Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen und in der Pflege hat im Januar sein neues Gutachten an das Bundesgesundheitsministerium übergeben. Die Stärkung der professionellen Pflege ist darin eine zentrale Forderung.
Herausforderungen wie die Coronapandemie, der Krieg gegen die Ukraine und der Klimawandel betreffen auch das Gesundheitssystem, doch nach Ansicht des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen und in der Pflege (Textkasten: Sachverständigenrat) zieht die Politik aus den Krisen bisher nicht die richtigen Schlüsse. Die Expertinnen und Experten beleuchten daher im neuen Gutachten „Resilienz im Gesundheitswesen. Wege zur Bewältigung künftiger Krisen“ einzelne Versorgungsbereiche des deutschen Gesundheitssystems – den Öffentlichen Gesundheitsdienst, die Akutversorgung und die Langzeitpflege – und macht konkrete Empfehlungen zur Verbesserung der Krisenfestigkeit. Die Kapitel zur Akutversorgung und Langzeitpflege enthalten zahlreiche Empfehlungen, die die berufliche Pflege betreffen.
Akutversorgung
Eine resiliente Akutversorgung benötigt aus Sicht des SVR flexible und schnelle Strukturen, um sich bedarfsgerecht an neue, veränderte Situationen anpassen zu können. Voraussetzungen hierfür sind vernetzte medizinische Einrichtungen und insbesondere personelle Ressourcen. Die Beschäftigten im Gesundheitswesen stellen einen Schlüsselfaktor dar. Die Krisenfestigkeit hängt in besonderem Maße von ihrer eigenen Resilienz ab.
Versorgungsstrukturen. Die Zahl der Krankenhäuser hat in Deutschland seit 1991 kontinuierlich abgenommen. Dennoch besteht hierzulande im internationalen Vergleich eine hohe Krankenhausdichte. Auch die Bettendichte – einschließlich der Kapazitäten auf Intensivstationen – ist vergleichsweise hoch. Die Personaldichte in Krankenhäusern – insbesondere im Hinblick auf Pflegefachpersonal – ist hingegen sowohl im Verhältnis der hohen Bettenzahl als auch der Fallzahlen gering.
Aus Sicht des Rats ist daher eine Veränderung der Kapazitätsplanung notwendig. Nicht bedarfsnotwendige Krankenhäuser sollten in andere bedarfsgerechtere Versorgungsformen wie regionale Gesundheitszentren umgewandelt werden, deren Leistungsspektren an die Bedarfe vor Ort angepasst werden sollten. Dies sollte mit dem Um- und Ausbau vernetzter und sektorenübergreifender Versorgungsstrukturen einhergehen.
In diesem Kontext befürwortet der Rat die Etablierung der Community Health Nurse (CHN). Diese spezialisierten Pflegefachpersonen sollten in diese Strukturen eingebettet werden, um eine teamorientierte Zusammenarbeit verschiedener Gesundheitsprofessionen zu erreichen. Die Koordinierung der praxisärztlichen und stationären Versorgungsstrukturen sowie des Öffentlichen Gesundheitsdienstes könnte aus Sicht des SVR eine zentrale Aufgabe der CHN sein.
Personalmangel. Die Zahl der Ärztinnen und Ärzte ist in Deutschland in den vergangenen 20 Jahren kontinuierlich gestiegen und auch die Zahl des ärztlichen Personals in Kliniken nimmt stetig zu. Die Ärztedichte im Verhältnis zu den Fallzahlen ist dennoch relativ gering, was einerseits der Steigerung der Fallzahlen seit Einführung des DRG und andererseits der im OECD-Vergleich höchsten Fallzahlen im Verhältnis zur Einwohnerzahl geschuldet ist.
Die Zahl der in deutschen Krankenhäusern tätigen Pflegenden unterschiedlicher Qualifikationsstufen kann aufgrund uneinheitlicher Statistiken nicht exakt bestimmt werden. Für das Jahr 2020 ist aber von einer Gesamtzahl des im Krankenhaus tätigen Pflegepersonals von rund 711.000 (alle Qualifikationsstufen, alle Fachbereiche) auszugehen. Die Zahl der Beschäftigten in der Krankenhauspflege steigt seit 2007 kontinuierlich an. Laut Statistischem Bundesamt lag die Versorgungsdichte mit Pflegefachpersonen in Deutschland im OECD-Vergleich 2018 an achter Stelle und damit im oberen Drittel. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl bestehen hinsichtlich des verfügbaren Pflegepersonals in Deutschland dennoch erhebliche Fachpersonalengpässe.
