• 01.11.2016
  • Praxis
Rechtliche Vorgaben

"Bei Fehlern haftet die Pflegeperson"

Die Schwester Der Pfleger

Ausgabe 11/2016

Sind telefonische Verordnungen zulässig? Wer haftet bei Medikationsfehlern? Sind Generika aus juristischer Sicht unbedenklich? – Beim Umgang mit Arzneimitteln stellen sich immer wieder typische Rechtsfragen. Über die wichtigsten Regelungen sprachen wir mit dem Rechtsanwalt Thorsten Siefarth.

Herr Siefarth, der rechtlich einwandfreie Umgang mit Arzneimitteln ist in verschiedenen Gesetzestexten geregelt. Beginnen wir mit der Verordnung von Medikamenten. Ist sie alleinige Aufgabe der Ärzte?

Ja, alleine der Arzt entscheidet über die Verordnung und Dosierung der Medikamente. Allerdings haben Pflegende eine Notfallkompetenz.

Was bedeutet das konkret?

Immer dann, wenn Leib und Leben des Patienten akut gefährdet sind, darf eine Pflegekraft über die Verordnung und Dosierung selbst entscheiden. Voraussetzung ist dann aber auch, dass ärztliche Hilfe unerreichbar ist. Aber wie gesagt: Primär entscheidet der Arzt.

Wie muss eine juristisch einwandfreie Verordnung aussehen?

Sie muss immer folgende Angaben enthalten: Name des Arzneimittels, Applikationsform, Applikationsart und Konzentration. Außerdem sollte der Arzt Angaben zur Dosierung und Häufigkeit, zur tageszeitlichen Zuordnung der Gabe und eventuell zur zeitlichen Begrenzung machen.

Sind mündliche und telefonische Verordnungen zulässig?

Ja, sie sind grundsätzlich zulässig. Allerdings steigt in diesem Fall das Risiko, dass es zu Missverständnissen kommt. Obwohl das durchaus auch für die Pflege Schwierigkeiten hervorrufen kann, ist dies vor allem ein Haftungsproblem des verordnenden Arztes. Gleichwohl sollte sich die Pflege möglichst weitgehend absichern.

Wie kann sie dies tun?

An erster Stelle sollte man den Arzt bitten, möglichst ein Fax zu schicken. Dies ist heutzutage eigentlich fast immer möglich. Wenn man eine Verordnung dann doch am Telefon entgegennehmen muss, sollte man eine weitere Person hinzuziehen und den Arzt darauf hinweisen. Anschließend sollte man dem Arzt die Situation des Patienten möglichst exakt schildern. Hat der Arzt dann die Verordnung am Telefon durchgegeben, sollte die Pflegeperson unbedingt den Wortlaut wiederholen. Dann wird die telefonische Verordnung dokumentiert. Dabei sollte man den Zeitpunkt der Verordnung nicht vergessen. Wenn irgend möglich, sollte man den Arzt später darum bitten, dass er die Verordnung in der Dokumentation abzeichnet.

In welchen Situationen können beziehungsweise sollten Pflegende die Ausführung einer ärztlichen Verordnung verweigern?

Ein Weigerungsrecht der Pflegeperson ist in verschiedenen Konstellationen denkbar, zum Beispiel dann, wenn die Pflegeperson ein Gesetz, vielleicht sogar ein Strafgesetz, übertreten müsste. Das wäre beispielsweise dann der Fall, wenn ein Patient ein Medikament abgelehnt hat, der Arzt die Pflegeperson aber dazu drängt, dem Patienten das Medikament heimlich zu verabreichen. Eine Pflegeperson kann die Ausführung auch dann verweigern, wenn sie haftungsrechtlich nicht ausreichend abgesichert ist – etwa bei Auszubildenden oder Pflegenden ohne abgeschlossene dreijährige Ausbildung. Ein Verweigerungsrecht ist weiterhin auch dann denkbar, wenn ein Arzt jede Art der Mitarbeit torpediert. Zum Beispiel dann, wenn er sich beständig weigert, telefonische Verordnungen zumindest im Nachhinein in der Dokumentation abzuzeichnen.

Pflegende haben in ihrem beruflichen Alltag primär mit der Aufbewahrung, dem Stellen und der Verabreichung von Medikamenten zu tun. Welche rechtlichen Grundsätze sind bei der Aufbewahrung zu beachten?

