• 26.01.2017
  • Management
Primäre Gesundheitsversorgung auf dem Land

Von den Finnen lernen

Die Schwester Der Pfleger

Ausgabe 5/2015

In abgelegenen Regionen müssen Patienten heute weit fahren, um ihren Hausarzt zu sehen. Anderen Ländern geht es ähnlich, beispielsweise Finnland. Jedoch sind die Pflegefachpersonen dort mit besonderen Kompetenzen ausgestattet und können in Gesundheitszentren viele gesundheitliche Fragen ganz ohne den Arzt klären. Ein Modell – von dem wir lernen können?

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Die Sicherstellung der primären Gesundheitsversorgung in ländlichen Gebieten Deutschlands wird seit Jahren zu einem immer größeren Problem. Schätzungsweise 3 000 Hausarztpraxen sind unbesetzt, und die Zahl steigt (5). Obwohl diese Problematik bereits seit längerem bekannt ist, sind tragfähige Lösungsansätze nur bedingt in Sicht. Daher ist zu befürchten, dass sich mittel- und langfristig für die Bevölkerung in ländlichen Regionen der Zugang zur Gesundheitsversorgung verschlechtern wird. 

In vielen Ländern gibt es ähnliche Probleme in der Sicherstellung der primären Gesundheitsversorgung. Als ein Lösungsansatz wurde dort der Pflege eine stärkere Rolle zugeschrieben (1). In Deutschland spielt trotz der erwähnten Problematik die Pflege kaum eine nennenswerte Rolle. Eines der Länder, in denen die Berufsgruppe der Pflege einen immensen Beitrag zur Sicherstellung der primären Gesundheitsversorgung in ländlichen Gebieten leistet, ist Finnland. 

Im folgenden Beitrag soll die Bedeutung der Pflege kurz dargestellt und hinsichtlich möglicher Anregungen für die deutsche Situation beleuchtet werden. Die Darstellung beruht auf praktischen Erfahrungen im Rahmen eines studentischen Praxisprojekts in Finnland und der Recherche relevanter Literatur. 

Gesundheitszentren – erste Anlaufstellen für die Bürger

Das finnische Gesundheitssystem zählt mit zu den besten und kosteneffizientesten in ganz Europa (6). Grund dafür ist vor allem auch die gute Gesundheitsversorgung auf dem Land. Einrichtungen, die für die Gesundheitsversorgung zuständig sind, heißen in Finnland „Terveyskeskus“ (deutsch: Gesundheitszentrum) und sind oftmals im Zentrum der Städte und Gemeinden zu finden. Diese Zentren sind in der Regel sieben Tage die Woche für die finnische Bevölkerung erste Anlaufstelle in allen Fragen zum Thema Gesundheit. Aufbau und Organisation sind im ganzen Land ähnlich, lediglich bei den angebotenen Leistungen gibt es, je nach Größe der Kommune, Unterschiede. 

In Finnland sind die Kommunen für die Organisation des Gesundheitsdienstes zuständig. Zwar ist es ihre Aufgabe, die Gesundheitsversorgung ihrer Bürgerinnen und Bürger zu organisieren, dennoch wird durch die Regierung des Landes festgelegt, welches Angebot an Gesundheitsdiensten eine Kommune bereitzustellen hat. Es ist auch möglich, die geforderten Leistungen im Verbund mit benachbarten Kommunen anzubieten. Die Kommune, in der ein finnischer Bürger gemeldet ist, ist in allen Fragen, die das Thema Gesundheit und Soziales betreffen, für ihn zuständig. Reichen die Leistungen des kommunalen Gesundheitszentrums nicht aus, so wird der Patient an eines von 20 Zentralkrankenhäusern in Finnland überwiesen. Diese Zentralkrankenhäuser verfügen über ein größeres und spezifischeres Angebot an medizinischer und pflegerischer Versorgung. 

Im örtlichen Gesundheitszentrum erhalten die Menschen hauptsächlich ambulante Leistungen. Zu diesen Leistungen zählen neben der Konsultation einer Pflegefachperson oder eines Arztes im Krankheitsfall auch die Betreuung von Schwangeren, Kindern, Senioren und Arbeitnehmern. Chronisch Kranke können von speziell ausgebildeten Pflegenden betreut werden, sodass Arztbesuche minimiert werden können und nur noch im Akutfall notwendig sind. 

