• 26.01.2017
  • Praxis
Transgeschlechtlichkeit

Frau? Mann? Mensch!

Die Schwester Der Pfleger

Ausgabe 1/2017

Seite 40

Kommen transsexuelle Menschen ins Krankenhaus, sind die Betroffenen wie auch das Pflegepersonal oftmals verunsichert. Pflegende haben hier die Möglichkeit, durch einen achtsamen Umgang Vorurteile abzubauen und zu mehr Toleranz beizutragen.

Personen, die sich als transgeschlechtlich beschreiben, erleben die Reaktionen anderer Menschen oft als stigmatisierend. Das ist im öffentlichen Leben so, aber auch im Krankenhaus. „Von den Mitarbeitern wird man blöd angeschaut, als ob man ein Alien wäre“, berichtet Bastian Moser* nach seinem Klinikaufenthalt. Er ist ein sogenannter Transmann, das heißt er hat sich mit dem weiblichen Geschlecht, das ihm bei der Geburt zugewiesen war, nicht identifiziert (s. Infokasten). „Sie haben mir hinterhergesehen, und wenn ich mich dann umdrehte, haben sie schnell weggeschaut.“ Er hatte auch das Gefühl, dass einige Pflegende den direkten Körperkontakt meiden. „Die wollten mich beim Blutdruckmessen nicht mal berühren, habe ich gemerkt. Die haben wirklich versucht, nur das Polster anzufassen.“

Von distanzlosem Verhalten im Krankenhaus berichtet der Transmann Hannes Wiedmann*. Er hatte ein Erlebnis mit einer Gesundheits- und Krankenpflegerin, die ihn direkt im ersten Kontakt fragte, wie das denn sei, ob er eigentlich Sex haben könne. „Das fragt sie mich so knallhart ins Gesicht“, erinnert sich der 28-Jährige. „Und ich habe innerlich nur gedacht: So etwas fragen mich nicht einmal meine Freunde.“


Was bedeutet Transgeschlechtlichkeit?

Laura Méritt definiert diese in „Frauenkörper neu gesehen“ wie folgt: „[Transsexuell ist eine] Person, die sich mit einem anderen Geschlecht, als dem bei der Geburt zugewiesenen, identifiziert.“ (Méritt 2012)

Im medizinischen Kontext wird Transsexualität als „Transsexualismus“ beschrieben und im ICD10 unter F64.0 wie folgt definiert: „Der Wunsch, als Angehöriger des anderen Geschlechts zu leben und anerkannt zu werden. Dieser geht meist mit Unbehagen oder dem Gefühl der Nichtzugehörigkeit zum eigenen anatomischen Geschlecht einher. Es besteht der Wunsch nach chirurgischer und hormoneller Behandlung, um den eigenen Körper dem bevorzugten Geschlecht soweit wie möglich anzugleichen.“

Im Unterschied zum ICD10, in dem von einer Zweigeschlechtlichkeit ausgegangen wird, bei der sich der Mensch zu einem der beiden Geschlechter (Mann, Frau) zuordnet, lässt Méritt die Möglichkeit einer Vielgeschlechtlichkeit offen, indem sie schreibt, dass sich die Person mit „einem anderen“ Geschlecht identifiziert.


Unsicherheit auf beiden Seiten

Nicht nur für die transsexuellen Patientinnen und Patienten ist der Stationsalltag unsicheres Terrain. Auch die Pflegenden selbst fühlen sich unsicher, was die Betreuung transsexueller Patientinnen und Patienten betrifft. Selbst bei Pflegenden mit langjähriger Erfahrung in der Frauenheilkunde einer Universitätsklinik herrscht keine umfassende Sicherheit im Umgang mit diesem Klientel. Unklar ist vielen: Wie verhalte ich mich gegenüber einem transsexuellen Menschen? Wie spreche ich ihn an? Was habe ich bei der Körperpflege zu beachten?

