• 28.06.2021
  • Praxis
Cluster "Zukunft der Pflege"

Pflege-IT im Praxischeck Teil 1

Die Schwester Der Pfleger

Ausgabe 7/2021

Seite 20

Die Pflegepraxiszentren Freiburg, Nürnberg, Hannover und Berlin überprüfen im Cluster „Zukunft der Pflege“ neue Technologien auf ihre Praxistauglichkeit. Das Berliner Pflegepraxiszentrum erläutert seine Hintergründe und stellt exemplarisch drei IT-Lösungen vor.

Das 2018 gestartete Cluster „Zukunft der Pflege“ ist ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördertes Verbundprojekt, um neue Pflegetechnologien zu entwickeln, zu erforschen und in der Praxis zu erproben.

Das Cluster besteht aus dem Pflegeinnovationszentrum (PIZ) und vier Pflegepraxiszentren (PPZ). Während das PIZ in Oldenburg sich auf den Aufbau von Reallaboren in verschiedenen Pflegesettings konzentriert und dabei sowohl gezielt nach am Markt verfügbaren Pflegeinnovationen Ausschau hält als auch eigene Forschung im Bereich Robotik, Augmented Reality und Virtual Reality betreibt, fokussieren die PPZ in Freiburg, Nürnberg, Hannover und Berlin neben eigener Forschung auch die Erprobung der entdeckten Technologien im Pflegealltag. Denn letztlich ist es die Praxistauglichkeit, die über den tatsächlichen Einzug technischer Innovationen in die Berufspraxis entscheidet.

Die Zusammenarbeit im Cluster wird u. a. über thematisch abgegrenzte Arbeitsgruppen gewährleistet. Insgesamt fünf Arbeitsgruppen mit den Themen Öffentlichkeitsarbeit, ELSI (ethische, soziale und rechtliche Fragen), Evaluation, Technologische Innovationen sowie Wissenstransfer und Qualifizierung stehen dabei im Austausch.

Fokussierung auf pflegerelevante Themen

Jedes PPZ verfügt über eigene Strukturen und eigene Kooperationspartner. Zum Konsortium des PPZ Berlin gehören die Forschungsgruppe Geriatrie der Charité – Universitätsmedizin Berlin, die Alice Salomon Hochschule, das Institut Mensch, Ethik, Wissenschaft sowie die Technikunternehmen escos automation GmbH und NursIT Institute. Praxispartner und Verbundkoordinator sind ein Krankenhaus und eine stationäre Pflegeeinrichtung der Johannesstift Diakonie in Berlin.

Alle Beteiligten verfolgen bei der Erprobung der technischen Innovationen unterschiedliche Fragestellungen wie: Wie funktioniert die Implementierung? Welche Auswirkungen hat die Technik auf den Pflegeprozess? Über welche Kompetenzen müssen professionell und informell Pflegende künftig verfügen, um die technischen und digitalen Produkte anzuwenden? Wie verändert sich die Beziehung zwischen Pflegeempfangenden und Pflegenden? Welche ökonomischen Folgen kann Digitalisierung in der Pflege haben? Wie kann der potenzielle Konflikt zwischen Datenerhebung (Big Data) und Datenschutz ausgeglichen werden? Und nicht zuletzt: Welche ethischen Fragestellungen, Maßstäbe und Grenzen sind zu bedenken?

Das PPZ Berlin nahm im Januar 2018 seine Arbeit auf und wird bis in das Jahr 2023 bestehen. Auch wenn die Pandemie im vergangenen Jahr auch beim PPZ Berlin zu Verzögerungen im Zeitplan geführt hat, können im Folgenden exemplarisch drei Lösungen vorgestellt werden, um das Potenzial technischer Innovation für die Pflegepraxis aufzuzeigen. Zu betonen ist allerdings, dass das Forschungsvorhaben noch nicht am Ende des Weges angekommen ist.

Das PPZ Berlin erprobt technische Innovationen mit Bezug auf pflegerelevante Themen wie Diabetes, Inkontinenz, Demenz, Mobilität und Vitaldatenerhebung. Diese Fokussierung ist wichtig, um die Vergleichbarkeit der Anwendungen in verschiedenen Pflegesettings – Krankenhaus, stationäre Langzeitpflege und perspektivisch auch ambulante Pflege – gewährleisten zu können.

Bei der Erprobung durch das PPZ Berlin hat sich bislang gezeigt, dass sich bei fast allen getesteten Pflegeinnovationslösungen (PIT) Einschränkungen in der Anwendbarkeit für den konkreten Praxishintergrund ergaben. Insofern ist es gut, dass noch zwei Jahre verbleiben, um die Praxistauglichkeit der Produkte weiter zu hinterfragen, zu testen und dazuzulernen.

Beispiele für innovative Pflegetechnologien

Zu den vom PPZ Berlin betrachteten PIT zählt die Lösung escos Copilot – eine smarte Technologie, die dazu dient, zusätzliche Informationen für Pflegende bereitzustellen und auf diese Weise die Versorgungssicherheit zu erhöhen. Es handelt sich um ein modulares System, das von Smarthome-Funktionalitäten aus dem Komfortbereich, z. B. Lichtsteuerung, bis in sicherheitsrelevante Bereiche wie Sturzerkennung reicht. Das PPZ Berlin erprobt im Wesentlichen die Module „Aufstehmeldung“, „Türmeldung“ und „Sturzerkennung“. Das Modul „Aufstehmelder“ besteht aus zwei unterschiedlichen Sensorvarianten, die im Ergebnis den Aufstehversuch einer pflegebedürftigen Person aus einem Bett, Rollstuhl oder einem Sessel an das Personal melden.