Um vor diesem Hintergrund mehr Planungssicherheit zu erreichen, empfiehlt der Rat die Einführung der beruflichen Registrierungspflicht für Pflegefachpersonen. Hierbei sollte möglichst nach Fachrichtungen, beruflich und hochschulisch ausgebildeten Pflegefachpersonen, Anstellungsort und -umfang, Tätigkeitsbereich, Weiterbildungen und sonstigen Qualifikationen differenziert werden. Zudem soll eine pflegewissenschaftlich fundierte Weiterbildungsordnung etabliert werden.
Der Rat betrachtet die Anwerbung ausländischen Pflegepersonals als nur kleine Säule der Personalplanung; wichtiger ist der nachhaltige Einsatz des vorhandenen Personals und die Neugestaltung der klinischen Arbeitsteilung. Dennoch sollten bürokratische Hürden zur Beschäftigung ausländischer Pflegefachpersonen abgebaut und Anerkennungsverfahren vereinfacht werden. Es sollten bundesweit einheitliche Anforderungen an die Sprachkompetenzen gelten. Das Gütesiegel „Faire Anwerbung Pflege Deutschland“ des Kuratoriums Deutsche Altershilfe (KDA) sollte für Agenturen oder Unternehmen, die ausländisches Pflegepersonal anwerben und in Deutschland an Arbeitgeber vermitteln, verbindlich werden. Des Weiteren sind Anstrengungen nötig, um in den Einrichtungen eine wertschätzende und diskriminierungsfreie Arbeitsatmosphäre zu gewährleisten.
Arbeitsbedingungen. Um die Attraktivität des Pflegeberufs zu erhöhen, empfiehlt der SVR die Schaffung besserer Arbeitsbedingungen. Hierzu gehören strukturelle Veränderungen wie betriebliches Gesundheitsmanagement, altersgerechte Arbeitsplätze, Altersteilzeitmodelle, Entlastung bei der Dokumentation, Ausbau der Kinderbetreuung und eine möglichst selbstbestimmte Arbeitsorganisation.
Aus Sicht des Rats ist der Berufsstatus der Pflege zu verbessern. Hierzu ist eine in einem gemeinsamen Heilberufegesetz geregelte Neustrukturierung der Arbeitsteilung im Gesundheitswesen anzustreben. Sinnvoll sind auch die Förderung interprofessioneller Teams und Stärkung der Pflege im Versorgungsprozess. Auch durch die Übernahme von bisher Ärztinnen und Ärzten vorbehaltenen Tätigkeiten durch hochschulisch ausgebildete Pflegefachpersonen kann eine interdisziplinäre, teamorientierte Wahrnehmung von Aufgaben erreicht werden. Die hochschulische Pflegeausbildung sollte in diesem Zusammenhang ausgebaut werden. Das grundständige Studium der Pflege muss attraktiver werden, unter anderem durch eine Ausbildungsvergütung, vergleichbar dem Bachelorstudium der Hebammenwissenschaft.
