Am 1. Januar ist das zweite Pflegestärkungsgesetz in Kraft getreten. Es enthält einige verbesserte Leistungen für viele pflegebedürftige Menschen und stellt insgesamt einen deutlich erkennbaren Fortschritt dar. Einzelne Punkte sind jedoch kritikwürdig. Die Änderungen im Überblick.
Es geht Schlag auf Schlag. Kaum ist das erste Pflegestärkungsgesetz seit Januar 2015 in Kraft, folgt nun schon das zweite. Sogar ein drittes Pflegestärkungsgesetz wird aktuell vorbereitet. Angesichts der gewöhnlich langsam mahlenden Mühlen eines Gesetzgebungsverfahrens ist das ein enormes Tempo.
Was ändert das PSG II?
Zentral im zweiten Pflegestärkungsgesetz (PSG II) sind der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff, die neuen Pflegegrade und das damit einhergehende Neue Begutachtungsassessment (NBA) (Einzelheiten dazu sind nachzulesen im Artikel „Neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff: Sich jetzt schon wappnen" von Corinna Schroth in Die Schwester Der Pfleger, Ausgabe 10/2015). Das zweite Pflegestärkungsgesetz, das am 1. Januar 2016 in Kraft trat und größtenteils zum 1. Januar 2017 wirksam wird, birgt viele weitere Neuerungen. So wurde vor allem das Leistungsrecht deutlich überarbeitet und teilweise erheblich ausgeweitet.
Informations- und Beratungsleistungen: Der Gesetzgeber hat festgestellt, dass die Pflegeberatung nicht in allen Bundesländern gleich gut funktioniert. Die gesetzlichen Regelungen zu Informations- und Beratungsleitungen wurden deshalb neu strukturiert und ausgeweitet. Paragraf (§) 7 im Elften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) regelt die Auskunft. Dabei geht es um vergleichsweise allgemeine Informationen an die Versicherten. Diese kann in Zukunft auch von nicht-qualifizierten Mitarbeitern der Pflegekassen erbracht werden. Neu ist außerdem, dass die Listen über die Leistungen und Vergütungen der Pflegeeinrichtungen nunmehr grundsätzlich im Internet veröffentlicht werden sollen. Auf der entsprechenden Internetseite sind ebenfalls die Ergebnisse der Qualitätsprüfungen und weitere Informationen zu berücksichtigen. Zudem sind künftig konkrete Informationen zu Angebot, Kosten und regionaler Verfügbarkeit für zugelassene Pflegeeinrichtungen sowie für niedrigschwellige Betreuungs- und Entlastungsangebote in die Listen aufzunehmen.
Die Pflegeberatung wird in § 7 a SGB XI geregelt. Mit dem PSG II werden die Pflegekassen vor Ort verpflichtet, noch vor der ersten Beratung schnell, unbürokratisch und unverzüglich feste Ansprechpartner für eine individuelle Beratung zu benennen. Außerdem sollen neue Richtlinien und Rahmenverträge die Pflegeberatung verbessern. Pflegeberater müssen künftig die Ergebnisse von häuslichen Pflegeberatungsbesuchen dahingehend bewerten, ob sich Anhaltspunkte für einen weiteren Hilfe- und Unterstützungsbedarf zur Stabilisierung der häuslichen Situation ergeben. Allerdings muss der Pflegebedürftige oder dessen Vertreter zustimmen. Ferner wird klargestellt, dass Versicherte ihre Leistungsanträge nicht unbedingt bei den Kassen, sondern auch gegenüber dem zuständigen Pflegeberater stellen können.
Neu eingeführt wird, dass die Pflegeberatung auch gegenüber pflegenden Angehörigen und weiteren Personen erbracht werden muss, sofern der Anspruchsberechtigte dies wünscht.
Sonstige vorgezogene Leistungsverbesserungen: Bisher sollten, nun müssen die Pflegekassen für Angehörige und sonstige an einer ehrenamtlichen Pflegetätigkeit interessierte Personen unentgeltlich Schulungskurse anbieten (§ 45 Abs. 1 SGB XI), entweder als Einzel- oder als Gruppenschulung. Neu ist außerdem, dass diese auf Wunsch der Pflegeperson und des Pflegebedürftigen auch in der häuslichen Umgebung des Pflegebedürftigen stattfinden müssen.
Das Pflegegeld wird während einer Kurzzeitpflege für bis zu acht Wochen und während einer Verhinderungspflege für bis zu sechs Wochen je Kalenderjahr fortgewährt. Bislang waren es jeweils nur vier Wochen. Wie bisher besteht Anspruch auf den hälftigen Betrag. Der bisher vierwöchige Anspruch auf Kurzzeitpflege wird auf acht Wochen je Kalenderjahr verlängert.