Hier gibt es keine besonderen Gesetze oder Richtlinien. Betäubungsmittel sind hier eine Ausnahme – Regelungen dazu sind dem Betäubungsmittelgesetz zu entnehmen. Grundsätzlich sollten Pflegende darauf achten, dass Medikamentenschränke verschlossen sind, zumindest das Zimmer, in denen sie stehen. Die Lagerungstemperatur ergibt sich in der Regel aus dem Beipackzettel. Medikamente sollten grundsätzlich in der Originalverpackung bleiben, auch der Beipackzettel sollte aufbewahrt werden.

Gibt es rechtliche Gesichtspunkte zum Stellen von Medikamenten, die für Pflegende relevant sind?

Auch in diesem Bereich gibt es kaum rechtliche Vorschriften. Vor allem aus haftungsrechtlichen Gesichtspunkten haben sich hier jedoch einige Grundsätze herausgebildet.

Welche?

Medikamente dürfen grundsätzlich nur nach schriftlicher ärztlicher Anordnung vorbereitet werden. Beim Stellen sind Störungsquellen möglichst weitgehend auszuschließen. Außerdem sind die Hygienevorschriften zu beachten. Sinnvoll ist eine dreifache Kontrolle: bei der Entnahme des Medikaments vom Lagerungsort, bei der Entnahme aus der Verpackung und beim Zurückstellen. Ob Medikamente gemörsert oder zerteilt werden dürfen, sollte man mit dem Arzt oder Apotheker klären oder dazu den Beipackzettel lesen. Immer ist das Verfallsdatum zu prüfen. Ebenso wie die Verpackung. Werden Gläser oder Flaschen geöffnet, sollte das Datum der erstmaligen Öffnung notiert werden. Wichtig ist selbstverständlich auch die 5-R-Regel: richtiger Patient, richtiges Medikament, richtige Dosierung und Konzentration, richtige Applikationsform, richtiger Zeitpunkt. Das sollte schließlich kontrolliert werden. Am besten von einer anderen Pflegeperson.

Dürfen nicht-examinierte Pflegende Medikamente stellen und verteilen?

Auch hier spielt das Haftungsrecht wieder eine wichtige Rolle: Nicht-examinierte Pflegende dürfen Medikamente stellen und verteilen, wenn sie durch ihren Ausbildungsstand entsprechend qualifiziert sind. Da die Stellung von Medikamenten eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe ist, sind viele Krankenhäuser und Pflegeunternehmen jedoch dazu übergegangen, es Auszubildenden generell zu untersagen, Medikamente zu stellen. Da es hingegen weit weniger fehleranfällig ist, Medikamente zu verteilen, wird nicht-examinierten Pflegenden diese Tätigkeit erlaubt. Krankenhäuser und Pflegeunternehmen haben also hier eine pragmatische Lösung gefunden.

Wie bewerten Sie eine solche Vorgehensweise?

Sie ist aus juristischer Sicht völlig in Ordnung. Wird eine solche Regelung getroffen, müssen sich die pflegerischen Mitarbeiter aufgrund ihrer arbeitsrechtlichen Weisungsgebundenheit daran halten.

Wie sieht es mit dem Umgang mit Betäubungsmitteln aus? Kommt es auch hier auf den Ausbildungsstand an?

Ja.

Wer haftet, wenn es beim Stellen und Verteilen von Medikamenten zu Fehlern kommt?

Bei allen Fehlern in der Pflege, ob diese nun bei der Medikation oder bei anderen Tätigkeiten passieren, haftet zunächst die Pflegeperson selbst. Dies regelt Paragraf 823, Absatz 1, Bürgerliches Gesetzbuch. Dabei muss insbesondere geprüft werden, ob die Pflegeperson bei der Durchführung der Tätigkeit einen Fehler gemacht hat. Darüber hinaus kann auch ein Vorgesetzter für seinen Mitarbeiter haften. Nach Paragraf 831, Absatz 1, Bürgerliches Gesetzbuch kann er sich aber haftungsrechtlich entlasten. Er ist dann raus aus der Haftung, wenn er bei der Auswahl, Leitung und Überwachung der Pflegeperson alles richtig gemacht hat. Grundsätzlich können also die beteiligten Pflegepersonen und der Vorgesetzte haftbar gemacht werden.

