Die österreichische Bundeshauptstadt Wien führt zum kommenden Schuljahr flächendeckend Pflegefachpersonen im Schulwesen ein. Schon jetzt zeigt sich: Der Bedarf an „School Nurses“ ist groß, auch andere Bundesländer interessieren sich zunehmend für den Ansatz.
In Deutschland haben Pflegefachpersonen im Schulwesen – je nach Bundesland Schulgesundheitsfachkräfte oder Gesundheitsfachkräfte genannt – noch Seltenheitswert, auch wenn sich in den vergangenen Jahren regional einiges bewegt hat [1].
Auch in Österreich wächst das Interesse, wobei sich der Einsatz von School Nurses – so werden Schulgesundheitsfachkräfte dort genannt – bislang auf Privatschulen und kleinere Modellprojekte beschränkt. So ist im Bundesland Vorarlberg seit dem Schuljahr 2023/2024 an acht Pflichtschulen eine School Nurse eingesetzt. Sie ist pro Schule einen halben Tag pro Woche anwesend. Aufgrund der geringen Zeitressourcen fällt es schwer, von „echter“ Schulgesundheitspflege zu sprechen.
Die Hauptstadt Wien – gleichzeitig eins von neun Bundesländern – setzt nun ein starkes Zeichen für die schulische Gesundheitsversorgung durch spezialisierte Pflegefachpersonen. Ab Herbst dieses Jahres wird das School-Nurse-Modell deutlich ausgebaut – vom Pilotprojekt, das 2022 mit vier School Nurses begann, auf eine Ausweitung auf weitere Standorte mit insgesamt 40 School Nurses. Damit etabliert Wien als erste und bislang einzige Stadt in Österreich ein strukturelles Angebot schulischer Gesundheitsversorgung auf der Basis professioneller Pflege.
Die Entscheidung für die Ausweitung ab dem Schuljahr 2025/2026 wurde von der Wiener Stadtregierung getroffen – aufgrund der großartigen Evaluationsergebnisse im laufenden Projekt, die die hohe Wirksamkeit und Akzeptanz der School Nurses im schulischen Alltag bestätigen. Sie markiert einen Meilenstein in der Anerkennung pflegerischer Expertise im Setting Schule.
Neue berufliche Perspektive
Der erweiterte Einsatz bietet nicht nur eine neue berufliche Perspektive für diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegepersonen (DGKP), sondern ist zugleich ein Modell mit potenzieller Vorbildwirkung für andere Bundesländer. Aktuell ist Wien jedoch das einzige Bundesland, das dieses Konzept systematisch einführt und weiterentwickelt, obwohl auch andere Bundesländer sich zunehmend für diesen Ansatz interessieren. Das bisherige Projekt zeigt: Der Bedarf ist hoch, die Nachfrage der Schulen wächst. Ziel ist es, langfristig eine strukturierte gesundheitliche Versorgung an Bildungseinrichtungen zu verankern, eingebettet in ein interdisziplinäres Netzwerk mit Schulärzt:innen, Sozialarbeiter:innen, Psycholog:innen und externen Gesundheitsdiensten.
School Nurses, international auch School Health Nurses genannt, übernehmen eine zentrale Rolle im schulischen Alltag. Sie sind Ansprech- und Vertrauenspersonen für sämtliche gesundheitliche Fragestellungen. Neben der Erstversorgung bei akuten Erkrankungen oder Verletzungen versorgen und beraten sie bei chronischen Erkrankungen und leisten einen wesentlichen Beitrag zur Gesundheitsprävention, -förderung und -kompetenz.
Durch ihre Fachexpertise entlastet die School Nurse das Lehrpersonal und trägt dazu bei, die physische, psychische und soziale Gesundheit der Kinder und Jugendlichen, und damit auch ihre Bildungschancen, zu verbessern [2]. Multiprofessionelle Schulpflege kann dazu beitragen, ein niederschwelliges und aufsuchendes System der Gesundheitsförderung und -versorgung im Lebensraum Schule zu etablieren. Das bietet zwei Chancen: Schule ist ein optimales Umfeld, damit die heranwachsenden Kinder und Jugendlichen lernen, einen Lebensstil zu entwickeln, der ihre Gesundheit fördert und erhält. Für die Schule wird das Thema Gesundheit ein zentraler Zukunftsauftrag. Schulgesundheitspflege fördert zudem die Inklusion von Kindern und Jugendlichen mit chronischen Erkrankungen und besonderen individuellen Bedürfnissen. Lehrende und anderes Schulpersonal geraten hier leicht in Überforderungssituationen, meist mangelt es an Wissen und Ausstattung. Gleichzeitig kann davon ausgegangen werden, dass das Risiko für die Entwicklung von Verhaltensstörungen steigt, wenn die Mehrbelastungen unzureichend bewältigt werden.