Außerdem sollen im zweiten Halbjahr 2016 keine Wiederholungsbegutachtungen durchgeführt werden, sofern nicht eine Verringerung des Hilfebedarfs zu erwarten ist. Damit will der Gesetzgeber dem vermutlich erhöhten Antrags- und Begutachtungsaufkommen während der Umstellung auf das neue Begutachtungsverfahren zu Beginn des Jahres 2017 begegnen.
Weitere Neuerungen ab 2017
Leistungen für Pflegegrad 1: Die Leistungsansprüche werden künftig nur den Pflegebedürftigen zugutekommen, die einen Pflegegrad von 2 und höher haben. Doch auch für Pflegebedürftige mit dem Pflegegrad 1 wird es Leistungen geben (§ 28 a Abs. 1 SGB XI), wie zum Beispiel Pflegeberatung, Versorgung mit Pflegehilfsmitteln, zusätzliche Betreuung und Aktivierung in stationären Pflegeeinrichtungen oder den Entlastungsbetrag in Höhe von 125 Euro monatlich.
Pflegesachleistung, Pflegegeld und Verhinderungspflege: Der neue Pflegedürftigkeitsbegriff erfasst künftig somatische, kognitive und psychische Beeinträchtigungen. Dadurch erhalten mehr Betroffene Leistungen der sozialen Pflegeversicherung. Bei den Pflegesachleistungen nach § 36 SGB XI beseitigt die neue Ausrichtung beispielsweise die bisherige Beschränkung auf bestimmte, körperbezogene Verrichtungen. Außerdem wird künftig die pflegefachliche Anleitung von Pflegebedürftigen und Betreuungspersonen zur häuslichen Pflegehilfe dazu gehören.
Beim Pflegegeld nach § 37 SGB XI gibt es keine wesentlichen Neuerungen. Nur: Pflegebedürftige mit Pflegegrad 2 und 3 haben halbjährlich einmal, Pflegebedürftige mit Pflegegrad 4 und 5 vierteljährlich einmal einen Beratungseinsatz abzurufen. Pflegebedürftige mit Pflegegrad 1 können eine Beratung einmal halbjährlich auf Kosten der Pflegekasse abrufen.
Des Weiteren wird die Pauschale für zusätzliche Leistungen in ambulant betreuten Wohngruppen leicht von 204 auf 215 Euro erhöht. Darüber hinaus gibt es in § 38 a SGB XI künftig die Möglichkeit zur Kombination mit Leistungen der Tages- oder Nachtpflege.
Die häusliche Pflege bei Verhinderung der Pflegeperson (§ 39 SGB XI) wird nicht neu geregelt. Sie gibt es künftig erst ab Pflegegrad 2.
Hilfsmittel und Pflegehilfsmittel: Bei Pflegehilfsmitteln und wohnumfeldverbessernden Maßnahmen (§ 40 SGB XI) bleibt alles beim Alten. Allerdings gibt es hier eine interessante Neuregelung in § 18 Abs. 6 a SGB XI. Danach haben die MDK-Gutachter gegenüber der Pflegekasse in ihrem Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit konkrete Empfehlungen zur Hilfsmittel- und Pflegehilfsmittelversorgung abzugeben. Die Empfehlungen gelten jeweils als Antrag auf Leistungsgewährung, sofern der Versicherte zustimmt. Auch wichtig: Die Kasse kann die Empfehlungen künftig nur unter erschwerten Bedingungen ausschlagen.
Schließlich muss die Pflegekasse dem Antragsteller unverzüglich, jedoch spätestens mit der Übersendung des Bescheids über die Feststellung der Pflegebedürftigkeit, auch die Entscheidung über die empfohlenen Hilfsmittel und Pflegehilfsmittel mitteilen.
Tagespflege, Kurzzeitpflege, vollstationäre Pflege: Leistungen der Tages- und Nachtpflege (§ 41 SGB XI) gibt es für Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5. Pflegebedürftige mit Pflegegrad 1 können aber immerhin den ihnen zustehenden Entlastungsbetrag auch für Leistungen der Tages- und Nachtpflege einsetzen. Ähnlich sieht die Neuregelung für die Kurzzeitpflege nach § 42 SGB XI aus.
Leistungen der vollstationären Pflege (§ 43 SGB XI) sind ebenfalls nur für die Pflegegrade 2 bis 5 vorgesehen. Wählen Pflegebedürftige mit Pflegegrad 1 die vollstationäre Pflege, erhalten sie einen Zuschuss in Höhe von 125 Euro monatlich. Außerdem sind künftig alle vom Pflegebedürftigen zu zahlenden Komponenten des Heimentgelts in vollstationärer Pflege in den Pflegegraden 2 bis 5 exakt gleich hoch.