Außerdem stehen der Bevölkerung Beratungsangebote zur Versorgung bei Pflegebedürftigkeit von Angehörigen oder beispielsweise der Familienplanung zur Verfügung. Weitere Beratungsschwerpunkte sind neben Diabetes vor allem Demenz, Inkontinenz, Osteoporose und vieles mehr. Diese Beratung wird von speziell ausgebildeten Pflegefachpersonen angeboten. Zusätzlich sind Zahnärzte, Physiotherapeuten und Psychotherapeuten in größeren Gesundheitszentren zu finden und tragen somit zu einem umfassenden Leistungsangebot bei (4).

Zwei Ausbildungen, zwei Aufgabenbereiche

Anders als in Deutschland findet in Finnland bereits in der Pflegeausbildung eine Festlegung auf einen Bereich der Gesundheitsversorgung statt. Die Studierenden entscheiden sich entweder für eine Ausbildung zur „Sairaanhoitaja“ (deutsch: Krankenschwester) oder zur „Terveyshoitaja“ (deutsch: Gesundheitsschwester). 

Sairaanhoitaja (Krankenschwester): Dieser Berufszweig wird häufig in der Behandlung der Krankheit und Förderung der Gesundheit eingesetzt. Sie arbeiten im stationären Gesundheitssektor und in der Rehabilitation. Ihre Tätigkeitsfelder am Patienten sind hauptsächlich die Beratung und Anleitung. Darüber hinaus sind sie für die Organisation der Untersuchungen, die Sicherstellung der Versorgung und die Koordination aller pflegerischen Tätigkeiten für die Patienten zuständig. Sie leiten die pflegerischen Übergaben und sind erster Ansprechpartner für den Arzt. 

Die Leitung einer Station befindet sich zwar in ärztlicher Hand, allerdings sind die Sairaanhoitaja erster Ansprechpartner für die Patienten. Während der Tätigkeit der Autoren im Rahmen des Studienaufenthaltes im Gesundheitszentrum entstand zudem der Eindruck, dass die Ärzte von der Berufsgruppe Pflege stark abhängig sind. Sie begleiten ärztliche Visiten und sind verantwortlich für die Umsetzung der ärztlich angeordneten Tätigkeiten und Medikamente. 

Die Sairaanhoitaja besitzt die Befugnis, mit Betäubungsmitteln und intravenösen Medikamenten umzugehen. Die Entscheidung, ob ein Arzt bei auftretenden Gesundheitsbeschwerden hinzugezogen werden muss, liegt in ihrer Hand.


Finnland – vorbildliche Gesundheitsversorgung in ländlichen Regionen 

Etwas mehr als 5,4 Millionen Menschen leben in Finnland auf einer ähnlich großen Fläche wie die Bundesrepublik Deutschland. Ländliche Gebiete sind in dem Land im Norden somit ein prägendes Merkmal. Dem drohenden Versorgungsproblem in ländlichen Gebieten hat Finnland schon vor Jahren entgegengewirkt. Heute weist das Land eine gute gesundheitliche Versorgung nicht nur in Städten, sondern auch in Gebieten mit einer geringen Bevöl‧kerungsdichte auf. Mit dafür verantwortlich sind neben den Ärzten vor allem die Pflegenden.


Terveyshoitaja (Gesundheitsschwester): Diese Pflegefachpersonen arbeiten in der Gesundheitsförderung von Menschen und empfangen ihre Klienten selbstständig. Sie arbeiten autonom in einem Gesundheitszentrum oder sind in der Region in Schulen oder ähnlichen Einrichtungen unterwegs. Sie sind speziell für die Behandlung eines chronisch erkrankten Menschen ausgebildet. Die beruflichen Aufgaben zwischen den Pflegenden und den Ärzten sind genau beschrieben. Jedes Berufsfeld hat so seinen eigenen Tätigkeitsbereich.&nb

In den Gesundheitszentren sind sie vor allem bei akuten Gesundheitsbeschwerden für die ambulanten Patienten erster Ansprechpartner. Diese Pflegekräfte entscheiden, ob bei den angegebenen Beschwerden ein Arztbesuch erforderlich ist. Somit hat die Terveyshoitaja durch die Ersteinschätzung des Gesundheitszustandes die Entscheidungsbefugnis, ob ein Arztkontakt notwendig ist und leitet gegebenenfalls die Vermittlung ein. Ihr kommt somit eine Gatekeeper-Funktion zu. Nur bei zirka 40 Prozent der ambulanten Patienten ist ein Kontakt zwischen Arzt und Patient erforderlich, folglich werden 60 Prozent ausschließlich von Pflegefachper‧sonen behandelt. Diese Zahlen zeigen, welchen hohen Stellenwert die Pflege in der primären Gesundheitsversorgung in Finnland hat.