In Wien ist die medizinische Betreuung an Schulen gesetzlich klar geregelt. Derzeit sind ausschließlich Schulärzt:innen im Schulwesen verankert, die vor allem schulärztliche Untersuchungen durchführen, präventiv tätig werden (Impfungen und Zahnprophylaxe) sowie Schüler:innen, Eltern und Lehrer:innen zu gesundheitlichen Themen beraten. Eine gesetzliche Verankerung von Pflegepersonen im schulischen Setting besteht hingegen im Schulrecht bislang nicht. Allerdings sind im österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegegesetz (GuKG) eigenverantwortliche Aufgaben zur Stärkung der Gesundheitskompetenz, der Gesundheitsförderung und -prävention insbesondere bei chronischen Erkrankungen im Rahmen der Schulgesundheitspflege klar definiert.
Im Rahmen des School-Nurse-Projekts wurde unter anderem ein Leistungsportfolio auf Basis einer konkreten Bedarfsanalyse entwickelt, basierend auf Interviews und Workshops mit den einzelnen Zielgruppen. Die Basis für das Leistungsportfolio sind die Kompetenzbereiche des GuKG. Im Zentrum stehen dabei nicht nur die unmittelbar erforderlichen pflegerischen und medizinischen Bedürfnisse, sondern auch oft schwieriger zu erkennende psychische und mentale Auffälligkeiten der Kinder und Jugendlichen:
- Notfallmanagement und Erstversorgung durch Erste Hilfe, Vitalzeichenkontrolle, Hilfe bei Schmerzen, Meldung bei Verdacht auf Missbrauch, Informationspflicht, Unfalldokumentation sowie Verwaltung und Verabreichung von Medikamenten
- Betreuung von Kindern und Jugendlichen mit chronischen Krankheiten und mit besonderen Bedürfnissen durch Verwaltung und Verabreichung von Medikamenten, Umgang mit chronischen Krankheiten sowie Versorgung und Unterstützung
- Prävention und Gesundheitsvorsorge durch Gesundheits-Assessments, Gesundheitserziehung, Verhältnisprävention und Impfmanagement
- Information und Beratungsleistungen zu Gesundheitsthemen, professionelle Beratung im Anlassfall der Kinder oder anderer Berufsgruppen sowie Vermittlung an Spezialisten
- Vernetzung und Zusammenarbeit durch Aufbau von lokalen externen Kontakten, regelmäßiger interner Austausch, Vernetzung mit anderen School Nurses
- Administration und Organisation durch gesetzliche Dokumentationspflicht, Leistungserhebung der Tätigkeiten, Arbeitsplatzorganisation sowie Einholen der Einwilligungserklärungen der Erziehungsberechtigten und ärztliche Anordnungen
School Nurses erhöhen Attraktivität des Pflegeberufs
Neben der sorgfältigen Auswahl der School Nurses war ein umfassendes Onboarding zentral. Im Rahmen dieses Prozesses war ein Mindestmaß an Praktika sowie Fort- und Weiterbildungen für die rekrutierten School Nurses vorgesehen, darunter zum Beispiel Diabetesschulungen, Auffrischungen von Erste-Hilfe-Maßnahmen für Kinder und Jugendliche, Fortbildungen zu Gewalt und Gewaltschutz sowie Suchtmitteln und Suchterkrankungen.
Als Zielgruppe für das neue Arbeitsfeld sind Angehörige des gehobenen Dienstes in der Gesundheits- und Krankenpflege vorgesehen. Die Arbeitsmarktsituation für DGKP in Österreich ist jedoch seit Jahren angespannt. Der schon bestehende Pflegepersonalmangel wird sich in den kommenden Jahren weiter zuspitzen. Viele DGKP arbeiten unter hohem Zeitdruck, mit überdurchschnittlicher physischer und psychischer Belastung, die nicht selten zu Teilzeitarbeit oder Berufswechsel führt. Vor diesem Hintergrund sind neue, alternative Einsatzbereiche für DGKP besonders attraktiv, sowohl für die Berufsgruppe selbst als auch für das Gesundheitssystem insgesamt. Das Tätigkeitsfeld einer School Nurse bietet eine solche neue Perspektive für viele pflegerische Zielgruppen. Dabei soll Pflegepersonal durch etablierte Informationskampagnen vor einem möglichen Ausstieg aus den Gesundheitsberufen erreicht werden. Dabei ist es ausdrücklich nicht das Ziel, Pflegefachpersonen aus der Langzeitpflege oder dem Krankenhausbereich abzuwerben. Vielmehr soll das Angebot an Einsatzfeldern erweitert werden, um zusätzliche Pflegepersonen für das System zu gewinnen und zu halten.
[1] Maulbecker-Armstrong C, Schulenberg D, Vey D. Schulgesundheitspflege – Deutschland holt auf. Die Schwester Der Pfleger 2024, 63 (1): 22–26
[2] Kocks A. Schulgesundheitspflege. Pflege & Gesellschaft 2008; 13 (3): 256