Demenz und Sturzgefährdung stellen Herausforderungen für die Pflege im Krankenhaus dar, die jedoch technisch unterstützt werden können. Das Pflegepraxiszentrum Hannover berichtet von der Erprobung dreier Technologien.
Mit Musik gegen Unruhe
Nüchternzeiten vor der OP, eine Narkose, fremde Gesichter und Stimmen – Patientinnen und Patienten (im Folgenden: Patienten) mit Demenz reagieren auf die für sie ungewohnte Klinikatmosphäre mit oftmals hohem Geräuschpegel und hektischen Abläufen häufig mit herausfordernden Verhaltensweisen.
Das Produkt inmuRELAX der dänischen Firma inmu setzt an diesem Problem an. Es handelt es sich um ein sensorisches, etwa handgroßes rundes Klangkissen mit integriertem Lautsprecher. Das Kissen soll durch eine Kombination aus leichten Vibrationen und beruhigender Musik ein Gefühl der Entspannung auslösen und Erregungszuständen vorbeugen. Die Musik des Kissens ähnelt dem Ton einer Klangschale und soll die Aufmerksamkeit von der ungewohnten Situation ablenken.
Die Erfahrungen in der Erprobung zeigen, dass sich die Reaktionen der Patienten auf das Kissen nur schwer vorhersagen lassen. Manche reagieren gar nicht darauf oder weisen es von sich. Pflegefachpersonen berichten, dass es Geschick braucht, inmuRELAX Menschen mit Demenz anzubieten. Bei manchen reicht es, das Kissen auf den Nachttisch zu legen, andere werden direkt zum Anfassen ermuntert: „Schütteln Sie mal!“ – dann aktiviert es sich.
Wenn das Kissen angenommen wird, können die erwarteten Effekte beobachtet werden. Patienten, bei denen etwa noch am Vortag pflegerische Maßnahmen nur schwer umzusetzen waren, können ohne großen Aufwand mit Unterstützung des Kissens versorgt werden. Die Patienten wirken dabei allgemein ruhiger. Aber: Die fehlende Abwechslung der Geräusche des Kissens sorgt dafür, dass der Effekt nicht von Dauer ist. Manche Patienten verlieren nach wenigen Tagen bereits das Interesse daran.
Positive Rückmeldung gab es auch, wenn Pflegefachpersonen das Klangkissen selbst einmal genutzt haben. Auch sie können durch die Ruhe ausstrahlende Musik des Kissens kurze Entspannungszeiten finden.
Bunt und rund
Nicht bei allen Menschen mit Demenz ist die Erkrankung bereits so weit fortgeschritten, dass das inmuRELAX-Kissen die beste Wahl ist. Patienten mit einer beginnenden Demenz reagieren bei dem Kissen durchaus irritiert. Bei ihnen gilt es, die noch vorhandenen kognitiven Fähigkeiten zu bewahren und zu trainieren. Hier ist der Therapieball ichó der Firma icho systems aus Duisburg eine Alternative.
Der Ball soll den Erhalt des Gedächtnisses und der Motorik fördern und spielerisch von den Patienten genutzt werden. Sie selbst oder auch die Pflegefachpersonen können über eine Fernbedienung durch das Menü des Balls steuern und über Ballbewegungen – etwa linksrum oder rechtsrum drehen – die Anwendungen bespielen. Es werden Kurzgeschichten, Rätsel und Musikstücke angeboten; die unterschiedlichen Anwendungen werden durch Sprachausgabe und Farbwechsel des Balls vermittelt.
Die Tochter eines Patienten berichtete etwa, dass ihr Vater sein ganzes Leben lang mit großer Leidenschaft als Landwirt tätig war. Die Anwendung „Rätsel Bauernhoftiere“ könnte bei ihm also das Wohlbefinden fördern und für die Beziehungsarbeit des Pflegefachpersonals sinnvoll sein.
Die Pflegefachpersonen haben dem Forschungsteam berichtet, selten die Zeit zu finden, um den Ball in den Pflegealltag zu integrieren. Gute Erfahrungen haben sie aber damit gemacht, Auszubildende in der Pflege anzuregen, sich in die Inhalte und die Handhabung des Balls einzuarbeiten und diese dann am Patientenbett zu erproben. So zeigte sich, dass etwa Spiele wie „Sprichwörter ergänzen“ – ausgegeben wird die Hälfte eines Sprichworts, die andere Hälfte soll ergänzt werden – gut bei den Patienten ankommen.