Neu eingefügt wird ein Anspruch von Pflegebedürftigen in stationären Einrichtungen auf zusätzliche Betreuung und Aktivierung (§ 43 b SGB XI). Die Neuregelung gilt sowohl für voll- als auch für teilstationäre Einrichtungen. Außerdem werden alle Pflegebedürftigen erfasst, auch Personen mit Pflegegrad 1.
Niedrigschwellige Betreuungsangebote: Der letzte Abschnitt der Leistungsansprüche wird völlig neu gefasst. Der dort zuerst angeführte § 45 a SGB XI regelt Angebote zur Unterstützung im Alltag. Dieser Begriff wurde zur besseren Verständlichkeit gewählt. Gemeint sind damit die bisher sogenannten niedrigschwelligen Betreuungs- und Entlastungsangebote. Neu ist, dass künftig eine zielgruppen- und tätigkeitsgerechte Qualifikation der eingesetzten Helfenden gefordert wird. So wird beispielsweise jemand, der ein Angebot für haushaltsnahe Dienstleistungen vorhält, Qualifikation im Bereich der Hauswirtschaft und der weiteren haushaltsnahen Tätigkeiten nachweisen müssen. Auch ein angemessenes Grund- und Notfallwissen im Umgang mit Pflege-bedürftigen ist notwendig.
Neu geregelt ist nun der sogenannte Umwandlungsanspruch. Danach können Pflegebedürftige mit Pflegegrad 2 bis 5 ihren Sachleistungsanspruch bis zu einem Anteil von 40 Prozent des Maximalbetrags in einen solchen für die Angebote zur Unterstützung im Alltag umwandeln.
Der bisherige Anspruch auf „Zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen" wird nun als Entlastungsbetrag bezeichnet (§ 45 b SGB XI). Pflegebedürftige in häuslicher Pflege haben darauf einen Anspruch in Höhe von bis zu 125 Euro monatlich. Die Unterscheidung zwischen Grundbetrag und erhöhtem Betrag entfällt künftig.
Wichtig: Wer den Entlastungsbetrag beansprucht, der kann auch den Umwandlungsanspruch geltend machen. Außerdem ist es nicht hinderlich, wenn zur Finanzierung der genannten Leistungen nicht nur der Entlastungsbetrag, sondern auch Mittel der Verhinderungspflege eingesetzt werden.
Leistungen für nicht erwerbsmäßige Pflegepersonen: Schon bislang hat die Pflegeversicherung Rentenbeiträge für private Pflegepersonen bezahlt. Die Voraussetzungen dafür werden zukünftig zurückgefahren, damit können mehr Private für ihre Pflege- und Betreuungsleistungen Rentenpunkte sammeln. Dies wird ab 2017 auch dann möglich sein, wenn sich mehrere Pflegepersonen um einen Pflegebedürftigen kümmern.
Gänzlich neu ist, dass Pflegepersonen, die Pflegebedürftige mindestens mit dem Pflegegrad 2 pflegen, künftig auch in der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung versichert werden (§ 44 Abs. 2 b SGB XI). Falls den Pflegepersonen nach dem Ende der Pflegetätigkeit ein nahtloser Einstieg in die Beschäftigung nicht gelingt, haben sie somit Anspruch auf Arbeitslosengeld und Leistungen der aktiven Arbeitsförderung.
Verbesserungspotenzial bleibt bestehen
Positiv am PSG II fällt auf, dass es das SGB XI teilweise besser strukturiert sowie verständlichere Begriffe und Formulierungen verwendet. Auch in der Sache gibt es deutliche Fortschritte. Allerdings gilt dies nicht für die Berührungspunkte mit dem Sozialhilferecht und der gesetzlichen Krankenversicherung. Gerade an der Schnittstelle zur häuslichen Krankenpflege werden neue Streitigkeiten auftreten.
Auch bei den einzelnen Leistungen lässt sich Kritik anmelden. Sehr fraglich ist beispielsweise, ob die Neuerungen bei der Pflegeberatung wirklich helfen. Zudem sind die Verhinderungs- und die Kurzzeitpflege noch nicht vollständig harmonisiert. Und warum wurden die unteren Pflegegrade in der stationären Pflege so stark benachteiligt?
Für nicht erwerbsmäßige Pflegepersonen wird die Sozialversicherung immerhin verbessert. Allerdings dürfte das PSG II fast nichts an der nach wie vor prekären Lage von vielen privaten Pflegepersonen ändern. Diese sind weiterhin einem erhöhten Risiko an Altersarmut ausgesetzt.
Fazit: Trotz vieler Veränderungen in den letzten Jahren wird es für kommende Pflegestärkungsgesetze noch etliche Verbesserungsmöglichkeiten geben.