem interkulturellen Team arbeiten die Auszubildenden später auch“, erklärt die Koordinatorin des Projekts. Dafür nötig sei ein umfassendes Kulturverständnis: Was bedeutet Kultur? Wie kann ein interkulturelles Zusammenleben gelingen?
Geplant sind auch Exkursionen und Hospitationen im europäischen Ausland, um die Pflege in anderen Kulturkreisen kennenzulernen. „Viele junge Menschen sammeln heutzutage Erfahrung im Ausland“, sagt Annette Lauber. „Aber es gibt auch einige, die zuerst eine Ausbildung machen möchten und trotzdem Interesse an anderen Kulturen haben. Denen bieten wir ein wenig exotischen Flair.“
Neugierde und Engagement sind die Basis
Die interkulturelle Ausbildungsklasse soll bunt gemischt sein: Geplant sind 24 Teilnehmer, davon ein Drittel Deutsche und zwei Drittel Menschen mit Fluchthintergrund. „Wir wollen keine Enklave produzieren“, erklärt Annette Lauber. Der Mix sei bewusst gewählt. Natürlich gebe es dabei viele Hürden zu überwinden. „Aber jede Person hat Potenziale und Kompetenzen und bringt diese in die Ausbildung mit ein. Davon profitieren dann alle anderen Teilnehmer.“
Eine erste Hürde müssen viele Bewerber aber schon vor Ausbildungsbeginn nehmen: „Das Ausbildungsangebot zielt auf die Fachkraftebene ab. Das heißt, man braucht einen mittleren Bildungsabschluss, um sich bewerben zu können“, erklärt Annette Lauber. Ohne Bildungsnachweis ist keine Aufnahme möglich. Hier könne man auch keine Ausnahme machen. Flüchtlinge müssen also einen in Deutschland anerkannten Nachweis über die mittlere Reife vorweisen. Weniger streng sind dafür die Vorgaben für die Sprache. Bei einer Bewerberin mit Sprachkenntnissen auf dem Niveau A1 sei es zwar schon schwierig gewesen, so Lauber. Generell stelle die Sprache aber kein K.o.-Kriterium dar.
Was für Deutsche wie Flüchtlinge gleichermaßen gilt, ist das besondere Interesse an kulturellen Themen. „Wir wünschen uns junge Leute, die aufgeschlossen und neugierig sind, sich mit diesem Bereich auseinanderzusetzen“, sagt Projektkoordinatorin Pöschl.
Vorteile für alle
Das Ziel ist für Annette Lauber und Martina Pöschl klar: Möglichst alle Teilnehmer sollen die Ausbildung erfolgreich abschließen. Aufgrund der besonderen Umstände ein ambitionierter Vorsatz. „Wenn die Abbruchquote bei zehn Prozent liegt und damit nicht höher ist, als in anderen Ausbildungszweigen, dann wäre das für uns ein Erfolg“, sagt Annette Lauber.
Darüber hinaus sollen die Absolventen eine umfassende Expertise erreichen, was die interkulturelle Pflege in allen Bereichen anbelangt und diese dann auch als Multiplikatoren nach außen tragen.
Ziel soll auch sein, die Herausforderungen und Potenziale einer interkulturellen Ausbildung zu identifizieren und zu beschreiben. „Modellprojekte fallen oft nach einem Durchlauf in die Schublade. Unser Anspruch ist es, transferbare Elemente für andere Pflegeausbildungen zu finden und die interkulturelle Ausbildung im Regelangebot anzubieten“, sagt Annette Lauber.
Vorteile gegenüber der klassischen Pflegeausbildung sehen Lauber und Pöschl in drei Bereichen: für die Auszubildenden selbst, für die Pflegeteams und für die Patienten. Denn überall habe man es mit einer zunehmenden multikulturellen Perspektive zu tun. „Als Patient wünscht man sich genauso wie als Mitarbeiter, dass die eigene Kultur gehört und integriert wird“, sagt Martina Pöschl. „Als deutscher Mensch genauso wie jemand, der aus einem anderen Land kommt.“
Mehr Informationen zur interkulturellen Ausbildung und zur Bewerbung erhalten Sie auf der Seite des Robert-Bosch-Krankenhauses.