Im Pflegealltag wird häufig die sogenannte Bedarfsmedikation verabreicht. Welche rechtlichen Aspekte sind dabei von Pflegenden zu berücksichtigen?

Eine Verordnung bei Bedarf ist immer kritisch zu betrachten, denn letztlich verlagert der Arzt damit seine Anordnungskompetenz auf die Pflegenden. Das ist an sich unzulässig. Zulässig ist es aber, wenn der Arzt konkrete Anordnungen gibt, wenn also klar ist, bei welchen Symptomen welches Medikament in welcher Dosierung zu verabreichen ist. Am besten ist es, wenn die Ärzte konkrete Wenn-Dann-Bedingungen formulieren.

Was ist zu tun, wenn Patienten oder Bewohner selbst Medikamente zu sich nehmen?

Patienten und Bewohner, die einwilligungsfähig sind, dürfen grundsätzlich über all das entscheiden, was sie persönlich betrifft. Dazu zählt auch die Selbstmedikation. Sie ist also zulässig. Allerdings müssen Pflegende die Patienten und Bewohner durchaus im Blick behalten. Wenn sie dann merken, dass es bei der Selbstmedikation Probleme gibt, müssen sie dies mit dem Patienten und Bewohner beziehungsweise mit dem behandelnden Arzt besprechen und so versuchen, eine Lösung zu erreichen. Sie haben aber keine Kompetenz, irgendwelche Zwangsmaßnahmen zu ergreifen, geschweige denn, bei Patienten und Bewohnern die Selbstmedikation zu unterbinden.

Eine juristische Grauzone sind Generika – Arzneimittel, das eine wirkstoffgleiche Kopie eines bereits unter einem Markennamen auf dem Markt befindlichen Medikaments ist. Sind sie rechtlich problematisch?

Soweit ich weiß, können Generika bei manchen Krankheiten und manchen Arzneistoffen durchaus kritisch sein, andererseits scheinen sie in vielen Fällen unproblematisch zu sein. Dies wird von einigen Regelungen durchaus anerkannt. So regelt etwa die Pflege-Transparenzvereinbarung ambulant (PTVA), dass der Pflegedienst bei der Verwendung eines Generikums zu überprüfen hat, ob das verwendete Präparat dem der ärztlichen Verordnung entspricht. Zum Beispiel durch eine Austauschliste, Dokumentation des Wirkstoffnamens und die Kennzeichnung der Generikumspackung mit den Namen des Originalpräparats.

Muss der Name eines Generikums in der Pflegedokumentation festgehalten werden, wenn dieses statt des Originalpräparats verabreicht wird?

Eine regelrechte Pflicht gibt es an sich nicht. Aber zur Verminderung des Haftungsrisikos sollte man die Verwendung des Generikums in der Pflegedokumentation festhalten.

Muss der Patient informiert werden, wenn ein Generikum zum Einsatz kommt?

Ich würde den Patienten sicherheitshalber informieren. Denn selbst wenn der Wirkstoff der gleiche ist, wird ihm letztlich etwas anderes verabreicht. Freisetzung des Wirkstoffs, Resorbierbarkeit, Konzentration am Wirkort, Verstoffwechselung und Ausscheidung können abweichen. Wer für die Information zuständig ist, hängt von der Organisation vor Ort ab.

Herr Siefarth, vielen Dank für dieses Gespräch.

 

AMG, AMW und Co.: Mehrere Gesetze regeln den Umgang mit Arzneimitteln

 

Die wesentlichen Regelungen zum Umgang mit Arzneimitteln finden sich im Arzneimittelgesetz (AMG). In dessen Mittelpunkt stehen primär die Anforderungen an Arzneimittel, deren Herstellung, Zulassung und die Qualitätssicherung. In den Paragrafen 43 und folgende sind Vorschriften zur Abgabe von Arzneimitteln enthalten. Auch in den Regelungen des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) finden sich weitere Regelungen. Schließlich sind noch die Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) und das Apothekengesetz (ApoG) zu nennen.

   

Thorsten Siefarth ist ein auf Pflegerecht spezialisierter Rechtsanwalt aus München.

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