Für den Klinikalltag, so schlussfolgern die Pflegefachpersonen, ist das wischdesinfizierbare Gerät vor allem dann geeignet, wenn die passende Patientenklientel und ausreichend viel Personal zur Verfügung stehen. Sonst können sie den entsprechenden Zeitaufwand für den Einsatz des Produkts nicht leisten. Sie kritisieren, dass der Ball über keine Spracherkennung verfügt. So könnten die Nutzer auf verbale Rätsel antworten, sie erhalten jedoch kein Feedback vom Ball, ob die Antwort stimmt oder nicht.
Einem Sturz vorbeugen
Eine ungewohnte Situation und fremde Umgebung können die Symptome einer Demenz temporär verstärken und die Hinlauftendenz beeinflussen. Folglich erhöht sich bei unfallchirurgischen Patienten die Gefahr für Stürze und resultierende Folgeverletzungen, gerade wenn sie bereits mobilitätseingeschränkt sind. Um dies zu vermeiden, sind die Pflegefachpersonen gefordert. Es ist fachlich herausfordernd, Stürzen vorzubeugen und gleichzeitig freiheitseinschränkende Maßnahmen zu unterlassen.
Der Bettenhersteller WissnerBosserhoff bietet zur Unterstützung ein Bett-Exit-System mit dem Namen SafeSense an, das mit seinen Betten kompatibel ist. Das System erkennt über Druckveränderungen, wenn ein Patient aus dem Bett steigt, und alarmiert über das Lichtrufsystem der Station. Es besteht aus einer schmalen Matte, die mittels Klettverschluss im Bereich der Hüfte des Patienten unter der Matratze montiert wird.
Über ein Steuergerät lässt sich das Zeitintervall zwischen Verlassen des Betts und Alarmierung einstellen. Es kann zwischen null Sekunden und mehreren Minuten programmiert werden. Sollten sich nach der eingestellten Zeit die Patienten nicht wieder in das Bett gelegt haben, alarmiert das System. Durch die Einstellung kann auch bei mobilen Patienten ein möglicher Sturz im Patienten- oder Badezimmer erkannt werden.
Seit Einführung auf der Projektstation wird SafeSense regelmäßig genutzt. Die Pflegefachpersonen berichten davon, dass durch die Matte einige Stürze verhindert werden konnten. Die Alarmierung über die Patientenlichtanlage erweist sich als praktikabel, da alle umstehenden Mitarbeitenden bei einem Alarm nach den Patienten sehen können.
Allerdings kommen auch Fehlalarme vor. Das Kabel, das von der Matte zur Wandkonsole im Patientenzimmer führt, ist offenbar fehleranfällig. Aus nicht geklärter Ursache finden sich immer wieder nach Verlegung von Patienten – beispielsweise in den OP – abgerissene Kabel in der Steckdose, die dann ausgetauscht werden müssen.
Die Installation des Systems ist etwas zeitaufwendig, da erst die Bettmatratze zur Seite geräumt werden muss und dann die Kabel im Bettgestell verlegt werden müssen. Hier hat es sich bewährt, dass Pflegefachpersonen vorab in ruhigen Minuten die Matte vorinstallieren und so etwas Routine entwickeln.
Fazit. Die Erfahrungen mit den drei Produkten lassen den Schluss zu, dass Technologien zu einer Verbesserung der Patientenversorgung und zu einer Entlastung des Personals führen können. Ein erfolgreicher Einsatz der Produkte hängt davon ab, dass sie passgenau für die Patienten ausgewählt werden. Hierfür sind die Expertise und Erfahrungen der Pflegefachpersonen entscheidend.
Pflegepraxiszentrum Hannover
Seit 2018 dient eine unfallchirurgische Station mit 28 Betten der Medizinischen Hochschule Hannover als Projektstation des Pflegepraxiszentrums Hannover. Ein Konsortium, bestehend aus der Geschäftsführung Pflege der Medizinischen Hochschule Hannover, dem Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung an der Medizinischen Hochschule Hannover, dem Peter L. Reichertz Institut für medizinische Informatik, der Hochschule Hannover und die Ergo-Tec Medical GmbH, erprobt hier den Einsatz digitaler Technologien in den Pflegealltag.