Die Anrede bereitet vor allem dann Probleme, wenn die Geschlechtsangleichung noch nicht abgeschlossen ist. Ob ein Mensch als Mann oder Frau wahrgenommen wird, wird durch Merkmale wie Bartwuchs, Stimmlage und Körperbau bestimmt, also den sekundären und tertiären Geschlechtsmerkmalen. Die Pflegenden scheinen irritiert, wenn die Geschlechtsmerkmale nicht eindeutig dem Geschlecht zuzuordnen sind, mit dem sich die Patientinnen oder Patienten identifizieren. Strukturelle Gegebenheiten, wie Absprachen bezüglich der Anrede, die im Vorfeld getroffen werden, können dabei helfen, die richtige Ansprache zu wählen.

Auffallend ist, dass viele Pflegende von überdurchschnittlich positiven Eindrücken von transsexuellen Patienten berichten. Sie werden als „eher ruhig“ beschrieben, „sehr freundlich, höflich, zurückhaltend“, „offen und humorvoll“, „unauffällig und offen“, „locker und bereit, ihre Erfahrungen weiterzugeben“. Diese positive Wirkung kann darin begründet sein, dass die Patienten andere Erwartungen hervorriefen und diese nicht bestätigt wurden. Das mediale Bild vieler transgeschlechtlicher Menschen ist eher auffallend. Die unauffällige Haltung der Patienten wurde dadurch vermutlich verstärkt wahrgenommen.

Tipps für die Praxis

Pflegende tragen maßgeblich dazu bei, eine sichere und tolerante Umgebung für Menschen zu schaffen. Für den direkten Umgang mit transsexuellen Personen können folgende Empfehlungen gegeben werden.

Bewusstsein schaffen: Fragen, die die eigene Person betreffen – und nicht die Transsexualität –, werden als wertschätzend empfunden. Demgegenüber können Fragen, die alleinig aus Interesse am Thema Transsexualität gestellt werden, als lästig wahrgenommen werden. Manche transgeschlechtlichen Menschen möchten nicht stellvertretend für alle antworten müssen. Auch wissen sie nicht, wie es anderen geht.

Dennoch: Mit kleinen wertschätzenden Gesprächen über Alltägliches werden Sie eine Vertrauensbasis aufbauen, die das Miteinander stärkt und öffnet. Ist dieses Vertrauen aufgebaut, ist es eventuell möglich, Fragen zum Thema Transsexualität zu stellen. Aber wägen Sie gut ab. Handelt es sich um Fragen, die Ihrer eigenen Neugier entspringen? Und möchten Sie das zarte Vertrauen, das Sie soeben aufbauten, aufs Spiel setzen? Oder sind Sie bereits informiert und steigen Sie mit Ihrer Patientin in eine kleine Debatte über Rollenzuweisungen ein? Zweiteres kann echtes Interesse verdeutlichen, vor allem an der Erlebniswelt Ihrer Patientin.

Sprache bewusst auswählen: Durch die achtsame Verwendung überlegter Worte gestalten Sie eine wertschätzende und vorurteilsfreie Umgebung. Sprechen Sie von einer „Angleichung“, nicht von einer „Umwandlung“ oder gar „Verwandlung“. Denn niemand verwandelt sich von dem einen Geschlecht in ein anderes. Vielmehr gleichen sie ihren Körper ihrem gefühlten, identifizierten Geschlecht an. Diese Angleichung kann bei jeder Person unterschiedliche (Therapie-)Wege einnehmen.

Vergleiche meiden: Vergleichen Sie ihre Patientin nicht mit anderen (prominenten) transsexuellen Menschen. Denn häufig sind die Identitäten von öffentlichen Personen durch mediale Übertreibungen schlichtweg falsch dargestellt oder die Begrifflichkeiten rund um die Transsexualität werden vermischt. Die Patientinnen und Patienten haben eigene Biografien und fühlen sich durch mediale Bilder falsch dargestellt.

Den richtigen Namen wählen: Informieren Sie sich im Vorfeld darüber, wer auf Ihre Station kommt, um im Kontakt mit transgeschlechtlichen Patienten Unsicherheiten auf beiden Seiten vorzubeugen. Denn gerade bei dieser Personengruppe ist der Name, der über die Chipkarte im System eingelesen wird, im Bezug auf die Anrede nicht aussagekräftig. Ein Blick in die Unterlagen der bevorstehenden OP kann helfen, die Patientin am Tag der Aufnahme mit dem richtigen Personalpronomen anzusprechen. Das richtige Pronomen ist jenes, das dem identifizierten Geschlecht entspricht.