Diese Meldung kann bei Menschen mit Sturzgefährdung notwendig und hilfreich sein, um gefährlichen Situationen bzw. Notfällen vorzubeugen. Die Pflegenden oder – falls es sich um das häusliche Setting handelt – pflegende Angehörige können entsprechend reagieren und die gewünschte Ortsveränderung begleiten und ein potenzielles Sturzereignis verhindern.

Das Modul „Türmelder“ meldet dem Pflegepersonal, wenn eine pflegebedürftige Person ihr Zimmer verlässt. Vor allem in der Nacht ist diese zusätzliche Information für Pflegende hilfreich, da insbesondere Menschen mit Demenz häufig unter Orientierungsverlust leiden. Die Sensormeldung ermöglicht es, das unbemerkte Verlassen des Zimmers bzw. des Wohnbereichs zu verhindern und für die Sicherheit der womöglich örtlich desorientierten Person zu sorgen.

IT-Lösungen zur Versorgung von Menschen mit Harninkontinenz

Zwei weitere Lösungen, die das PPZ Berlin testet, adressieren Pflegeempfangende mit Harninkontinenz.

Das System Wear&Care besteht aus einer sensorischen IT-Lösung, die u. a. erkennt, wenn das Inkontinenzmaterial seine Kapazitätsgrenze erreicht hat und gewechselt werden sollte. Zur Nutzung dieser Technologie muss kein bestimmtes Inkontinenzmaterial verwendet, sondern es kann das bevorzugte Produkt des Pflegeempfangenden genutzt werden. Auf dieses wird von außen ein sensorbestückter Streifen als Einmalmaterial geklebt und mit einer wiederverwendbaren kleinen Analyse- und Sendereinheit verbunden. Die Technologie erkennt Feuchtigkeit im Inkontinenzmaterial und überträgt diese Information an digitale Endgeräte. Die Pflegenden erhalten verschiedene Meldungen, etwa wenn das Inkontinenzmaterial bestimmte Füllmengen erreicht hat, die Akkulaufzeit sich dem Ende neigt oder wenn bestimmte, vorher eingestellte Tragezeiten erreicht sind.

Ziel von Wear&Care ist die individuelle und bedarfsgerechte Versorgung von Personen mit Harninkontinenz: Unnötige Routineprüfungen des Inkontinenzmaterials entfallen, die Inzidenz von Harnwegsinfekten und Hautreizungen wird reduziert und der Verbrauch von Inkontinenzmaterial vermindert. Die Testung durch das PPZ Berlin ergab, dass sich diese IT-Lösung sehr gut in bereits bestehende Routinen integrieren lässt. Die Pflegenden, die in die Erprobung einbezogen waren, merkten jedoch an, dass das System zu viele Meldungen absetzt und eine Fokussierung auf bestimmte Aspekte erfolgen sollte, um die Anzahl der Meldungen zu reduzieren.

Während Wear&Care eine smarte Lösung zur Erkennung erfolgter Harninkontinenz darstellt, setzt die Lösung DFree der Firma TripleW aus Japan bereits vorher an: Das Gerät misst mittels eines kleinen portablen Ultraschallsensors kontinuierlich den Füllstand der Blase. Wie bei der urologischen Ultraschalluntersuchung lassen sich damit Aussagen über die Funktion der Harnblase und der Harnblasenkapazität treffen. Zwar ist die Untersuchung nicht so genau wie bei einer richtigen urologischen Untersuchung. Jedoch hat DFree den Vorteil, dass es kontinuierlich misst und der Pflegeempfangende dabei mobil bleibt. Hierbei wird der Blasenfüllstand kabellos auf eine App bzw. ein Endgerät übertragen. Dieser wird als ein Ball visualisiert, der sich in den Schritten 1 bis 10 füllt. Dabei lässt sich in der App ein Grenzwert einstellen. In einer ersten Phase wird erhoben, wie gut der Harn noch gehalten werden kann. Falls ein unwillkür- licher Urinverlust beispielsweise bei dem Wert 8 auftritt, kann entsprechend ein Grenzwert bei 6 oder 7 eingegeben werden. Ist der Wert erreicht, erfolgt eine Benachrichtigung und ermöglicht so dem von Harninkontinenz betroffenen Menschen einen rechtzeitigen Gang zur Toilette.

Bisherige Untersuchungen – vorwiegend aus Japan – konnten dadurch beeindruckende Effekte aufzeigen. Nutzende waren in der Lage, ihren Harndrang besser zu kontrollieren, Miktionsintervalle zu verlängern und nächtliche Durchschlafphasen zu ermöglichen. Dadurch wurde nicht nur die Lebensqualität der Betroffenen verbessert, sondern auch deren Autonomie gestärkt.

Testungen durch das PPZ Berlin zeigten, dass eine effektive Nutzung von DFree eine Anpassung der üblichen pflegerischen Versorgung voraussetzt. Zudem wurde deutlich, dass es für die Pflegepraxis sehr wichtig ist, alle beteiligten Berufsgruppen vor und während der Einführung der Technologie zu begleiten. Regelmäßige Schulungen und ein unmittelbarer technischer Support erhöhen dabei die Akzeptanz des Systems erheblich.

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