Erythrozytenkonzentrate sind gefragt, teuer und bergen mitunter erhebliche Risiken. Immer mehr Krankenhäuser begeben sich daher mit Patient-Blood-Management-Programmen auf die Suche nach Alternativen zur Bluttransfusion. Das Konzept wurde kürzlich mit dem ersten Platz des Deutschen Preises für Patientensicherheit 2016 ausgezeichnet.
Im Jahr 2014 wurden deutschlandweit etwa vier Millionen Erythrozytenkonzentrate (EK) eingesetzt. Diese umgangssprachlich als Blutkonserven bezeichneten EK enthalten rote Blutzellen, die eine essenzielle Aufgabe im Körper jedes Menschen übernehmen: den Transport des eingeatmeten Sauerstoffs zu allen lebenswichtigen Organen. Damit bilden sie eine der wichtigsten Grundlagen des Lebens.
Eine Transfusion von EK, die heutzutage als sehr sicheres, wenngleich nicht risiko- und nebenwirkungsfreies Medikament gilt, ist damit vor allem bei schwerverletzten Patienten und in Blutungssituationen lebensrettend. Die Übertragung des flüssigen Organs Blut gleicht jedoch auch einer Art Transplantation: Sie erfordert genug geeignete Spender, greift durch die Transfusion in den Immunstoffwechsel des Patienten ein und birgt damit Risiken, die sich nicht nur kurzfristig zeigen.
Drei Säulen
Aufgrund der bestehenden Restrisiken fordert die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bereits seit fünf Jahren, Alternativen zur Bluttransfusion einzuführen. Dafür bietet sich unter anderem das Patient Blood Management (PBM) an. Es handelt sich hierbei um ein interdisziplinäres Therapiekonzept, das ein Bündel einzeln umsetzbarer Maßnahmen auf der Grundlage einer Drei-Säulen-Struktur vorhält: umfassendes präoperatives Anämie-Management, Minimierung der iatrogenen Blutverluste und Ausschöpfung der natürlichen Anämietoleranz. Oberstes Ziel ist es, Komplikationen zu vermeiden und die Patientensicherheit effektiv zu steigern. Die einzelnen Konzeptbestandteile begleiten einen Patienten während des Krankenhausaufenthalts. Sie kommen vor, während und nach einer Operation zum Einsatz.
Umfassendes präoperatives Anämie-Management: In vielen Kliniken werden heute immer noch standardmäßig Transfusionen vorgenommen, um eine präoperative Anämie auszugleichen. Sinnvoller ist es aber, schon im Vorfeld eine umfassende präoperative Anämiediagnostik und -therapie durchzuführen. Im Zweifelsfall sollte bei Patienten mit Blutarmut die Operation verschoben werden. Beispielsweise lassen sich Folsäure- oder Vitamin-B12-Mangelanämieformen schnell und einfach be- handeln. Ähnliches gilt für eine Eisenmangelanämie, die mit der einmaligen Verabreichung von intravenösen Eisenpräparaten korrigierbar ist. Wissenschaftlich wurde der Nutzen eines präoperativen Anämie-Managements wiederholt bewiesen. In einer englischen Studie mit knapp 100 orthopädischen Patienten führte die präoperative Anämiebehandlung zur Halbierung der Anämierate und zur Halbierung der Transfusionsrate von Fremdblutkonserven am OP-Tag.