Vorbild Finnland

Plagt den Deutschen ein akutes Gesundheitsproblem, geht er zu seinem Hausarzt und wird dort auch ausschließlich von ihm behandelt. Dem Patienten wird so, anders als in Finnland, ein direkter Zugang zum Arzt gewährt. Seit Jahren sind der Ärztemangel auf dem Land und der damit drohende Versorgungsnotstand ein Dauerthema. Eine Orientierung am finnischen Beispiel kann auch für Deutschland eine mögliche Antwort auf diese immer präsenter werdende Thematik sein. 

Hierzulande kamen im Jahr 2005 auf 10 000 Einwohner 34 Ärzte und 98 Pflegefachpersonen, während in Finnland 33 Ärzte und 120 Pflegefachpersonen auf 10 000 Einwohner kommen (2). Durch die Stärkung der Rolle der Pflege in der ambulanten Gesundheitsver‧sorgung wird die knappe und teure Ressource Arzt effizienter genutzt und das Berufsbild „Landarzt“ wieder attraktiv gestaltet. 

Deutschland liegt mit seinen Gesundheitsausgaben auf den obersten Rängen im internationalen Vergleich, wobei Finnland eher bei den unteren Plätzen zu finden ist. Finnland gab im Vergleich zu Deutschland im Jahre 2011 nur 8,9 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Gesundheit aus, wobei Deutschland trotz eines Versorgungsdefizites bei 11,1 Prozent lag (3). 

Die Einrichtung von Kooperationen zwischen niedergelassenen Ärzten und Pflegenden ist als erster Schritt sinnvoll, um die Ressourcennutzung zu verbessern und gleichzeitig Kosten zu senken. Eine stärkere Beteiligung der Pflege ist wünschenswert, weil sich seit Jahren zeigt, dass nicht eine Berufsgruppe im Gesundheitswesen allein die Primärversorgung abdecken kann.

(1) Bryant-Lukosius, D. (2004): Advanced practice nursing roles: development, implementation and evaluation. Journal of Advanced Nursing 48 (5), 519–529

(2) European Observatory on Health Systems and Policies (2015 a): Human resources. Erstellt auf Basis des Health Systems Monitors. Verfügbar unter: www.hspm.org/searchandcompare.aspx (letzter Abruf vom 05.02.2015) 

(3) European Observatory on Health Systems and Policies (2015 b): Health expenditure. Erstellt auf Basis des Health Systems Monitors. Verfügbar unter: www.hspm.org/searchandcompare.aspx (letzter Abruf vom 05.02.2015)

(4) Gruneberg, G. (2004): Gesundheitssysteme in Europa. Das finnische Gesundheitssystem. www.ewi-psy.fu-berlin.de/einrichtungen/arbeitsbereiche/ppg/service/newsletter/iPG-newsletter_archiv/iPG-NL-02–04/Ge sundheitssystem_Finnland/index.html (letzter Abruf vom 27.05.2014)

(5) Laurer, M. (2013): Landarztmangel: Zu wenige weiße Kittel in der Provinz, www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/aerztemangel-auf-dem-land-deutschland-sucht-den-landarzt-a-884797.html (letzter Abruf vom 07.12.2014)

(6) Schmitt-Sausen, N. (2010): Finnisches Gesundheitssystem: Durchorganisiert, effizient, gut?. www.aerzteblatt.de/archiv/77041/Finnisches-Gesundheitssystem-Durchorganisiert-effizient-gut (letzter Abruf vom 27.05.2014)

Daniel Büter und Vicky Egerer, Studierende im Studiengang Pflege dual an der Hochschule Osnabrück daniel.bueter@outlook.de, egerer.vicky@gmail.com

Prof. Dr. Andreas Büscher ist Professor für Pflegewissenschaft an der Hochschule Osnabrück, A.Buescher@hs-osnabrueck.de

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