Viele transsexuelle Personen leben bereits vor medizinischen Maßnahmen einige Zeit mit ihrem neuen Namen, auch ohne offizielle Namensänderung. Der einfachste Weg ist daher, sie nach ihrem bevorzugtem Pronomen zu fragen. Um eine tolerante Atmosphäre zu schaffen, ist es wichtig, die Wunschpronomen nicht nur im Zimmer der Patientin, sondern auch hinter der verschlos- senen (Stationszimmer-)Tür mit Selbstverständlichkeit zu verwenden. So wird ein Bewusstsein für das (neue) Pronomen geschaffen, und der Gebrauch fällt Ihnen und Ihren Kolleginnen in zukünftigen Begegnungen leichter, auch wenn die eigene Wahrnehmung (noch) eine andere ist.

Für viele Pflegende der Uniklinik Freiburg ist die Verwendung der richtigen Pronomen kein Problem mehr. Eine Pflegeperson äußerte beispielsweise: „Die Patientin mit neuem Namen anzusprechen ist leicht gefallen, auch wenn die offizielle Namensänderung noch nicht gelaufen ist.“ Eine andere betonte: „Ich kam ins Zimmer und habe den Transmann für mich selbstverständlich mit „Herr“ angesprochen, was auch seinerseits erwünscht war.“

Fortbildungsmöglichkeiten nutzen: In vielen großen Städten gibt es Projekte, die Bildungsarbeit zu den Themen der geschlechtlichen Identität anbieten. Im Juni 2014 fand an der Universitätsfrauenklinik in Freiburg (UKF) die erste Fortbildung in Kooperation mit Adrian Hoffmann vom Bildungsverein FLUSS e. V. statt. Die Pflegenden schätzten den biografischen Ansatz der Fortbildung, sowie den offenen Austausch und begrüßten den Blickwinkel aus der „Betroffenen“-Perspektive. Bildungsangebote in diesem Bereich, in denen es weniger um medizinische Möglichkeiten, sondern vielmehr um eine Sensibilisierung für das Thema geht, werden oft von und mit transgeschlechtlichen Personen gestaltet. Laden Sie sie ein.

Zu einer offenen, toleranten Gesellschaft beitragen

Pflegende haben einen engen Kontakt zu Patientinnen und Patienten und lernen sie in vulnerablen und persönlichen Situationen kennen. Hier bietet sich eine großartige Chance, transgeschlechtlichen Personen offen und unvoreingenommen zu begegnen. Pflegende können ihnen auf eine einfache und achtsame Weise eine sichere und vorurteilsfreie Umgebung bereiten. Ein kleines Gespräch über ein aktuelles Thema oder eine Gemeinsamkeit öffnet Schranken und stärkt das Vertrauen auf beiden Seiten.

Wenn das Vertrauen aufgebaut ist, dann ergeben sich persönliche Gespräche – eventuell auch über die Transgeschlechtlichkeit – fast von allein. Pflegende haben die wunderbare Möglichkeit, sich Wissen über das Thema aus erster Hand aneignen zu können. Somit tragen sie zusammen mit ihren Patientinnen und Patienten zu einer toleranteren und offeneren Gesellschaft bei.

* Die Namen wurden von der Redaktion geändert.

Grundlage dieses Artikels ist eine Projekt- sowie eine Bachelorarbeit der Autorin, in der sie zwei transsexuelle Männer interviewte sowie 31 Pflegende der gynäkologischen Stationen der Universitätsfrauenklinik (UKF) in Freiburg befragte.


Bundesverband Queere Bildung e.V. Antworten auf Fragen an lesbisch-schwul-bi-trans*-inter*-queer Bildungsprojekte. Köln. Bundesverband Queere Bildung e.V. 2016
Jenner, C. O. (2010). Transsexual primary care. Journal of the American Academy of Nurse Practitioners, 22, 403–408
TransInterQueer e.V. (2013) TrIQ informiert zum Thema Transgeschlechtlichkeit. Hinweise für Ärzt_innen, Psycholog_innen, Therapeut_innen und andere Berufsgruppen aus dem Gesundheitswesen. Berlin
Katrin Drevin ist Gesundheits- und Krankenpflegerin, Pflegewissenschaftlerin B.Sc. und freiberufliche Pflegedozentin in Leipzig.

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