Minimierung unnötiger Blutverluste: Im Klinikalltag lassen sich unnötige Blutverluste über zahlreiche Möglichkeiten vermeiden – angefangen bei der Blutabnahme. Moderne Labordiagnostik erfordert in den meisten Fällen wesentlich kleinere Probenblutvolumina als aktuell in vielen Kliniken noch etabliert ist. Eine Lösung dieses Problems sind Blutabnahmeröhrchen mit kleineren Probenvolumina, aber gleichbleibender äußerer Form, sodass bereits etablierte Laboranalyseautomaten diese neuen Röhrchen auch weiter aufarbeiten können. Ebenso reduzierteine Umstellung auf bedarfsorientierte Labordiagnostik mit strengerer Indikationsstellung unnötige Patientenblutverluste und spart Kosten bei gleichbleibender Diagnostikqualität. Intraoperativ können Blutverluste durch kleinere Hautschnitte und sorgfältige chirurgische Blutstillung minimiert werden. Eine weitere Möglichkeit, Eigenblutressourcen des Patienten zu schonen, ist die maschinelle Autotransfusion. Dabei wird das während und nach der Operation anfallende Wundblut gesammelt, aufbereitet und dem Patienten zurückgeführt. Darüber hinaus trägt ein effektives Gerinnungsmanagement, für das Ärzte zuständig sind, zur Minimierung unnötiger Blutverluste bei.
Ausschöpfung der natürlichen Anämietoleranz: Der menschliche Körper kann ein bestimmtes Maß an Blutarmut tolerieren und kompensieren. Um dieses Potenzial auszuschöpfen, sollten beim Umgang mit Blutprodukten leitlinienkonforme Richtlinien umgesetzt werden. Im Klinikalltag erfolgen Transfusionen zu häufig nach eigenem Ermessen des Arztes. Die Indikation für eine Bluttransfusion basiert im Wesent- lichen auf drei Kriterien: Hämo- globin-Konzentration, Kompen- sationsfähigkeit, Risikofaktor des Patienten.
Pflege ist vielfältig eingebunden
Neben den Ärzten sind auch Intensivpflegende in das PBM eingebunden. Mit ihrem Mitwirken tragen sie erheblich dazu bei, dass mit EK sorgsam umgegangen wird. Insbesondere das Bestellwesen, die Lagerung und die Rückführung der EK obliegt zumeist der Pflege. Auch bei den auf in den Funktionsbereichen üblichen Blutabnahmen durch Pflegende können diese dazu beitragen, dass unnötige Blutverluste vermieden werden. Schulungen des Intensivpflegepersonals sind wichtig, damit der Wandel – weg von der Bluttransfusion, hin zur Etablierung eigenblutsparender Maßnahmen – gelingt. Nicht zu vergessen ist: Pflegende haben den meisten Kontakt mit den Patienten und müssen daher intensiv in das PBM einbezogen werden.
Das Universitätsklinikum Frankfurt am Main startete im Sommer 2013 – gefolgt von den Universitätsklinika Bonn, Schleswig-Holstein (Campus Kiel) und Münster – eine Pilotphase zur Implementierung von PBM. Alle vier Kliniken haben die bis dahin etablierte Standardtherapie verlassen und das neue Therapie- konzept bestehend aus zahlreichen Einzelmaßnahmen aus der Drei-Säulen-Struktur gestartet. Begleitet wurde die Projektumsetzung von intensiven und wiederholten klinikweiten Schulungen und Infor- mationsveranstaltungen für Ärzte, Patienten und Pflegenden.
Das „Frankfurter Modell" von PBM fokussiert vor allem auf ein umfassendes präoperatives Anämie-Management, die Minimierung des iatrogenen Blutverlusts, die Prävention und Therapie der im Krankenhaus erworbenen Anämie sowie die Ausschöpfung der natürlichen Anämietoleranz. Im Rahmen des vor- gegebenen PBM-Behandlungskonzepts konnte jede der vier Kliniken zusätzlich eigene Schwerpunkte setzen, beispielsweise im Anämie- oder Gerinnungsmanagement.
Für die erfolgreiche Pilotumsetzung wurden die Projektverantwortlichen der vier Universitätsklinika im April 2016 mit dem Deutschen Preis für Patientensicherheit 2016 des Aktionsbündnisses Patientensicherheit ausgezeichnet. Inzwischen sind weit mehr als 100 deutsche Kliniken dabei, die Einführung von PBM vorzubereiten oder befinden sich bereits in der Umsetzung. Es kann festgehalten werden, dass aus medizi- nischer, ethischer und ökonomischer Sicht der Patient, der Arzt, der Krankenhausträger und die Gesellschaft sichere Gewinner eines PBM-Programms sind.