Sachverständigenrat
Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen und in der Pflege hat die Aufgabe, regelmäßig Gutachten zu erstellen und in diesem Rahmen u. a. die Entwicklung in der gesundheitlichen Versorgung und Pflege mit ihren medizinischen und wirtschaftlichen Auswirkungen zu analysieren sowie Möglichkeiten und Wege zur Weiterentwicklung des Gesundheitswesens aufzuzeigen. Der Sachverständigenrat wurde 1985 als „Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen“ geschaffen. Seit 1991 werden die Mitglieder des Rats vom Bundesminister für Gesundheit für eine begrenzte Dauer berufen. Der Rat ist interdisziplinär besetzt. Mit Inkrafttreten des GKV-Modernisierungsgesetzes 2004 und der damit verbundenen Abschaffung der Konzertierten Aktion erfolgte die Umbenennung in „Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen“. Der jetzige Sachverständigenrat wurde von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zum 1. Februar 2019 berufen. Das Gremium umfasst sieben Mitglieder – darunter war die Professorin für Gesundheits- und Pflegewissenschaft an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Gabriele Meyer, die einzige Pflegefachperson und Pflegewissenschaftlerin. Ihre Amtszeit endete Ende Januar 2023 nach acht Jahren Mitgliedschaft. Ende 2022 wurde durch Änderung des § 142 SGB V klargestellt, dass der Rat auch für die Begutachtung der Entwicklung in der Pflege zuständig ist. Sein Name wurde daher in „Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen und in der Pflege“ geändert. Der Gutachtenrhythmus wurde verkürzt und jetzt auf „in der Regel zwölf Monate“ festgelegt.
Zur Steigerung der Versorgungsqualität und der Attraktivität des Berufs empfiehlt der Rat Pflegepersonaluntergrenzen für weitere pflegesensitive Bereiche. Künftig sollten die Untergrenzen für größere Einheiten eines Krankenhauses anstatt für medizinische Fachabteilungen definiert werden. Der Pflegepersonalquotient und der Pflegelastkatalog zur Differenzierung der Pflegepersonaluntergrenzen nach Schweregradgruppen sollten nach Ansicht des SVR beibehalten werden. Die Pflegepersonalregelung 2.0 (PPR 2.0) kann möglicherweise den Pflegelastkatalog ersetzen, nicht aber die Untergrenzen.
Der Rat plädiert beim Einsatz von Leih-arbeit in der Pflege für gleiche Arbeitsbedingungen des Stammpersonals und der Leiharbeitenden. Für Letztere sollten klar definierte Tätigkeitsbereiche festgelegt werden.
Zur Entlastung des Pflegepersonals sollte ferner in digitale Innovationen investiert werden. Beispielhaft sind hier digitale Informa- tions- und Dokumentationssysteme, mobile Endgeräte sowie vernetzte Hilfs- und Monitoringsysteme. Telemedizinische Lösungen sollten ausgebaut werden.
Langzeitpflege
Die Heilberufe tragen nach Ansicht des Rats eine hohe Verantwortung beim Schutz älterer pflegebedürftiger Menschen. Im ersten Coronajahr 2020 habe sich gezeigt, wie unerlässlich die Profession Pflege als systemrelevanter Beruf für die Daseinsvorsorge sei. Die Pandemie ist aus Sicht des SVR als Brennglas zu verstehen, das die strukturellen Probleme der Pflege wie Personalknappheit, niedrige Löhne und unzulängliche Arbeitsbedingungen offengelegt hat.
Vorsorge. Um die Krisenfestigkeit der Langzeitpflege zu stärken, sind aus Sicht des Rats ausreichend Schutzausrüstungen vorzuhalten und Schulungsangebote für Pflegende anzubieten. Führungspersonen sollten Fortbildungen erhalten, um Managementkompetenzen in Krisensituationen zu erlangen. In der Langzeitpflege sollte in bauliche Anpassungen investiert werden, um die Auswirkungen bekannter Risiken wie Infektionsgeschehen, Hitze, Stromausfall und Evakuierung zu reduzieren.
Rahmenbedingungen. Zu den dringend benötigten verbesserten Rahmenbedingungen in der Langzeitpflege gehören die bessere Nutzung der Personalressourcen, die Reduzierung der Arbeitsbelastungen und eine der Qualifikation angemessene Entlohnung, deren Finanzierung nicht übermäßig zulasten der Pflegebedürftigen geht. Ferner sollten eine Personalbemessung und ein Qualifikationsmix eingeführt werden, die am Bedarf der pflegebedürftigen Menschen ausgerichtet sind. Beschäftigungs- und Arbeitszeitmodelle sollten eingeführt werden, die den Bedürfnissen der Beschäftigten entsprechen.
Das Pflegepersonal in der Langzeitpflege muss gezielt und wirksam entlastet werden, etwa über Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung, der Prävention und der Implementierung technischer Innovationen.
