Die gesundheitliche Versorgung von asylsuchenden Menschen, die hierzulande in Flüchtlingseinrichtungen leben, ist eine dringende Herausforderung. Um die Situation zu verbessern, sind pflegerische Strategien dringend erforderlich. Ausländische Handlungskonzepte können hierbei eine wertvolle Hilfe sein, wie Wittener Studierende der Pflegewissenschaft im Rahmen einer systematischen Literaturanalyse herausfanden.
Flüchtlinge sind laut Weltgesundheitsorganisation als vulnerable Gruppe anzusehen (WHO 2015). Die Strapazen der Flucht und die Erfahrungen aus dem Heimatland bewirken in vielen Fällen eine erhebliche Erschöpfung und vielfältige Traumata. Zusätzlich führen körperliche Gewalt, schlechte Hygienebedingungen und die extremen körperlichen Anstrengungen der Flucht bei vielen Asylsuchenden zu einer Schwächung des Immunsystems. Neben der Gefahr von Infektionskrankheiten sind insbesondere chronische Krankheiten wie Hypertonie und Diabetes mellitus, die in vielen Fällen über Monate nur unzureichend oder gar nicht behandelt wurden, ernstzunehmende Gesundheitsprobleme.
Die Unterschiede zu den Heimatländern bedingen weitere pflegerische Herausforderungen. Durch nicht an das Klima angepasste Kleidung und Unterbringung kommt es vermehrt zu Atemwegserkrankungen und Problemen mit der Verdauung aufgrund der ungewohnten westlichen Kost. Viele Kinder leiden unter Bronchitis, Fieber und Durchfall. Die Versorgung schwangerer Frauen und allgemein die Sprachbarriere sind weitere Schwierigkeiten, die in der Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen auftreten.
Pflegerisches Konzept erforderlich
Um diesen Herausforderungen Herr zu werden, sind pflegerische Konzepte dringend erforderlich. Doch im deutschsprachigen Raum lässt sich mit Ausnahme des Bremer Modells (Jung 2011), bei dem es primär um den Zugang zu Ärzten und um die Gesundheitskarte geht, aktuell kein Handlungskonzept zur gesundheitlichen Versorgung und Betreuung von Flüchtlingen feststellen.
In den Flüchtlingseinrichtungen und Notunterkünften wird von zahlreichen ehren- und hauptamtlichen Helfern, die unterschiedlichen Gesundheits- und Sozialberufen angehören, zweifelsohne viel geleistet. Das Spektrum der angebotenen Leistungen reicht von der Kontrolle der Vitalparameter über die Durchführung von Impfungen bis hin zur Betreuung von Schwangeren und Wöchnerinnen. Komplexe Herausforderungen sind besonders in der Versorgung von chronisch und psychisch Erkrankten, Menschen mit Behinderungen, Frauen in der Schwangerschaft, Kinder und Familien erkennbar.
Das Konzept der Refugee Health Nurse (RHN) aus Australien wurde vor einigen Jahren zur pflegerischen Versorgung von mehr als 23.000 Flüchtlingen aus Myanmar entwickelt. Es kann ein Ausgangspunkt sein, auch hierzulande ein Konzept zu etablieren (DHHS 2015).
Refugee Health Nurses betreuen Flüchtlinge von der Ankunft in Flüchtlingsunterkünften bis zum Umzug in Gemeinden oder Städte. Sie verfügen über sprachliche und kultursensible Kompetenzen (Nurse Uncut 2013), erfassen Versorgungsbedarfe und formulieren gezielte Pflegeinterventionen. Im Mittelpunkt eines entsprechenden Assessments stehen die Erfassung der Biografie, der eigenen und familiären Krankheitsgeschichte sowie Screenings chronischer und psychischer Erkrankungen. RHN erheben zudem den Ernährungsstatus sowie führen ein pädiatrisches Screening und körperliche Erstuntersuchungen durch.
Das durch den Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) entwickelte und seit Jahren etablierte Weiterbildungskonzept der Familiengesundheitspflege (FGP) (DBfK 2009) ist eine weitere gute Ausgangsbasis, um ein pflegerisches Konzept zur umfassenden Versorgung von Flüchtlingen in Deutschland zu entwickeln. Ähnlich wie beim australischen Modell stehen auch hier die Koordination der multidisziplinären Zusammenarbeit, das Erkennen und Beurteilen von Gesundheitszuständen sowie das Ressourcen- und Informationsmanagement im Vordergrund (DBfK 2009). Damit soll Unterstützung bei der Entscheidungsfindung, Krisenbewältigung und Problemlösung gegeben werden. Die notwendige pflegerische Versorgung von Flüchtlingen stellt eine gute Chance dar, um das Konzept der FGP weiter zu schärfen und weiterzuentwickeln.
Initiativen weiterentwickeln
Die gesundheitliche Versorgung von Flüchtlingen ist eine Aufgabe, der sich die Profession Pflege – Praktiker wie Wissenschaftler – stellen muss. An bereits etablierte Konzepte sollte angeknüpft und Erfahrungen aus dem Ausland beachtet werden. Neben der Akutversorgung wird eine wichtige Aufgabe darin bestehen, Flüchtlingen durch das Gesundheitssystem zu lotsen und erforderliche Hilfen zu veranlassen. Kommunen sind gut beraten, beruflich Pflegende für die gesundheitliche Betreuung von Flüchtlingen einzustellen. Berufsverbände sollten dafür sorgen, dass Thema Refugee Health Nursing weiter voranzutreiben und in bestehende Weiterbildungen wie Familiengesundheitspflege und Case Management zu integrieren. Als Studierende im Masterstudiengang Pflegewissenschaft werden wir uns künftig in Sachen Refugee Health Nursing weiter vor Ort engagieren.
DBfK (2009): Familiengesundheit. Ein neues Handlungsfeld für Familien und Hebammen. 4. Auflage. www.dbfk.de/media/docs/download/Familiengesundheitspflege/Broschuere-familiengesund heitspflege-lang-final.pdf, Abruf: 18.11.2015
Department of Health & Human Services (DHHS) (2015): Refugee Health Program. www2.health.vic.gov.au/primary-and-commu nity-health/community-health/population-groups/refugee-health-program, Abruf: 18.11.2015
Jung, F. (2011): Das Bremer Modell – Gesundheitsversorgung Asylsuchender. Gesundheitsamt Bremen (Hrsg). www.gesundheitsamt.bremen.de/sixcms/media.php/13/3_GBE_Gesundheitsversorgung_ Asylsuchender.pdf, Abruf: 3.12.2015
Lavery, S. et al. (2009): Refugee Health Service Coordination Guide for Victoria
Nurse Uncut (2013): Nurses lead the way on refugee health. www.nurseuncut.com.au/nurses-lead-sydney-refugee-health-program, Abruf: 3.12.2015
World Health Organization (WHO): Refugee crisis Situation update number 1, September 2015. www.euro.who.int/en/health-topics/health-determinants/migration-and-health/situation-updates/situation-update-number-1, Abruf: 1.12.2015