Regulierung von Qualität. In Einrichtungen der Langzeitpflege bedarf es zudem einer andersartigen Regulierung von Qualität: Die Gewinnorientierung der Pflegeanbieter sollte zurückgedrängt werden; stattdessen sollten faire Löhne und eine bedarfsgerechte Personalausstattung wieder stärker im Fokus stehen. Insofern besteht die zentrale Herausforderung für politische Entscheidungsträger darin, Finanzierungsmodelle zu reformieren und Anreize aufzulösen, von der schlechten Qualität der Leistungen im schnell wachsenden Langzeitpflegesektor zu profitieren.
Stärkung des Berufsstands Pflege. Voraussetzung zur Stärkung des Berufsstands Pflege ist die Entwicklung eines gemeinsamen grund-legenden Berufsverständnisses. Aus Sicht des Rats sind der berufspolitische Zusammenschluss der beruflich Pflegenden und die Auseinandersetzung damit, wie dieser am besten gelingen kann, unerlässlich.
Der Rat plädiert für die heilkundliche Kompetenzerweiterung für spezifisch qualifizierte Pflegefachpersonen in der Langzeitpflege, etwa im Rahmen international etablierter Versorgungskonzepte wie Advanced Nursing Practice. Ein allgemeines Heilberufegesetz wäre die Grundlage – vor allem, um regulatorische Hürden zu beseitigen, Grundlagen der Aufgabenverteilung für Pflegefachpersonen mit und ohne heilkundliche Kompetenz (in der Langzeitpflege) zu schaffen und die Kooperation mit anderen Heilberufen, auch haftungsrechtlich, zu regeln.
Geeignete Ansatzpunkte zur Förderung von Berufsstolz in der Pflege sind die berufliche Registrierung, die Verpflichtung zu kontinuierlicher Weiterbildung, mehr Binnendifferenzierung im Pflegeberuf und ein höherer Anteil hochschulisch qualifizierter Pflegender. Bislang fehlt es an einer durchsetzungsfähigen berufsständischen Selbstverwaltung, deren innerberufliche Zusammensetzung alle in der Pflege vertretenen Qualifikationsstufen berücksichtigt. Die Pflege soll in Selbstverwaltungsgremien des Gesundheitswesens wie dem Gemeinsamen Bundesausschuss oder der Gematik repräsentiert sein, um sicherzustellen, dass die Perspektive der Profession Pflege in pflegeberuflichen Fragen gehört wird.
Aus Sicht des Rats ist dringend zu erörtern und zu entscheiden, wie die Berufsregistrierung, die Administration und die inhaltliche Ausgestaltung der Fort- und Weiterbildung in der Pflege strukturell organisiert werden können. Pflegekammern wären hierfür eine Option. Die anhaltenden Diskussionen um das Für und Wider – sowohl innerhalb der Berufsgruppe als auch in der Politik – lassen die erfolgreiche Implementierung von Pflegekammern in allen Bundesländern allerdings als kaum realistisch erscheinen. Zu bedenken ist zudem, dass bestimmte notwendige Aufgaben von Pflegekammern nicht wahrgenommen werden könnten, etwa die Prüfung der Umsetzung von Qualitätsstandards, Regelungen zur Pflegeausbildung und zum Pflegestudium sowie die Verhandlungsführung in Tarifverhandlungen. Da Pflegekammern Institutionen der Bundesländer sind und bestimmte Entscheidungen auf Bundesebene fallen, ist keine direkte Entscheidungsbeteiligung gegeben.
Insofern sind aus Sicht des Rats auch unkonventionelle Lösungen zu prüfen. Ein Modell wie das Nursing and Midwifery Council in Großbritannien kann ein strukturelles Vorbild für Deutschland darstellen, indem eine Berufsaufsichtsbehörde als Körperschaft des öffentlichen Rechts fungiert, der die Länder die Regulierung der Heilberufe übertragen haben und die die Rechtsaufsicht ausüben kann.
Download des Gutachtens
Das Gutachten steht auf der Website des Sachverständigenrats zum kostenlosen Download bereit. In gedruckter, kostenpflichtiger Form ist das Gutachten in der MWV Medizinisch Wissenschaftlichen Verlagsgesellschaft erschienen.
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